Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Afrikas vorkoloniale Geschichte ist reich und das nicht nur, weil die Menschheit vermutlich ihren Ursprung dort hat.1 Auch wenn ich hier nur einen Bruchteil der Geschichte Afrikas darstelle, sollte doch klar werden, dass die Geschichte des Kontinents nicht erst mit der Ankunft der Europäer begann, wie dieses Buch mit seinem Blick auf die Zeit nach der Dekolonisation ansonsten nahelegen könnte. Wir wissen eine Menge über das alte Ägypten, von dem angenommen wird, es sei eine »schwarze« Zivilisation gewesen,2 oder über das Aksumitische Reich im heutigen Äthiopien und wissen noch viel mehr über die letzten zwei Jahrhunderte seit Beginn der Kolonisation. Über den Zeitraum dazwischen, der auch als »Goldenes Zeitalter« beschrieben wird,3 ist hingegen wenig bekannt.4 Trotzdem ist klar, dass die vorkoloniale Zeit sichtbare Spuren hinterlassen hat und sie ein wichtiger Anknüpfungspunkt für den postkolonialen Diskurs ist. Es ist aber auch klar, dass die im Vergleich dazu recht kurze Kolonialzeit und Dekolonisation mit einer solchen Wucht auf weite Teile Afrikas gewirkt haben, dass sie - aus heutiger Sicht - die wohl umfassendste Zäsur in der Geschichte des Kontinents darstellen. Deshalb geht dieses Kapitels auch auf die Kolonisation und die Kolonialzeit ein, ehe ich in den folgenden beiden Kapiteln die Dekolonisation und ihre Auswirkungen beleuchte.
Es gibt Historiker und Historikerinnen, die glauben, dass es in Afrika vor der Kolonisation nur »Dunkelheit« gab und dass Afrika - wie auch Amerika vor Christoph Kolumbus - eine »pittoreske aber unwichtige Ecke des Globus« war, die einer Untersuchung nicht wert sei.5 Es ist wahr, dass wir nur wenig über diese Phase wissen. Dies führt François-Xavier Fauvelle auf den Mangel an Schriften und archäologischen Objekten sowie auf ideologische Gründe zurück, namentlich ein Desinteresse an Afrikas Vergangenheit.6 Dieses mangelnde Wissen und das Desinteresse erklären und verstärken einige der Vorurteile über Afrika bis heute. Was wir über die vorkoloniale Zeit wissen ist beispielsweise, dass sich die Menschen in Afrika wie in anderen Weltregionen auch in politischen Systemen organisierten. Eines der ältesten politischen Systeme überhaupt, das bis in die Gegenwart reicht, gab es in Äthiopien, wo bis 1974, als die Kommunisten den Kaiser stürzten, ununterbrochen für rund 3 000 Jahre eine Abfolge von 237 Königen und Kaisern regierte. Als Äthiopien im 4. oder 5. Jahrhundert vom Judentum zum Christentum konvertierte, wurde es das erste christliche Reich der Welt. Imposante Bauten wie die Stelen in Aksum oder die Felsenkirchen in Lalibela sind Zeugnisse dieser Epoche. Nicht minder imposant war das Kaiserreich Mali, das zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert bestand. Dessen Kaiser Mansa Musa I. gilt als reichster Mensch der Weltgeschichte. Das Jolof-Reich im heutigen Senegal und Gambia bestand als politische Einheit von 1530 bis 1890. Das Aschanti-Reich bestand ab ca. 1680 für zwei Jahrhunderte; auf ihm baut das heutige Ghana mit auf. Im heutigen Simbabwe zeugt die Ruinenstätte Groß-Simbabwe davon, dass dort vom 11. bis zum 15. Jahrhundert das Munhumutapa-Reich seine Blütezeit erlebte. Das Luba-Reich im heutigen Kongo-Kinshasa und Sambia bestand von 1585 bis 1889 und das Königreich Kongo von 1390 bis 1857. Das um 1300 gegründete Königreich Buganda lebt heute in Uganda weiter. In Sansibar herrschten die omanischen Sultane vor allem zwischen dem 17. bis 19. Jahrhundert und kontrollierten von dort aus auch große Gebiete in Ostafrika.7 Sie waren die Vorboten der europäischen Kolonisation. Ihr Einfluss reichte bis in den Osten des Kongos, was ein Grund dafür ist, dass dort bis heute Swahili gesprochen wird.
