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»Ita ist geboren am 22. Februar 1876 in West-Java, Residenz Krawang, auf der Zuckerfabrik Parakanteroes, was übersetzt bedeutete >Der geradeaus gehende Weg<.« Mit diesen Worten beginnt Charlien Hupkes, geborene Wegman, ihren Bericht über die Kindheit und Jugend ihrer älteren Schwester und resümiert: »Auf der Fabrik hatten wir ein freies und angenehmes Leben.« Die beiden Mädchen wuchsen zusammen mit drei Geschwistern - einer Schwester und zwei Brüdern - in einer großbürgerlichen niederländischen Kolonialfamilie auf.
Im 17. Jahrhundert waren die Niederlande eine der wichtigsten Kolonialmächte der Welt. Die Hälfte des Welthandels wurde von ihnen betrieben, sodass man von einem »Goldenen Zeitalter« der Niederlande sprach. Zu ihren Kolonien gehörte das heutige Indonesien, das damals offiziell Niederländisch-Indien genannt wurde. Die Insel Java, auf der Ita Wegmans Geburtsort liegt, war das wirtschaftliche und politische Zentrum des Landes. Sie misst über 1000 Kilometer von West nach Ost bei einer Breite von etwa 200 Kilometern und ist vulkanischen Ursprungs. Einige der 100 Vulkane sind bis heute aktiv.
Ita Wegmans Leben begann mit einer gewissen Sorglosigkeit und Lässigkeit gegenüber Fakten, die sie ihr Leben lang beibehalten sollte: Es sind sowohl verschiedene Geburtsdaten als auch verschiedene Namensvariationen im Umlauf. Ihr offizieller Name, der bei der Geburt vermerkt wurde, lautete Maria Hendrika. Übliche Variationen von Hendrika, der weiblichen Form von Heinrich, sind: Henny, Rika, Riek, Iek. Ungewöhnlich war der Name, den ihre Familie für sie gewählt hatte und der in der Korrespondenz ihrer Schwester auftaucht: Iet. Daraus entwickelte sich später Ita. In ihren Unterlagen tauchen weitere unterschiedliche Variationen ihres Namens auf: »Agnes Wegman« auf einem Diplomzeugnis aus Berlin im Jahr 1902, im Züricher Universitätsregister findet man »Maria H. Wegman« und »Marie Wegman«. Manchmal wird ihr Nachname auch mit Doppel-n geschrieben. Ihre Dissertation an der Züricher Universität veröffentlichte sie 1912 als »Maria Ita Wegman, praktische Ärztin aus Java«. Ihr holländischer Pass von 1931 trägt die Unterschrift »Ita Maria Wegman«.
Ähnlich ungenau geht sie mit ihrem Geburtsdatum um: Im Reichsarchiv in Den Haag und in den Angaben der Familie Wegman wird das Geburtsjahr 1876 festgehalten. Doch sowohl im Pass von 1916 als auch von 1931 lautete die Angabe »1878«, genau wie bei verschiedenen Einträgen zu ihrem Wohnungswechsel im Einwohnerregister der Stadt Zürich.
Itas Geburtsort Parakan-Terus (Parakanteroes) liegt 60 Kilometer entfernt von der damaligen Hauptstadt Batavia, dem heutigen Jakarta. Ihr Vater Hendrik Wegman war Verwalter der dortigen Zuckerfabrik. Der Sohn eines holländischen Seemanns stammte aus Amsterdam. Nachdem er dort eine Maschinistenschule besucht hatte, fuhr er im Alter von 18 Jahren auf dem Segelschiff »Electra«, dessen Kapitän sein Vater war, nach Niederländisch-Indien und trat dort seine Stelle in der Zuckerfabrik an. Er war zuständig für die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten der Fabrik, beaufsichtigte sowohl die europäischen als auch die einheimischen Mitarbeiter und regelte den Anbau, die Ernte und die Verarbeitung von Zuckerrohr. Charakterisiert wird er als fleißig, gut organisiert, durchsetzungsfähig, dabei manchmal autoritär und aufbrausend. Doch immer verantwortungsvoll im Dienste der Sache - Eigenschaften, die sich auch bei seiner Tochter Ita wiederfinden -, jedenfalls kommen sie in den Beschreibungen ihrer späteren Mitarbeiterinnen vor.
Mit 30 heiratete Hendrik Wegman eine junge Holländerin, Henriette Maria Offers. Sie stammte aus einer vermögenden Großgrundbesitzerfamilie, ihr Vater war Vorsteher der kolonialen Lagerhäuser in Bandung, einem der wichtigsten Handelszentren Javas. Henriette Offers wird als mütterlich, empathisch und emotional stabil beschrieben. Auch davon findet sich vieles in ihrer ältesten Tochter wieder. Die junge Familie genoss wie alle niederländischen Siedler aus den Kolonialstaaten viele Privilegien, angefangen bei den Wohnverhältnissen. Sie lebte auf einer Plantage in der Nähe der Zuckerfabrik, deren Verwalter Hendrik Wegman war.
