Schweitzer Fachinformationen
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London 1997: Lily hält sich mit ihrer Arbeit in einem Second-Hand-Laden mehr schlecht als recht über Wasser, als sie unerwartet Post aus Hongkong bekommt, der Heimat ihrer verstorbenen Mutter Sook-Yin. Ein ihr unbekannter Geschäftsmann hat Lily eine hohe Summe vermacht, verbunden mit der Auflage, dass sie das Erbe persönlich in Hongkong antreten muss. Sie macht sich auf zu einer Reise in Sook-Yins Vergangenheit in ein ihr weitgehend unbekanntes Land - und muss feststellen, dass dieser blinde Fleck auch ihr eigenes Leben maßgeblich geprägt hat.
Wiz Wharton erzählt einfühlsam und packend von Identität, Familiengeheimnissen und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit - ein beeindruckendes Debüt!
Lily
London, 1997
12. Tag der Trauer
Ich hielt noch immer den Brief in der Hand, als das Telefon blechern und dumpf unter dem Sofakissen klingelte. In jenen Tagen lebte es dort, unter Staub und Verfall und all den verstreuten Rollos verborgen, da es abstoßend und der Überbringer schlechter Nachrichten war und ich keinerlei Bedürfnis hatte, mit irgendwem zu sprechen. »Niemand will, dass du es heiratest«, sagte Maya. »Du musst nur drangehen, wenn ich dich anrufe.« Ich kramte den Hörer hervor, und es war sie. Das musste ich ihr lassen. Trotz all ihrer Fehler behielt meine Schwester die unheimliche Fähigkeit, intuitiv zu spüren, wenn etwas vorgefallen war.
»Hey«, sagte sie, als ich ranging. Ich wollte herausplatzen, Rate mal, was geschehen ist ., aber sie war in Eile und unterbrach mich.
»Du musst zu mir ins Büro kommen.«
»Was, jetzt sofort?«, fragte ich.
»Ich muss was mit dir besprechen.«
Ich war ein klein wenig immun geworden gegen dieses gelegentliche Herbeizitieren: unsinnige Botengänge, um nach ihrer Hintertür zu sehen oder um sicherzustellen, dass sie ihren Ofen ausgestellt hatte. Da ich keinen richtigen Job hatte, wurde meine Zeit als flexibel eingestuft, jede Aufgabe wurde zu einer Erinnerung an meine weckerlose Existenz. Trotz allem beunruhigte mich ihre Dringlichkeit. Und warum sollte ich ausgerechnet in ihr Büro kommen?
»So schnell du kannst«, sagte sie.
Ich blickte noch mal auf den Brief, meine Hand glitt den Hörer entlang. Es war doch offensichtlich, oder etwa nicht? Sie musste auch einen bekommen haben.
Als ich in Camden aus der U-Bahn hervorkam, hatte ich meine Panik in eine Art Erleichterung umgedeutet. Maya würde das alles regeln. Sie hatte da vermutlich bereits angerufen, Anwalt zu Anwalt und so weiter. Dafür war sie doch ausgebildet oder nicht - zunächst in Oxford, dann die bevorstehende Partnerschaft -, zumindest bis zu jenem letzten Jahr, in dem sie sich entschieden hatte, alles aufzugeben und im Unternehmen ihres Ehemannes glückliche Familie zu spielen.
Ed, Mayas schlechtere Hälfte, war ein schwer angesagter Architekt von Weltrang. Er war auch ungefähr 103 Jahre alt. Ich wusste immer, dass sie mit jemand extrem Reichem und extrem Erfolgreichem sanft landen würde, aber hier hatte sie wirklich einen faustischen Pakt geschlossen.
