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II.
Zum Verstehen des Todes Jesu am Kreuz im Neuen Testament
1. Einleitendes: Gottes Gegenwart - auch im Tod Jesu?
Ohne das Zeugnis, »dass Gott Jesus von den Toten aufgeweckt hat«, wäre das Kreuz Jesu ein Monument des Scheiterns und der Schande geblieben. Zeichen eines sinnlosen Todes, eines von vielen, in denen die sich den Schein des Rechts gebende Barbarei imperialer Macht triumphierte. Die zum Tod am Kreuz Verurteilten wurden nackt an ihm angenagelt oder festgebunden, öffentlicher Schande und einem qualvollen Tod preisgegeben. Wenn Gott Jesus von den Toten aufgeweckt hat, dann muss er doch auch bei Jesu Leiden und Tod »da« gewesen sein. Dann kann diese grauenhafte Tatsache seiner Hinrichtung nicht selbstmächtig für sich stehen. Wie Gott »da« war und was er mit und aus diesem Geschehen gemacht hat, darauf fanden Verfasser neutestamentlicher Schriften Antworten mithilfe ihrer Bibel und ihrer jüdischen Tradition.
2. »Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Das Mitsein Gottes in den Erzählungen von der Passion Jesu
»Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung« - so hat Martin Kähler die Evangelien bezeichnet.10 Er wollte damit deutlich machen, dass die Quellenlage für eine Rekonstruktion des »Lebens Jesu« miserabel ist. Aber auch außerhalb dieser Diskussion ist das eine treffende Charakterisierung. Was alle vier Evangelien über den letzten Tag Jesu ausführen, nimmt einen unverhältnismäßig großen Raum ein. Das tritt besonders stark im Johannesevangelium hervor. Dort steht die umfangreiche Beschreibung dieses letzten Tages einer über zweijährigen Wirksamkeit Jesu gegenüber, deren Darstellung nur wenig länger ausfällt. Darüber hinaus wird in allen Evangelien auf die Passion schon weit vorher hingewiesen. Das lässt fragen, warum deren Darstellung ein so großes Gewicht erhält. Weil Gott Jesus von den Toten aufgeweckt hat, galt dieser den Evangelisten und ihrer Leser- und Hörerschaft in den Gemeinden als Gesalbter, als endzeitlicher Messiaskönig. Für Außenstehende war das eine nicht ausgewiesene Behauptung, zumal zum Messias unlösbar das messianische Reich gehört. Von einer grundlegenden Veränderung in der Welt war aber nichts zu bemerken. Dieser als Messias behauptete Jesus war für sie tot. Zudem nicht einfach nur gestorben, sondern hingerichtet worden. Wie sollte er der Messias sein? Damit mussten die Autoren der Evangelien bei ihrer Darstellung der Passion umgehen. Deshalb nehmen die Passionsgeschichten einen so großen Raum ein. Sie mussten zeigen, was Gott mit dieser Passion zu tun hat.
In den Passionsgeschichten aller Evangelien wird immer wieder mit der Bibel erzählt. Das ist zwar ein die Evangelien im Ganzen bestimmender Zug. Aber in den Passionsgeschichten geschieht es in besonderer Dichte. Die Verfasser der ersten drei Evangelien im Kanon tun es mit Anspielungen, Halbzitaten und ganzen Zitaten, ohne sie als solche kenntlich zu machen. Das Johannesevangelium führt darüber hinaus ausdrücklich gekennzeichnete Zitate an. Es ist vorauszusetzen, dass die Evangelisten wussten, was sie taten. Ihr Erzählen mit der Bibel ist ein bewusst eingesetztes Mittel literarischer Gestaltung. Es dient einer theologischen Intention. Weiter ist vorauszusetzen: Auch die intendierte Leser- und Hörerschaft - die Evangelien sind von vornherein als Lesetexte für die versammelte Gemeinde geschrieben - erkannte diese Bezüge. Beim Lesen und Hören standen ihr die eingespielten biblischen Kontexte vor Augen. Jüdisches Zitieren ist - in aller Regel - ein Anzitieren. Es erwartet, dass die Lesenden und Hörenden den Text fortsetzen können und die Kontexte kennen. Zu fragen ist also: Was leistet es, dass in den Evangelien die Passionsgeschichte Jesu in besonderer Dichte mit der Bibel erzählt wird, ja, dass die Bibel sogar Teile der erzählten Geschichte überhaupt erst hervorbringt?
Ich stelle meinen Antwortversuch thetisch voran: Im Erzählen mit der Bibel wird Gott ins Spiel gebracht, wird Gott in dieses schlimme Geschehen hineingezogen, Gott, der ein Gott des Lebens ist und deshalb Leiden und Tod Jesu nicht das Letzte sein lassen wird, von dem erzählt werden kann. Gegenüber den geschichtlich mit tödlicher Gewalt handelnden Subjekten wird hier behauptet, dass ein ganz anderer das entscheidende Subjekt sei, das seine Finger im Spiel habe und dem schlimmen Geschehen eine andere Wendung gebe. Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um das Schreiben eines Drehbuchs für eine vom Himmel gesteuerte Inszenierung. Das wäre einfach nur schrecklich. Die Evangelisten schreiben im Nachhinein der geschehenen Hinrichtung Jesu. Ihnen geht es darum, der hier erfolgten faktischen Gewalt nicht den Triumph der End- und Letztgültigkeit zu lassen. Noch einmal anders gesagt: Ihr Schreiben mit der Bibel ist nicht himmlische Legitimierung schlimmen Geschehens, sondern im Gegenteil Protest gegen es.
