Schweitzer Fachinformationen
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Albert Scherr
Zu den Erscheinungsformen, der Verbreitung und den Ursachen des neueren Rechtsextremismus, der sich in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern seit den 1990er Jahren entwickelt hat, liegen inzwischen umfangreiche empirische Studien1 und theoretische Analysen2 vor. Diese ermöglichen es, über die Dimensionen und die Verbreitung eines geschlossenen rechtsextremen Weltbildes sowie nationalistischer, antidemokratischer, fremdenfeindlicher, antisemitischer und rassistischer Einstellungen gut begründete Aussagen zu treffen.3 Zudem haben die Studien zur sog. gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Rahmen einer Langzeituntersuchung Daten über Vorteile und Ungleichwertigkeitsvorstellungen erhoben.4
Darüber hinaus hat sich ein umfangreicher Diskurs zu den Möglichkeiten und Grenzen von staatlich-politischen, zivilgesellschaftlichen und pädagogischen Strategien gegen Rechtsextremismus, einschließlich der schulischen und außerschulischen Bildung, entwickelt.5 Auch wenn im Hinblick auf einige Bereiche noch Forschungsdefizite festzustellen sind6, kann gleichwohl davon ausgegangen werden, dass ein ausreichendes Wissen zu zentralen Dimensionen der Problematik verfügbar ist. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden ausgewählte Forschungsergebnisse, insbesondere aus der Forschung zu rechtsextremen Einstellungen, vorgestellt und einige Implikationen für die politische Bildung verdeutlicht. Dabei soll es hier nicht darum gehen, erneut einen breiten Überblick über den Stand der Forschung zu geben, sondern um die pointierte Darstellung von Aspekten, die m. E. für die politische Bildung in besonderer Weise relevant sind.
Diesbezüglich wird akzentuiert, dass politische Bildung nicht von einer klaren Unterscheidbarkeit zwischen der Teilgruppe der Rechtsextremen und einer Bevölkerungsmehrheit ausgehen kann, deren politische Überzeugungen keinerlei Affinitäten zu rechtsextremen Positionen aufweisen. Abschließend werden Konsequenzen dieses Sachverhalts für die politische Bildung aufgezeigt.
In der neueren empirischen Forschung wird Rechtsextremismus als Zustimmung/Ablehnung in Hinblick auf sechs Dimensionen erhoben: Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Befürwortung einer autoritären Diktatur, nationaler Chauvinismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Auf der Grundlage repräsentativer Befragungen wird der Anteil derjenigen, bei denen ein rechtsextremistisches Einstellungssyndrom vorzufinden ist, für die Bundesrepublik von Richard Stöss (2010, 64 ff.) auf ca. 10 % der Gesamtbevölkerung7 eingeschätzt, bei erheblichen Differenzen zwischen den Bundesländern: Die östlichen Bundesländer erzielen höhere Werte als die westlichen, aber auch Bayern und Baden-Württemberg weisen mit 13 % überdurchschnittliche Werte auf. Ältere und neuere Studien deuten übereinstimmend darauf hin, dass die geäußerte Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen sozialstrukturell und demografisch ungleich verteilt ist: Sie fällt bei Arbeitslosen, Arbeitern und Facharbeitern sowie Rentnern im Vergleich zu Angestellten, Beamten und Selbstständigen höher aus, bei über 55-Jährigen höher als bei 12- bis 24-Jährigen.
Es wäre jedoch allzu vereinfachend, rechtsextreme Orientierungen in einem eindeutigen Zusammenhang mit sozialstrukturellen Positionen, insbesondere mit sozialen Benachteiligungen, zu sehen. Neuere Untersuchungen belegen "die Existenz eines rechtspopulistischen Potenzials, das sich aus höchst unterschiedlichen, zum Teil geradezu gegensätzlichen Motiven und Interessenlagen speist" (Dörre 2008, 249). Klaus Dörre unterscheidet entsprechend einen "rebellischen" Rechtspopulismus der Benachteiligten, dem die Überzeugung zugrunde liegt, dass die eigenen, national verstandenen Interessen von der herrschenden Politik nicht vertreten werden, von einem "konformistischen" Rechtspopulismus, der sich bei denjenigen findet, die sich in vergleichsweise gesicherten und gehobenen sozialen Positionen wissen (ebd., 250 ff.).
