Abb. 9. Schlagwirkung in einem Glaskörper.
In der Praxis der Naturvölker von einst wie von heute spielt dieser senkrechte Schlag keine Rolle, wohl aber der schräge. Weitaus die meisten Feuersteinklingen des Paläolithikums zeigen, soweit sie von einem Nuklëus abgesplittert worden sind, an ihrem dickeren Ende eine auffällige Hervorwölbung mit zentralem, stets an der Kante liegendem Treffpunkt. Das ist der Schlagbuckel oder Schlaghügel, auch Bulbus oder Schlagzwiebel genannt, mit seinen konzentrischen Wellenringen und Längssprüngen, wie Abb. 10 sie zeigt. Er entsteht dadurch, daß der Hieb schräg auf die Fläche des Kernsteins erfolgt. Dann kann sich nur ein Teil des Kegelmantels ausbilden, indem auf dem von der Schlagfläche aus in spitzem Winkel abspringenden Abspliß nur ein Schlagbuckel entsteht. Ganz große Meister der jüngeren Hälfte der älteren Steinzeit haben auf diese Weise Feuersteinklingen fast von der Länge eines kleinen Schwertes abgeschlagen; aus Obsidian, dem vulkanischen Glas, bringen die Bewohner der Admiralitätsinseln im Norden des Bismarck-Archipels ganz gleiche Kunstwerke noch heute mühelos zuwege.
Abb. 10. Entstehung der Schlagzwiebel durch schrägen Schlag.
Daß eine solche Meisterschaft nur auf Grund einer endlos vererbten und gesteigerten Übung hat erreicht werden können, unterliegt keinem Zweifel. Welche Erfahrung gehört allein dazu, die Eigenschaften des Materials zu erkennen, seine Spaltrichtung, seine Härte, und wieviel Berechnung muß dann noch vorausgehen, um den Schlag mit Sicherheit und der Aussicht auf ein gutes Gelingen zu führen! Die Alten sind unbewußt große Physiker gewesen.
Auf demselben Satz vom Parallelogramm der Kräfte beruht auch jene andere Methode der Steinbearbeitung, wie sie bei den Feuerländern und Eskimo noch neuerdings beobachtet worden ist, und wie sie auch während des ganzen jüngeren Paläolithikums Verwendung gefunden hat. Das ist das Abdrücken von Splittern bei der feineren Bearbeitung der Steinklingen. Wie es bei den genannten amerikanischen Völkerschaften ausgeführt wird, habe ich bereits in den »Kulturelementen der Menschheit«, S. 25, unter Beifügung einer Abbildung beschrieben, die hier in Fig. 11 wiederholt sein mag. Es handelt sich dort um die Verwendung einer gebogenen Druckstange mit einem weicheren Einsatzstück, das man in bestimmtem Winkel auf die Kante des zu bearbeitenden Steins setzt, um nun durch einen starken Druck eine Lamelle zum Abspringen zu bringen. Der Leser begreift leicht, daß auch hier Richtung und Stärke des Drucks die Resultante darstellen; die eine der Komponenten verläuft dann tangential an der Schlagzwiebel, während die andere schräg durch den Abspliß geht. Ob die Paläolithiker den gleichen oder einen ähnlichen Apparat verwendet haben, läßt sich nicht mehr feststellen; das gleiche Prinzip haben sie indessen benutzt, auch wenn sie ihre Splitter nur mit einem einfachen Knochen oder einem Holzstab abgepreßt haben sollten.
Abb. 11. Abdrücken von Steinlamellen bei den Alaska-Eskimo.
Wir nennen unsere Gegenwart mit Stolz nicht nur das Zeitalter des Kindes, sondern vielleicht mit noch mehr Berechtigung dasjenige der Maschine. In der Tat sind wir von solchen umgeben, wohin wir auch blicken: in der Industrie, in der Landwirtschaft und auch im anscheinend so elementaren Betrieb unseres Haushaltes. Die Begriffsbestimmung Maschine ist viel umstritten. Im physikalischen Sinn versteht man unter ihr eine Vorrichtung, die es ermöglicht, die Richtung, den Angriffspunkt oder die Größe einer Kraft in der gewünschten Weise abzuändern, wobei das, was an Größe der Kraft gewonnen wird, an Hubhöhe oder Schnelligkeit der Leistung verloren geht, oder umgekehrt. Man unterscheidet einfache und zusammengesetzte Maschinen. Als einfache Maschinen oder mechanische Potenzen bezeichnet man Hebel, Rolle und Rad an der Welle, schiefe Ebene, Keil und Schraube, weil sie keine Zerlegung in noch einfachere Maschinen zulassen. Die zusammengesetzten stellen Kombinationen der einfachen dar.
Mit Ausnahme der Rolle reicht die Verwendung einfacher Maschinen im Wirtschaftsleben der Menschheit ebenfalls bis in deren Frühzeit zurück, wie wir im Lauf unserer Betrachtungen mehrfach sehen werden. Schon das hölzerne Urgerät verknüpft ihrer zwei miteinander. Das ist der in der neueren Völkerkunde viel besprochene Grabstock, dessen wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung ich bereits in der »Urgesellschaft und ihrer Lebensfürsorge« zu würdigen versucht habe. Physikalisch vereinigen sich in ihm die beiden Maschinen des Keils und des Hebels. Das Wesen des Keils ist jedermann bekannt; er ist ein dreiseitiges Prisma, das mit einer Kante zwischen zwei Körper dringt, um diese vermöge einer auf seinem Rücken zur Wirkung gelangenden Kraft voneinander zu entfernen. Man kann ihn als ein System von zwei schiefen Ebenen auffassen, die mit ihren Grundflächen aneinander gelagert sind. Die Wirkung, allerdings auch der Weg, ist um so größer, je beträchtlicher die Seitenlänge des Keils im Verhältnis zu seinem Rücken, d.h. je spitzer oder schärfer er ist. Unter einem Hebel verstehen wir jeden um einen festen Punkt oder eine feste Achse drehbaren Körper, an dem Kräfte wirken. Schaukelbrett und Brecheisen sind gemeinverständliche Hinweise auf sein Wesen.
