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Joseph Abileah (1915 - 1994) wurde «der israelische Gandhi» genannt. [4] Als 1979 der Geiger Yehudi Menuhin den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, kam Menuhin am Ende seiner Dankesrede auf seinen Freund Joseph Abileah zu sprechen:
«Seit vielen Jahren kenne ich einen Israeli, der aller Friedenspreise würdig ist, die diese Welt zu vergeben hat: Joseph Abileah, ein Violinist aus Haifa, der mir die Ehre erweist, heute hier anwesend zu sein. Ein demütiger und bescheidener Mann, der fließend Arabisch spricht, hat es seit den frühen Tagen des Staates Israel mit Gruppen junger Israelis, Jungen und Mädchen, unternommen, die Wohnungen arabischer Dorfbewohner wiederaufzubauen, die von der israelischen Armee zerstört worden waren. Er hat, zusammen mit gleichgesinnten Männern und Frauen, viele durchaus praktische und praktikable Wege zu einer Mittel-Östlichen Föderation durchdacht.»
Zehn Jahre nach dieser Rede besuchte ich Joseph Abileah in Freudenstadt im Nordschwarzwald. Ich wollte wissen, warum die Stimmen so vieler großer Kulturschaffender wie Yehudi Menuhin zwar gewürdigt werden, aber letztlich nur einen geringen Einfluss auf die reale Politik in Israel haben. Ohnmächtige Kultur?
Joseph Abileah war damals bereits an Krebs erkrankt und unterzog sich in Freudenstadt einer Kur und einer speziellen Diät. Er war nicht nur von kleiner, sehr zarter Statur, sondern in seiner Ausstrahlung - wie Menuhin sagte - ein unglaublich bescheidener Mensch. In unseren Gesprächen wurde mir schnell klar, dass er ein Mahatma war, eine große Seele.
Joseph Abileahs Eltern stammten aus einer alten russisch-polnisch-jüdischen Musikerfamilie. Er selbst war 1915 in Niederösterreich geboren. (Sein damaliger Name war Wilhelm Niswiszki.) In den 1920er Jahren wanderten seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern nach Palästina aus. Sie ließen sich in Haifa nieder und bauten dort ein Musikgeschäft auf. Sein Vater, Ephraim Abileah, 1885 geboren und hundertjährig 1985 gestorben, war einer der bekanntesten Pioniere der klassischen Musik in Palästina (in der Zeit vor der Staatsgründung Israels). Joseph Abileah wurde Profi-Musiker und war sein Berufsleben lang Geiger im Haifa-Symphony-Orchestra. Aber die Musik war nur die eine Seite seines Lebens. Die andere war sein unermüdlicher, lebenslanger Einsatz für ein friedvolles Zusammenleben von Arabern und Juden. Joseph Abileah hielt von Anfang an die sogenannte «Zwei-Staaten-Lösung» für illusionär, für ein abwegiges, irreführendes Konzept. Stattdessen setzte er sich, wie auch Martin Buber, Albert Einstein und Hannah Arendt, für eine jüdisch-arabische Konföderation ein, für ein Zusammenleben in einem Staat. «Warum keine Zwei-Staaten-Lösung?» fragte ich ihn. «Ein palästinensischer Staat wird zu klein sein. Er wird nicht überleben können. David Ben-Gurion sagte einmal, dass der jüdische Staat mindestens 80 Prozent des Landes besitzen und mindestens 80 Prozent der Bevölkerung stellen müsse, um auf Dauer lebensfähig zu sein. Mit nur 20 Prozent des Landes für die Palästinenser ist ein palästinensischer Staat völlig unrealistisch.» Aber neben diesem pragmatischen Gesichtspunkt gab es für Joseph Abileah einen viel wichtigeren Aspekt.
«Als wir Juden nach Palästina kamen», so erzählte er mir auf einem Spaziergang im Nordschwarzwald, «hätten wir es machen sollen wie William Penn, als der nach Amerika kam. William Penn habe den erklärt: Als die Einheimischen das hörten«, so Abileahs Fassung der Ausnahme-Geschichte, hätten sie Pfeil und Bogen weggelegt und die Frauen und Männer um William Penn willkommen geheißen. Man hätte friedlich zusammengelebt. Später habe man dann die Gegend zu Ehren von William Penn den genannt: Pennsylvania.» Abileah fuhr fort: «So hätten wir Juden es auch in Palästina machen sollen. Als meine Eltern mit mir und meinen Geschwistern einwanderten, war es auch noch so. Wir Juden und Araber lebten friedlich nebeneinander. Auch in den Jahrhunderten vorher. Die Nachkommen derjenigen Juden, die nach der Vertreibung durch die Römer im Land geblieben waren, lebten später - unter der osmanischen Herrschaft - Jahrhunderte lang neben den Arabern in Palästina und kamen miteinander aus. Dann aber hatten immer mehr Einwanderer eine völlig andere Einstellung. Sie wollten einen jüdischen Staat. Schon in Europa hatte doch die Gründung von Nationalstaaten keine guten Folgen. Die Nationalstaats-Idee», so er klärte er mir, «war ein Fehler des 19. Jahrhunderts und wir haben diesen Fehler - sogar mit einem Jahrhundert Verspätung - noch einmal wiederholt.»[5]
Joseph Abileah sagte mir das vor mehr als 30 Jahren. Würde er es heute sagen, würde er vermutlich als Antisemit attackiert werden oder als «sich selbst hassender Jude».