Das sei zunächst an der Szene über die Ankündigung der Auslieferung Jesu in Markus 14,17-21 erläutert. In dieser Szene während des Pessachmahles kündigt Jesus an, dass einer seiner Schüler ihn ausliefern wird. Er charakterisiert ihn mit einer Wendung, die für alle Anwesenden gelten kann: »Einer von euch [.], der mit mir isst«. Mit dieser Wendung wird auf Psalm 41,10 angespielt: »Sogar mein Bundesgenosse, auf den ich vertraute, der mein Brot isst, hat gegen mich die Ferse erhoben.« Psalm 41 gilt als »ein Psalm Davids«. Die Verse 6-10 sprechen vom bösen Handeln der Feinde gegen den mit Krankheit geschlagenen und daniederliegenden Beter. Diese Ausführungen aber sind umrahmt von Vertrauensaussagen zu Gott wie etwa: Der Ewige wird »am bösen Tag« entrinnen lassen, wer auf den Verarmten achtet. »Der Ewige wird ihn bewahren, dass er am Leben bleibt und es ihm gut geht im Land.« (Vers 2-3) »Du aber, Ewiger, sei mir freundlich und richte mich auf!« (Vers 11) Was geschieht, wenn in dieser Weise auf eine Bibelstelle angespielt und mit ihr also ein Psalm in die Erzählung eingespielt wird? Wer beim Lesen oder Hören des Markustextes nicht nur die Anspielung auf den einen Vers registriert, sondern den Kontext und also den Psalm mithört, weiß: In dem hier angekündigten Geschehen wird nicht der Auslieferer der eigentliche Akteur sein, der mit seinem Handeln durchaus zum Ziel kommt. Vielmehr wird Gott dieses schlimme Geschehen wenden.
In dem diese Szene abschließenden Vers findet sich ein summarischer Hinweis auf die Schrift: »Der Menschensohn geht dahin, wie über ihn geschrieben steht.« (Markus 14,21) Diese Formulierung scheint die Annahme eines vorbestimmten Weges nahezulegen, eines von Gott verordneten Schicksals, das auf sich genommen werden muss. Aber Gott ist hier nicht als ein himmlischer Strippenzieher vorgestellt, der Menschen um eines höheren Zieles willen ins Elend führt. Dass dem nicht so ist, ergibt sich aus dem hart daneben gestellten Wehe: »Wehe aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird; es wäre gut für ihn, wenn jener Mensch nicht geboren wäre.« Die Spannung zwischen der Schriftgemäßheit und dem Wehe ist nicht aufzulösen, sondern auszuhalten. Es geht einmal darum, der Gewissheit Ausdruck zu geben, dass auch angesichts des jetzt zu erzählenden schrecklichen Geschehens und in ihm Gott der Souverän ist. Er wird das letzte Wort haben. Nicht Menschen setzen letzte Fakten. Der hier als »Menschensohn« bezeichnete Jesus vertraut sich selbst auf dem vor ihm liegenden schweren Weg der Führung Gottes an, nimmt dieses schlimme Schicksal aus Gottes Hand. Das mindert nicht dessen Schrecklichkeit, aber begrenzt sie. Der Weheruf zum anderen wehrt jedweder Legitimierung schlimmen Handelns von Menschen gegen Menschen. Es gibt keine höheren Zwecke, die Untaten legitimieren könnten. Die Härte des Weherufs kann man sich vielleicht durch folgende Konkretisierung etwas verständlicher machen: Es wäre besser, Hitler wäre nicht geboren worden - auch für ihn selbst.
Während Jesus am Kreuz hängt, gibt es nach Markus, genau am Mittag beginnend, eine dreistündige Finsternis. (Markus 15,33) Eine drei Stunden währende Sonnenfinsternis ist auch für antike Erfahrung keine Möglichkeit. Wenn Markus für diese Finsternis drei Stunden Dauer angibt, will er sie damit gerade von einer natürlichen Sonnenfinsternis unterscheiden und ihre Besonderheit und so die Besonderheit des hier erzählten Geschehens bekunden. Eine mögliche biblische Bezugsstelle ist Amos 8,9: »Sein wird's an jenem Tag, Spruch des Ewigen, Gottes, dass ich die Sonne am Mittag untergehen lasse und dem Land Finsternis bringe am helllichten Tag.« Der Angabe am Mittag entspricht »die sechste Stunde« bei Markus. Die Finsternis tritt also jeweils bei der größten Helligkeit ein. In Amos 8 redet der Prophet gegen die ungerechten Reichen, die die Verarmten und Verelendeten bis zum Letzten ausbeuten, ja, diese erst durch ihr Handeln zu Armen und Elenden machen. Hier besteht eine mögliche Verbindung zu den Bedrängten und den leidenden Gerechten der Psalmen. Ihr Schicksal entdeckt der Evangelist im Schicksal Jesu wieder und schreibt es in die Passionsgeschichte ein. Und so kommt auch diese Stelle aus dem Amosbuch in den Blick: Wo in solch finsterer Weise gehandelt wird, kann Gott es nur völlig finster werden lassen. Die Finsternis am hellen Tag deutet die von Gott her erfolgende Umkehrung des schlimmen Geschehens an.
Nach deren Ende heißt es: »Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme.« Was Jesus schrie, gibt Markus in griechischer Transkription auf Aramäisch wieder: eloí, eloí, lemá sabachtháni. Das ist auch...
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