Schweitzer Fachinformationen
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Es stimmte nicht, was meine Mutter über das Licht sagte. Ich hatte sie angerufen, um ihr die Wohnung zu zeigen, und ging mit hochgerecktem Handy auf Zehenspitzen herum, weil E und B ihren Mittagsschlaf hielten, und sie sagte immer wieder: Es ist ja stockdunkel! Ich sehe überhaupt nichts! Du hast es immer so dunkel bei dir! Kannst du nicht ein Fenster aufmachen?, fragte sie. Ich mache mir Sorgen um dich!
Ich sagte, mir ginge es gut und es sei großartig hier. E habe am See Schwäne gefüttert. Ich hätte schon gelernt, bonjour zu sagen. Bonjour, sagte ich und wackelte mit den Fingern vor der Kamera. So sollte sie mich sehen, als eine Frau, die Französisch sprach, meine ich. Und sie sollte das Baguette in der Küche sehen, das halb aufgeschnitten auf dem Holzbrett neben ein paar Stückchen Käse und einer Kirschtomate lag. Sie sagte, sie könne in der Küche nichts erkennen.
Mach das Licht an. Achumhimmelswillen, sagte sie. In der Wohnung hatte ich keinen besonders guten Empfang, deshalb erreichten mich ihre Worte entweder in einem Schwall oder gar nicht, und ihr Gesicht zuckte über das Display oder war erstarrt.
Achumhimmelswillen, wiederholte sie. Ich winkte zum Abschied mit den Fingern Richtung Kamera und formte mit den Lippen stumm hab dich lieb, so langsam, als würde ich es laut rufen.
Bis bald, sagte ich. Hoffentlich hörte sie es. Ich warf ihr ein Küsschen zu und drückte das Gespräch weg.
Achumhimmelswillen. Das hat sie sicher noch einmal gesagt und sich darüber geärgert, dass ich einfach so aufgelegt hatte, so etwas kann sie nicht ausstehen, aber E würde bald aufwachen, und ich wollte eine Kleinigkeit zu essen für sie vorbereiten.
Mir gefiel das Licht, dieses Halbdunkel in der Wohnung. Es war grau und beruhigend. Wie das Innere einer Auster, zart und sicher verborgen mit uns darin. Alles war kühl und sauber und neu.
Die Decken waren tatsächlich niedrig. Damit hatte meine Mutter recht. Was hatte ich denn erwartet? Die Wohnung lag im Erdgeschoss eines großen, gedrungenen Betonbaus. Ein massiger grauer Kasten, der seinen Betrachtern gegenüber keinerlei Zugeständnisse machte. Weder verbeugte er sich, noch richtete er sich auf oder lupfte seinen Hut. Er hockte einfach da in seinem Kiesbeet, wie ein Hund, der ins Gras scheißt.
Ich fand das wunderbar. Genau so gefiel es mir, vor allem, wenn ich morgens mit B und E aus dem Haus stolperte, die Haare ein wenig zu zerzaust, mit einem Rock, der nicht zum Oberteil passte, alles verpillt, knittrig und verrutscht. Ich stand gerne vor meinem großen, hässlichen Haus, in dem meine wunderhübsche Wohnung wie eine behütete Perle lag.
Es gab nicht einmal Balkone oder Fensterkästen. So ein Haus war es nicht. Falls die Menschen in den anderen Wohnungen schöne Dinge besaßen, falls sie Stil hatten, falls sie Blumen, Spitzenunterwäsche oder einen bestimmten Violettton liebten, behielten sie es hinter ihren jeweiligen Türen für sich. Ich hatte schon gehört, dass die Menschen hier so sein sollten, und es schien zu stimmen. Man blieb auf Abstand. Nur wenn man draußen etwas in einen der Mülleimer werfen wollte, ihn verfehlte und es nicht bemerkte oder so tat, als habe man es nicht bemerkt, und weiterging, während die Verpackung oder der Bon neben dem Eimer lag und nicht darin, dann machten die Leute den Mund auf. Haben Sie das nicht gesehen?, fragten sie. Haben Sie nicht gesehen, was Sie da gerade gemacht haben?
Hinter dem Haus lag ein Park mit einem Sandkasten und einer Wasserpumpe. Ein kurzer Weg zwischen unserem und dem identischen Haus nebenan führte dorthin. Ich mochte dieses kurze Stückchen, weil es immer von winzigen alten Damen bevölkert war, die ihre winzigen alten Hunde Gassi führten, und ich üben konnte, bonjour zu sagen. Sie nickten dann und lächelten, auch wenn ich undeutlich klang. Französisch zu sprechen kam mir manchmal vor, als habe man lauter Steinchen im Mund und sollte mit der Zunge Sprünge vollführen, als müsste die Zunge über die Senken und Brüche in den Wörtern und Lauten gleiten.
An unserem ersten Samstag in der Wohnung hatten M und ich mit einigem Brimborium echtes Schweizer Spielzeug für den Park gekauft. Ernst und konzentriert, wie Vierjährige manchmal sind, hatte E jedes Teil ausgesucht: eine verstellbare Harke, ein Schäufelchen und eine kleine Hacke. Die Spielwerkzeuge waren aus Holz und Metall gefertigt, rot lackiert, und auf den Griffen prangten winzige handgemalte Schweizer Flaggen. B brauchte natürlich kein Spielzeug, weil er noch ein Baby war, aber wir kauften ihm eine hölzerne Kuh, die mit ihren friedfertigen aufgemalten Augen an seinem Bettchen über seinen Schlaf wachen sollte. Die Spielsachen und die Kuh waren teuer, aber M tat den Preis an der Kasse mit einem Lachen ab. Wir würden wie richtige Schweizer leben und nur wenige Spielsachen kaufen, die dafür handgefertigt, teuer, schön und praktisch waren. Für die Werkzeuge nahmen wir noch eine passende Tragetasche aus rotem Leder mit. Die Sachen bekamen einen Platz neben der Tür, und ich hielt sie ebenso gerne in der Hand wie E. Die glatten, perfekt gedrechselten Stiele fühlten sich makellos und verheißungsvoll an, als hätte Holz in der Schweiz keine Splitter und würde sich von allein zu Griffen formen. Alles war, wie es sein sollte, natürlich und sauber und nahtlos eingefügt.
