Schweitzer Fachinformationen
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The Colors Of My Life
Denkt an die tupfenden Bewegungen.«
Dreizehn Leute sitzen vor ihren Leinwänden und folgen meinen Anweisungen. Ein Hauch von Knoblauch liegt in der Luft, ausgehend von den Antipastiplatten, die auf den Tischen bereitstehen. Dazu wurden Granetti, ein mittelkräftiger Rotwein und Wasserkaraffen gereicht. Das Licht ist ein wenig gedimmt und unterstreicht die gemütliche Atmosphäre, ohne zu viel der Sicht einzubüßen.
»Genau so«, sage ich in die Runde. »Verschiedene Schwämme können ganz unterschiedliche Effekte zaubern, also seid gerne experimentierfreudig.«
Ein paar Leute greifen zu der Schwammauswahl in der Mitte der Tische und wechseln Struktur und Farbe. Direkt vor mir sitzt eine Frau Namens Stacy, die zu spät zu meinem Malkurs erschienen ist und total gestresst war. Nun liegt ein glückseliges Lächeln auf ihren Lippen. Sie spürt also schon die Magie, die mit dem Malen einhergeht. Dann, wenn der Alltag leiser wird und sich die bunten Farben automatisch auf die Stimmung übertragen. Egal, wie schlecht der Tag bislang auch war.
»Ich werde ein bisschen rumgehen«, kündige ich an. »Wenn ihr Fragen habt, dürft ihr sie mir gerne stellen, aber lasst euch von mir nicht aus der Ruhe bringen. Spürt einfach den Prozess und genießt die Getränke und das Essen.«
Die Besitzerin vom La Grotta, dem kleinen italienischen Restaurant in der Bronx, nickt mir lächelnd zu, als ich beginne, durch die Reihen zu gehen.
Es ist meine erste Creative Night im La Grotta, und ich hoffe sehr, dass mir Antonella am Ende dieses Abends eine feste Kooperation anbieten wird. Ich brauche sie, wenn meine Selbstständigkeit als Event-Managerin endlich Früchte tragen soll.
Früher hatte ich vor, selbst Künstlerin zu werden. Meine halbe Jugend habe ich mich darauf vorbereitet: Ich habe Mal- und Zeichenkurse besucht, bei Ausstellungen mitgewirkt und mich für zahlreiche Nachwuchsprojekte beworben. Doch ein Praktikum bei Jerome Estelle, einem bekannten Künstler in Brooklyn, hat mir dann vor zwei Jahren die Augen geöffnet. Jeromes Alltag bestand aus Druck und Krisen, weniger aus schöpferischem Schaffen und der Freude an Kunst. Immer wenn eine Ausstellung anstand, fand er alles schrecklich und hat in Wutanfällen seine Werke vernichtet. Ich wollte nicht riskieren, meine Liebe zur Kunst derart zu verlieren, also habe ich mir meinen eigenen Weg gesucht, um mir diese Leidenschaft zum Beruf zu machen. Anfangs hatte ich noch den Plan, Kunstgeschichte zu studieren und später in einer Galerie zu arbeiten. Es wäre wohl der konventionellere Weg gewesen, anstatt mich ohne ein Studium sofort selbstständig zu machen. Aber die Aussicht darauf, nur über Kunst zu sprechen und mit ihr zu handeln, anstatt Kreativität zu leben, erschien mir zu trist. Selbst Kurse zu geben, ist hingegen bunt und bereichernd.
Die nächsten zwei Stunden versinken die Teilnehmenden in ihrer eigenen Welt. Gedankenversunkenes Schweigen liegt im Raum, das nur hier und da von meinen Anmerkungen unterbrochen wird. Sie tunken verschiedene Schwämme in unterschiedliche Acrylfarben und zaubern wundervolle Muster. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, und so haben wir am Kursende ganz unterschiedliche Kunstwerke, die wir in der großen Runde besprechen und bestaunen.
Wir schließen den Abend mit ein paar reflektierenden Worten über den Tag, und dann beginnt der spannendste Teil des Abends: Ich beobachte, wie mein Kurs bei den Teilnehmern angekommen ist. Wenn die Visitenkarten und Flyer, die immer auf den Tischen ausliegen, mitgenommen oder eingescannt werden, war es ein erster Erfolg, der auf eine Wiederholung hoffen darf.
Heute sind es vier von dreizehn Leuten, die sich die entsprechenden Infos aufs Smartphone ziehen und mir sagen, wie sehr ihnen der Abend gefallen hat. Als sie das La Grotta verlassen, ist es jedoch nur eine einzige Meinung, auf die ich wirklich zähle. Antonella räumt bereits die leeren Gläser und Teller ab. Sie lächelt, wie sie es schon den ganzen Abend getan hat, aber ich kann absolut nicht sagen, was dieses Lächeln für mich und meine Kooperation bedeutet.
»Was für eine super Gruppe«, sprudelt es aus mir heraus. »Sie waren alle so offen und neugierig und haben meine Anweisungen toll umgesetzt.«
Tatsächlich ist das nicht immer so. Manche Leute an die Kunst heranzuführen, kann leicht sein, dann braucht es nur einen kleinen Schubs. Bei anderen hingegen stößt man auf Mauern und Unsicherheiten - entweder weil sie vorher noch nie etwas Künstlerisches ausprobiert haben und nicht daran glauben, dass sie gut genug dafür sind. Oder weil sie nur durch Freunde im Kurs gelandet sind und Kunst eigentlich langweilig finden.
»Ich hoffe, du bist auch zufrieden mit dem Abend?«, frage ich.
