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Das Schweigen währte so lange, dass ich mich fragte, ob meine Mamma und mein Papa je wieder miteinander sprechen würden. Nicht dass ich befürchtete, sie hätten gestritten, Streit hatten nur wir Kinder, aber sie waren beide in einen Traum versunken. Dann sagte Papa zögerlich: »Du weißt, dass mir das alles sehr leidtut, meine Liebe.«
Fast wäre Mamma ihm ins Wort gefallen. »Das macht rein gar nichts, wenn nur diesmal alles gut geht. Und es wird doch gut gehen, nicht wahr?«
»Ja, ja, ganz bestimmt«, sagte Papa. In seine Stimme mischte sich ein spöttischer Unterton. »Ich sollte doch wohl den Anforderungen genügen. Ich werde doch wohl in der Lage sein, ein kleines Vorstadtblatt herauszugeben.«
»Ach, mein lieber Piers, ich weiß, dass diese Arbeit unter deiner Würde ist«, sagte Mamma versöhnlich. »Doch sie ist ein Geschenk des Himmels! Was für ein Glück, dass Mr Morpurgo zufällig so eine Zeitung besitzt, und wie gütig von ihm, schließlich hilft er dir .« Sie geriet ins Stocken.
»Wieder einmal«, beendete Papa geistesabwesend den Satz. »Ja, es ist sonderbar, dass ein reicher Mann wie Morpurgo sich mit der Lovegrove Gazette abgibt. Zwar wirft sie guten Profit ab, heißt es, aber für einen Mann mit diesen gewaltigen Einnahmen ist es doch nur ein Klacks. Aber wenn einer ein großes Vermögen anhäuft, mischen sich wohl alle möglichen Lumpen und Knochen unter das Gold und die Diamanten.« Erneut verfiel er in seine Träumereien. Der Blick aus seinen grauen Augen, strahlend unter den geraden schwarzen Brauen, durchbohrte die Wände der Bauernstube. Obwohl ich noch ein ganz kleines Mädchen war, wusste ich, dass er sich vorstellte, wie es wäre, Millionär zu sein.
Mamma griff nach der braunen Teekanne, schenkte ihm und sich nach und seufzte. Da richtete sein Blick sich wieder auf sie. »Findest du es sehr schlimm, hier an diesem einsamen Ort zurückzubleiben?«
»Nein, nein, ich bin überall glücklich«, antwortete sie. »Und ich habe mir schon immer gewünscht, die Kinder könnten einmal Ferien in den Pentlands machen, so wie ich damals in ihrem Alter. Und für Kinder gibt es nichts Besseres als das Leben auf einem Bauernhof. Jedenfalls wird das immer behauptet, warum, ist mir schleierhaft. Aber die Wohnung möbliert zu vermieten, das gefällt mir gar nicht. So etwas tun zu müssen!«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Papa bedrückt, aber ungeduldig.
All das geschah vor über fünfzig Jahren, und die Sorge meiner Eltern war keine Nichtigkeit. Damals waren nur wenige ehrbare Leute bereit, ihre Häuser möbliert zu vermieten, und kein ehrbarer Mensch wollte sie nehmen.
»Ich weiß, diese Leute haben einen triftigen Grund, eine Bleibe für den Sommer zu suchen, da sie aus Australien anreisen, um ihre Tochter in Dr. Phillips' Sanatorium zu besuchen«, murmelte Mamma. »Aber es ist so riskant, die Wohnung mit den guten Möbeln Fremden zu überlassen.«
»Sie sind wohl wertvoll«, sagte Papa nachdenklich.
»Nun, sie sind natürlich bloß Empire«, sagte Mamma, »aber da doch vom Feinsten. Tante Clara hat sie während ihrer Ehe mit dem französischen Geigenspieler in Frankreich und Italien erworben, und sie sind durch und durch massiv und bequem, und natürlich sind sie kein Chippendale, aber die Stühle mit den Schwänen und die anderen mit den Delfinköpfen sind wirklich sehr hübsch, und die Seidenbezüge mit den Bienen und den Sternen sind ausgesprochen reizvoll. Wenn wir in Lovegrove von vorn anfangen, werden wir dankbar für die Möbel sein.«
»In Lovegrove«, sagte Papa. »Dass ich nach Lovegrove zurückkehre, ist wirklich sehr seltsam. Ist es nicht seltsam, Rose«, sagte er, während er mir ein Stück Zucker aus der Dose gab, »dass ich dich an einen Ort bringe, wo ich früher gelebt habe, als ich so klein war wie du?«
»War Onkel Richard Quin auch dort?«, fragte ich. Papas Bruder war mit einundzwanzig in Indien am Fieber gestorben. Zur Unterscheidung von einem anderen Richard in der Familie hatte man ihn Richard Quinbury getauft, und Papa hatte ihn so sehr geliebt, dass er unseren kleinen Bruder, den wir bei Weitem am nettesten von uns vier Kindern fanden, nach ihm benannte. Deshalb empfanden wir, dass uns mit dem Tod unseres Onkels eine Freude verloren gegangen war, und versuchten stets, ihn durch die Geschichten unseres Vaters zurückzuholen.
»Richard Quin war auch dort«, sagte Papa, »sonst würde ich mich nicht so gut daran erinnern. Die Orte, an denen ich ohne ihn war, sind mir nie so deutlich im Gedächtnis geblieben.«
»Du könntest versuchen, uns etwas in der Nähe des Hauses zu finden, in dem ihr gewohnt habt«, schlug Mamma vor. »Das wäre reizvoll für die Kinder.«
»Wie hieß es denn nur? Ach ja, Caroline Lodge. Aber es wird natürlich längst abgerissen worden sein. Es war ein recht kleines Haus, aber voller Charme.«
Auf einmal lachte Mamma. »Warum sollte es abgerissen worden sein? Sofern es nicht um die Zukunft von Kupferbergwerken geht, siehst du immer gleich schwarz.«
»Kupfer wird auf lange Sicht Gewinn bringen«, sagte Papa plötzlich kalt in einem Anflug von Verärgerung.
