Schweitzer Fachinformationen
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Ich versuchte, das Knattern zu ignorieren, und wälzte mich im Bett. Verdammt! Ich wollte doch ausschlafen, und nun meinte so ein Idiot, in aller Herrgottsfrühe den Rasen mähen zu müssen. Ich war so müde, dass ich mich nicht dazu aufraffen konnte, das Fenster zu schließen. Stattdessen zog ich mir die Decke über die Ohren und vergrub das Gesicht im Kissen. Das brachte überhaupt nichts.
»Morgen, mein Engelchen, willst du nicht mal langsam aufstehen?« Meine Mutter stand neben dem Bett. Demonstrativ verkroch ich mich ein Stück tiefer unter der Decke. Nein, ich wollte nicht aufstehen. Ich war noch im Halbschlaf, und es konnte doch höchstens neun Uhr sein.
»Es ist nach elf«, sagte Mama.
Ich war schlagartig hellwach. Nach elf? In nicht mal zwei Stunden würde Tim auf der Matte stehen. Und Ines würde in weniger als einer Stunde klingeln. Wir wollten unser Styling noch gemeinsam vollenden und uns vor der Fahrt nach Duisburg ein Gläschen Sekt genehmigen. Ich sprang aus dem Bett, zog das Rollo hoch, blinzelte in die Sonne, die sich durch einen Wolkenschleier kämpfte, senkte den Blick und sah einen Rentner. Der Typ war oben ohne, hatte eine ordentliche Bierwampe und schob einen Rasenmäher vor sich her. Auf dem Kopf trug er einen Strohhut, dazu Jeans-Shorts und Sandalen mit weißen Tennissocken. Stell dir vor, du heiratest, und dreißig Jahre später wirst du neben so einem wach. Gruselig. Obwohl - Tim würde ich auch noch mit Bierwampe lieben, aber die Tennissocken in den Sandalen gingen gar nicht. Und warum mussten Rentner immer samstags den Rasen mähen? Egal.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, fluchte ich.
»Wow, was ist denn mit dir los, Kleines? Du stehst ja richtig unter Dampf«, sagte Mama.
»Tim kommt gleich. Ich muss mich beeilen.«
Sie lächelte.
»Ist er gerade Single?«
»Ja«, seufzte ich.
»Wäre es dann nicht vielleicht mal Zeit, ihm zu sagen, wie sehr du ihn magst?«
»Könntest du das bitte meine Sorge sein lassen!«, zischte ich. Es war schon nervig genug, dass Ines ständig herumstichelte, was Tim und mich anging, und nun fing auch noch meine Mutter damit an. Ich wollte jetzt nicht über mein ungeklärtes Liebesleben nachdenken und schon gar nicht darüber reden. Nicht heute, nicht am Tag der Loveparade.
Das Lächeln verschwand aus Mamas Gesicht. »Entschuldigung, dass ich etwas gesagt habe«, flüsterte sie im Rausgehen.
Ich fuhr den Rechner hoch, öffnete die Musik-Bibliothek, klickte auf »The Art of Love«, die Hymne der diesjährigen Loveparade, und wippte im Takt. Dann schloss ich die Augen, drehte die Lautstärke noch ein bisschen höher, stand auf und tanzte. Bei dieser Musik konnte ich einfach keine schlechte Laune haben. Der Bass fegte die Müdigkeit aus meinen Knochen. Ich warf den Kopf hin und her, ließ die langen Haare wild durch die Luft fliegen. Plötzlich stand Philipp im Zimmer. Er war noch im Schlafanzug.
»Darf ich mittanzen?«, fragte mein kleiner Bruder schüchtern.
»Klar!«
Ich bückte mich zu ihm runter, nahm seine Hände und tanzte mit ihm. Philipp lachte. Dann nahm ich ihn auf den Arm und hüpfte mit ihm durchs Zimmer. Glückliches Kinderkreischen. Als der Song zu Ende war, ließ ich uns beide aufs Bett fallen.
