Entlang Jütlands Westküste
Törnvorschlag 1: Von Rømø zum Thyborøn-Kanal
Dies ist das Revier der Individualisten und jener, die eigentlich nach Norden streben, nach Norwegen oder in den Limfjord, und die deshalb so schnell wie möglich an dieser gefürchteten Küste vorbeisegeln wollen.
Den Individualisten braucht man über Jütlands Westküste nichts mehr zu erzählen: Sie kennen ihre Schönheit, ihre Stille und Einsamkeit. Allen anderen aber sei dieser Törnvorschlag gewidmet, vor allem den Ostseeseglern, die schon alles von Dänemark zu kennen glauben, jedoch aus Scheu vor einer Gezeitenküste dieses Revier bisher gemieden haben.
Von Rømø nach Thyborøn am Limfjord - das ist nur Küstenfahrt, aber eine, die von Boot und Crew zuzeiten so viel verlangt, als ginge es über die hohe See.
Das berüchtigte Horns Rev, das vor Blåvandshuk, der westlichsten Spitze Dänemarks, 20 sm weit in die Nordsee hinausgreift, zieht eine ziemlich scharfe Trennungslinie:
Nach Süden erstreckt sich bis hinunter nach Sylt das große dänische Wattenrevier mit seinen mächtigen Sänden und tiefen Seegatten, die Fortsetzung unseres nordfriesischen Watts, ihm ähnlich, aber doch urtümlicher, einsamer, und von Yachten nur selten befahren.
Im Norden dann die Lagunenküste. Eine endlose Kette hoher Sanddünen, hinter denen sich zwei schöne Binnenseen verbergen: der Ringkøbing Fjord, den man durch die Schleuse von Hvide Sande anlaufen kann, und der kleinere Nissum Fjord bei Thorsminde, der jedoch inzwischen dicht ist, jedenfalls für eine Yacht mit stehendem Mast.
Das Wattenrevier fordert einem schon einiges an Navigation ab, vor allem an Gezeitennavigation - es sei denn, man wollte nur daran vorbeisegeln -, während man nördlich von Blåvandshuk keine besonderen Probleme mehr haben dürfte. Bei Horns Rev allerdings sieht es ganz anders aus, aber das ist ein Kapitel für sich.
Die gesamte Strecke ist die meiste Zeit eine Leeküste, die unter Seefahrern von alters her Furcht und Schrecken verbreitet hat. Westliche und nordwestliche Winde überwiegen bei Weitem; und zudem lag an dieser Küste früher kein einziger Hafen, der leicht anzulaufen war. So war die Geschichte der Küste über Jahrhunderte eine Geschichte nicht mehr zu zählender Schiffskatastrophen. Diesen Ruf, gefährlich zu sein, hat sie unter Seglern heute noch.
Zu Unrecht, denn erstens gibt es mehrere gute, wenn auch ziemlich weit auseinander liegende Häfen. Zweitens haben wir heute ganz hervorragende Navigationshilfen, angefangen vom Wetterbericht bis hin zu GPS. Und schließlich - und dies ist wohl das Wichtigste - haben unsere Yachten, ganz anders als die alten Rahsegler, die Fähigkeit, hoch an den Wind zu gehen und sich von einer Leeküste freizusegeln.
Dass West- und Nordwestwinde hier vorherrschen, wurde schon erwähnt; dass das Mittel im August bei 3 Bft liegt, sei ergänzt, wiewohl dies nichts besagt. Denn entscheidend ist das Wetter an dem Tag und zu der Stunde, da wir ablegen wollen - Mittelwerte helfen da nicht sehr viel. Deshalb ist es unerlässlich, sich ständig über die aktuelle Wetterlage zu informieren, und das heißt, den Wetterbericht zu hören.
In einem warmen Sommer haben wir es nicht nur mit dem Wind der »Großwetterlage« zu tun, sondern gerade in Küstennähe mit thermischen Winden, dem Land- und dem Seewind. Bedingt durch die Erwärmung des Landes durch die Sonne weht der Seewind zum Land hin: Er pflegt gegen Mittag einzusetzen und seine größte Stärke am späten Nachmittag zu erreichen, um dann bei Sonnenuntergang sanft einzuschlafen. Nachts vollzieht sich der umgekehrte Vorgang: Die Luft über dem Wasser ist etwas wärmer als über dem Land. In der zweiten Nachthälfte erhebt sich der Landwind und weht bis in den Vormittag hinein.
Die Gezeiten spielen hier noch eine Rolle, verlieren aber an Bedeutung, je weiter man nach Norden kommt. Bei Rømø beträgt der mittlere Tidenhub noch 1,6 m, in Thyborøn aber nur noch 0,5 m.
Nördlich von Horns Rev läuft ziemlich beständig Strom parallel zur Küste nach Norden. Bei Blåvandshuk misst er zwar nur unerhebliche 0,25 kn, doch nordwärts wird er immer stärker, bis er bei Hanstholm ansehnliche 1,5 kn erreicht.
Neben den Seekarten braucht man hier die Gezeitentafeln des BSH, die jedes Jahr aktualisiert herausgegeben werden.