Finanziell wird es sich in jedem Fall für Antonella gelohnt haben. Der Kurs fand während des Ruhetags statt, es mussten dafür also keine Gäste weggeschickt werden. Abgesehen von ihrer Anwesenheit brauchte sie auch kein Personal, und sie bekommt trotzdem zwanzig Prozent der Ticketeinnahmen. Es sollte eigentlich danach schreien, mit mir eine feste Vereinbarung zu treffen. Alle zwei Wochen, vielleicht auch nur einmal im Monat. Für neue Gäste, die zeitgleich das Ambiente des Restaurants kennenlernen und einen ersten Eindruck vom Essen bekommen.
»Ich fand den Abend wirklich sehr inspirierend«, antwortet sie. »Du hast eine schöne Atmosphäre erzeugt, die gut ins La Grotta passt. Familiär und ungezwungen, einfach gemütlich.«
Mein Magen kribbelt erwartungsvoll.
»Dann könntest du dir vorstellen, das zu wiederholen?«
»Durchaus. Vielleicht könnten wir so etwas noch mal im Herbst anbieten?«
Ich versuche wirklich zu lächeln, obwohl das Kribbeln in meinem Magen gerade von bitterer Enttäuschung weggespült wird. Händeringend versuche ich diese Aussage positiv zu sehen. Immerhin will sie eine Wiederholung, das hier ist keine Ablehnung, kein Versagen.
Trotzdem reicht es nicht.
»Das würde mich wirklich sehr freuen«, erwidere ich dennoch. Alles ist besser als nichts.
Antonella und ich verbleiben damit, einen neuen Termin für den Oktober auszumachen, der noch viel zu lange hin ist. Noch sechs Monate, dabei brauche ich dringend feste Kooperationen, um stabile finanzielle Einnahmen zu erzielen. Wöchentliche Kurse, ein monatlicher Rhythmus. Etwas, worauf ich mich verlassen kann.
So wie die Lage gerade ist, müsste ich eigentlich auch meine Ticketpreise erhöhen, um die Materialkosten besser zu decken, aber ich traue mich nicht. Außerdem habe ich unzählige Podcasts über Selbstständigkeit und den Aufzug eines Business gehört, und alle sagen, dass man am Anfang immer erst investieren muss. Ich hoffe, sie haben recht und die Investition zahlt sich irgendwann aus. Nicht nur wegen des Geldes. Hauptsächlich, weil ich das hier unbedingt will.
Etwas niedergeschlagen packe ich meine Utensilien zusammen und verlasse das Restaurant. Mit Blick auf die Uhr entscheide ich mich dazu, noch nicht nach Hause zu fahren. Der Club meines Dads, das Silverside, liegt nur ein paar Blocks entfernt, und ich brauche jetzt dringend Ablenkung.
Kurzerhand rufe ich ein Uber und ignoriere mein schlechtes Gewissen, weil ich für die Fahrt Geld ausgebe, anstatt die Subway zu nehmen.
Der Fahrer mustert die getrocknete Farbe an meinen Händen und meinen Utensilien-Koffer etwas skeptisch, sagt aber nichts, als ich mich auf den Ledersitzen niederlasse. Während der zehnminütigen Fahrt murmelt er irgendetwas über das letzte Spiel der Yankees, und ich bin mir nicht sicher, ob er dabei mit sich selbst redet oder seine Erzählungen eigentlich mir gelten. Ich bemühe mich um ein möglichst freundliches Gesicht, auch wenn ich seinem Monolog nicht folge. Stattdessen drehen sich meine Gedanken immerzu im Kreis.
Viele Geschäftsmodelle überleben das erste Jahr nicht. Auch mir wurde schon prophezeit, dass ich die Selbstständigkeit unterschätze. Vor zwei Monaten erst habe ich gehört, wie meine Tante Daphne meinen Dad gefragt hat, wie er es zulassen konnte, dass ich nicht aufs College gehe und mich stattdessen erst mit Praktika und nun mit »einem Hobby« beschäftige. Es war nur ein kleiner Trost, dass Dad mich und meine Events vehement verteidigt hat, aber weder meine Eltern noch meine beste Freundin Ivy, die mich bei meinem Schritt in die Selbstständigkeit unterstützt haben, wissen, dass die letzten fünf Monate viel härter waren, als ich es zugebe.
Das Silverside ist wie eine Leuchtreklame für die Erfüllung von Träumen. Früher hat mein Dad in einem angesagten Club in Manhattan hinter der Bar gestanden und sich Jahr für Jahr vorgestellt, irgendwann seinen eigenen Laden zu eröffnen. Lange Zeit dachte er, sich diesen Traum nie erfüllen zu können, bis der frühere Besitzer dieses kleinen Lokals in der Bronx pleiteging und gezwungen war, günstig zu verkaufen. Mein Dad hat zugeschlagen und mit unendlich viel Arbeit das Silverside aufgebaut. Sein ganzes Herzblut steckt in dem ausgewählten Barsortiment, dem Raumkonzept aus silbernen Möbeln und Tischen aus Chrom. Er hat Comedyabende und Open Mic Nights organisiert und versucht, sich einen Namen zu machen. Vor ein paar Monaten habe ich dann meine inzwischen beste Freundin kennengelernt, die mit ihren Gesangsauftritten im Silverside gleich zwei Träume auf einmal erfüllen konnte: Sie wurde damit über Nacht zum Star und hat einen Plattendeal mit einem bekannten Label bekommen, und Dad bekam exklusive Konzerte mit Ivy, die ihm nicht nur viel Geld, sondern auch jede Menge Presse eingebracht haben.
Ich höre Ivys raue...
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