Schweitzer Fachinformationen
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Morgan
Meine Eltern hätten einen Oscar für das Vortäuschen der perfekten Familienidylle verdient, vorausgesetzt, sie würden Außenstehenden einen Einblick in unser echtes Leben gewähren. Das hinter dem aufgesetzten Lächeln, Vaters teuren Anzügen und den glänzenden Silberäpfeln auf dem Tisch. Nach außen hin ist das hier ein Morgen wie aus dem Bilderbuch: drei zurechtgemachte Gestalten an einem lächerlich langen Esstisch, auf dem Frühstück für eine ganze Woche bereitsteht. Herrlicher Kaffeeduft liegt in der Luft, und es ist so wunderbar friedlich, wie es nur sein kann. Aber auch das ist ein Trugbild. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man eine sich anbahnende Naturkatastrophe dadurch erahnen kann, dass Tiere plötzlich verstummen und fliehen. Die Ruhe hier ist ebenso ein Frühwarnsignal, nur dass ich mich nicht vor der sich anbahnenden Katastrophe retten kann. Ich habe es den ganzen Sommer über versucht, aber ich hatte keine Chance. Meinen Berechnungen zufolge wird mein Vater nur noch etwa vierzehn Sekunden lang in den Wirtschaftsteil seiner Zeitung vertieft sein, bevor sein prüfender Blick auf mich fallen wird und die Tsunamiwelle losbricht.
Aberfa, unser Hausmädchen, spürt die Anspannung sicher auch, denn sie wischt sich ständig eine nicht existente Haarsträhne aus dem Gesicht, obwohl ihre Haare zu einem tadellosen Dutt geformt sind. Sie wischt und wischt, als wäre es das Einzige, das ihr dabei helfen könnte, die Situation auszuhalten.
Noch zehn Sekunden. Höchstens.
Vielleicht hätte ich letzte Nacht aus dem Fenster klettern und still und heimlich zurück zur Uni fahren sollen, um diesem Gespräch zu entgehen. Ein verlockender Gedanke, der mich mehr als einmal überkommen hat. Aber was nützt es zu fliehen? Es würde keine Stunde dauern, bis sie mir an die Uni folgen würden, um mich dort zur Rede zu stellen.
»Also, Morgan.« Da sind sie, die ersten Worte meines Vaters, ehe er die Zeitung fein säuberlich zusammenfaltet und zu mir sieht. Aberfa, die gerade dabei war, neuen Kaffee einzuschenken, murmelt sofort etwas von Kaffeemaschine und eilt in die Küche. Kluge Frau. Wenigstens eine, die temporär abhauen kann.
»Ich möchte, dass du mir etwas erklärst.« Dads Sorgenfalten auf der Stirn sind im letzten halben Jahr erschreckend tief geworden, und seine sonst fülligen Wangen sind schmaler als früher. Er holt sein Smartphone heraus und reicht es mir rüber. Sein Blick ist ausdruckslos, aber ich spüre das Pulsieren hinter seiner Schläfe - es ist, als würde ich es hören können. Meine Mutter, die mir gegenübersitzt, sieht nun auch zu mir. Der Hosenanzug, den sie üblicherweise in die Arbeit anzieht, sitzt heute lockerer und bildet einen Kontrast zu ihrer strengen Hochsteckfrisur.
Auf dem Smartphone ist eine Finanzübersicht geöffnet. Die letzten Abbuchungen meiner Kreditkarte.
»Das sind meine Ausgaben vom Sommer«, gebe ich trocken zurück, aber in meinem Inneren brodelt es. »Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass ich mir mein Geld selbst einteilen kann und dabei keinen Kontrolleur brauche?«
»Du meinst unser Geld? Das wir dir so großzügig überlassen?« Dads Lippen werden schmal. »Und das, obwohl du uns erst vor ein paar Monaten einige Millionen Pfund gekostet hast?«
Es war so klar, dass er wieder darauf anspielt, weil es nur noch um meine Verfehlungen geht. Tag für Tag. Seit fast sechs Monaten.
»Ich werde nicht weiter dabei zusehen, wie du das Geld für Nichtigkeiten ausgibst, anstatt Verantwortung zu zeigen. Dieses Jahr nicht, Morgan. Dieses Jahr laufen die Dinge anders.« Finster sieht er mich an, und ich fühle mich klein und unscheinbar, wie ein Kind. »Du wirst dein Konto nicht überziehen, hast du mich verstanden? Der Betrag, den wir dir freigeben, muss reichen.«
»Du weißt, dass ich mit Geld umgehen kann«, erwidere ich. »Meine Verfehlungen aus dem letzten Jahr haben nichts damit zu tun.«
»Alles hat damit zu tun«, erwidert Dad. »Ich erwarte volle Konzentration auf unsere Absprachen und die Uni.« Es ist, als würden meine Worte durch ein schwarzes Loch gezogen werden, ehe sie von ihm gehört werden können.
Verstimmt brumme ich. Ich spüre keine Euphorie, an die Cliffworth University zurückzukehren, sondern eher den Wunsch, wegzulaufen. Weg von Erwartungen und von der Zukunft. Weil beides dafür sorgt, dass sich der Strick, den ich deutlich um meinen Hals spüre, immer enger zieht.
Dad nippt an seinem Kaffee. Ich kann für ihn nur hoffen, dass er koffeinfrei ist, denn Dr. Awbrey hat ihm dringend geraten, von Kaffee auf Kräutertee umzusteigen. In der Hinsicht ist Dad einfach beratungsresistent. Er hat schon immer gemacht, was er für richtig hält.
