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Eine Amour fou jenseits aller Konventionen
Er ist 22 und ein literarischer Shootingstar, sie Psychoanalytikerin und selbst erfolgreiche Schriftstellerin: Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé. Ihre Liebe beginnt mit ein paar Gedichten, die der junge Dichter 1897 der fast fünfzehn Jahre älteren Lou schickt. Als sie sich persönlich kennenlernen, ist sie fasziniert und mitgerissen von der Tiefe seines Gefühls und der Größe seiner dichterischen Begabung. Ihm bedeutet die Begegnung eine menschliche und künstlerische Erfüllung und Herausforderung. Für beide ist ihre Liebe ein überwältigendes und einzigartiges Ereignis.
Dabei hält Lou stets an ihrer Freiheit fest, beurteilt Rilkes Werk schonungslos und bewahrt ihren Geliebten davor, sich auf dem Genius Rilke auszuruhen. Und so ist ihre Liebesbeziehung, die später in eine lebenslange Freundschaft mündete, auch ein sehnsüchtiges Ringen umeinander, eine leidenschaftliche Suche nach Verbindung und Freiheit.
Der Ruf nach Gerechtigkeit hallte durch die Straßen Europas. Millionen Menschen demonstrierten für das Frauenwahlrecht. Nur vereinzelt erhielten Frauen die Gelegenheit, Universitäten zu besuchen. In diesen Zeiten des Umbruchs studierte Louise von Salomé, Tochter eines russischen Generals und einer deutschen Mutter, Philosophie, Kunstgeschichte und Theologie in Zürich. Sie veröffentlichte erste Texte unter männlichem Pseudonym, weil sie die Publikationsmöglichkeiten einer Frau für aussichtslos hielt. Später erschienen ihre Werke unter eigenem Namen, sie wurde in Literatenkreisen bekannt.
Bekannter jedenfalls als der von sich selbst eingenommene junge Lyriker, der ihr anlässlich einer Lesung zum ersten Mal gegenüberstand. Er hatte intensive Augen, einen dünnen Hals und schmale Schultern. Männer mit flachem Hinterkopf, fand Lou, hatten so etwas Unfertiges. Sein Anzug war abgetragen, aber mit Geschick aufgebügelt.
»Wie beeindruckt ich war!«
René Maria Rilke hatte Lous Roman Ruth gelesen, dessen Veröffentlichung erst nach Rückschlägen und Demütigungen möglich gewesen war.
»Das Mädchen in Ihrem Buch, das sich das Herz ihres Lehrers erobert - in der Entwicklung dieses Mädchenschicksals konnte ich Enttäuschung und drohendes Unglück plastisch wachsen spüren.«
Es amüsierte Lou, ihn so gegenwärtig von einem Werk sprechen zu hören, das sie längst hinter sich gelassen hatte. »War es wirklich nur Enttäuschung bei dem Mädchen, nicht auch Hoffnung?«
Im jungen Rilke sah Lou das Lehrer-Schüler-Verhältnis ihres Romans umgedreht. Während sie auf die vierzig zuging, hatte er die zwanzig kaum überschritten. Würde er die Jahre, die sie gebraucht hatte, sich Anerkennung zu verschaffen, besser nützen als sie, würde er aufsteigen oder untergehen?
»Kennen Sie >Jesus der Jude<?«, fragte Lou.
»Ob ich Ihren Essay kenne?«, lachte Rilke. »Wegen >Jesus der Jude< bin ich hier! Ich musste Sie unbedingt kennenlernen! Glauben Sie wirklich, dass Gott uns abhandenkommen kann?«
Sie schwieg mehrere Sekunden. »So haben Sie meinen Text gelesen?«
»Wie denn anders?«, rief er so laut, dass einige im Salon sich umdrehten. »Sie behaupten, dass Religion nichts Dauerhaftes ist, dass sie wie alles der Vergänglichkeit anheimfällt, dass Religion eine Entstehung kennt, ihre Bedeutung ändert, Wandlung erfährt.«
Lou stellte die Tasse, die sie wie eine Barriere gegen den jungen Mann, der körperliche Distanz nicht zu kennen schien, vor sich hielt, zur Seite. »Ist Ihnen Gott denn abhandengekommen, Herr Rilke?«
»Im Gegenteil.« Klirrend setzte auch er die Tasse ab. »Ich nähere mich Gott gerade mit allen Sinnen. Meine aktuelle Arbeit nenne ich >Christus-Visionen.< Deshalb ist Ihre Abhandlung, ist die Wucht, mit der Sie Ihre Überzeugung aussprechen, von unschätzbarem Wert für mich.«
Verwundert sah sie ihn an und wies auf die Terrasse. »Heute ist so ein schöner Tag. Wollen wir Gott und alles, was mit ihm zu tun hat, nicht lieber draußen besprechen?«
»Wo wir ihm näher sind!« Rilke folgte Lou nach draußen.