M und ich gaben uns Mühe, uns auch einzufügen und unseren natürlichen Platz zu finden. Wir fuhren mit einem Touristenzug in die Berge und atmeten eine Luft, in der wir uns fühlten, als hätten wir vorher nie richtig gelebt. Wenn wir die Werkzeuge in den Park mitgenommen hatten, machten wir sie einzeln unter der Pumpe sauber, bevor wir nach Hause gingen. Wir wischten sie ab, polierten sie, pulten jedes Sandkörnchen heraus und rieben den roten Lack mit den Zipfeln unserer weichen Shirts ab, bis er glänzte.
Unsere Wohnung war wirklich klein. Auch damit hatte Mutter recht, das konnte ich nicht abstreiten. Aber wie ich E erklärte: Klein war wunderbar! Weil die Wohnung so winzig wie eine Schatztruhe ist, macht uns das zu Schmuckstücken, wenn wir sie betreten. Was bist du heute?, fragte ich sie, wenn wir uns mit unseren Einkäufen durch die Wohnungstür quetschten. Sie antwortete immer: ein Diamant, und ich suchte mir jedes Mal etwas anderes aus, damit sie die Namen der Edelsteine lernte. Roter Rubin, grüner Smaragd, blauer Saphir, ich bleib immer bei dir. Sehen Sie? Wir konnten alles in etwas Schönes verwandeln, in etwas, das Freude machte.
Ms neues Unternehmen hatte uns eine Mitarbeiterin von einer Relocation-Agentur geschickt, die uns neben anderen potentiellen Bleiben auch unsere jetzige Wohnung gezeigt hatte. Suchen Sie sich Ihr neues Zuhause aus, stand im Memo von Ms Unternehmen, und das taten wir. Wir hatten die freie Wahl, wir mussten sie nur treffen.
Die Frau war von ihrer Agentur ausgewählt worden, weil sie hervorragend unsere Sprache sprach.
O mein Gott!, sagte sie jedes Mal, wenn wir bei unserer Besichtigungstour ein neues Zimmer betraten. Und sie hielt sich ständig eine Hand vor den Mund.
Mir gefiel, wie ihre Absätze auf dem Parkettboden klackerten, wenn sie vor uns herlief, und wie sie mit französischem Akzent sagte 'ier entlang und o mein Gott!, aber mir gefiel nicht, dass sie nur mich aufforderte, die Küchenschubladen oder die Waschmaschinen zu öffnen, um zu sehen, wie groß sie waren. Sehen Sie das?, fragte sie dann. Die sind für Sie! Im Grunde war das alles ja wirklich für mich, oder? Die Küchenschubladen und die Waschmaschinen. Auf jeden Fall waren sie nicht für die Dame von der Agentur mit ihrem Blazer, dem Bleistiftrock und den klackernden Schuhen. Nur meine und Es und Bs Sachen durften in einer dieser Waschmaschinen zerknittert werden. Ms Kleidung und auch die der Dame, schicke Kostüme und Anzüge für das Büro, gehörte natürlich in die Reinigung. Das wurde mir erst bewusst, als wir alle, M, ich und sie, E und B, zusammen in einer der Wohnungen vor der Waschmaschine standen und sie feierlich sagte: 'ier, das ist für Sie. Dabei muss es mir von Anfang an klar gewesen sein. Was für mich bestimmt war, meine ich.
M hatte fürs Büro einen ganzen Schwung neuer europäischer Anzüge, aus Italien, vielleicht auch aus England. Maßgeschneidert. Halb gefüttert und leicht für den Sommer. Er sah wirklich gut aus. Er hatte eine neue Sonnenbrille mit kleinen, runden Gläsern und einem Gestell aus Schildpatt, die er jedes Mal abnahm, wenn wir eine der Wohnungen betraten. Seine neuen Lederslipper waren innen so weich, dass ich nach Luft schnappte, als ich sie im Hotel einmal anprobierte, während er schlief, so begeistert war ich.
Wir entschieden uns für die Wohnung, die Ms Büro am nächsten lag.
Es ist ja nur vorübergehend, sagte M, nächstes Jahr kaufen wir ein Haus am See. Das wird dir gefallen, oder? Aber mir gefiel die Wohnung, ich war gerne den Tag über in seiner Nähe. Ich mit den Kindern zu Hause, er bei der Arbeit, alle nicht weit voneinander entfernt. Wenn E mich im Bad einschließt, kann ich einfach schreien, und du befreist mich, sagte ich zu M.
O non, schaltete sich die Dame von der Agentur ein. 'ier dürften Sie nischt schreien. In der Schweiz sind wir leise. Wir sind immer leise wie die Mause im 'ause. Sie verschluckte das H und sprach das S ganz weich, und ich fand es zu reizend. Wie die Mause im 'ause, dachte ich. Na gut, sagte ich, dann schreie ich nicht. Sie beobachtete mich immer noch argwöhnisch, als könnte ich gleich etwas anstellen, obwohl ich ihr versprochen hatte, nicht zu schreien. In der Schweiz sind wir leise, wiederholte sie. Tja.
Es gab...
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