Schweitzer Fachinformationen
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Lewis, hör verdammt noch mal auf, sauer auf mich zu sein! Ich kann nichts dafür, und das weißt du auch.«
Ich stehe wie erstarrt vor dem dreistöckigen roten Holzhaus und sehe zu dem offenen Fenster im ersten Stock. Wie ein Eindringling, der fremde Gespräche belauscht, auch wenn der weiße Briefkasten bereits meinen Namen trägt. Der Impuls, einfach abzuhauen, macht sich in mir breit, doch ich rühre mich nicht von der Stelle. Mein gelber Koffer steht ebenso verloren vor der Haustür wie ich selbst.
»Du willst es einfach nicht verstehen.«
»Ich? Du bist doch derjenige, der mir die Ohren volljammert und sich selbstbemitleidet. Hör auf, die Schuld bei mir zu suchen. Dein Versagen hast du dir selbst zuzuschreiben, Lewis. Weil du es einfach nicht gebacken bekommst!«
Irgendwo in der Ferne singt ein Vogel. Vielleicht ein verzweifelter Versuch, diesen Streit zu übertönen, der jedoch in dieser Sekunde noch lauter wird.
»Du bist ein arrogantes, selbstverliebtes Arschloch, Jasper. Schon immer gewesen!« Unwillkürlich halte ich die Luft an. »Ich weiß genau, dass du dich für etwas Besseres hältst.«
»Nun, in diesem Fall war ich besser, Bruderherz.« Jaspers Stimme wird schneidender, mein Unbehagen wächst. Ich wäre gerade gerne überall lieber als hier, und das nach rund acht Stunden Anfahrt. »Und ich habe keine Lust, mir jedes Mal aufs Neue dein Gejammer darüber anzuhören. Du bekommst nicht, was du willst? So ist das Leben, werde endlich erwachsen, und nerv mich nicht immer damit!«
Eine Sekunde lang ist es bedrohlich ruhig. Zu ruhig. Dann zerreißt ein »Du kannst mich mal!« die Stille.
Eine Tür wird krachend zugeschlagen, aus dem Fenster dringt ein Fluch. Unschlüssig sehe ich zu dem weißen Fensterrahmen hoch. Mein Blick fällt dabei auch auf die majestätischen Kiefern, die sich hinter dem roten Holzhaus erheben. Das Bild einer Idylle, die ebenso wenig zu dem Streit passt wie die Euphorie, die ich bis eben noch verspürt habe, endlich in Lullaby angekommen zu sein.
In diesem Moment wird die Haustür aufgerissen, und jemand stürmt heraus. Ich reagiere zu spät, kann nicht mehr ausweichen und spüre den Zusammenprall unserer Schultern schon wenige Sekunden später. Ein leises Keuchen von beiden Seiten, dann trifft mich sein Blick. Buchstäblich. Tiefblaue Augen, umrandet von dichten, dunkelbraunen Wimpern hinter einer runden Brille mit Goldgestell. Seine dunkelblonden, lockigen Haare, an einigen Stellen ausgeblichen vom Sommer, sind nach hinten gestylt. Nur eine einzige Locke fällt ihm ins Gesicht.
»Sorry«, murmele ich, selbst nicht sicher, ob ich damit meine, dass ich im Weg rumgestanden oder ihren Streit mit angehört habe.
Er blinzelt. Sein Zorn weicht ein wenig, dafür erkenne ich nun etwas wie Unsicherheit in seinem Blick. Doch ich kann es nicht näher ergründen.
»Nichts passiert«, sagt er. Seine Stimme, eben noch laut und kraftvoll, klingt nun deutlich zurückhaltender.
Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, doch er richtet bereits sein Shirt, das durch unseren Zusammenstoß etwas verrutscht ist, nickt mir zaghaft zu und läuft den Kiesweg entlang. Weg von dem Haus, kein Blick zurück.