Rilke zog die weißen Handschuhe an, die er immer trug, wenn er Dinge anfassen musste, ohne zu wissen, wer sie vor ihm berührt hatte. »Ich habe Ihnen so viel zu sagen.«
»Sie haben schon genug gesagt, Rilke. Und mehr noch geschrieben.« Lou suchte ihren Platz in der achten Reihe.
»In Gesellschaft konnten wir nicht offen reden.« Er lief neben ihr her. »Und gestern im Café konnten wir nur Belanglosigkeiten austauschen.«
»Und im Theater werden wir vor allem zuhören.«
Da sie erst knapp vor Vorstellungsbeginn eintrafen, waren sämtliche Besucher der achten Reihe gezwungen, aufzustehen. Während Lou sich entschuldigte, quetschte Rilke sich einfach an ihnen vorbei.
»Gestern am Limonadenstand fühlten Sie sich unbeobachtet, aber ich habe bemerkt, dass Sie mich anblickten. In Ihrem Blick lag mehr als Sympathie, fand ich.«
»So?« Sie klappte den Sitz herunter.
»Ich hatte den Eindruck, dass Sie mich gernhaben. Irre ich mich?«
»Durchaus nicht.«
»Dann sagen Sie mir bitte offen: Empfinden Sie immer noch so für mich?«
»Von gestern auf heute - was sollte sich daran geändert haben?«
Mit behandschuhter Hand berührte er ihren Arm. »Dann wage ich einen Vorschlag. Wollen wir morgen zusammen ausfahren?«
Lou ließ das Programmheft sinken. »Sie denken schon an morgen, jetzt, da wir uns die Geschichte eines Poeten ansehen wollen?«
»Cyrano de Bergerac ein Poet?« Eine wegwerfende Geste. »Ich habe das Stück gelesen. Im französischen Original mag es hingehen, aber die deutschen Reime . schrecklich gezimmerte Verse!«
»Schmälern Sie meinen Genuss nicht durch Verächtlichkeit. Ich will mir mein eigenes Urteil bilden.«
»Den ganzen Abend neben Ihnen zu sitzen und der Romanze eines anderen beizuwohnen, das ist .«
»Lehrreich. Für uns beide.«
Im Saal wurde es dunkel, sie gebot ihm zu schweigen.
Drei Stunden später schlenderten sie zusammen die Maximilianstraße hinunter. »Sie haben geweint, Rilke.«
Seine Hand lag an ihrem Ellbogen. »Ich versuchte, es zu unterdrücken. Wie befürchtet waren die Verse schwülstig und parfümiert.«
»Und doch haben Sie geweint.«
»Mich hat das Opfer gerührt, das Cyrano bringt, indem er seine wahre Liebe ein Leben lang verheimlicht. Doch in dem Augenblick, als Roxane ihn erkennt, als sie sich ihm offenbart, da .«
»Stirbt Cyrano.« Sie näherten sich der Residenz. »Ich fand es raffiniert gemacht.«
»Es hat Sie beeindruckt?«
»Raffinesse beeindruckt mich nicht.« Sie blieb stehen. »Sie sollten damit aufhören, Rilke.«
»Womit?«
»Briefe, Gedichte, Blumen - jeden Tag. Wir leben nicht mehr in den Zeiten Cyranos.«
»Halten Sie mich auch für raffiniert? Sind meine Gedichte schlecht? Sind sie schwülstig?«
»Schwülstig nicht, eher .« Sie ging langsam weiter. »Eher wolkig. Es müssen inzwischen bald hundert an der Zahl sein.«
Brüsk ließ er ihren Arm los. »Langweile ich Sie? Oder ist es wegen Ihres Ehemannes?«
Ein paar nachdenkliche Schritte. »Sosehr ich mich freue, in der Post Ihre Handschrift zu entdecken, ist es doch erschöpfend, derart intensiv verehrt zu werden.« Sie rechnete mit Widerspruch, Kränkung sogar, aber seine Antwort überraschte sie.
»Das verstehe ich sehr gut, Lou.«
»Tatsächlich?«
»Hunderte Briefseiten habe ich in Gedanken an Sie schon hingeworfen, von denen ich Ihnen nur die würdigsten zusandte. Aber noch während ich sie schreibe, erwacht in mir eine schreckliche Angst.«
»Wovor?«, fragte Lou am Rande des Odeonsplatzes.
»Vor der Liebe, Lou. Ich weiß nicht, warum ich so intensiv, so ekstatisch lieben muss, da ich doch gleichzeitig solche Angst davor habe. Verstehen Sie mich nicht falsch: Meine Liebe ist durchwegs positiv gestimmt. Wenn ich liebe, habe ich Energie, bin produktiv, entdecke Neues und komme im Alltagsleben voran.«
»Demnach ist Liebe für Sie Selbstzweck? Sie lieben, um sich besser zu fühlen?«
»Ich begreife...
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