Schweitzer Fachinformationen
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. Mariä Himmelfahrt 1897 .
Er hatte nicht erwartet, dass es so sein würde.
Heimlich hatte er sogar befürchtet, dass es ganz schrecklich sein würde. Im Grunde konnte er ja mit der Vielzahl an Feiertagen, mit denen die katholische Kirche aufwartete, eher wenig anfangen, hatte ihn doch der Pfarrer in der Schule regelmäßig auf sein Sündenregister und die daraus zu schließende schiefe Bahn hingewiesen, auf der er sein Leben fristen würde.
Allzu schief allerdings konnte es bislang nicht verlaufen sein, denn nun stand Franz Stahlbaum im guten Sonntagsrock, der etwas zu heiß für die Jahreszeit, dafür aber außerordentlich stattlich war, mit gestärktem Kragen und polierten Schuhen und mit einem frisch geweihten Kräutersträußchen am Revers vor der Kirche und hielt seiner Verlobten den Arm hin.
»Die Agape ist im Kirchhof«, sagte Theresia, seine Resi, zu ihm und zog ihn mit sich.
Mochte er auch als Untersuchungsrichter immerhin ein gewisses Maß an Anerkennung genießen - zumal er vor kaum vier Wochen einen nicht unbeträchtlichen Mordfall in Frohnleiten, bei dem neben der angesehenen Kaltwasserheilanstalt auch italienische Ziegelarbeiter involviert waren, zu einem juridisch guten Ende gebracht hatte -, seiner Verlobten zu widersprechen kam ihm nicht in den Sinn. Nicht an einem Sonntag, nicht zu Mariä Himmelfahrt und vor allem nicht, wenn sie den Feiertagsstaat angelegt hatte, ihr erfreuliches Dekolleté mit selbst gehäkelter Spitze garniert, und den teuren Grandelschmuck ihrer Großmutter trug. Zugegeben, die in Silber gefassten Reh- und Hirschzähne an ihrem Busen waren ihm bei Weitem nicht das Liebste an ihr, aber wenn sie einmal ganz die Seine wäre, dann würde sie schon einen Schmuck tragen, der einer Untersuchungsrichtersgattin würdig wäre. Diese Vorstellung gefiel Franz.
Freundlich nach rechts und links grüßend marschierte er mit Resi zum Kirchhof, wo Frauen zur Agape Butterbrote, dick mit frischen Kräutern bestreut, gerichtet hatten. Dazu gab es Wein, dessen Verteilung der Pfarrer höchst kritisch beäugte. Daneben einige Tische, an denen man Kräuterkissen, getrocknete Kräuter, Kräutersalben, Kräuterhonig, Deckchen und Pölster mit aufgestickten Kräutern, Döschen und allerlei Haushaltsgerät mit aufgemalten Kräutern und überhaupt alles, das sich irgendwie sinnig mit hilfreichem Grünzeug verzieren ließ, erwerben konnte. Selbstverständlich ging ein Gutteil der Einnahmen an wohltätige Zwecke, wobei der Pfarrer mehrfach betonte, dass natürlich auch die Mutter Kirche ihren gebührenden und bitter nötigen Anteil erhalten würde.
Interessiert spazierten sie an den dargebotenen Kleinigkeiten vorüber, bis sie wieder vor dem einladenden Tisch mit den Butterbroten standen.
»Alles heute erst geerntet«, pries eine Frau mit goldbestickter Festtagshaube die kulinarische Pracht an. »Das Brot ist frisch gebacken, und die Butter, da schmeckt man noch alles, was die Kühe gefressen haben.«
Franz verzog bei dieser Vorstellung ein wenig das Gesicht.
»Mögts?« Sie hielt ihnen zwei Scheiben hin.
Franz wollte schon dankend annehmen, als Resi ihn plötzlich beiseitezog. Irritiert sah er sie an. Nach dem ausufernd langen Hochamt hielt er eine barmherzige Jause zur Agape durchaus für angebracht.
»Da liegt Eisenhut«, flüsterte sie.
»Welcher Hut?« Suchend sah er sich um.
»Eisenhut - Mönchskappe, Sturmhut! Da!« Auf einem Tischchen hinter der Frau mit den Butterbroten türmten sich Kräuterbüschel, und eine ältere Frau hackte mit schweigender Konzentration das Grünzeug für die Butterbrote klein.
»So ein Blödsinn, was soll denn hier . Man kann doch nicht - der ist ja giftig.«
»Eben! Jetzt sag doch was!« Resi wies aufgeregt in die Richtung, wo die Frau immer noch auf die Kräuter einhackte. Auf einmal erstarrte sie. »Jetzt ist er weg.«
»Wie, weg?«
»Nicht mehr da. Ich hab eben noch die blauen Blüten gesehen.«
Franz konnte nicht vermeiden, dass seine Miene einen tadelnden Zug annahm, denn bislang hatte er seine Resi als geradezu erschreckend bodenständiges und sachliches Frauenzimmer kennengelernt. »Das hast du dir eingebildet.«
»Nein, ich glaube nicht.« Sie schaute abermals zu der Frau, die unverdrossen weiter ihr Grünzeug bearbeitete, und Resi kamen Zweifel. »Ich dachte, dass sie womöglich Eisenhut auf die Butterbrote .«
»Das ist ein Blödsinn«, konstatierte Franz, und um seine Behauptung zu beweisen, trat er noch einmal zu der Matrone mit der Festtagshaube hin. »Was sind denn das für Kräuter da auf dem Brot?«
»Vor allem Schnittlauch und Petersilie. Und ein bisschen Kresse und Liebstöckel und ein paar Gänseblümchen zur Zier. Aber die können Sie auch essen«, fügte sie mit einem Blinzeln hinzu.
