Schweitzer Fachinformationen
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April 1928
Im Zimmer war es noch dunkel, als im frühen Morgengrauen auf dem Misthaufen der erste Hahn krähte. Der Zeiger des Weckers zeigte auf 4.30 Uhr. Müde wälzte sich Käthe noch einmal im Bett herum.
»Was ist?«, flüsterte Tuta neben ihr.
»Zeit zum Aufstehen, Kleine!«
»Och nö!«
»Ei, du kannst noch ein paar Minuten liegen bleiben, bis ich Wasser geholt habe.«
In der Stube war es kalt an diesem ersten Apriltag des Jahres 1928. Käthe fror in ihrem dünnen Nachthemd, zog schnell den Morgenrock über und schlüpfte in die Holzpantinen. In der Dunkelheit tastete sie nach der kleinen tragbaren Öllampe und den Zündhölzern und entfachte das funzlige Licht. Gut, dass sie gestern Abend noch das Wasser zum Waschen von der Pumpe im Hof in die Eimer geschöpft hatten, die auf dem Flur draußen bereitstanden.
Auch Tuta, eigentlich Gertrud und nur ein Jahr jünger als Käthe, war inzwischen wach. Nachdem Käthe Wasserkrug und Schüssel geholt hatte, machten die Mädchen kichernd Katzenwäsche, bevor sie sich ihre Wollstrümpfe, warme Unterwäsche und ihre Leinenkleider anzogen. Es waren die Kleider, die sie täglich für die Arbeit in Haus und Hof trugen. Auf den gedeckten dunklen Farben sah man nicht gleich jeden Fleck.
Auch ihre Schwester Lotte, die mit vollem Namen Charlotte hieß, rührte sich endlich im dritten Bett in der Stube. »Wollt ihr heute ohne mich anfangen? Ich schlafe gerne noch ein Stündchen!«
»Nein, los, raus mit dir, sonst komme ich mit dem nassen Waschlappen!« Tuta lachte.
Die drei Schwestern waren hübsche Mädchen, Käthe mit ihren 21 Jahren die älteste, Lotte mit 17 das Küken unter den Mädels. Sie waren im heiratsfähigen Alter, aber bisher hatte keine von ihnen Interesse an dem einen oder anderen Bewerber gezeigt.
Ihr Bruder Bruno nebenan hatte eine Kammer für sich. Er durfte noch eine Stunde länger schlafen, denn er hatte, wie fast jeden Abend, gestern dem Vater in der Wirtsstube geholfen. Es war sehr spät geworden, als der letzte Bauer endlich heimtorkelte.
Die Familie Weiß betrieb ihren Dorfkrug unter der großen Linde in Koschainen schon seit vielen Jahren. Vater Hugo hatte das Anwesen von seinem Vater übernommen, der das flache rote Backsteingebäude mit den schmucken grünen Fensterläden Ende des 19. Jahrhunderts bauen ließ.
Viel Personal brauchte man im Gasthaus Hugo Weiß nicht. Man hatte schließlich vier erwachsene Kinder, die mit zupacken konnten.
Da war Erna, die Mamsell, die hier schon viele Jahre ihren Dienst tat und eine sehr gute Köchin war. Mittlerweile war sie etwas in die Jahre gekommen. War sie 60 oder älter? Das wusste niemand so ganz genau. Erna selbst sprach nicht darüber.
Auch Marie, noch jung an Jahren, gehörte als Magd mit zum Haushalt, genauso wie der Knecht Paul. An den Werktagen hatten sie am Vormittag im Laden Hilfe von Mine.
Mutter Anna stand dem Haushalt und dem Laden vor. Haus und Hof hatten blitzblank in Ordnung zu sein. Daneben kümmerte sie sich um das Kleinvieh und den Garten, in dem neben Blumen allerlei Gemüse wuchs.
Für die Feldarbeit gab es Saisonkräfte, die bei der Saat und bei der Ernte halfen. Die Leute wohnten in den beiden kleinen Insthäusern gegenüber dem Wohn- und Gasthaus.
Käthe rieb sich den letzten Rest Müdigkeit aus den Augen. »Dann wollen wir mal!« Durch die Gartentür gingen sie ein paar Schritte in Richtung Stall, wo Marie und Paul schon dabei waren, die acht Kühe zu melken. Die Schwestern banden sich ihre Kopftücher um und schnappten sich eine der Forken, die am Scheuneneingang am Haken hingen. Sie machten sich daran, den Kuhstall auszumisten. Den Schweinekoben würden sie sich später auch noch vornehmen.
Als sie fertig waren, holte Lotte noch schnell die Blechschüssel aus der Küche und stieg damit die schmale Treppe hinauf auf den Dachboden, um in der Kornkammer Mengsel und Hühnergerste für das Federvieh zu holen. Sobald sie damit den Stall betrat, ging ein eifriges Gegacker los, und Hühner, Gänse, Enten und Truthähne flatterten ihr aufgeregt entgegen.
Diese Arbeiten gehörten jeden Morgen in der ersten Stunde nach dem Aufstehen zum Leben. Erst kam das Vieh, dann der Mensch. Niemand störte sich daran.
Nachdem die Tiere versorgt waren, gab es um 6 Uhr das erste Frühstück. Dazu saß die Familie mit den Leuten am großen Tisch in der Küche. Es gab Klunkermus, eine süße Milchsuppe mit Mehlklümpchen, und ein Stück Brot mit Butter dazu. Bevor sie anfingen zu essen, wurde von Mutter Anna die tägliche kurze Andacht aus der Bibel gelesen.
