Schweitzer Fachinformationen
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Es geschah auf unserer dritten Weihnachtsfeier in diesem Advent. Wir waren bei einer Kollegin von Thies eingeladen, deren Wohnzimmer ein bisschen aussah wie ein Geschäft für Christbaumdeko. Der ganze Raum glitzerte und funkelte, und über jedem Türrahmen baumelte ein Mistelzweig. Ich spürte schon den ganzen Abend diese Unruhe in mir. Eigentlich musste ich noch an den Schreibtisch. Eigentlich hatte ich zu viel zu tun für Glühweingespräche über Familientraditionen an Heiligabend.
Ich beteiligte mich gerade halbherzig an einer Diskussion über die Frage »Fondue oder Würstchen mit Kartoffelsalat?«, als mein Blick auf Thies fiel. Er unterhielt sich mit zwei Kollegen, die bereits rote Lippenränder vom Cranberrypunsch hatten und sich über irgendetwas kaputtlachten. Thies stand milde lächelnd dabei, ein Glas Wasser in der Hand. Ich sah an ihm herunter und dachte: Seine Jeans sitzen lockerer als sonst. Die Gastgeberin kam gerade mit einem Teller frisch gebackener Vanillekipferl vorbei und blieb vor Thies' Gruppe stehen. Die anderen griffen zu, mein Freund winkte dankend ab.
Unsere Blicke trafen sich. Ich hob sachte die Augenbrauen. Er verzog sein Gesicht zu einem schrägen Lächeln und fasste sich mit einer Hand an den Oberbauch. Ich schob mitleidig die Unterlippe vor. Er machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Haustür, und ich nickte.
Minuten später liefen wir durch den nebligen Dezemberabend nach Hause. Die Luft war so feucht, dass sich kleine Tropfen in den Strähnen meines Pagenkopfes sammelten, die vorne aus dem Strickstirnband herausschauten. Thies griff nach meinem langen Mantelärmel und tastete darin nach meiner Hand.
»Wir hätten gern noch bleiben können«, sagte ich und umschloss seine Finger, die wie immer herrlich warm waren.
»Och, mir war auch eher nach Sofa.« Er grinste hinter seinem riesigen gestreiften Wollschal hervor, den seine Mutter Mo ihm letzte Weihnachten gestrickt hatte. Ob sie ihm dieses Jahr eine passende Mütze schenken würde? Oder beglückte sie uns wieder mit einem ihrer Ölgemälde, das sie wie jedes Mal mit dem Hinweis überreichen würde, es passe perfekt über unser Sofa? Bekamen wir überhaupt etwas geschenkt, da sie in diesem Jahr erstmals nicht mit uns feierte?
»Was ist mit deinem Bauch?«, fragte ich Thies, der angefangen hatte, Last Christmas mitzusummen, das von einem Schmalzkuchenstand an der Straßenecke zu uns herüberklang.
Er unterbrach sein Summen. »Ich will gerade mal den Zucker weglassen.«
Ich prustete los. Thies blieb stehen und sah mich empört an. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm noch immer lachend einen Kuss auf seinen weichen Mund, wobei wir beide einen kleinen Stromschlag bekamen.
Ich küsste ihn erneut, diesmal ohne Stromschlag, und sagte: »Entschuldige, aber du weißt schon, dass in acht Tagen Weihnachten ist?«
»Für so etwas ist nie der richtige Zeitpunkt.« Er klang eingeschnappt.
»Aber ein bisschen bessere gibt es schon. Schließlich ist nur einmal im Jahr Weihnachten.« Ich schob meine kleine kalte Hand zurück in seine große warme und zog ihn weiter. »Ich würde jedenfalls ungern auf deine Zimtsterne verzichten.«
»Ich back dir welche.«
»Und die Unmengen an, na ja, sagen wir, etwas fest geratenen Lebkuchen, die Mo uns dagelassen hat, kann ich auch nicht alle alleine essen.«
»Ich nehme welche mit ins Büro.«
Ich wollte wieder lachen, als mir bewusst wurde, dass er es ernst meinte. Mein gemütlicher Genießerfreund, für den ein ganz normaler Mittwoch Anlass genug war, uns ein Dreigängemenü zu zaubern, und für den die Weihnachtszeit mit ihren Versuchungen die schönste Saison des Jahres war - er wollte auf Zimtsterne und Lebkuchen verzichten?
Wir bogen von der Hauptstraße in eine ruhigere Nebenstraße des Bremer Viertels ab, in dem wir seit einem Jahr wieder Vollzeit zusammenwohnten. Thies war zuvor zwei Jahre nach Berlin gependelt. Früher war dies das Studentenviertel der Stadt gewesen, und noch immer gab es jede Menge Kneipen und Cafés in Fußnähe. Aber die hübschen Bremer Altbauten in den Kopfsteinpflastergassen waren dank Gentrifizierung fast nur noch von Leuten bewohnt, die das Studium lange hinter sich hatten. Wie wir.
»Wann fliegt Mo eigentlich?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.
Thies stöhnte leise auf. Er hatte mit der Sache noch keinen Frieden gemacht, auch wenn er es nicht zugeben wollte. »Überübermorgen, glaub ich.«
»Fährst du noch mal hin?«
»Ja, ich muss, eine der Rollen an ihrem Koffer klemmt.«
Wir kicherten beide.