Am 27. Juni 1947 hatte Joseph Abileah einer UN-Kommission konkrete Konföderationspläne vorgelegt. Am 30. August 1948 war er in Haifa wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt worden. Er war damals der erste Kriegsdienstverweigerer Israels. Heute wird so etwas hart bestraft, aber 1948 kam Joseph Abileah mit einer milden Geldstrafe davon. Durch seine Aktion wurde er in Israel schlagartig eine Berühmtheit. Manche hielten ihn freilich für einen «Spinner». Wenig später rief Joseph Abileah die israelische Sektion von «War Resisters' International» ins Leben. Er selbst war zutiefst praktizierender Pazifist. 1971 gründete er zusammen mit Yehudi Menuhin und anderen Freunden die «Society for a Middle East Confederation», die sich für einen politischen Zusammenschluss Israels mit seinen arabischen Nachbarn einsetzte.
Nachdem 1987 die erste Intifada (ein als gewaltloser Widerstand geplanter palästinensischer Aufstand [6]) entstanden war, lud ich Joseph Abileah in meine damalige Schule nach Stuttgart ein. Ich organisierte eine kleine Tagung. Er sollte der Hauptredner sein zusammen mit einem arabischen Kollegen von mir, der praktizierender Moslem war. Die Oberstufenschüler der Michael-Bauer-Schule sollten - so dachte ich - verschiedene Perspektiven kennen lernen und vor allem den Geist der friedlichen Verständigung. Dr. Bruno Sandkühler moderierte damals die Gespräche und hin und wieder sprachen die drei Protagonisten arabisch miteinander, wenn sie das weitere Vorgehen klären wollten. Ob die kleine Tagung damals auf unsere Schüler einen nachhaltigen Eindruck machte, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber seit jener Zeit hat mich die Frage beschäftigt, warum die von Yehudi Menuhin und Joseph Abileah, Albert Einstein und Hannah Arendt und vielen anderen vorgeschlagene Konföderation nie umgesetzt wurde und die Zwei-Staaten-Lösung auch nicht. Warum stattdessen der nicht endende mörderische Irrsinn?
Noch verrückter wird es, wenn man in Israel vor Ort erlebt, wie gut jüdische und arabische Israelis miteinander leben und arbeiten können. In jedem israelischen Krankenhaus arbeiten jüdische und arabische Ärzte und Krankenschwester problemlos zusammen. «Die meisten hier wollen in Frieden zusammenleben», sagte mir einmal ein israelischer Kollege, «Ihr Europäer könnt euch von diesem Zusammenleben eine Ecke abschneiden.» Das stimmt. Nach einer Pause fragte ich meinen Kollegen: «Aber wenn man so gut zusammenarbeiten kann, warum dann die grausame Lage in den von Israel dauerhaft seit einem halben Jahrhundert besetzten Gebieten? Warum das brutale, mörderische Vorgehen gegen die Palästinenser im Westjordanland und in Gaza? Warum die furchtbaren gewaltsamen Konflikte ausgerechnet in einem Land, das zu einem friedlichen Zusammenleben aus verschiedenen Gründen berufen ist?» «Das ist eine lange und komplizierte Geschichte», sagte er.
Es wurde eine ganz andere Geschichte als die, die man gemeinhin hört: Nach dem Holocaust haben die Vereinten Nationen endlich den Juden in Palästina einen Staat bewilligt, damit sie dort in Sicherheit leben können. Die Araber des Nahen Ostens aber haben die Juden gehasst und immer wieder Krieg gegen sie geführt und Terroranschläge verübt, um Israel zu vernichten.
Nein, so war es nicht. Es war ganz anders. Es wurde für mich eine schockierende Geschichte, von der ich so vieles nicht wusste. Elementare Sachverhalte über die jüdische Religion waren mir unbekannt und sind heute den allermeisten Menschen unbekannt. Ich hatte auch noch nie etwas vom christlichen Zionismus gehört, ohne den es Israel nicht geben würde. Ich hatte noch nie etwas gehört über die wahren Motive führender Zionisten wie Theodor Herzl, Vladimir Jabotinsky, Max Nordau und anderen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass sie das orthodoxe Judentum hassten. (Im heutigen Sprachgebrauch würde man sie «Antisemiten» nennen.) Ich wusste nicht, worum es ihnen - lange...
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