»Mein Lieber, du darfst nichts darauf geben, was ich sage!«, beteuerte sie. Sie und ich betrachteten ihn bang, und kurz darauf lächelte er. Gleichwohl sah er zur Uhr und sagte, es sei an der Zeit, dass er zum Bahnhof zurückkehre, wenn er den Sechsuhrzug nach Edinburgh erreichen wolle. Das Strahlen in ihm war erloschen, er hatte dieses heruntergekommene Bettleraussehen, das selbst wir Kinder manchmal an ihm bemerkten. Zärtlich sagte Mamma: »Nun gut, du sollst nicht den Zug verpassen und stundenlang an dem zugigen kleinen Bahnhof warten müssen, auch wenn wir dich weiß der Himmel bis zum letzten Moment bei uns behalten wollen. Ach, es ist gut von dir, wirklich herzensgut, mir dabei zu helfen, die Kinder hierher zu bringen, obwohl du so beschäftigt bist.«
»Es ist das Mindeste, was ich tun konnte«, antwortete er bedrückt.
Während der Pferdewagen vors Haus gebracht wurde, traten wir ins Freie und stellten uns auf die frisch gescheuerten Stufen des Bauernhauses. Die Weide vor uns erstreckte sich hinunter bis zum Ufer des Sees, der unten an den grau-grünen Talwänden einen dunkel schimmernden Kreis bildete, vollkommen rund. Auf halbem Weg zum Wasser erblickten wir zwei weiße Tupfen - meine ältere Schwester Cordelia und meine Zwillingsschwester Mary -, und einen blauen Tupfen - mein kleiner Bruder Richard Quin. Er war jetzt gerade einmal alt genug, dass er sehr schnell herumlief und hinfiel, immer ohne sich wehzutun, und in einem fort brabbelte und lachte und uns neckte; wir spielten den ganzen Tag lang mit ihm, ohne seiner jemals überdrüssig zu werden.
Meine Mutter warf den Kopf zurück und rief nach ihnen, ihre Stimme spitz wie ein Vogelschrei: »Kinder, kommt und verabschiedet euch von eurem Vater!«
Meine Schwestern blieben einen Augenblick wie angewurzelt stehen. An diesem neuen reizenden Ort hatten sie vergessen, was uns drohend überschattete. Dann hob Cordelia Richard Quin hoch und eilte, so schnell es die Vorsicht erlaubte, herbei; und nun standen wir vier da und sahen zu Papa hoch, sahen ihn eindringlich an, um ihn während seiner schrecklichen sechswöchigen Abwesenheit voll und ganz in Erinnerung zu haben. Vielleicht war es verkehrt, ihn so eindringlich anzusehen, aber er war so wunderbar. Kindliche Einbildung war das nicht; bei gewissen Dingen waren wir ausgesprochen objektiv. Wir wussten alle, dass Mamma nicht gut aussah. Sie war zu dünn, ihre Nase und ihre Stirn glänzten knöchern, und ihre Gesichtszüge waren nicht ebenmäßig, weil ihre gequälten Nerven ständig wie eine Harke ihr Antlitz zerfurchten. Außerdem waren wir so arm, dass sie nie neue Kleidung trug. Doch es war uns bewusst, dass unser Papa viel schöner war als alle anderen Väter. Nicht groß, aber schlank und anmutig, stand er wie ein Fechter in einem Bild da und strahlte etwas dunkel Romantisches aus; sein Haar und sein Schnurrbart waren tiefschwarz, seine Haut war sonnengebräunt, mit blassrosa schimmernden Wangen; und er hatte hohe Wangenknochen, was sein Gesicht so scharf geschnitten wie ein Katzenmaul aussehen ließ - es war das intelligenteste Gesicht, das man sich nur vorstellen konnte. Außerdem wusste er alles, er war schon auf der ganzen Welt gewesen, sogar in China, er konnte zeichnen und schnitzen und kleine Figuren und Puppenstuben anfertigen. Manchmal spielte er mit uns und erzählte uns Geschichten, und es war schier unerträglich, denn jeder Augenblick löste eine derart intensive Wonne in uns aus, so unvorhersehbar, dass man sich gar nicht darauf einstellen konnte. Sicher, er nahm manchmal tagelang keine Notiz von uns, und auch das war kaum zu ertragen. Doch es gehörte mit zu unserem Kummer, dass wir auch diese Qual sechs Wochen lang nicht erdulden würden.
»Kinder, Kinder, wir werden bald wieder zusammen sein«, sagte Papa, »und es wird euch hier gefallen!« Er deutete auf die Hügel jenseits des Sees. »Noch vor Ferienende werden sie sich alle violett verfärben. Das wird euch gefallen.«
»Violett?« Uns war unerklärlich, was er damit meinen konnte. Alle vier waren wir in Südafrika auf die Welt gekommen und hatten es erst vor einem knappen Jahr verlassen.
Nachdem er die Blüte des Heidekrauts beschrieben hatte, stieß Cordelia, die beinahe zwei Jahre älter als Mary und ich war und das ständig hervorkehrte, einen geräuschvollen Seufzer aus und sagte: »Oje! Für mich werden es schreckliche Ferien werden. Die Kinder werden die ganze Zeit weglaufen, um sich das anzusehen, und wenn sie sich auf den Hügeln verirren,...
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