Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Am 30. Januar 1933 starb die erste deutsche Republik: Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die deutschnationalen Koalitionspartner sahen in ihren brutalen Nazi-Verbündeten nützliche Werkzeuge. Sie würden, so kalkulierte man, dem gefürchteten Bolschewismus Paroli bieten, die Arbeiterschaft ruhig halten, die Sozialdemokraten einschüchtern und die erbitterten sozialen und politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre beenden. Kurz: Sie würden, wenn auch mit Gewalt, endlich für Ruhe im Land sorgen, ohne dass sich die Deutschnationalen da selbst die Hände schmutzig machen mussten. Nachdem man die rabiaten Aufsteiger derart benutzt hatte, so das Kalkül, werde man sie schon domestizieren und sich ihrer entledigen. Doch schnell, wenn auch zu spät, mussten Hitlers Steigbügelhalter erkennen, dass in Wirklichkeit sie die nützlichen Idioten in dieser Konstellation gewesen waren. In beispiellosem Tempo, in wenigen Wochen nach der Machtübernahme, etablierte die NSDAP, ohne irgendwo auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, ein Einparteiensystem, eine brutale Diktatur. Die konservativen ehemaligen Verbündeten wurden bald ebenso unerbittlich verfolgt, gefoltert und ermordet wie alle anderen, die sich ihnen entgegenstellten. Schon Ende April 1933 konnte Propagandaminister Joseph Goebbels zufrieden festhalten: »Der Führer entscheidet. All das ging viel schneller, als wir zu hoffen gewagt hätten.«
Die Ansichten dieses »Führers« über die Rolle von Industrie und Handel waren bizarr: »Ökonomische Prinzipien waren für ihn ein Buch mit sieben Siegeln«, schreibt der renommierte britische Hitler-Biograf Ian Kershaw. »Wie er den Industriellen erklärte, hielt er die Wirtschaft für zweitrangig und ganz der Politik untergeordnet. Genau wie seine gesamte politische Weltsicht war auch seine Herangehensweise an die Ökonomie von einem platten Sozialdarwinismus diktiert. Da der Kampf zwischen den Nationen für das zukünftige Überleben entscheidend sei, müsse Deutschlands Wirtschaft der Vorbereitung und Durchführung dieses Kampfes untergeordnet werden. Das bedeute, dass liberale Vorstellungen von wirtschaftlicher Konkurrenz aufzugeben seien und die Wirtschaft stattdessen dem Diktat nationaler Interessen unterworfen werden müsse.«
Auch das ging ganz schnell. Innerhalb weniger Wochen, nach einigen vagen Zusicherungen Hitlers, fanden sich die mächtigsten Vertreter der deutschen Wirtschaft mit dieser ihnen zugedachten Rolle ab: »Der Reichsverband der Deutschen Industrie erklärte daraufhin seine Unterstützung für die neue Regierung. Anfang April beugte sich Krupp (der Vorsitzende Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) dem Druck der Nationalsozialisten, den Reichsverband durch eine neue, nationalsozialistische Körperschaft zu ersetzen, jüdische Angestellte zu entlassen und jüdische Unternehmer von allen Repräsentationsposten in Handel und Industrie zu entfernen. Im darauffolgenden Monat löste sich der einst mächtige Verband auf und wurde durch den Reichsstand der deutschen Industrie ersetzt. Neben solchem Druck sorgten die Erholung der Wirtschaft, die hohen Profite, die Absicherung des Privateigentums (abgesehen von dem jüdischer Unternehmer), die Zerschlagung des Marxismus und die Unterwerfung der Arbeiterbewegung dafür, dass die Großindustriellen trotz mancher lästiger bürokratischer Kontrollmaßnahmen zunehmend bereit waren, mit dem neuen Regime umfassend zusammenzuarbeiten.«
Was für die Großindustrie galt, galt auch für ihre Geschäftspartner in Handel und Schifffahrt, und was für Berlin und das Ruhrgebiet galt, galt auch für die Freie und Hansestadt Hamburg. Die ausgeprägte Bereitschaft der Hamburger Wirtschaft, sich schnell und reibungslos mit dem neuen Regime zu arrangieren, entsprach ohnehin der traditio-
Wandel innerhalb weniger Wochen: Schon seit dem Frühjahr 1933 mussten sämtliche deutschen Schiffe - hier Komrowskis »Adrian« auf der Ems - die Hakenkreuzflagge als Gösch am Bug hissen. Das traditionelle Schwarz-Weiß-Rot durfte zunächst noch als Handels- und Nationalflagge weiter geführt werden.
nellen Haltung hanseatischer Kaufleute: Sie hatten sich stets der Obrigkeit angepasst und sich aus der Politik möglichst weitgehend herausgehalten, damit sie ungestört ihre Geschäfte machen konnten. Jahrhundertelang ließ sich mit dieser bewährten Strategie gut leben und noch besser verdienen. Nun, als diese Obrigkeit ein skrupelloses Gewaltregime war, führte die Passivität ins Fiasko.