Distanzen: Rømø (von Helgoland aus 65 sm, von Hörnum auf Sylt aus 35 sm) - Ansteuerung Knudedyb (25 sm) - Esbjerg (17 sm) - Hvide Sande (48 sm) - Thorsminde (25 sm) - Ansteuerung Thyborøn-Kanal (24 sm).
Man sieht: Das sind schon beträchtliche Entfernungen, die bedacht sein wollen, zumal es zwischen den genannten Häfen nirgendwo eine Möglichkeit gibt, Schutz zu finden, sodass es - wie schon gesagt, aber man kann es nicht oft genug wiederholen - sehr angebracht ist, sich vor jedem Auslaufen über die Wetter- und Seeverhältnisse sorgfältig zu informieren.
Wasserstände. Das BSH veröffentlicht täglich die aktuellen Wasserstände. Allerdings nur für das deutsche Seegebiet: www.bsh.de, unter Daten: Wasserstand Nordsee.
Lister Landtief. Die übliche Ansteuerung nach Rømø, die auch die Berufsschifffahrt nimmt, verläuft durch das breite und tiefe Lister Tief. Das ist ein sicheres, aber auch etwas langweiliges Fahrwasser. Nachts muss man es nehmen. Tagsüber aber und wenn die Seeverhältnisse es zulassen, können wir einen spannenderen Kurs wählen: durch das Lister Landtief, das einen allerdings verwunderlich nahe am Strand von Sylt vorbeiführt.
Die Mitte-Schifffahrtsweg-Tonne des Lister Landtiefs, die rot-weiße Spiere mit einem Ball-Toppzeichen, WP 6001: 55°02,60'N 008°20,85'E, findet man knapp 2 sm südwestlich des Leuchtturms ListWest (11 m hoher weißer Turm mit roter Laterne, Oc.WRG.6s). Sollte die Spiere versetzt sein, so nimmt man die oben angegebene Position als Wegpunkt und, sobald man den erreicht hat, hält man nach der Spiere Ausschau. Weit wird sie nicht weg sein. Sollte man sie allerdings nicht ausmachen, darf man auch nicht in das Landtief einfahren.
Es ist gleichgültig, ob man den weiten Weg von Helgoland hierher gekommen ist oder von Hörnum: Am einfachsten wird es immer sein, man hält auf die Skyline von Westerland auf Sylt zu, diesem Klein-Manhattan hoch über dem Strand, und läuft parallel zur Küste in Richtung Norden, vorbei am Leuchtturm Kampen (weiß mit schwarzem Band, LFl.WR.10s), wo auch der berühmte Strand von Buhne 16 liegt.
Mit diesem Kurs müsste man auf die Tonne Lister Landtief stoßen. Hier angekommen, heißt es dann, sich zu entscheiden: Sind die Verhältnisse so, dass ich hier einlaufen kann, oder nicht, sodass ich den weiten Weg zum Lister Tief machen muss? Bei Niedrigwasser standen auf der flachsten Stelle lange nur 2 m Wasser. Dies war das Maß. Inzwischen ist das Lister Landtief etwas tiefer geworden, führt auch nicht mehr ganz so nahe am Strand vorbei. Aber wir wissen: Die Veränderung ist in einem Wattenrevier die einzige Konstante. Also immer mit der schlechtesten Möglichkeit rechnen.
Lister Landtief
HW etwa 1 h 26 min vor HW Helgoland
NW etwa 1 h 23 min vor NW Helgoland.
Die weiteren Faktoren, die bedacht sein wollen, sind: Zeitpunkt und Richtung des Stroms sowie Richtung und Stärke des Windes.
Nehmen wir an, wir haben unseren Törn so geplant, dass wir mit auflaufendem Wasser hier angekommen sind. Am besten so ein, zwei Stunden vor Hochwasser. Dann würde uns ein Strom von etwa 3 kn in das Lister Landtief hineinziehen, was schon ganz beträchtlich ist. Optimal wäre es natürlich, wenn man zusätzlich noch Wind aus westlicher Richtung hätte. Es können ruhig 5 Bft sein. Das wäre dann Segelgenuss in der Potenz. Steht der Wind hingegen aus Ost, dann wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als den Motor anzuwerfen; denn zum Kreuzen ist das Lister Landtief zu eng. Vorsicht bei Strom gegen Wind!
Bis zur ersten roten Spierentonne, der LL 2, hat man noch die Möglichkeit umzukehren, dann aber ist es damit vorbei. Das Fahrwasser wird trichterförmig enger, und auch wenn man glaubt, dass dies nicht gutgehen kann, darf die Parole nur noch lauten: weiter und durch!
Nördlich vom eigenen Kurs sieht man übrigens immer die grünen Tonnen des Lister Tiefs. Sie stehen verführerisch nahe. Aber man darf um Himmels willen nicht auf die Idee kommen, darauf zuzulaufen. Denn davor liegt der berüchtigte Salzsand, eine breit hingestreckte Untiefe, auf der manchmal sogar Brandung steht. Hat man die...