»Du hast gleich heute Nachmittag einen Termin bei Dekan Roberts, um mit ihm über deine Kurse zu sprechen.«
Das hat er nicht getan. Er hat nicht wirklich hinter meinem Rücken mit den Leuten von der Uni gesprochen. Schon wieder.
»Ich dachte, wir waren uns einig, dass ich erwachsen bin und daher meine Angelegenheiten an der Uni selbst regeln kann«, presse ich hervor. Es kostet mich alle Überwindung, meine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen, obwohl ich es hasse, wenn sie mich bevormunden und alles für mich planen, ohne mich zu fragen.
»Spiel nicht immer das Opfer. Meinst du, wir machen das gerne? Meinst du, wir haben nichts Besseres zu tun, als deine Angelegenheiten zu klären und deine Finanzen zu prüfen?« Dads Stimme wird lauter, aber nichts ist so erschreckend wie die dunkle Röte, die sich in seinem Gesicht ausbreitet. »Benimm dich wie ein Erwachsener, und ich behandle dich auch so.«
»Rupert, denk an deinen Blutdruck«, ermahnt ihn meine Mutter. »Du sollst dich nicht so aufregen.«
»Ich muss mich aber aufregen!«, poltert er. »Morgan, sieh mich an und sag mir, wie wir die Dinge nicht in die Hand nehmen sollen, so wie du dich in den letzten Monaten präsentiert hast? Deine Zukunft entgleitet dir, und das lasse ich nicht mehr zu. Ich dachte, der Browdy-Fall hätte dich wachgerüttelt, aber du nimmst es immer noch nicht ernst, obwohl uns dein Verhalten alles hätte kosten können! Obwohl wir noch immer mit den Konsequenzen deines Handelns leben müssen!«
Mein Kiefer schmerzt, so sehr presse ich ihn aufeinander, weil er den Browdy-Fall erwähnt hat. Der Schatten, der über meinem ganzen Sommer lag. Der Schatten, der sich zwischen meine Eltern und mich gelegt hat und den ich einfach nicht loswerde. Sie vertrauen mir nicht mehr. Ich weiß ja nicht mal, ob ich mir selbst noch vertraue, also kann ich sie durchaus verstehen. Aber erträglicher macht das die Situation auch nicht.
»Deine Mutter und ich mussten uns sowieso schon oft anhören, dass du noch zu jung bist, um in die Kanzlei einzusteigen. Kritische Stimmen, die sich fragen, ob du dieser Verantwortung gewachsen bist, und ich bin es leid, zu lügen. Was meinst du, was passieren würde, wenn die Leute von deinen Verfehlungen wüssten? Meinst du, sie würden die McKenzie LLP noch ernst nehmen? Uns vertrauen?«
Ich schlucke schwer, blicke auf die Tischplatte. »Nein, Sir.«
»Und was, wenn deine geplante Partnerschaft in der Kanzlei nächsten Sommer nicht zustande kommt, weil du in der Uni durchgefallen bist? Was dann?«
»Das wird nicht passieren«, murmle ich.
»Weil?«
Ich schlucke. »Weil ich diesen Termin bei Mr Roberts wahrnehme, um über meine Kurse zu sprechen. Und weil es dieses Jahr anders laufen wird.«
»Gut. Denn wenn du es nicht schaffst, dich zusammenzureißen und uns zu beweisen, dass du deine Fehler wiedergutmachen willst, dann war's das mit dem Geld. Hast du mich verstanden? Wenn du es nur durch Druck schaffst, endlich das zu tun, was von dir verlangt wird, dann bitte. Du bist ein McKenzie! Von uns erwartet man gewisse Dinge.«
»Ich weiß«, erwidere ich kleinlaut und rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Nicht wegen seines Tonfalls, denn von Dad angeschrien zu werden, hatte spätestens seit meinem zehnten Lebensjahr kaum noch eine Wirkung auf mich. Insgeheim habe ich irgendwann angefangen, mich darüber zu amüsieren und diese kleine, pochende Ader auf seiner Stirn herauszufordern, indem ich Scheiße gebaut habe. Ein kleiner Teil von mir will es immer noch: ihn einfach weiter provozieren. Aber ich weiß inzwischen, dass meine Eltern Macht besitzen. Sie haben einen hervorragenden Ruf, die millionenschwere Kanzlei, das Geld und sämtliche Möglichkeiten, meine Karriere positiv wie negativ zu beeinflussen. Aber vor allem ist es Dads Gesundheit, die mich dazu veranlasst, ihm nicht zu widersprechen. Das ist es, was seit seinem Herzinfarkt vor rund acht Monaten am meisten Macht über mich hat. Dad und ich haben unsere Differenzen, aber ich liebe ihn. Und auch wenn er nicht immer auf Dr. Awbreys Rat hört, habe ich mir sehr genau eingeprägt, dass Stress für ihn gefährlich ist. Dass er ihn unbedingt vermeiden muss. Dass er eigentlich in der Kanzlei kürzertreten sollte und ich ihn bald ablösen soll. Ihn unterstützen, anstatt ihm noch mehr Ärger zu machen.
»Ich weiß ja, dass ich mich mehr aufs Lernen konzentrieren soll.«
»Das reicht nicht«, sagt nun Mum, ihr Tonfall ist ein wenig versöhnlicher. »Du musst dir Mühe geben. Egal, ob in den Kursen, bei den Covenants oder in der Kanzlei. Du hast nur noch dieses Jahr bis zu deinem Abschluss. Damit steht und fällt jetzt alles.«
»Du wirst alles tun, was nötig ist, um deine Noten auf ein Höchstniveau zu pushen«, befiehlt Dad. »Lerngruppen, Nachhilfe, Extraarbeiten. Mir ist es gleich, wie du es anstellst, aber du wirst verdammt noch mal alles geben. Das bist du...
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