»Noch mal!«, forderte Philipp. Seine Wangen waren fast so rot wie die Autos auf seinem Schlafanzug.
»Na, nun kommt erst mal frühstücken, ihr zwei!« Mein Vater stand grinsend im Türrahmen. Wahrscheinlich fand er es schön zu sehen, dass wir uns trotz des großen Altersunterschieds so gut verstanden. Als Philipp vor fünf Jahren geboren wurde, hatte ich in ihm nur die quäkende Nervensäge gesehen.
»Ein Lied noch, biiiiiitte Papa!«, bettelte er.
»Macht, was ihr wollt, aber das Rührei wird kalt.« Übersetzt hieß das so viel wie: »Wenn ihr nicht kommt, habe ich das letzte Mal Rührei für euch gemacht.« Papa versuchte, streng zu gucken, aber durch sein rundes Gesicht sah er immer freundlich aus, egal wie sehr er sich bemühte, autoritär zu wirken. Er verschwand und schloss die Tür hinter sich.
»Philipp, ich muss mich leider beeilen, wir tanzen morgen noch mal, okay?«
»Na gut«, brummte er.
»Dafür trag ich dich huckepack zum Frühstück! Na komm, spring auf.« Ich ging in die Hocke, und er hüpfte sofort auf meinen Rücken. »The Art of Looooove«, sang ich und tanzte etwas verhalten die Treppe runter. Der Duft von Rührei, gebratenem Speck und frischen Croissants lag in der Luft. Meine Eltern saßen am großen Esstisch. Mama hielt eine Milchkaffeetasse in der Hand und schöpfte mit dem Löffel den obersten Milchschaum ab, um ihn sich dann genüsslich in den Mund zu schieben. Papa stocherte in seinem Rührei rum. Er pickte sich - wie immer - zuerst den Speck raus.
Wir setzten uns dazu. Ich schmierte mir ein Buttercroissant mit meiner Lieblings-Himbeer-Vanille-Marmelade und biss hinein. Gedankenverloren schob ich die kleinen Körner der Himbeeren mit der Zunge im Mund herum.
»Von was träumst du denn?«, wollte meine Mutter wissen, um sich sofort selbst zu maßregeln: »Ach nein, ich darf ja nicht fragen.«
»Ach Mama, so hab ich das nicht gemeint. Klar darfst du fragen, aber ich will heute einfach nicht über Tim reden und am besten auch nicht nachdenken. Schon gar nicht vorm Frühstück. Und beim Frühstück auch nicht.«
Sie nickte. In einer Glasschale auf dem Tisch lagen klein geschnittene Erdbeeren. Ich nahm mir eine ordentliche Portion und übergoss sie mit Vanillejoghurt. Mein Vater runzelte die Stirn. »Tim soll bloß auf dich aufpassen, es soll ganz schön voll werden. Die haben im Radio gesagt, dass der Hauptbahnhof das Nadelöhr sein wird, weil da alle ankommen. Also seht zu, dass ihr da schnell wegkommt, okay?«
»Ja, Papa. Mach dir mal keinen Kopf. Die Loveparade gibt es seit über zwanzig Jahren, da passiert schon nichts.« Wie ich solche Predigten hasste. Mein Vater spießte ein Stück Rührei mit der Gabel auf und gestikulierte damit herum, als ob das Ei seine Aussage unterstreichen würde. »Trotzdem, sei vorsichtig und zieh bequeme Schuhe an!«
»Ja, Papa.«
Manchmal war er wirklich überängstlich. Wenn ich am Wochenende unterwegs war und morgens um vier oder fünf nach Hause kam, schlich ich mich immer ganz leise hinein. Trotzdem rief er nach wenigen Minuten: »Alles in Ordnung, Katharina?« Hatte der gar nicht geschlafen? Oder war er auch im Schlaf darauf geeicht, jedes Geräusch zu registrieren? Keine Ahnung. Wenn er sich vergewissert hatte, dass ich sicher zu Hause war, hörte ich jedenfalls wenige Minuten später sein Schnarchen aus dem Schlafzimmer. Wahrscheinlich ist es normal, dass Eltern so sind. Aber ich war volljährig. Verbieten konnten sie mir sowieso nichts mehr. Und passieren kann schließlich immer etwas. Ich hatte ein kleines, altes Auto und hätte genauso gut einen Unfall auf der Autobahn bauen können.