Die Pflastersteine unserer schmalen Straße glänzten feucht im Laternenlicht. Vergnügt ließ ich den Blick über die Häuser wandern, an denen wir vorbeiliefen. Einige unserer Nachbarn hatten leuchtende Rentiere im Vorgarten stehen, bei Herrn Meyerhoff waren Lichterketten um die efeuumrankten Treppengeländer geschlungen. Familie Siemers hatte die Fensterrahmen mit blinkenden Girlanden geschmückt. Es sah ein wenig aus wie in einer Coca-Cola-Werbung, ein bisschen too much, aber trotzdem wunderschön, und mir wurde ganz feierlich zumute.
Nur unser kleines Häuschen lag still und ungeschmückt im Dunkeln da. Thies hatte seit dem ersten Dezember gesagt, er würde die Dekoration bald aus dem Keller holen. Bisher hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht, aber so langsam wunderte es mich doch, dass es bei der Ankündigung geblieben war. Sogar in den Jahren, in denen er unter der Woche in Berlin gelebt hatte, hatte er als einer der Ersten in unserer Straße die Lichterketten aufgehängt.
Wir traten durch unser quietschendes Vorgartentörchen. Ich drehte mich zu Thies und umfasste sein Gesicht, das er eindeutig länger als drei Tage nicht rasiert hatte, mit beiden Händen.
»Alles okay bei dir?«, fragte ich sanft und sah ihn eindringlich an.
Er beugte sich ein Stück zu mir runter und stupste mit seiner Nase gegen meine. »Ja, wieso?«
»Na, du bist doch mein Weihnachtself.« Ich strich ihm über die stoppeligen Barthaare. »Hab ich recht, dass du in diesem Jahr nicht richtig in Weihnachtsstimmung bist?«
Er stupste erneut mit seiner Nase gegen meine. »Ich häng die Sachen am Wochenende auf, versprochen.« Er küsste mich, und wir gingen rein ins Warme.
Im Flur streiften wir die Mäntel und Schuhe ab, und ich schlüpfte in die Rentierhausschuhe, die ich mal beim Schrottwichteln in meiner alten Firma bekommen hatte und jedes Jahr in der Adventszeit hinten aus dem Schrank holte. Das Erdgeschoss unseres Häuschens bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem sich die Küche, ein Esstisch, ein großes Sofa und mein Arbeitsplatz befanden. Weil Thies bisher nicht dekoriert hatte, hatte ich vor ein paar Tagen auf den Fensterbänken und Tischen einige Kerzen verteilt, die ich nun anzündete. Thies kramte in der Küche herum, es sah fast so aus, als wolle er noch backen.
Ich holte mir ein Glas Wasser und setzte mich damit an meinen vollgestellten Flohmarkt-Schreibtisch. Zwischen Notizbüchern und Emaillebechern mit Stiften und Pinseln lagen die ersten Entwürfe für einen Adventskalender mit illustrierten Sprüchen, Rezepten und Bastelanleitungen. Auch wenn er erst im nächsten Winter erscheinen sollte, musste ich noch vor Weihnachten erste Illustrationen beim Verlag vorlegen. Da im Advent auch mein Onlineshop für Karten, Poster und Prints brummte, kam ich kaum hinterher. Umso dankbarer war ich Thies, dass wir uns so früh von der Feier verabschiedet hatten und ich nun noch etwas arbeiten konnte.
Gelegentlich hatte ich den Eindruck, meine Kreativität wäre eine Fledermaus. Sie kam oft erst raus, wenn es dunkel wurde, vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn von draußen die Weihnachtsbeleuchtung der Nachbarn durch die Fenster schien. Thies saß dann entweder mit Kopfhörern vor dem Fernseher, oder er beantwortete noch Mails oder bereitete wie jetzt gerade etwas in der Küche vor, wobei er leise vor sich hin summte. Manchmal kam er vorbei und stellte mir mit einem Augenzwinkern einen Tee neben den Computer oder massierte kurz meine Schultern. Und ich saß hier und zeichnete friedlich vor mich hin. Niemand rief an um diese Zeit. Niemand wollte etwas von mir. Es gab nur mich und meine Ideen.
Gerade als ich ein kleines Rentier skizzierte, an dessen Geweih Lichterketten hingen, hörte ich es. Acht Tage vor Weihnachten, an einem ganz normalen Wochentag, während draußen der Dezembernebel über die Bürgersteine kroch. Da klopfte jemand an unserer Tür.
Thies reagierte zuerst und lief zur Haustür. Er wechselte ein paar Worte mit jemandem. Kalte Luft zog ins Wohnzimmer.
»Anni?«, rief Thies aus dem Flur. »Kommst du mal?«
Etwas missmutig entknotete ich meine Beine, schlüpfte wieder in die Plüschpantoffeln und schlurfte zur Haustür. Thies hatte kein Licht angemacht, sodass ich nur seine große Silhouette im Dunkeln sah und dahinter an der Türschwelle eine kleinere, schmalere Gestalt. Sie bewegte sich, und das Außenlicht sprang an.
Da stand ein junges Mädchen in einem Militärparka, einen fusseligen Schal um die untere Gesichtshälfte geschlungen, einen Gitarrenkoffer auf dem Rücken. Ihre Haare waren schwarz gefärbt, die Augen dunkel geschminkt, weshalb ich einen Moment brauchte, um sie zu erkennen.
»Hi Anni«, sagte sie in ihren Schal hinein.
»Morlen!« Ich lief auf die Tochter meiner besten Freundin zu und umarmte sie, was ihr offensichtlich unangenehm war. Dreizehnjährige nicht einfach umarmen, notierte ich innerlich, nicht mal, wenn du sie kennst, seit sie klein waren. Laut sagte ich: »Komm rein,...
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