Einführung
Liebe Leser,
ich möchte Ihnen ein Lexikon der Görlitzer Fotografen vorstellen. Es erhebt nicht den Anspruch, das ganze Spektrum der Geschichte der Fotografie in Görlitz zu zeigen. Es stellt lediglich die einzelnen Fotografen und wenn möglich auch ihre Lebensdaten dar.
Görlitz präsentiert sich dabei als besonderer Ort. Im Schnittpunkt zwischen Berlin, Dresden, Prag und Breslau gelegen, profitierte Görlitz von seiner Lage und wurde automatisch zu einem Tor nach Schlesien. Kaum eine andere schlesische Stadt (außer natürlich seine Hauptstadt Breslau), zeigte eine so große Vielfalt eingebürgerter Fotografen wie das Oberlausitzer Görlitz. Görlitz entwickelte sich im
19. Jahrhundert zu einem immer attraktiveren Standort, und das nicht nur für die einheimische Bevölkerung. Auch viele Fremde, die Görlitz damals besuchten, entschieden sich dort zu bleiben, entweder für einen längeren Aufenthalt oder sogar für den Rest ihres Lebens.
Neben der örtlichen Wirtschaft gab es in der Lausitzer Stadt eine bedeutende wissenschaftliche Gemeinschaft. Diese ging zurück auf die sehr verdienstvolle am 21. April 1779 gegründete Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften. Diese Gesellschaft existiert noch heute und zählt zu den ältesten gelehrten Körperschaften in Mitteleuropa. Der im Jahre 1830 ins Leben gerufene Gewerbeverein zu Görlitz spielte ebenfalls von Anfang an eine wichtige Rolle in der Erforschung zeitgenössischer Errungenschaften. (1) Einer der Männer, der dieser Gesellschaft angehörte, war Dr. phil. Professor August Tillich. Er hielt 1843 in einer Reihe von Vorlesungen ein Referat über die technischen Wissenschaften und in diesem Zuge auch über die Daguerreotypie. (2)
Daguerreotypie ist ein Begriff, der seit ca. 1839 in unzähligen Spalten, überwiegend in naturwissenschaftlichen Zeitschriften, dargestellt und diskutiert wurde. Diese neue technische Entwicklung aus Frankreich war das Ergebnis eines jahrelang andauernden Experiments von zwei Franzosen, Joseph Nicéphore Niépce und Louis Jacques Mandé Daguerre. Am 19. August 1839 fand in den Räumen der Französischen Akademie der Wissenschaften schließlich ein großes Event statt. Niépce selbst präsentierte Daguerre und seine Erfindung. Unterstützt hatte ihn der bekannte französische Astronom und Physiker, François Arago. Diese beiden Männer stellten dem zahlreichen Publikum die neuesten Entwicklungen vor.
Mit der Hilfe von Sonnenstrahlen und einem einzigartigen chemischen Prozess waren sie in der Lage, ein dauerhaftes Abbild der Umgebung herzustellen. Dies war die Geburtsstunde der ersten fotografischen Methode der Welt, der Daguerreotypie. Kurz beschrieben: das Verfahren beruht aus diesen Schritten. Die Oberfläche einer versilberten und gut polierten Kupferplatte wird durch das Einwirken von Joddämpfen lichtempfindlich gemacht. Die so vorbereitete Platte positioniert man in eine dafür speziell gebaute, noch sehr primitive fotografische Kamera, die einer Camera Obscura sehr ähnelt. Nach der Projektion entwickelt man die Platte, auf der das Bild latent verborgen ist, in einem Kästchen mit erhitztem Quecksilber. Die Quecksilberdämpfe, die sich durch die Erwärmung bilden, bringen das unsichtbare Bild zum Vorschein. Anschließend fixiert man das Bild mit einer Thiosulfat Lösung. (3)
Das Erscheinen der Daguerreotypie wurde mit viel Bewunderung, aber auch mit viel Misstrauen begleitet. Die ersten Artikel, in allen möglichen Sprachen, wurden allerdings von den Redakteuren falsch interpretiert. Das Daguerre-Verfahren wurde erst etwas verständlicher, als Daguerre selbst eine Broschüre mit einer detaillierten Beschreibung seiner Methode veröffentlichte. Es dauerte noch fast vier Jahre, bis die Daguerreotypie kommerzielle Züge annehmen konnte.
In dieser Zeit, zwischen 1841 und 1844, begaben sich Hunderte von Künstlern auf die Suche nach neuen Erwerbsmöglichkeiten. Unter ihnen waren Männer verschiedenster Berufsgruppen, überwiegend Maler oder Bildhauer, aber auch Musiker, Radierer und Händler aller Art. 1843 erreichte die Daguerreotypie auch die Stadt Görlitz. Ein gewisser Heinrich Seiring, möglicherweise ein Galanteriehändler aus Dresden, bot die Herstellung von Lichtbildern (Daguerreotypien) an. Ihm folgte eine Vielzahl der reisenden Daguerreotypisten aus mehreren Städten, die alle in diesem Lexikon aufgelistet sind. Der Bekannteste von ihnen, der auch das erste örtliche fotografische Atelier gründete, war Moritz Ackermann. Das daguerreotypische Bild dominierte die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts.