Die Häuser europäischer Familien waren großzügig gebaut und verfügten über einen gewissen Luxus. Die Räume hatten hohe Decken und marmorne Fußböden. An der Vorderseite und an der Rückseite des Gebäudes befanden sich Galerien. Daran angrenzend, lagen die Schlafzimmer der Familie, die Gästezimmer, das Arbeitszimmer des Hausherrn, das Ankleidezimmer seiner Gattin und die Zimmer der Dienerschaft. Tagsüber waren die Fenster mit Jalousien verschlossen, um die Sonne und die Hitze fernzuhalten. Gäste waren willkommen, Geselligkeit und Gastfreundschaft wurden im großbürgerlichen Milieu gepflegt, galten als selbstverständlich. Zu den Anwesen gehörte fast immer ein Garten mit Bäumen, Büschen, Blumen und Kräutern. Tagsüber war es still, nachts umso lauter. Da waren die Rufe von Vögeln und wilden Tieren wie Affen zu vernehmen. Die Natur lärmte und machte ständig auf sich aufmerksam.
Mit im Haus der Familie lebte ganz selbstverständlich die Dienerschaft, die den Haushalt bestritt, den Garten pflegte und die Tiere versorgte. Für jedes Kind gab es ein eigenes Kindermädchen, eine »Babou«, die zeitweise die engste erwachsene Bezugsperson war und dem Kind näherstand als die Mutter - vor allem körperlich. Sie bildete auch das Bindeglied zur einheimischen Bevölkerung Javas und trug deren Mythen und Geschichten weiter. Gute und böse Geister, schützende und bedrohende Dämonen begleiteten ganz selbstverständlich den Alltag der kleinen Ita. Ab und zu brachten sie sich heftig in Erinnerung und forderten Opfer, die ihnen von Schamanen mithilfe von Ritualen dargebracht wurden. Es herrschte die Vorstellung von einer inneren »stillen Kraft«, die es zu entwickeln galt, um sich zu verteidigen. Sie war wirksamer als gewaltsamer Widerstand. Manchmal gab es Stellvertreterhandlungen: Theater und Kunst. Die Schauspielerinnen und Schauspieler verbargen ihre Gesichter hinter Masken, wenn sie die Botschaften der Götter verkündeten. Beliebt war das Puppentheater unter freiem Himmel mit seinen kunstvoll geschnitzten Figuren, die dem Publikum die Überlieferungen aus dem Bhagavad Gita, dem Mahabharata und dem Ramayana vorspielten. Abends wurden auf den Straßen und Plätzen Wajangspiele - Schattenspiele - aufgeführt: Zu den Klängen des Gamelanorchesters ließ der Puppenspieler seine Figuren vor einer Leinwand agieren und bot zwei unterschiedliche Sichtweisen an: Vor der Leinwand waren die realen bunt bemalten Puppen zu sehen, hinter der Leinwand ihre grauen Schatten. Innerhalb des Publikums gab es eine strenge Sitzordnung: vor der Leinwand die Männer, hinter der Leinwand die Frauen.
Ita Wegman wuchs also in einer Welt auf, die geprägt war von einer Spiritualität, die ganz selbstverständlich den Alltag bestimmte. Sie war das älteste Kind der Familie Wegman. Auf sie folgten fünf weitere Kinder, darunter die ein Jahr jüngere Schwester Charlien. Im Mai 1944 berichtete diese in einem Brief an Madeleine van Deventer, eine Mitarbeiterin Ita Wegmans in Arlesheim, von ihrer gemeinsamen Kindheit. Ita selbst hatte keine schriftlichen Notizen über ihre ersten Jahre hinterlassen. Charlien würdigt das Engagement ihres Vaters: »besonders auf sozialem Gebiet leistete er dort sehr schöne Arbeit während einer großen Zuckerkrise, welche damals [1883] in Indien stattfand, bei der die ganze Zuckerindustrie zugrunde zu gehen drohte«. Seine »sozialen Ansichten« habe er nicht nur an seinem eigenen Arbeitsplatz, sondern auch in anderen Fabriken des Landes verbreitet.
Als die beiden Schwestern Charlien und Ita fünf und sechs Jahre alt waren, wurde der Vater in die Zuckerfabrik Gending bei Probolinggo in Ostjava versetzt, was den Umzug der Familie zur Folge hatte. Charlien berichtet, sie habe selbst wenig Erinnerungen an die ersten Jahre in Westjava, dafür jedoch umso mehr an die folgenden. Da war zum Beispiel der lange Schulweg von ihrem Wohnort Gending in die Hafenstadt Probolinggo, wo die beiden Schwestern bis 1888 die Schule besuchten. Er dauerte eine Stunde und wurde mithilfe einer Kutsche, vor die zwei kleine Pferde gespannt waren, zurückgelegt. Ita, Charlien und zwei Brüder wurden auf dem Weg von einem Bediensteten begleitet. Schon damals zeigte sich Itas Ungeduld und Handlungsfähigkeit. Wenn es ihr nicht schnell genug ging, ihre Droschke...
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