Ihr Büro war in einer dieser umgebauten Stallungen, die in den 80ern mit Glasbausteinen und Fenstern als Türen zu Tode renoviert worden sind. Ich habe das selbst nie verstanden, all diese Eingriffe in die Sozialgeschichte, ein vornehm affektierter Wutausbruch unter der Maske des Progressiven. Sie hatten eine neue mausgraue Tussi an der Rezeption installiert, jung, angepasst, aus reichem Elternhaus. »Mrs Redgrave ist gerade mit einem Klienten im Gespräch«, sagte sie und schielte schon fast, als sie über ihre Nase hinweg auf mich herabschaute. Sie hatte mich bereits als unwichtig eingestuft, und ohne die Versorgung mit Vorkenntnissen konnte niemand erahnen, dass wir Schwestern waren. In meiner kleinlichen Verärgerung lehnte ich mich in das Glasfasersofa, nahm Architectural Digest zur Hand und produzierte lauter Donnerschläge beim Blättern der Seiten.
Selbst in ihrem Büro ließ Maya mich warten, verschanzt hinter dem Rumpf ihres Schreibtisches, während sie in ihren mannsgroßen Kalender schrieb, ihr Scheitel so akkurat gezogen wie eine Flughafenlandebahn.
»Hast du dir die Haare gefärbt?«, fragte ich.
Sie runzelte die Stirn, ließ aber ihren Blick auf ihr Blatt gerichtet. »Kannst du mal für fünf Minuten nicht seltsam sein?«
Ich kniff die Augen zusammen. Sie waren definitiv blonder. »Ich will dich ja nicht stressen«, sagte ich, »aber ich muss um zwei zu einem Termin.«
»Wohin?« Es war ein Wunder, dass sie sich kein Schleudertrauma zuzog.
»Zu einem heißen Date mit Robert De Niro.«
»Du gehst also immer noch zu Dr. Fenton?«
Sie machte mit dem entschlossenen Eifer der Verantwortung ein Häkchen an den Seitenrand.
»Dir ist schon klar, dass das durchaus kompliziert sein soll, Lils? Wenn Therapie einfach wäre, könnte man es auch sein lassen.«
Ich stützte meine Arme auf den Schreibtisch, der Brief knisterte seine Missbilligung in meiner Tasche. »Na los schon. Raus mit der Sprache«, sagte ich.
Sie massierte ihre Schläfen. »Es ist etwas seltsam Unangenehmes eingetreten.«
In der Angelegenheit Miss Mei-Hua Chen .
»Ed plant eine Überraschungsparty für mich.«
»Was?«
»Genau. Es ist grauenhaft. Ich hasse es.«
»Nein, ich meinte, was genau ist das Problem?«
»Er droht schon seit Monaten damit, mich mit all seinen Mitarbeitern zusammenzubringen. Er meint, es sei sinnvoll, meine Präsenz im >Netzwerk< etwas zu steigern.«
»Ein Netzwerk aus Geiseln?«
»Witzig.«
Aber das konnte es doch nicht gewesen sein, oder doch? Das konnte nicht der Grund sein, weshalb sie mich herbestellt hatte. Sie lief sich nur warm, führte mich sanft zum eigentlichen Thema. »Und was soll ich da jetzt genau machen?«
»Du musst mit ihm sprechen, Lily. Tue so, als hätte sein Assistent es ausgeplappert, aber eigentlich wolltest du die Party selbst planen, weil du mich kennst, bla, bla, bla . So habe ich zumindest die Kontrolle darüber, wer eingeladen wird.«
»Klar.«
»Keine Panik, ich habe das schon mal gemacht. Das läuft. Speisen und Gäste und alles, es ist also keine wirkliche Lüge.« Sie feuerte einen gereizten Blick in meine Richtung. »Das ist jetzt kein Problem, oder?«
»Hättest du mir das nicht am Telefon sagen können? Es klang, als sei es wirklich dringlich.«
»Na ja, nein . Aber es muss plausibel wirken.« Sie hielt inne, als würde ihr plötzlich etwas klar. »Ich erwarte nicht, dass du kommst. Ich weiß, dass du solche Sachen verabscheust.«
»Warum kann das nicht einer deiner Lakaien übernehmen?«
Sie ordnete die Stifte auf ihrem Schreibtisch wie eine kleine Reihe Soldaten an. »Denen kann ich nicht vertrauen. Nicht wie dir. Die tratschen das noch an Ed weiter.«
Etwas mir nicht Lesbares fuhr über ihr Gesicht. War etwas zwischen den beiden vorgefallen? Ich deutete sinnfrei in Richtung ihres Bauches. Immer noch flach wie das Moor. »Ist alles okay . da unten?«
»Alles in Ordnung, danke schön.«
»Hat Ed dich zum Ultraschall begleitet?«
»Himmel bewahre, nein! Er will nur wissen, ob alles in Ordnung ist.«
»Und ist es das?«
»Ja, es ist okay .« Sie blinzelte mich an. »Wirklich, bestimmt. Alles in Ordnung.«
»Klingt, als wäre es in Ordnung«, sagte ich.
