Schweitzer Fachinformationen
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Die Räder des Flugzeugs würden vermutlich die Spitzen der hohen Kiefern am Rande der kleinen Landebahn berühren, und der Commissaris musste sich zwingen, die Augen offen zu halten. Seine Vorstellungen von Amerika hatten sich geändert, seit die Stewardess mit ihm durch die große Halle des Bostoner Flughafens gegangen war und auf eine zweimotorige Maschine gezeigt hatte. Das Flugzeug sah alt aus und hatte bauchige Konturen aus der Zeit von vor etwa dreißig Jahren. Ein junger Mann in einem dick gepolsterten Blouson und einer ölbefleckten Mütze mit Ohrenschützern schob auf einer Karre einen Koffer durch den Schnee.
«Ist das meine Maschine?»
«Ja, Sir», sagte die Stewardess freundlich. «Prestige Airlines, ein kleines Privatunternehmen. Es fliegt die meisten der kleinen Flugplätze in Maine an. Es besteht schon seit Jahren. Ich bin sicher, die Leute sind sehr zuverlässig.»
Der junge Mann war mit seiner Schiebkarre stecken geblieben und schob mit aller Kraft. Er rief etwas, aber seine Worte drangen nicht durch die Fensterwände des Flughafengebäudes. Die Stewardess kicherte. «Das ist Ihr Pilot, Sir. Er wird gleich zurück sein; er kümmert sich auch um die Abfertigung hier.»
«Gütiger Gott», murmelte der Commissaris. Die Stewardess musterte das müde, verzerrte Gesicht des kleinen alten Mannes, der sich auf seinen Bambusstock stützte. «Alles in Ordnung, Sir?»
«Ja, Miss, ich bin nur müde. Ich konnte nicht schlafen, weil während der Atlantiküberquerung ein Film gezeigt wurde.»
«Wohin wollten Sie noch mal, Sir?»
«Nach Jameson, Maine.»
«Jameson», sagte sie. «Eine hübsche Stadt. Ich habe dort mal einen Urlaub verbracht. Sie liegt an der Küste und ist im Sommer ein beliebter Ausflugsort, aber niemand dürfte zu dieser Jahreszeit dorthin wollen. Nur Schnee und Eis, stelle ich mir vor.»
Der Pilot kam zurück und nahm dem Commissaris Flugschein und Koffer ab. «Jameson?», fragte er. «Das sind etwa drei, vielleicht dreieinhalb Stunden, schwer zu sagen bei diesem Wetter, und vielleicht haben sie die Landebahn nicht geräumt. Das letzte Mal hatten sie es nicht, sodass ich für eine Weile kreisen musste, während sie mit dem alten Schneepflug herumschoben. Ich nehme an, sie dachten, ich würde nicht kommen, und ihr Funkgerät war wieder mal kaputt.»
Der Commissaris drückte seinen Stock in den Auslegeteppich in der Halle, die Spitze versank im dichten gelben Flor.
Ein anderer junger Mann in Overall, Gummistiefeln und Schirmmütze war gekommen. «Ist die alte Kiste bereit, Bob?»
«Klar», sagte der erste Pilot. «So bereit wie immer. Es war schwierig, sie zu starten, und wir sollten uns wirklich mal neue Trossen besorgen. Noch so ein Sturm - und sie weht einfach weg. Die linke Trosse ist böse zerscheuert, hast du das gesehen?»
«Wirklich?», fragte der Commissaris.
Der mit Bob angesprochene Mann lachte. «Nur die Verankerungstrosse, Sir. Der Zustand der Maschine ist einwandfrei genug, aus alten Heeresbeständen, und wir haben sie gepflegt. Wir werden in einer Minute bereit sein. Möchten Sie noch zum Waschraum, bevor wir starten? An Bord ist keine Toilette.»
Aber der Flug war gar nicht so schlecht gewesen. Die beiden anderen Passagiere, untersetzte Männer in mittleren Jahren mit leuchtend roten Hüten und Schrotflinten im Lederfutteral, hatten eine Flasche mit starkem, unausgereift schmeckendem Whiskey herumgehen lassen, und gegen die würzigen Zigarillos des Commissaris hatte niemand etwas einzuwenden. Die Maschine flog tief; und der Commissaris war beeindruckt von der Landschaft und dem Anblick des Meeres, denn sie folgten einem zerklüfteten Küstenstrich mit vielen verstreuten Inseln in der kalten wilden See. Die Piloten hatten nach unten gezeigt und Namen gerufen und ihm eine Karte gegeben, auf die er schaute, während die Jäger ihm den Kurs zeigten, der bei einem kleinen Punkt und den Kursivbuchstaben Jameson endete.
«Da», riefen die Piloten. Die Maschine ging in den Landeanflug. Der Commissaris hatte einige Sekunden gebraucht, ehe er die Landepiste entdeckte, ein braunes Kreuz im alles durchdringenden Weiß.
«Holt Sie jemand ab?», fragten die Jäger, als sie ihre Segeltuchsäcke mit Tritten zur kleinen Tür hinausbeförderten. «Wir haben einen Lastwagen hier und können Sie mitnehmen.»
Aber der Commissaris dankte ihnen und lehnte ab. Er winkte der eingemummten Gestalt zu, die bei einem hölzernen Schuppen stand - einer alten Frau, gebeugt, beladen mit einem Pelzmantel unter einer Wollmütze und eingehüllt in einen Schal. Das konnte nur Suzanne sein, stellte er fest, als die Gestalt auf ihn zuschlurfte und mit hoher Stimme Willkommensworte stammelte.
«O Jan, hattest du einen schlechten Flug?»
Er musste in die andere Richtung schauen, weil ihm der eisige Wind ins Gesicht schnitt. «Ja», hörte er sich sagen, «oder nein, es war ein guter Flug. Ich habe die Küste gesehen, sehr schön. Wie geht es dir, Liebe?»