Zunächst aber sah es für viele nach einer Erfolgsgeschichte aus: Die Hoffnung auf endlich wieder gute Geschäfte unter diesem Regime verwandelte die Skepsis vieler Hanseaten erstaunlich schnell in Zustimmung. Hapag-Vorstand Marius Böger marschierte da stramm voran und sprach es schon im April 1933 deutlich aus: »Ich bin überzeugt, dass es Adolf Hitler gelingen wird, sein Ziel, ein großes, herrliches Deutsches Reich wieder aufzurichten, zu erreichen; dann wird es auch unserer so schwer betroffenen Wirtschaft gegeben werden, unseren alten berechtigten Platz in der Weltwirtschaft wieder einzunehmen.« Als sich diese Wirtschaft tatsächlich wieder zu erholen begann, als mit der Aufrüstung größere Staatsaufträge lockten, als die Unternehmen nach den zermürbenden Krisenjahren wieder Geld verdienten, schien es auch an der Elbe vielen bewiesen: Was so gut für das eigene Haus, das Maß aller Dinge, war, konnte auch sonst einfach nicht schlecht sein.
So hatte sich das Klima in der Stadt bereits gewandelt, als Adolf Hitler im August 1934 zu seinem ersten offiziellen Besuch eintraf. Zwar hatten bei einer Volksabstimmung selbst unter erheblichem Druck immer noch 20 Prozent der Wähler »Nein« gesagt, doch das Straßenbild dominierten jetzt diejenigen, die ihren »Führer« enthusiastisch umjubelten, als er in einer Rede vom Balkon des Rathauses rief: »Wunderbares ist geschehen. Wenn Sie Deutschland heute vergleichen mit dem vor zwei oder drei Jahren, so werden Sie nicht übersehen oder gar wegleugnen wollen, dass dieses Deutschland von jetzt besser und schöner aussieht als das Deutschland vor dieser Zeit!« Allen Befürchtungen der lokalen Parteiprominenz zum Trotz wurde Hitler bei diesem und zahlreichen weiteren Besuchen an der Elbe derart gefeiert, dass selbst ein stolzgeschwellter »alter Nazi« vom »Hamburger Tageblatt« es kaum fassen konnte: »Und das in Hamburg, ausgerechnet in Hamburg, im nüchternen, sachlichen kühlen Hamburg, das sich früher einmal rühmte, rote Hochburg zu sein, das Kaufleute werden ließ, die sich selbst >königlich< nannten und das demokratisch war durch die Jahrhunderte.«
Alltagsgeschäfte?
Unter diesen Kaufleuten hatte es allerdings für einiges Unbehagen gesorgt, dass zum Beispiel Hamburgs renommiertester - jüdischer - Privatbankier Max Warburg schon 1933 aus vielen Aufsichtsräten entfernt wurde, sogar aus dem der Hapag, der er nach dem Krieg beim Überleben geholfen hatte, deren Aktienmehrheit aber nach der Weltwirtschaftskrise in Staatsbesitz übergegangen war. Doch diesen hinterhältigen Gewaltakt konnte man sich immer noch als bedauerliche Ausnahme schönreden, denn in den Unternehmen, die nicht in jüdischem Besitz waren, änderte sich in den ersten Jahren des »Dritten Reiches« zunächst nicht viel. Business as usual, auch bei Dobbertin & Co. Ernst Komrowski entzog sich jedem Ansinnen, in die NSDAP einzutreten. Weder er noch Dobbertin verlangten den Hitlergruß von ihren Angestellten oder drängten sie dazu, sich für die Nazis zu engagieren. So eine Haltung wurde zunächst hingenommen, und so lief das Alltagsgeschäft weiter, als sei nichts geschehen. Adolf Jürgens, der in diesen Jahren Karriere machte, beschrieb seine Arbeit und damit den typischen Geschäftsablauf eines typischen Hamburger Handelshauses so: »Der tägliche Ablauf im Betrieb war immer derselbe. Morgens Postbesprechung Dobbertin mit der Blech-Röhren-Abteilung und der Buchhaltung, Feddersen mit den Stahlwerkern und EK mit der Drahtabteilung. EK ließ uns an langer Leine laufen und wollte nur am Ende des Monats eine voraussichtliche Gewinn-Aufstellung sehen. Dann kamen die Reedereileute zu ihm, und zwischendurch rief der Börsenmakler an. Mitte 1933 kam für mich die Wende. EK sagte mir, dass das Brasiliengeschäft wieder aufgenommen werden soll, unter seiner Leitung, und ich sollte das mit ihm zusammen machen. Er hatte gleich zwei Adressen zur Hand, die eine in Rio, die andere in Sao Paulo, die unsere Vertretung übernehmen sollten. Ich durfte aber nicht unsere Exportabteilung um Hilfe bitten, ich war auf mich allein gestellt. Ab diesem Tage 1933 hatte ich aber auch einen Kontakt zu EK, dass ich sagen konnte: Ich bin sein Mitarbeiter.«
Jürgens' Stolz darüber, der noch Jahrzehnte später zu spüren ist, unterstreicht den Rang, den ein Hamburger Kaufherr, ein Unternehmenschef damals generell innehatte. Auch wenn die Monarchie untergegangen war, die Hierarchien von Jahrhunderten lebten in Deutschland weiter, vor allem in solchen Unternehmen. Männer wie Komrowski waren für ihre Untergebenen Master next God, verehrungswürdige, aber auch gefürchtete Institutionen, denen absoluter Respekt und Gehorsam zustanden - nicht zuletzt deswegen, weil das eigene Schicksal so direkt von ihnen abhing. Von einem derartigen Souverän eines Wortes gewürdigt zu werden, gar persönlich mit...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.