Erst zu Beginn der 50er Jahre erschien in Görlitz die Fotografie auf Papier. Es war die Kalotypie, entwickelt in den 40er Jahren in England durch den Gelehrten William Henry Fox Talbot. (4) Obwohl die ersten Fotografien auf Papier in ihrer Qualität der Abbildung noch sehr schlecht waren und nie die Qualität der Daguerreschen Fotos erreichten, war dies die Methode, mit der die moderne Fotografie ihren Anfang nahm. Talbot entwickelte nämlich das Prinzip des Negativ-Positiv-Verfahrens, welches eine Vielzahl von positiven Abzügen von Papiernegativen herzustellen ermöglichte.
Diese Methode hatte, wie erwähnt, das große Problem, sich gegenüber der Daguerreotypie zu behaupten. Erst als sich im Zuge der weiteren Entwicklung die Herstellung der Papiernegative entscheidend verbesserte, wurde die Daguerreotypie ad acta der weiteren Geschichte der Fotografie gelegt. 1851 veröffentlichte der britische Bildhauer Frederick Scott Archer sein Kollodium-Nassplatten-Verfahren. Archer verwendete als fotografisches Negativ statt Papier Glasplatten. Diese Platten beschichtete er mit einer Schicht von empfindlich gemachtem Kollodium. Dies geschieht zu dem Zeitpunkt, in dem die fotografische Mixtur sich noch in einem feuchten Zustand befindet. Eben diese Methode bekam bald einen fotografischen Verbündeten. Der Franzose Louis Désiré Blanquart-Evrard führte das Albuminpapier für seine positiven Abzüge ein. Diese zwei weiteren Verbesserungen in der Fotografie führten die Qualität der fotografischen Darstellung in eine bis dahin noch nie zuvor erreichte Höhe.
Die 50/60er Jahre des 19. Jahrhunderts waren eine interessante und wichtige Periode in der Entwicklung der Fotografie. Es gab die Koexistenz mehrerer fotografischer Methoden, abhängig von den Möglichkeiten des jeweiligen Ateliers. Es wurden zwar immer noch Daguerreotypien hergestellt, (5) dazu die Fotografie auf Papier nach altem Verfahren und in den späteren 50er Jahren nach nassem Kollodiumverfahren. Ab Mitte der 50er Jahre kamen auf den Markt auch die drei neuen Methoden, die aus dem Kollodium Nassverfahren entwickelt wurden: die Pannotypie, die Ambrotypie und die Ferrotypie. (6)
Nicht weniger wichtig als das Erscheinen der neuen fotografischen Methoden selbst war allerdings der Beitrag der einzelnen Fotografen in der Görlitzer Fotogeschichte. Und hier findet sich die Einzigartigkeit dieser Stadt. Normalerweise sah die Entwicklung der Fotografie in Städten solcher Größenordnung so aus, dass in der früheren Phase ein Fotograf nur ein paar Jahre tätig blieb. In Görlitz jedoch gab es stattdessen mehrere solcher Fotografen, die sogar mehr als 40 Jahre in der Stadt arbeiteten. Es waren nicht nur Moritz Ackermann, sondern auch Edmund Böhme, Emil Luban, Friedrich Wilde, Adolph Winkler und natürlich Robert Scholz. All diese Fotografen schrieben ihre eigene Geschichte und wirkten erfolgreich nebeneinander in Görlitz. Man darf wohl behaupten, dass die Görlitzer Bürger die neue Lichtbildkunst sehr in ihre Herzen schlossen, sonst hätte eine solche Anzahl von Fotografen nicht überleben können.
Man darf nicht vergessen, dass die Fotografen immer wieder eine sehr starke Konkurrenz durch etwas kürzer vor Ort tätige Fotografen bekamen. Unter jenen befanden sich z. B. Gustav Lutze, Emil Heinemann, Karl Gross, Paul Langbein und in späteren Jahren Wilhelm Ucko und Alfred Jaschke. Die Fotografie in Görlitz entwickelte sich also großartig. Es wurden alle möglichen Methoden angeboten, die fotografische Porträtkunst war auf einem sehr hohen Niveau, und die Landschafts- und Architektur-Aufnahmen, aus der Hand von z. B. Robert Scholz, erreichten internationale Erfolge.
Auch jener Teil des fotografischen Prozesses, der eigentlich im Verborgenen, in der ,,fotografischen Küche", blieb, wurde durch Friedrich Wilde bekannt. Er experimentierte mit dem fotografischen Bild und veröffentlichte eine große Zahl von Artikeln zu diesem Thema in allen wichtigen fotografischen Zeitschriften. Er bot auch als einer der ersten in Deutschland die Herstellung von Trockenplatten an. Diese außerordentliche, fast harmonische Koexistenz schuf schließlich das Fundament für die Entwicklung der Fotoindustrie in Görlitz. Es war zu spüren, es herrschte fotografische Professionalität unter den einheimischen Fotografen. Unterstützt und ermöglicht wurde es durch die große Nachfrage nach fotografischen Darstellungen.
Es kann nicht verwundern, dass es bald nur an einem mangelte, dem ausreichenden Angebot an fotografischer...