Beider Wirkungsweise vereinigt sich also im Grabstock und damit wohl dem urtümlichsten und ältesten Werkzeuge der Menschheit überhaupt. In dem Augenblick, wo unser ältester Vorfahr denselben Stock, den er mutwillig vom nächsten Baum abgerissen hatte, mit der durch diese Abtrennungsart bedingten abgeschrägten Endfläche in den Erdboden stieß, um irgendeinen genießbaren Gegenstand herauszuholen, war der Keil erfunden, und wenn er darauf den Stock mit dem Schwung eines jugendkräftigen Geschlechts zur Seite bog, um die Knollenfrucht, oder worum es sich sonst handelte, dem Schoß der Erde zu entheben, so hatte sich ihm auch die Entdeckung des Hebels hinzugesellt, denn mit der Drehung um einen festen Punkt, in diesem Fall die Übergangsstelle in den Erdboden, wird der Stock eben zu dieser einfachen Maschine. Nach der einmal gewonnenen Erkenntnis ihres Wesens und ihrer Wirkung hat der Mensch dann gerade mit ihr förmlich gewuchert, denn wir finden den Hebel fortan fast bei allen außerkörperlichen Betätigungen verwendet.
Uralte und dabei universale Formen des Keils sind alle unsere Schneid-, Hieb- und Stichgeräte und -waffen, ohne daß uns die physikalische Seite dieser Dinge für gewöhnlich so recht zum Bewußtsein kommt. Trotz ihrer Einfachheit sind sie dabei streng auf den Menschen beschränkt, indem kein Tier sich zur Höhe außerkörperlichen Schneidens, Hauens und Stechens emporzuschwingen verstanden hat.
Im Sinn der Kappschen Theorie von der Selbstbeobachtung und der Organprojektion gibt dieser Umstand sehr zu denken. Diese berühmte Lehre sagt, daß zum Erkennen der Zweckmäßigkeit eines einmal erprobten Werkzeugs die Fähigkeit des Vergleichs mit den eigenen körperlichen Organen gehört (Kulturelemente S. 10 ff.). Erst wenn ich endgültig festgestellt habe, daß ein Steinsplitter, mit dem ich ein Fell zerschneide, vorteilhafter wirkt als meine eigenen Zähne oder meine Fingernägel, werde ich dem Werkzeuge den Vorzug geben, es beibehalten und gegebenenfalls vervollkommnen. Wenn nun nicht einmal die intelligentesten Tiere, trotzdem sie mit Stöcken schlagen und mit Steinen werfen, fähig gewesen sind, den Schritt zu den auf dem so einfachen Prinzip des Keils beruhenden Werkzeugen zu tun, so spricht das doppelt stark zugunsten der Kappschen Theorie. Lediglich der Mensch verfügt eben über jene Fähigkeit der Selbstbeobachtung, und nur er hat es in der Folge verstanden, die mangelhafte Wirkung seiner eigenen Schneid-, Hieb- und Stichorgane, also des Gebisses und der ausgestreckten Finger und ihrer Nägel, durch Messer und Zange, Stemm- und Hobeleisen, Beil und Säge, Lanze, Schwert und Dolch u. dergl. zu ersetzen. Das aber sind alles Dinge, die wiederum nur mit der Hand geführt werden können, so daß sich unser Wunderorgan also auch hier wieder als die unerläßliche Vorbedingung zum Aufstieg des Menschen darstellt.
Nach diesem vorläufigen Einblick in die Gesetze der Physik, unter denen die beiden urtümlichsten Stoffe in den Dienst der jungen Menschheit gestellt worden sind, können wir die Flugbahn in das Reich der Mechanik nunmehr etwas ungebundener und kühner wählen, indem wir fortan auch solche Erscheinungen heranziehen, die ein tieferes, wenn auch immer noch unbewußtes Eindringen in die Geheimnisse der Natur zur Schau tragen. Manche von ihnen blicken auf ein ehrwürdiges Alter herab, während andere wieder viel jüngeren Datums, menschheitsgeschichtlich neue Erfindungen oder Entdeckungen sind. Sinnbilder des systematischen Hineinwachsens unseres Geschlechts in die Herrscherrolle über alles Organische und Unorganische bleiben sie dabei ohne Ausnahme.
5. Das Leitungsvermögen.
Inhaltsverzeichnis Die Wärme hat die Eigenschaft, sich auszubreiten, indem sie von Stellen höherer Temperatur zu solchen von niedrigerer übergeht. Das geschieht sowohl innerhalb ungleich erwärmter Körper selbst, wie auch zwischen zwei nebeneinandergelagerten verschiedenartigen Substanzen. Halten wir eine Metallstange ins Feuer, so wird auch das andere Ende warm, und halten wir an die heiße Metallstange irgendeinen anderen Körper, so erwärmt sich auch dieser. Jene Leitungsfähigkeit nennt man die innere, diese die äußere.
Diesem Wärmeausgleich gegenüber verhalten sich die verschiedenen Substanzen nun höchst ungleich; während die Metalle im allgemeinen gute Leiter sind, gehören alle übrigen Substanzen zu den...