Sie weinte. Der Pilot reichte ihm den Koffer herunter, und seine Finger schmerzten im dünnen Lederhandschuh, als er den Griff anfasste.
«Lassen Sie mich den nehmen.» Er schaute dankbar auf. Er war seinen Koffer los. Ein breitschultriger Mann mit langem Mantel und Kapuze trug ihn davon. Er nahm den Arm seiner Schwester und wurde zu einem langen, schimmernden Wagen geführt.
«Du konntest also doch noch kommen?», fragte er munter. «Das ist gut. Ist das Opdijks Wagen?»
«Nein, das ist einer von Janets Wagen. Sie ist meine Nachbarin. Ich kann nicht fahren, Jan.»
«Und der Mann, ist er ebenfalls dein Nachbar?»
«Das ist Reggie, er arbeitet bei Janet. Er ist sehr nett, sie sind alle sehr nett. O Jan, bringst du mich wirklich von hier fort? Nach Holland? Gehen wir nach Holland, Jan?»
Der Weg war vereist, er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
«Gewiss.»
«Ich kann es nicht glauben, Jan. Opdijk sagte immer, wir würden hier ewig bleiben. Es ist so kalt, Jan, und die Sommer . die vielen Insekten. Wir leben hinter Doppelfenstern im Winter und hinter Fliegendraht im Sommer. Es ist hier draußen so grausam, Jan.»
«Grausam?» Das Wort schien ihm fehl am Platze zu sein. Er war bis jetzt sehr gut behandelt worden. Von der Besatzung der Linienmaschine, vom Flughafenpersonal, von den beiden Piloten und den Jägern. Er wäre beinahe wieder ausgerutscht und blieb stehen. Das weiße Schweigen tröstete seinen müden Geist. Riesige Kiefern türmten sich über ihm; zwei schwarze Vögel flatterten von einem Ast, breiteten die Flügel aus und segelten davon. Krähen, nein, das konnten keine sein. Zu groß. Kolkraben! «Kolkraben!» Er hatte das Wort laut gerufen. Eine Spezies, die in Holland längst ausgestorben war, aber in Geschichten und Legenden weiterlebte. Und hier flogen sie herum. Erstaunlich. Einer der Vögel beantwortete anscheinend seinen Ruf und krächzte. Er dachte an die Krähen im vernachlässigten Garten hinter seinem Haus in Amsterdam. Sie kakelten immer. Dieses Krächzen war ganz anders, ein mächtiges und majestätisches Rufen, ein Versprechen. «Das sind Kolkraben, Suzanne.»
Seine Schwester drehte sich um und blinzelte. «Was hast du gesagt, Jan?»
«Kolkraben, die Vögel!»
«So?»
«Weißt du das nicht? Wie lange lebst du schon hier?»
Sie schob an seinem Arm und geleitete ihn zum sicheren Wagen. Der Mann namens Reggie kam zurück.
«Ich bin nicht viel spazieren gegangen, Jan. Opdijk ist gern rausgegangen.»
Reggie hatte einen Fäustling ausgezogen und bot ihm die Hand. Der Commissaris schüttelte sie, eine harte Hand mit tiefem Schmutz in den Falten und starken, eckigen Fingernägeln. Die Kapuze war dem Mann vom Kopf gerutscht. Das Gesicht passte nicht zu den Händen. Das Gesicht ist empfindsam, dachte der Commissaris, aber zurückhaltend. Ein Mensch, der oft verletzt worden, aber standhaft ist. Ein einsamer Mensch, der eine Möglichkeit gefunden hat, mit seiner Einsamkeit zu leben. Der Commissaris wurde an de Gier erinnert. Auch de Gier war ein harter und gleichzeitig empfindsamer Mensch. Aber diesem Mann fehlten die leuchtenden Augen, die de Giers Gesicht lebendig machten. Der Commissaris war sich seiner Gedanken bewusst, als er Reggie die Hand gab und dessen vollen Namen hörte. «Reggie Tammart, zu Ihren Diensten.» Eine altmodische Begrüßung, ein großmütiger Gruß. Ja, Großmut. Er erinnerte sich an amerikanische Großmut, denn er hatte einige Offiziere der Befreiungstruppen kennengelernt, die am Ende des Krieges in Holland einmarschiert waren. Die Offiziere hatten ihm erzählt, dass sie aus dem Süden seien - vielleicht war Reggie Tammart ein Südstaatler.
«Sind Sie aus dem Süden, Sir?»
«Aus New Orleans, Louisiana, Sir. Freut mich, Sie kennenzulernen.»
Der Commissaris versuchte, den Ortsnamen auf einer Karte einzuordnen. Eine Stadt an der Küste, ein Hafen. Und im Süden, er hatte recht gehabt. Zufrieden mit sich ging er weiter. Eine neue Umgebung, aber er hatte bestimmte Kenntnisse, auf die er sich beziehen konnte - die neuen Tatsachen fügten sich vielleicht in das Schema ein.
«Sie haben ein schönes Land hier, Mr. Tammart.»
«Ja, Sir. Sie können mich Reggie nennen, wenn Sie wollen. Wirklich ein schönes Land, Sir, aber wenn der Schnee den Boden bedeckt, gibt es nicht viel zu tun, außer jagen und klaftern.»
«Ist das Ihre Beschäftigung?»
«Ich bin Gärtner bei Janet Wash, Sir, unter anderem. Ich jage nur Waldmurmeltiere, weil sie die Gärten ruinieren, aber jetzt schlafen sie in ihren Erdhöhlen.»
«Sie also?» Der Commissaris konnte sich darunter nichts vorstellen, aber er dachte bei sich, der...
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