»Lewis! Warte!« Sein Bruder taucht an der Tür auf. Aber zu spät.
»Schon weg«, sage ich gepresst.
Verwirrt mustert er mich, als würde er mich jetzt erst wahrnehmen. Auch er hat blondes Haar, trägt es jedoch in einem Man Bun. Auf seinem rechten Arm entdecke ich unzählige Tätowierungen, die unter seinem T-Shirt-Ärmel verschwinden, wobei ich sicher bin, dass sie darunter noch weitergehen. Ein Schriftzug ragt aus dem Kragen den Hals hinauf. Der Streit hat Röte in seinem Gesicht hinterlassen. Wäre ich von meinem Bruder als arrogantes Arschloch betitelt worden, wäre ich wohl auch ziemlich durch den Wind. Zumal das Ganze vor Zuschauern stattgefunden hat. Mit dem Gefühl, fehl am Platz zu sein, trete ich von einem Fuß auf den anderen. So habe ich mir meinen Start in Lullaby nicht vorgestellt.
Jaspers Stimmung schlägt jedoch sofort um. Ein wirklich breites Lächeln taucht auf seinen Lippen auf, als er meinen Koffer entdeckt, der noch immer verlassen auf dem Kiesweg steht. »Du musst Hazel sein. Ich bin Jasper Branson, einer deiner neuen Mitbewohner. Sorry für eben. Komm doch rein.«
Ich nicke. Für einen kurzen Moment bin ich sprachlos, was so gut wie nie vorkommt. Doch dann straffe ich die Schultern und betrete das rote Holzhaus.
Ich finde mich direkt in einem offenen Raum wieder. Rechts erstreckt sich ein großer Wohnbereich mit einem Kamin, Sesseln, einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen und einer Couch. Auf dem dazugehörigen Couchtisch liegen Stoffreste und Nähnadeln. Ob einer meiner neuen Mitbewohner näht? Das könnte praktisch sein, weil ich selbst bisher nicht mal einen simplen Knopf annähen kann. Links vom Wohnbereich befindet sich eine dunkelrote Küche, die durch einen großen Esstisch aus Holz abgerundet wird. Daneben gibt es zwei geschlossene Türen und eine Treppe aus Chrom, die in die oberen Stockwerke führt. Was aber vor allem meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist die silberne Rutschstange, die direkt neben der Treppe angebracht ist. In der Broschüre der Lullaby University stand, dass sie ein Überbleibsel aus den Zeiten ist, als das hier noch ein Feuerwehrhaus war, bevor es irgendwann von der Uni aufgekauft und zu einem Wohnhaus umfunktioniert wurde.
Jasper folgt meinem Blick. »Ziemlich cool, oder? Du kannst sie gerne ausprobieren.«
»Dann darf man da runterrutschen?«, frage ich etwas ehrfürchtig.
»Klar.« Jasper grinst breit. Er wirkt absolut sympathisch, kein bisschen wie das eingebildete Arschloch, auf das ihn sein Bruder eben noch getauft hat. »Mache ich so gut wie jeden Tag. Die anderen nutzen aber meistens die Treppe.« Er sieht hoch, dann holt er tief Luft. »Lou! Corey! Hazel ist da!«
Bis gerade dachte ich, wir wären allein, doch ein Poltern ertönt, und kurz darauf werde ich von zwei überschwänglichen Küssen auf die Wange begrüßt.
»Corey St. James, dein zweiter Mitbewohner.« Ich komme kaum dazu, mir seine dunklen Afrolocken, seinen lichten Schnurrbart oder seine schlanke Figur genauer anzusehen, denn er gibt mir einen weiteren Kuss auf die rechte Wange, ehe er Jasper anblickt. »Wo ist denn ihr Gepäck? Noch draußen? Willst du das vielleicht mal reinholen, oder was?«
»Du hast recht.« Jasper verschwindet aus dem Haus.