»Kein Eisenhut?«
Sie riss die Augen auf. »Ja, Gott bewahr! Der ist ja giftig!«
Er drehte sich zu Resi um. »Siehst, du hast dich geirrt.«
Nun aber kam die Frau erst recht in Fahrt. »Selbstverständlich kommen in den Strauß zur Kräuterweihe nicht nur die Kräuter, die am besten schmecken, sondern auch, was am nützlichsten ist. Die Königskerze, Beifuß, Wermut, Rainfarn, Schafgarbe, Spitzwegerich, Johanniskraut, Ringelblume«, begann sie, »und Alant, Arnika, Baldrian und Frauenmantel, Kamille, Liebstöckel, Pfefferminze, Salbei und Thymian. Und je nachdem, welche Anzahl an Kräutern man in den Strauß bindet, hat das natürlich eine Bedeutung. Sieben, weil so lange hat der liebe Gott gebraucht, um die Welt zu schaffen, oder neun, das ist drei mal drei für die Heilige Dreifaltigkeit. Und die ganz Fleißigen haben neunundneunzig Kräuter, weil das ist dreiunddreißig mal drei - und mehr geht nicht.«
Franz nickte nur und wollte sich endlich eines der verführerischen Butterbrote geben lassen, als ein wichtig aussehender Herr an ihn herantrat. »Ah, Herr Stahlbaum!«, begrüßte er ihn laut und ließ es sich nicht nehmen, ausgiebig seine Hand zu schütteln.
»Guten Tag«, erwiderte Franz höflich, der keine Ahnung hatte, mit wem er zu tun hatte.
»Es freut mich außerordentlich!«
»Ja, mich auch .«
Resi verzog schmollend die Lippen.
»Wein?« Ohne auf eine Antwort zu warten, führte der Herr Franz ein paar Schritte weiter und reichte ihm ein gut gefülltes Glas, ehe er, ohne innezuhalten, zu einem Sermon über irgendwelche juristisch ärgerlichen Kleinigkeiten anhob, dem Franz nur mit größter Mühe folgen konnte.
Resi verdrehte schon nach wenigen Minuten die Augen. Der Mann hatte sie nicht einmal eines Grußes gewürdigt. Nun war Theresia Eder aber nicht die Frau, die einfach still abwartete, bis man sich ihrer wieder entsann. Sie konnte sich auch genauso gut allein an der Vielfalt der Kräuter erfreuen und den Marienfeiertag genießen. Dass sie die beiden Männer einfach stehen ließ, schien ihnen vollkommen zu entgehen.
Es war kaum eine halbe Stunde vergangen, Franz war gerade dabei, dem Mann, dessen Namen er noch immer nicht wusste, klarzumachen, dass man einem Bauern nicht verwehren konnte, einen Misthaufen zu haben, und dass dies außerdem kein Verbrechen war, das es zu ahnden galt, als Resi eiligen Schrittes wieder zu ihnen stieß.
»Franz«, redete sie ihn an, ohne auf den Mann zu achten, der sie nur mit einem recht irritierten Blick bedachte.
»Ja?« Zerstreut wandte er sich ihr halb zu, während sein Gesprächspartner sich weiter über die Unzumutbarkeit bäuerlicher Ausdünstungen ausließ.
»Franz«, wiederholte Resi mit Nachdruck.
»Selbstverständlich.«
Der Mann, dessen größte Sorge der Misthaufen in seines Nachbars Garten zu sein schien, sah sie mit gehobenen Brauen an. Kaum anders, als man ein lästiges Kind zurechtweisen würde.
Resi aber ließ sich davon nicht beirren. »Franz, kommst du bitte?« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Jetzt.«
»Was ist denn?« Ein Hauch von Unmut lag in seiner Stimme.
»Da stimmt was nicht!«
Nun endlich sah Franz sich genötigt, den Herrn mit ein paar entschuldigenden Worten abzuwimmeln und sich doch seiner Verlobten zuzuwenden. Der Mann bemerkte mit einer abwertenden Geste irgendetwas von reschen Frauenzimmern und dem Herrn im Haus und zog endlich von dannen.
Dass die Situation Franz nicht recht behagte, war offensichtlich. »War das jetzt notwendig?«, wollte er sich schon aufregen, doch Resi ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
»Herrgott, Franz, jetzt hör doch zu!«
»Aber du siehst doch .«
Resi atmete durch. »Allerdings, ich hab was gesehen - und du hast mir nicht geglaubt!« Sie funkelte ihn auf jene Art an, die in ihm schlagartig das Bedürfnis weckte, wie ein Knabe den Kopf einzuziehen. »Und jetzt komm.«
Im Grunde mussten sie gar nicht weit gehen, denn eine Menschentraube hatte sich bereits um den Stand geschart, an dem ihnen die Frau mit der matronenhaften Goldhaube die Butterbrote samt frisch geweihten Kräutern angeboten hatte. Entsetzt schlugen sich manche der Schaulustigen die Hand vor den Mund, andere wandten sich ab, machten ein verstohlenes Kreuzzeichen.
Wenig rücksichtsvoll drängte Franz sich an den Gaffern vorbei.
Auf einem Schemel, von einem der Burschen, die beim Hochamt den Baldachin über den Priester gehalten hatten, nur notdürftig gestützt, kauerte die Frau, das Gesicht aschfahl verzerrt, wirr um sich blickend, ein Speichelfaden am Kinn, der auf ihren bestickten Kragen tropfte. Die Goldhaube war ihr vom Haupt gerutscht und gab einen dünnen grauen Zopfkranz frei. Sie versuchte zu sprechen, doch es war nur zu deutlich zu erkennen, dass ihre Zunge ihr nicht gehorchte.
Franz wollte zu...
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