Anna war eine gute Christin und brachte den Glauben auch ihren Kindern und Angestellten nahe. Sie war nun mittlerweile 48 Jahre alt, und die viele Arbeit in Haus, Hof, Laden und Gastwirtschaft hatten sie ausgezehrt. Ihr Rücken war schon leicht gebeugt, und oft taten ihre Knochen weh. Doch sie war immer noch eine schöne Frau mit einem aparten Profil, kräftigem Kinn und graziler Nase. Das Haar trug sie zu einem Knoten streng nach hinten frisiert. Es war inzwischen mit Silberfäden durchzogen, aber das stand ihr gut. Ihr Körper war immer noch schlank und ansehnlich trotz der vier Kinder, die sie geboren und erzogen hatte. Sie war stets adrett gekleidet.
»Sag mal, Käthe, was meinst du, wann bei uns mal wieder richtig was los ist im Gasthaus?« Lotte sah fragend ihre große Schwester an, während sie gähnend in ihrer Suppe rührte.
»Warum, los ist doch immer was! Ich kann mich über zu wenig Arbeit nicht beklagen!«
»Ich meine so richtig, mit Musik und Tanz. Nicht immer nur die Bauern, die abends am Stammtisch ihr Bier trinken und Karten spielen. Der Winter war so langweilig!«
»Na warte mal ab, Kleine, die Saison geht ja bald los. Dann haben wir demnächst das Ostergeschäft, das Pfingstgeschäft, Hochzeiten, Vereinsfeiern . na, ihr wisst schon. Jedes Jahr das Gleiche.« Käthe sah ihre Schwester verständnislos an. Was Lotte nur immer feiern wollte. Ihr genügte das stille Landleben. Am Nachmittag mal in aller Ruhe im Garten in der Sonne sitzen, den Blick über die Wiesen streifen lassen und den Pferden und Kühen beim Grasen zusehen. Das gefiel ihr besser als der Trubel bei den Feierlichkeiten.
Lotte aber freute sich. Etwas Abwechslung konnten sie nach dem langen Winter wirklich gebrauchen. Sie waren junge schöne Frauen, und es musste sich doch auch mal jemand hierher verirren, der nicht aus ihrer 300-Seelen-Gemeinde Koschainen stammte.
An diesen noch etwas kühlen Frühlingstagen war die Saat schon ausgebracht und zeigte erste Ergebnisse. Zarte grüne Halme Korn und auch Kartoffelpflanzen wuchsen auf ihren 60 Morgen großen Feldern, dahinter stand die Wiese für die Kühe. In den 20 mit Pferdemist gedüngten Frühbeeten zeigten zarte Pflänzchen ihre ersten Spitzen und konnten bald ins Freie ausgesetzt werden.
»So, Marjellchens, schnappt euch einen Besen, Eimer und Schrubber - die Gaststube ist fällig!« Mutters Worte ließen keine Widerrede zu. Aber die drei fügten sich ohne Murren, es war ja jeden Tag so. Hier mussten alle mit anfassen. Vater und Bruno waren mit Paul im Stall zugange und schleuderten die frisch gemolkene Milch in der Zentrifuge.
Käthe schaute noch schnell in den Hühnerstall und fand fünf Eier in den Nestern. »Hier, Erna, hab ich dir mitgebracht. Mehr als fünf waren es nicht.«
»Na, der Tag ist noch lang, Marjellchen.« Erna in der Küche strahlte wie immer Ruhe aus und nahm Käthe dankend die Eier ab. Gleich würde sie mit der Herrin des Hauses den Essensplan für den Tag besprechen.
»Vielleicht mache ich Schmandheringe mit Kartoffeln. Oder einfach Kartoffelklöße mit Specksoße und etwas grünen Salat?« Erna überlegte. Der erste Blattsalat war in den Frühbeeten schon ordentlich gewachsen und konnte geschnitten werden. Da es ein Wochentag war, wollte sie etwas Einfaches für die Familie und die Leute vorschlagen. Für die Gaststube würde man drei Gerichte auf die Karte nehmen, die schnell zuzubereiten waren. Kartoffelsalat hatte sie noch von gestern im Kühlkeller.
Anna hatte mit der Magd Marie am gestrigen Abend schon die Wäsche mit dem Waschsoda Henko eingeweicht. Die war heute noch fällig. Darum würde Marie sich kümmern, denn sie selbst hatte im Laden zu tun. Jetzt sortierte sie Waren in die Regale, die gestern geliefert worden waren. Auf ihre Kolonialwaren war Anna besonders stolz. Aus einer großen Kiste packte sie Reis, das Pfund zu 15 Pfennig, und Zucker zu 62 Pfennig. Auch ein paar Tüten echten Bohnenkaffee stellte sie dazu, ein Luxus, den sich nicht viele leisteten, denn für das Pfund musste man drei Reichsmark 50 berappen. Deshalb kauften ihn die meisten nur in Viertelpfundtütchen. Butter hatten sie im Fass, ebenso das Sauerkraut. Selbst gemachter Käse stand unter der Glasglocke, auch geräucherten Speck und Schinken boten sie an. Hühnereier gab es en gros in einem großen Weidekorb, die frischesten auf der linken, die von gestern und vorgestern auf der rechten Seite. Milch hatten alle Dörfler selbst. Auch die Instleute hielten sich auf ihren kleinen Höfen eine Kuh und ein paar Hühner und waren damit versorgt.
Vater sattelte gerade sein Pferd, um einen frühen Ausritt über die Felder zu machen und nach dem Rechten zu sehen. Sohn Bruno hatte den Kastenwagen angespannt, denn er wollte nach Miswalde auf den Markt fahren, um neue Ware für den Laden zu holen.
Um 9 Uhr versammelten sich alle wieder um den großen Tisch mit der Glanzdecke in der Küche. Es...
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