Schweitzer Fachinformationen
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Gisela Witte
Von Tag zu Tag wurde das Leben beschwerlicher. Der Supermarkt öffnete nur für einige Stunden am frühen Morgen und Getränke waren schnell ausverkauft. Auf dem Heimweg schob Beate das Fahrrad den Hügel zu ihrem Haus hinauf. Einen Moment hielt sie schnaufend inne und sah zurück zum Fluss. Was für ein trauriges Rinnsal!
Im Hausflur traf sie Viola, ihre jüngere Schwester, die von der Boutique kam, in der sie arbeitete.
"Es war die Hölle", beklagte sie sich. "Die Klimaanlage ist ausgefallen und die Kunden bleiben lieber zu Hause. Ohnehin wollen sie sich bei dem Wetter lieber aus- statt anziehen. Wir öffnen nur noch vormittags." Sie tupfte sich den Hals mit einem Taschentuch ab. "Heute Abend treffe ich mich mit ein paar Frauen zu einem Zuni-Regentanz, wir tragen dazu Federkostüme und Türkisschmuck. Die Federn und Türkise symbolisieren Wind und Regen. Das soll sehr wirksam sein."
Beate verfiel in einen Lachkrampf. Sie lachte, als sie die Lebensmittel in den Kühlschrank räumte, und kicherte noch bei der Zubereitung des Essens.
In der kommenden Nacht wachte sie erschrocken auf. Ihr Schlafzimmer war von einem grellen Licht erhellt. Auf den Blitz folgte ein nachhallender Donner. Waren das Regentropfen, die auf das Fensterbrett klatschten? Sie sprang aus dem Bett und eilte zum Fenster. Es regnete nicht nur, es schüttete! Sie sog die frische Luft ein. Es war, als würde die Natur aufatmen.
Auch an den folgenden Tagen regnete es ununterbrochen.
"Entweder ihr habt den Zuni-Tanz zu lange getanzt", sagte Beate am Frühstückstisch, "oder ihr habt zu viele Federn und Türkise getragen." Sie ergriff Violas Hand. "Hast du gesehen, wie schnell das Wasser den Hügel hochsteigt? Der Fluss ist zu einem reißenden Strom geworden und in den Straßen fahren Boote, beladen mit Menschen und ihren Haustieren auf der Flucht. Wir müssen etwas unternehmen."
"Du hast recht", antwortete Viola. "Wir müssen abhauen. Im Internet steht, es werden Archen eingesetzt, die hier täglich vorbeifahren, Schiffe, mit einem grünen A bemalt. Sie nehmen Tiere und Menschen paarweise auf."
Beate sprang auf.
"Ich habe eine Idee."
Sie lief zur Garage, entstaubte das Schlauchboot, pumpte es auf. Dann setzte sie den Motor in Gang. Er funktionierte und es gab ausreichend Benzin. Sie vertäute das Boot am Eingangstor.
"Wir müssen einen Beobachtungsposten einrichten und zum Boot laufen, sobald die Arche auftaucht", schlug sie vor.
"Achtung, Schiff in Sicht!", schrie Viola am nächsten Nachmittag vom Dachboden. Sie rannten zum Gartentor, sprangen in das Boot und düsten dem Schiff entgegen. Die Arche verlangsamte das Tempo und ein Mann erschien an Deck.
"Hallo", rief Beate und winkte. "Nehmen sie uns mit?"
Der Mann sah sie abwechselnd an.
"Ich darf nur Paare mitnehmen."
"Wir kommen mit allen unseren Vorräten", versprach Beate.
"Tut mir leid. Die Vorschriften."
Er entfernte sich mit einem grimmigen Gesichtsausdruck vom Deck, das Schiff nahm wieder Fahrt auf.
"Mistkerl!" Beate schickte dem Mann sämtliche Flüche hinterher, die ihr einfielen.
Zu Hause saßen sie mit düsteren Gedanken auf dem Sofa.
"Es wird lebensgefährlich. Wir müssen weg, bevor wir wie die Ratten ersaufen", sagte Viola. Sie sah Beate schuldbewusst an. "Mein Freund hat mich auf seine Yacht eingeladen, die nur zwei Personen trägt. Aber ."
"Du musst die Chance nutzen", unterbrach Beate sie. "Ich bin froh, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Bitte geh!"
Sie umarmte Viola, was sie lange schon nicht mehr getan hatte.
Beate war jetzt allein im Haus, abgeschnitten von der Welt. Kein Laut war zu hören, nur das gleichmäßige Rauschen des Regens. Würde sie die Schwester je wiedersehen? Sie verbot sich, in Selbstmitleid zu verfallen und dachte, sie sollte handeln. So zog sie sich Gummistiefel an und bahnte sich durch den matschigen Boden einen Weg zum Gartentor. Dort hisste sie ein weißes Küchenhandtuch, das sie an einem Stock befestigte.