Nach dem Frühstück half Philipp Mama, den Tisch abzuräumen. Papa setzte sich auf die Couch und verschwand hinter seiner Zeitung. Ich sprang unter die Dusche. Nur noch eine halbe Stunde, bis Ines klingeln würde. Hektisch packte ich mir Mamas teure Haarkur auf den Kopf, putzte die Zähne und dachte jetzt doch über Tim und mich nach. Na toll. Warum gab es für solche Gedanken eigentlich keinen Aus-Knopf? Wie sollte ich ihm nur endlich sagen, dass ich mehr als nur Freundschaft wollte? Vielleicht war die Loveparade der richtige Anlass. Wirklich romantisch war das zwar nicht, aber erfahrungsgemäß peitschten die Bässe mein Ego nach vorne und übertönten meine Selbstzweifel. Das könnte helfen.
Ich hielt den geöffneten Mund unter den Duschkopf und spuckte die Reste des Zahnpastaschaums in den Ausguss. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und spülte die Kur aus dem Haar. Einen Moment schloss ich die Augen und genoss das warme Wasser auf der Haut. Ein Kribbeln durchfuhr mich. War das die Aufregung? Wegen der Loveparade? Oder weil ich an Tim dachte? Wie auch immer. Ich drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche, trocknete mich ab, schlüpfte in meinen knallroten Bademantel und föhnte mir die Haare. Durch das Brummen des Föhns hörte ich meine Mutter nur schwach. Irgendetwas hatte sie gerufen. Ich zog den Stecker.
»WAAAS?«, brüllte ich.
»Ines ist da, Schatz!«
Ich hatte die Klingel gar nicht gehört. Ines war mindestens zehn Minuten zu früh. Sie klopfte an die angelehnte Badezimmertür.
»Darf ich reinkommen?«
»Ja, klar.«
Meine beste Freundin sah aus wie ein Schlumpf. Nein, eigentlich doch nicht. Schlümpfe sind komplett blau und tragen weiße Mützen. Ines hatte nur blaue Haare. Trotzdem erinnerte sie mich an einen Schlumpf. Ich musste grinsen.
»Und? Wie findest du's?«
Jetzt bloß nichts Falsches sagen, dachte ich und suchte nach Worten.
»Auf jeden Fall irgendwie freaky«, ruderte ich herum. Ines nickte zufrieden. Freaky war auch die treffende Beschreibung für ihr Outfit: Sie trug schwarze Hotpants und darunter schwarze Netzstrümpfe. Dazu pinkfarbene Sneakers. Obenrum ein weißes Top mit ziemlich tiefem Ausschnitt, an dem sie eine große, künstliche Sonnenblume angenäht hatte. Passend zu ihren Haaren fehlte nur noch meine blaue Federboa, die Philipp allerdings seit gestern beschlagnahmt hatte. Er wollte unbedingt aussehen wie ein Raver.
Während ich die Haare fertig föhnte, wartete Ines in meinem Zimmer. Als ich zu ihr rüberkam, saß sie am Computer und suchte nach Musik. »Was hältst du von >Gettin' over you< von David Guetta und Fergie?«
»Klingt gut.«
Ines startete den Song, sprang auf und grölte: »LOVEPARADE 2010 - YEEEEEEEAAAH!« Dann tanzte sie durchs Zimmer, und ich tanzte im...
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