Bei etwas näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Zustimmung zu den einzelnen Dimensionen des rechtsextremen Einstellungssyndroms sehr unterschiedlich ausgeprägt ist (s. Decker/Brähler/Geißler 2006; Decker u. a. 2008; Decker/Kiess/Brähler 2012):
Eine sehr hohe Zustimmung erzielen also Aussagen, die an die Vorstellung einer Konkurrenz zwischen Deutschen und Ausländern um Arbeitsplätze und Sozialleistungen sowie das Bedürfnis nach einer positiven nationalen Identifikation appellieren. Dem entspricht, dass in der Studie "die Ängste der Deutschen" (R+V) die "Angst vor Spannungen durch weiteren Zuzug von Ausländern" zwischen 1993 und 2000 von 40-50 % der Befragten genannt wird und damit unter den 7 am häufigsten genannten Ängsten platziert ist. Für das Jahr 2012 wird dort festgestellt, dass die Angst vor "Spannungen durch Ausländer" mit 41 % auf Platz 7 der 'Hitliste' der häufigsten Ängste rangiert.8
In den Allbus-Daten zeigt sich auch, dass ablehnende Einstellungen gegenüber Minderheiten nicht Ausdruck einer unspezifischen Fremden- oder Menschenfeindlichkeit sind und deshalb auch nicht zureichend sozialpsychologisch verstanden werden können.9 Sie verweisen auf Feindbildkonstruktionen und politische Diskurse, in denen bestimmte Gruppen als problematische und/oder gefährliche Fremde konstruiert werden:
Anteil derjenigen, denen eine Person aus der genannten Gruppe als Nachbar eher unangenehm wäre (Allbus 2008; eigene Berechnung)
Anteil derjenigen, denen die Einheirat einer Person aus der genannten Gruppe in die eigene Familie eher unangenehm wäre
Nicht zu übersehen ist auch, dass es deutliche Anzeichen dafür gibt, dass sich ein verbreitetes Bedürfnis nach positiver nationaler Identifikation mit einer Schlussstrichmentalität verbindet, deren erwartbare Konsequenz die Zurückweisung einer besonderen moralischen Verpflichtung im Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen ist.
Es wird Zeit, dass unter die nationalsozialistische Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen wird (Allbus 2006, eigene Berechnung)
Würden Sie sagen, dass Sie stolz sind, Deutsche(r) zu sein?
Entsprechend appelliert auch die NPD an Nationalstolz in Verbindung mit Gefühlen sozialer Benachteiligung und Ressentiments. Sozialkritik wird in der Form eines ausgrenzenden Nationalismus artikuliert, indem z. B. 'Arbeitsplätze für Deutsche!' gefordert werden und die 'Rückführung von Ausländern' als Mittel gegen Arbeitslosigkeit propagiert wird:
"Wenn ein Ausländer Arbeit hat, besetzt er einen Arbeitsplatz, den grundsätzlich auch ein Deutscher einnehmen könnte; und wenn ein Ausländer keine Arbeit hat und deshalb Sozialleistungen bezieht, belastet er den Sozialstaat. Ob mit Arbeit oder ohne Arbeit - jeder Ausländer, der nicht gerade zu den Selbständigen gehört, nimmt Deutschen Arbeit und Sozialleistungen weg. Wem denn sonst?"10
In eine jugendgemäße Form gebracht wird diese Verbindung von Sozialkritik und Nationalismus auf der sog. Schulhof-CD der NPD, welche die Situation...
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