Wir spielten diese Spiele, Maya und ich. Als wir jünger waren, fiel es mir schwer, sie richtig zu lesen, aber mit den Jahren war ihr Panzer etwas abgenutzt und zeigte emotionale Risse: ein leises Knirschen ihres Kiefers; das unbestreitbare Flackern im Augenwinkel, das sie gern dem Alter zuschrieb, von dem ich aber vermutete, dass es eine andere Art Auszeichnung war. Eine, die bisher zumindest immer meinen Namen getragen hatte.
Ich konnte nicht gehen, ohne es ein letztes Mal zu versuchen. »Es gibt also sonst nichts, was du mir erzählen wolltest?«
»Nein. Was meinst du?«, fragte sie.
»Nichts . in der Post heute Morgen?«
Die Vene in ihrem Hals sprang hervor. »Du bist nicht schon wieder in Schwierigkeiten, Lily, oder?«
Ich simulierte ein empört prustendes Lachen. »Nein! Warum sollte ich?«, sagte ich, und in dem Moment war es wichtig, dass sie mir glaubte, eine seltsame Verkehrung, die vor einem Jahr ihren Anfang genommen hatte. Sie schien zunächst erleichtert zu sein, als Dad gestorben war - eine Person weniger, um die sie sich kümmern musste -, aber manchmal hatte sie diesen Blick in den Augen, und ich konnte mir nicht mehr sicher sein, wer von uns beiden den anderen beschützte. »Ich habe dir einfach nur eine Karte geschickt, das ist alles«, sagte ich. »Mumma Maya, die ABBA singende Nonne. Sie wird dann vermutlich morgen kommen.«
Auf dem Weg zurück zur Station versuchte ich die Dinge rationaler zu analysieren. Mayas Reaktion wies auf eine von zwei Möglichkeiten: Entweder war der Brief noch auf dem Weg, oder jemand hatte speziell mich ausgewählt - was keinerlei Sinn ergab. Was wir durchgemacht hatten, hatten wir gemeinsam durchgemacht.
Der erbarmungslose Sturm der Nacht hatte die Straßen um Clapham verwüstet, und überall im Bereich des Common lagen zerbrochene Eichenleichen und Ahornäste, all die Jahre hart erarbeiteten Wachstums in einer einzigen Nacht wütender Zerstörung gefällt. Ich war nicht in der Stimmung für Dr. Fenton. Seit jenem Debakel an der Universität hatte ich über den Zeitraum von sechs Jahren immer mal wieder Therapeuten aufgesucht. Wenn man meinen Fortschritt auf einem Graphen aufzeichnen würde, gliche er einer erratischen Klangkurve, die eine Nocturne von Chopin mit einem Satz schizoiden Liszt irgendwo in der Mitte trällern würde.
Als ich ankam, war die Toilette des Wartezimmers besetzt. Ich sah auf meine Uhr, während ich draußen herumlungerte und auf das Geräusch des Abzugs und das asthmatische Rauschen des Handtrockners lauschte, bis schließlich ein Mann herauskam. Er konnte nicht älter als 30 sein, hatte aber etwas Zerfasertes an...
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