I. Strafprozessuale Grundrechtseingriffe
Werner Beulke: Fernwirkungen des ? 148 StPO - Ein Plaedoyer wider den "glaesernen Strafverteidiger"; Diethelm Klesczewski: Kritik der Vorratsdatenspeicherung; Hans-Ullrich Paeffgen: Zwischenhaft, Organisationshaft; Klaus Rogall: Kernbereichsmystik im Strafverfahren; Petra Velten: Verkehrsdaten in der Strafverfolgung.
II. Die tatrichterliche Hauptverhandlung
Friedrich Dencker: Die Form der Vernehmung des Angeklagten zur Sache; Lutz Meyer-Gossner: Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung - notwendige Reform oder Irrweg? Egon Mueller: ? 257 Abs. 3 StPO - Eine ueberfluessige Norm; Christoph Sowada: Zur erstinstanzlichen Zustaendigkeit des Oberlandesgerichts bei Erweiterung des ? 120 Abs. 2 GVG nach Eroeffnung des Hauptverfahrens.
III. Beweisgewinnung und -verwertung
Ulrich Eisenberg: Zeugenschutzprogramme und Wahrheitsermittlung im Strafprozess; Helmut Frister: Plaedoyer fuer die Streichung der Vorschriften ueber die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Rainer Keller: Zur strafprozessualen Verwertbarkeit von im Ausland abgelegten Gestaendnissen; Rainer Paulus: Strafprozessuale Beweisstrukturen; Reinhold Schlothauer: Strafprozessuale Verwertung selbstbelastender Angaben im Verwaltungsverfahren; Edda Wesslau: Der blinde Fleck. Eine Kritik der Lehre vom Beweisantragsrecht; Wolfgang Wohlers: Die Hypothese rechtmaessiger Beweiserlangung - ein Instrument zur Relativierung unselbstaendiger Verwertungsverbote?
IV. Revisionsrecht
Stephan Barton: Die erweiterte Revision in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes; Wolfgang Frisch: Wandel der Revision als Ausdruck geistigen und gesellschaftlichen Wandels; Rainer Hamm: Beweis als Rechtsbegriff und seine revisionsrechtliche Kontrolle; Matthias Jahn: Der befangene Revisionsrichter; Hans Kudlich: Wie absolut sind die absoluten Revisionsgruende? Peter Riess: Zum Verhaeltnis von Tatrichter und Revisionsrichter; Klaus-Ulrich Ventzke: Verteidigung am revisionsgerichtlichen Pranger?
V. Anderweitige strafprozessuale Fragen
Karl Heinz Goessel: Quo vadis, Strafverfahren? Klaus Luederssen: "Regulierte Selbstregulierung" in der Strafjustiz? Friedrich-Christian Schroeder: Absehen von der Strafe und Absehen von der Strafverfolgung; Bernd Schuenemann: Zur Kritik des amerikanischen Strafprozessmodells; Hans Hilger: Neuere Fragen zur Privatklage und zum Adhaesionsverfahren; Hinrich Rueping: Strafrecht und Berufsrecht.
II. Die Entwicklung der beiden Absehensmöglichkeiten in ihrer Verschränkung (S. 544-545)
Die Figur des Absehens von Strafe tauchte erstmals im Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909 auf (§ 83). Die Begründung des Entwurfs hatte Mühe, diese Regelung zu erläutern. Trotz aller Sorgfalt bei der Formulierung der Tatbestände der einzelnen Delikte lasse es sich nicht ausschließen, dass in außergewöhnlich gearteten Fällen zwar die Begriffsbestimmung, nicht aber der Gedanke und Zweck des Gesetzes zutreffe, so dass die im Gesetz vorgesehene Strafandrohung als eine Härte empfunden werde. Solche Fälle ergäben Verurteilungen, die als unbillig angesehen würden und die öffentliche Meinung gegen die Rechtspflege verstimmten.
Die Begründung warnte vor der Gefahr einer Verschiebung der Aufgaben des Gesetzgebers und des Richteramts und der Zulassung einer richterlichen Willkür. Eine zu weit gehende Durchbrechung des Legalitätsprinzips könne nur durch eine Begrenzung auf Fälle vermieden werden, wo die besondere Art des gesetzlichen Tatbestandes es erfahrungsgemäß gestatte, weil unter ihn auch so geringfügige und entschuldbare Taten fallen könnten, dass eine Straflosigkeit vom Standpunkt der Prävention nicht schädlich erscheine.
Dem entsprechend wurde die Möglichkeit des Absehens von Strafe auf bestimmte Tatbestände beschränkt und auch hierbei noch verlangt, dass ein besonders leichter Fall vorliege, nämlich die Folgen der Tat unbedeutend seien und der verbrecherische Wille des Täters nur gering und nach den Umständen entschuldbar erscheine. Darüber hinaus wurde das Absehen von Strafe nur in der schwachen Form einer Kann-Bestimmung (in dem damaligen autoritären Stil "darf") und überdies neben der Alternative einer Strafmilderung gewährt, so dass offen blieb, welche Kriterien neben der fehlenden Bedeutung der Folgen und dem geringen verbrecherischen Willen des Täters maßgeblich sein sollten.
Diese Ausgestaltung sollte für die Zukunft maßgeblich bleiben. Dabei ging der Entwurf davon aus, dass in diesen Fällen auch die Verfolgung unterbleiben dürfe, weil die Vorschrift sonst ihren Wert zum großen Teil verlieren würde.3 In den Entwürfen von 1913 und 1919 wurde die Möglichkeit des Absehens von Strafe noch erweitert, u. a. auf die Berichtigung einer uneidlichen Falschaussage (§ 225 E 1919), die erstmals unter Strafe gestellt werden sollte, und zwar nicht aus einer punitiven Tendenz heraus, sondern weil man schon damals den Gebrauch des Eides vor Gericht reduzieren wollte.4 Hier wurde erstmals das Absehen von Strafe bei einer tätigen Reue vorgesehen.
Ob und unter welchen Umständen in diesen Fällen schon die Strafverfolgung unterbleiben dürfe oder müsse, sei eine strafprozessuale Frage, deren Lösung dem Einführungsgesetz oder einer Neuordnung des Strafverfahrens vorbehalten sei.5 Bemerkenswert erscheint noch, dass der Vorentwurf von 1909 in allen Fällen des besonders leichten Versuchs ein Absehen von Strafe zulassen wollte (§ 76 Abs. 3), dadurch werde eine besondere Bestimmung über die Straflosigkeit eines aus Unverstand begangenen oder abergläubischen Versuchs überflüssig!
Durch die Emminger-Verordnung vom 4.1.1924 wurde dann in der Strafprozessordnung die Möglichkeit vorgesehen, dass die Staatsanwaltschaft in leichten Fällen von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen konnte (§ 153 StPO). Hierdurch wurde die in den Strafgesetzbuch-Entwürfen vorgesehene Regelung des Absehens von Strafe völlig überrollt, da die Voraussetzungen des Absehens von der Verfolgung fast genauso formuliert waren wie die des geplanten Absehens von Strafe: geringe Schuld des Täters und unbedeutende Folgen der Tat. Allerdings war eine Zustimmung des Gerichts erforderlich. Grund für diese Regelung war vor allem die durch die Reparationen und die Inflation bedingte finanzielle Not des Staates. Gleichwohl verfolgten die Strafgesetzbuchentwürfe die Figur des gerichtlichen Absehens von Strafe weiter und schoben das Verhältnis dieser Figur zu § 153 StPO dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch zu.