»Hattest du eine lange Fahrt?«, fragt Corey. »Mr Peterson hat uns nur mitgeteilt, dass du später mit dem Studium beginnst als die anderen Erstsemester. Und wir haben erst gestern Abend erfahren, dass du heute kommst.«
»Ja, es war alles etwas chaotisch die letzten Wochen.«
»Wir freuen uns auf jeden Fall, dass du da bist. Lullaby wird dir sicher gefallen.« Corey klopft mir auf die Schulter. Dabei rieselt etwas Erde von seinen Händen auf meine Turnschuhe. »Sorry. Ich war gerade im Garten, hatte keine Zeit, mir noch die Hände zu waschen. Ich bin unser hauseigener Experte für ökologische Anpflanzung, musst du wissen.«
»Was pflanzen wir denn an?«
»Möhren, Zucchini, Kopfsalat, Rucola, Brechbohnen, Kürbis - was das Herz begehrt. Ich habe uns Hochbeete angelegt. Bei Gelegenheit zeige ich dir alles.«
»Aber nicht jetzt, Corey. Wir wollen Hazel ja nicht gleich überfordern«, wirft Jasper ein, der mit meinem Koffer zurück ins Haus gekommen ist.
»Ich könnte mir vorstellen, dass dir das mit deinem lautstarken Streit ohnehin schon wunderbar gelungen ist«, ertönt plötzlich eine Frauenstimme am oberen Ende der Treppe. Das muss Lou sein. »Das war nicht ganz der Empfang, den ich mir für dich vorgestellt hatte. Aber schön, dass du da bist.« Sie winkt mir zu, während sie herunterkommt. Ihre blonden schulterlangen Haare wippen bei jeder Bewegung mit, ebenso wie ihre drei langen Ketten, die sie über einer weißen Bluse und einer High-Waist-Jeans trägt. Doch ich habe nur Augen für ihr einnehmendes Lächeln und ihre unzähligen Sommersprossen, wie ich sie in dieser Anzahl noch nie an einem Menschen gesehen habe.
»Alles in Ordnung?«, fragt sie Jasper. »Das klang heftig.«
»Ich habe mich wohl etwas hinreißen lassen.«
»Nicht nur du«, sagt Corey. »Ich wusste gar nicht, dass Lewis so ausflippen kann. Sonst ist er ja nicht gerade ein Freund von vielen Worten.« Corey schüttelt den Kopf, dann sieht er zu mir und den anderen. »Aber genug von den zwei Streithähnen. Jetzt geht es um Hazel und ihr neues Zuhause.« Er hakt sich bei mir unter. »Zeit, dir dein Zimmer zu zeigen.«
»Ich mache erst mal einen Tee«, schlägt Lou vor. »Du magst doch Tee, oder? Dazu vielleicht ein paar Cookies? Ich habe erst letzte Nacht welche gebacken.«
»Tee ist toll«, erwidere ich. Lou geht sofort zur Küchenzeile, um den Wasserkocher anzuschmeißen.
Ich wende mich an Corey, der mich bereits die Treppe hinaufführt. »Sie backt nachts?«
»Ständig. Ihre Beschäftigungstherapie . wobei ich mich echt frage, wie sie es schafft, tagsüber die Augen offen zu halten, denn dann ist sie auch immer auf Achse. Komitees, Lerngruppen .«
»Mal abgesehen von ihren persönlichen Ambitionen und ihren stundenlangen Sessions an der Nähmaschine«, wirft Jasper ein, der ein paar Stufen vor uns ist und meinen Koffer trägt. Dann sind die Nähnadeln auf dem Couchtisch wohl von ihr.
»Ja, Lou ist irgendwie ein ziemliches Arbeitstier. Aber dafür ist immer frisches Gebäck im Haus.«
»Und sie backt fantastisch«, ergänzt Jasper.
Die Treppe führt uns über die erste Etage direkt unter das Dach. »Das ist das Zimmer von Lou«, sagt Corey und deutet auf eine...
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