Es gibt wenig Kenntnisse über die genaue Ausgestaltung der politischen Systeme vor der Kolonisation. In der westafrikanischen Savanne bildeten kafus Miniaturstaaten aus, das sarauta System im heutigen Nigeria vereinte Mikrostaaten zu Königreichen samt von Mauern umgebenen Hauptstädten und im heutigen Kamerun organisierte sich die Gesellschaft unter einem »Big Man«, der entweder aufgrund seiner persönlichen Qualitäten oder seiner Abstammung diese Rolle einnahm. Aus manchen Bantu-Sprachen im Osten Afrikas verschwand das ursprüngliche Wort für Chief. Stattdessen wurden Kriegsführer, Älteste oder diejenigen, die Rituale durchführen konnten, zu Autoritäten.8 Manche der Systeme glichen Staaten europäischen Typus, andere waren lokal sehr begrenzt und eher informell organisiert. Es gab viele »dezentral organisierte Gesellschaften«,9 in denen Autorität verteilt war. Catherine Coquery-Vidrovitch zeigt, dass im 19. Jahrhundert die Organisation der Gesellschaften entweder auf militärischer Macht, wie unter Samory Touré in Westafrika, auf Religion, wie der Mahdi-Staat im heutigen Sudan (siehe unten), oder auf Handel, wie bei den Yao am Südufer des Malawisees oder den Nyamwezi in heutigen Tansania, basierte. Diese Gesellschaften und ihre Organisationsformen waren sehr fluide, weshalb der Begriff »traditionell« problematisch ist, da unklar bleibt, auf welche Phase er sich genau bezieht.10 Frauen spielten vielerorts eine zentrale Rolle. Sie regierten Königreiche, gründeten Städte, führten Armeen, begannen militärische Eroberungen und gründeten neue Staaten.11 Einige Gesellschaften in Afrika waren hierarchisch, andere waren staatenlos und in etlichen gab es eine Koexistenz beider Formen.12 Zu den staatenlosen Gesellschaften gehörten Igboland oder diejenigen in Norduganda und im ostafrikanischen Graben, die nicht monarchisch, sondern dezentralisiert mit demokratischen Elementen operierten.13 Im Gegensatz hierzu stand Buganda, wo der König das Land kontrollierte und es eine Verwaltungshierarchie gab.14 Zentralisierter - und despotischer - war des Königreich Zulu. Kaum eines dieser Gebiete hatte feste Grenzen. Herrschaft wurde als Herrschaft über Menschen und nicht über Territorien verstanden.
Es ist überliefert, dass Menschen aus Afrika mit Menschen von anderen Kontinenten interagierten.15 So haben z. B. einige hundert Menschen aus Afrika zwischen 1650 und 1850 Europa besucht.16 Bereits zuvor waren die nordafrikanischen Gebiete mit den europäischen Märkten verbunden, etwa zur Zeit des Römischen Reichs. Wir wissen auch von Waren und Gütern, die vor 2 000 Jahren aus Westafrika nach Asien gebracht wurden.17 Ab dem 7. Jahrhundert breitete sich der Islam von der Arabischen Halbinsel Richtung Afrika aus.18 Menschen in Ostafrika tauschten Gewürze und tropische Waren mit der arabischen Halbinsel und Indien aus. Überdies gab es Handel mit China, Indien und Indonesien.19 Gold aus Westafrika fand ab dem 8. Jahrhundert Abnehmer in Nordafrika und Europa. Kaiser Abubakari II. aus Mali soll bereits 1311 den Atlantik überquert haben. Und ab dem 16. Jahrhundert handelten Menschen aus Afrika afrikanische Sklaven mit Europäern.
Der Sklavenhandel gilt nicht nur als Beginn des rassistischen Denkens, wonach Schwarze als minderwertig betrachtet wurden,20 sondern liefert auch Hinweise darauf, dass afrikanische Gesellschaften gut organisiert waren. Nur so konnten ab dem 16. Jahrhundert Millionen Sklavinnen und Sklaven systematisch aus dem Landesinneren zu den Häfen verschleppt werden, wo die europäischen Schiffe warteten. Bis zum Ende des Sklavenhandels in den 1860er-Jahren waren über elf Mio. Sklavinnen und Sklaven von europäischen Sklavenhändlern über den Atlantik gebracht worden;21 in den Nahen Osten gingen weitere zwei Mio.22 Bezüglich des innerafrikanischen Sklavenhandels wird angenommen, dass im Jahr 1800 10 % der afrikanischen Gesamtbevölkerung versklavt lebten - in manchen Gesellschaften waren es bis zu zwei Drittel der Bevölkerung.23
Der Sklavenhandel variierte stark. Sklaven, die über den Atlantik verschleppt wurden, kamen vor allem aus der Region entlang der Küste vom heutigen Senegal bis zum heutigen Kongo-Kinshasa sowie aus den Küstenregionen des heutigen Mosambiks und Tansanias. Fast die Hälfe stammte aus dem Kongo.24 Andere Gebiete waren wenig oder gar nicht vom Sklavenhandel betroffen.
Das Ende des transatlantischen Sklavenhandels, das auf dem Wiener Kongress 1815 zwar formal beschlossen, aber erst Jahre später faktisch durchgesetzt wurde, bedeutete nicht, dass der innerafrikanische Sklavenhandel endete. In Westafrika blieb der Handel weitverbreitet und im Osten blieb Tippu-Tip, einer der größten Sklavenhändler überhaupt, im Auftrag des Sultans von Sansibar aktiv.25 Sein Handelsimperium im Ostkongo ließ er von tausenden Bewaffneten absichern und die Europäer versuchten, mit ihn ins Geschäft zu...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.