Mit Schrecken stellte sie fest, dass der Fluss sich inzwischen zu einer großen Wasserfläche ausgedehnt hatte, die bis zum Gartentor reichte. Nur in der Ferne waren noch einige Häuserdächer und ein Kirchturm sichtbar.
Da hörte sie von draußen ein leises Wimmern. Beate öffnete das Gartentor und sah einen etwa neunjährigen Jungen, mit schmerzverzerrtem Gesicht, der sich am Lattenzaun festkrallte, um nicht von der Flut mitgerissen zu werden.
"Oh mein Gott!"
Unter Aufbietung aller Kräfte zerrte sie den Jungen, der den Zaun nicht loslassen wollte, in den Garten. Sie schleppte ihn in das Haus und versorgte ihn mit Hosen und Pullovern, die er umkrempeln musste.
"Wie heißt du, mein Junge?"
"Sven."
Das war das erste und letzte Wort, das er in den nächsten Tagen sagen sollte. Später, nachdem er Vertrauen zu Beate gefasst hatte, erzählte er stockend, wie das Boot mit seiner Familie gekentert war und er sich als Einziger retten konnte.
Mittlerweile stand die Wiese im Garten unter Wasser. In einer der schlaflosen Nächte kam Beate eine rettende Idee. Warum war ihr das nicht schon früher eingefallen?
"Lass uns vom Dachboden nach einer Arche Ausschau halten", sagte sie zu Sven. "Sieh nach einem großen Schiff mit einem grünen A."
Stunden vergingen. Beate übernahm den Beobachtungsposten auf dem Speicher, dann wieder Sven.
"Da!", schrie er auf einmal und fuchtelte mit den Armen.
Jetzt erblickte auch Beate das Schiff. Sie nahm Sven bei der Hand, rannte mit ihm die Treppen abwärts. Sie stapften durch das hüfthohe Wasser zum Schlauchboot am Tor, sprangen hinein. Beate ließ den Motor an. Sie erreichten die Arche, winkten und schrien. Das Schiff stoppte allmählich die Fahrt. Ein Mann mit einem grauen Bart beugte sich über die Reling.
"Bitte nehmen Sie uns auf!", rief Beate. "Wir sind zwar kein Paar. Aber Bedingung für die Aufnahme ist ja bekanntlich nur ein weibliches und ein männliches Wesen, das Alter spielt keine Rolle."
Der Mann kratzte sich unschlüssig am Bart.
"Meinetwegen", sagte er, "das ist ohnehin die letzte Arche, die fährt."
"Ich bin Köchin und kann aus Wenigem ein tolles Gericht zaubern, bringe jede Menge Vorräte und Getränke mit."
"Willkommen an Bord, ich heiße Albert", sagte der Mann etwas freundlicher.
Beate fuhr mit Sven, der ihr nicht von der Seite wich, achtmal hin und her, um alles Notwendige zu transportieren. Selbst an Blumentöpfe und Pflanzensamen hatte sie gedacht. Nachdem das Schlauchboot auf das Schiff verfrachtet worden war, bekam Beate weiche Knie und musste sich setzen. Sven schmiegte sich zitternd an sie.
"Die Erleichterung", murmelte sie entschuldigend.
Das Schiff nahm wieder Fahrt auf.
"Außer mir ist nur noch mein erster Offizier Herrmann an Bord. Hält sich nur in seiner Kajüte oder auf der Kommandobrücke auf." Albert zögerte. "Und da gibt es noch die Vögel."
Er führte sie in den Laderaum. Die Käfige mit den paarweise untergebrachten Vögeln waren bis unter die Decke gestapelt. Es gab alle Arten von Singvögeln wie Finken, Nachtigallen und Amseln, aber auch Raubvögel in größeren Volieren. Das Flöten und Tschilpen verstummte, als sie den Raum betraten.
"Ich soll sie zu einem sicheren Ort bringen, damit sie nicht aussterben. Kümmerst du dich um ihre Pflege, Sven?"
"Super, mach ich gerne. Ich mag Vögel."
Beate schaffte sofort Ordnung in der Kombüse und setzte den mitgebrachten Samen für Gemüse und Kräuter in die Blumentöpfe.
"Wo fahren wir hin? Gibt es ein Ziel?", fragte sie Albert.
Er seufzte.
"Schwierige Frage. Hoffe, einen Ort zu finden, der nicht überschwemmt ist."
Tag für Tag bahnte sich das Schiff einen Weg durch die graue Brühe, die bis zum Horizont reichte und in einen grauen Himmel überging. Selten begegnete ihnen ein Schiff, manchmal ein leeres oder umgekipptes Boot.
Fast jeden Morgen fragte Beate: "Albert, hast du schon etwas am Horizont gesehen, einen Berg,...
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