Schweitzer Fachinformationen
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Eine Krankenschwester hielt ihnen die Tür auf. Judge McKelva betrat als erster den fensterlosen Raum, in dem der Arzt die Untersuchung vornehmen wollte, dann seine Tochter Laurel, dann seine Frau Fay. Judge McKelva war ein großer schwerer Mann von einundsiebzig Jahren. Seine Brille, die er gewöhnlich an einem Band um den Hals trug, hielt er jetzt in der Hand, als er sich, flankiert von Laurel und Fay, auf dem thronartigen Stuhl vor dem Arztschemel niederließ.
Laurel McKelva-Hand, schlank und mit einem ruhigen, stillen Gesicht, war Mitte Vierzig. Ihr Haar war noch dunkel. Sie trug ein Kostüm, das durch seinen aparten Schnitt und Stoff auffiel. Für New Orleans allerdings war es zu winterlich, und der Rock war zerknittert. Ihre dunkelblauen Augen sahen müde aus.
Fay, klein und blaß in ihrem Kleid mit den Goldknöpfen, klopfte mit der einen Fußspitze auf den Boden. Sie trug Sandaletten.
Es war ein Montagmorgen Anfang März. Sie alle waren fremd in New Orleans.
Dr. Courtland, auf die Minute pünktlich, kam mit großen Schritten durch den Raum und schüttelte Judge McKelva und Laurel die Hand. Er mußte Fay, die erst seit anderthalb Jahren mit Judge McKelva verheiratet war, vorgestellt werden. Dann saß der Doktor auf dem Schemel, die Absätze auf den Quersteg gestützt. Achtungsvollaufmerksam hob er den Kopf, so als habe er hier in New Orleans auf Judge McKelva gewartet - um dem Richter ein Geschenk zu überreichen oder eines von ihm in Empfang zu nehmen.
»Nate«, sagte Laurels Vater, »vielleicht liegt es ja daran, daß ich nicht mehr so jung bin wie früher. Aber ich glaube fast, mit meinen Augen ist etwas nicht in Ordnung.«
Als stünde ihm unbeschränkt Zeit zur Verfügung, faltete der bekannte Ophthalmologe Dr. Courtland seine großen bäuerlichen Hände, deren Finger auf Laurel immer den Eindruck gemacht hatten, als genüge die leise Berührung mit dem Glas einer Uhr, um ihnen die Uhrzeit zu übermitteln.
»Ich habe diese kleine Störung genau seit George Washingtons Geburtstag«, sagte Judge McKelva.
Dr. Courtland nickte, als sei das ein angemessener Tag dafür. »Erzählen Sie mir etwas über die kleine Störung«, sagte er.
»Ich war wieder ins Haus gegangen. Ich hatte ein wenig die Rosen beschnitten - ich habe mich zur Ruhe gesetzt, wie du weißt. Und ich stand hinten in meiner vorderen Veranda und hatte ein wachsames Auge auf die Straße - Fay war nämlich irgendwohin entschwunden«, sagte Judge McKelva und neigte ihr sein mildes Lächeln zu, das einer mißbilligenden Miene so ähnlich sah.
»Ich war nur eben in der Stadt im Schönheitssalon und ließ mir von Myrtis das Haar legen«, sagte Fay.
»Und da sah ich den Feigenbaum«, sagte Judge McKelva. »Den Feigenbaum! Und die alten Blechdinger, mit denen Becky ihn vor Jahren behängt hat, weil sie meinte, das werde die Vögel abschrecken, schossen Blitze!«
Beide Männer lächelten. Sie gehörten verschiedenen Generationen an, waren aber in demselben Ort aufgewachsen. Becky war Laurels Mutter. Jene kleinen selbstgemachten Reflektoren, runde Scheiben aus Blech, hielten keineswegs die Vögel im Juli von den Feigen fern.
»Nate, du weißt so gut wie ich, daß dieser Feigenbaum hinter meinem Haus im Garten steht, nicht weit von der Stelle, wo deine Mutter ihren Kuhstall hatte. Aber er schoß Blitze nach mir, während ich in die entgegengesetzte Richtung sah, zum Rathaus hinüber«, fuhr Judge McKelva fort. »Also war ich gezwungen, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß ich plötzlich rückwärts sah.«
Fay lachte - ein einzelner, hoher Ton, spöttisch wie der Ruf eines Eichelhähers.
»Ja, das ist beunruhigend.« Dr. Courtland rollte auf seinem Schemel ein Stück vor. »Jetzt wollen wir uns das mal genau ansehen.«
»Ich hab schon nachgesehen. Aber ich hab nichts darin entdeckt«, sagte Fay. »Vielleicht hast du eine von diesen Rosenranken ins Auge gekriegt, Schatz, aber ein Dorn ist jedenfalls nicht dringeblieben.«
»Allerdings hatte mein Gedächtnis mich im Stich gelassen. Becky hätte gesagt, es geschehe mir recht. Man soll Kletterrosen nicht beschneiden, bevor sie geblüht haben«, fuhr Judge McKelva im gleichen vertraulichen Ton fort; das Gesicht des Arztes befand sich dicht vor dem seinen. »Aber ich habe festgestellt, daß es Beckys Kletterrose nichts schadet.«
»Kaum«, murmelte der Arzt. »Ich glaube, meine Schwester hat immer noch einen Busch von einem Ableger von Miss Beckys Kletterrose.« Doch sein Gesicht wurde sehr still, als er sich vorbeugte, um das Licht zu löschen.
»Es ist dunkel!« Fay stieß einen kleinen Schrei aus. »Warum mußte er auch in den Garten gehen und sich mit diesem Dornengestrüpp einlassen? Weil ich für eine Minute das Haus verlassen hatte?«
»Weil Washingtons Geburtstag der altehrwürdige Tag ist, an dem bei uns zu Hause die Rosen zurückgeschnitten werden«, sagte die begütigende Stimme des Arztes. »Sie hätten Adele bitten sollen, herüberzukommen und es für Sie zu tun.«
»Oh, sie hat es mir angeboten«, sagte Judge McKelva und tat den Fall Adele mit einer leichten Handbewegung ab. »Ich glaube, mittlerweile dürfte ich den Bogen raushaben.«
Laurel hatte ihm einmal beim Beschneiden der Rosen zugesehen. Die Gartenschere mit beiden Händen haltend, vollführte er gleichsam eine ernste Sarabande: ein Ausfall nach rechts, dann ein Ausfall nach links, als verbeuge er sich vor seiner Partnerin, und der Rosenbusch sah anschließend aus wie ein Fragezeichen.
»Haben Sie seither noch weitere Sehstörungen gehabt, Judge Mac?«
»Oh, eine gewisse Trübung. Nichts, was mich so beunruhigt hätte wie diese erste Sache.«
»Also, warum es nicht der Natur überlassen?« sagte Fay. »Das sag ich ihm ja dauernd.«
Laurel war mit einem Nachtflugzeug aus Chicago gekommen und gleich vom Flughafen hierhergefahren. Das unerwartete Wiedersehen war gestern abend in einem Ferngespräch vereinbart worden. Ihr Vater, in ihrem alten Zuhause in Mount Salus, Mississippi, telefonierte lieber, als daß er schrieb, doch diesmal war das Gespräch, was ihn anging, sonderbar zurückhaltend gewesen. Ganz zum Schluß hatte er gesagt: »Übrigens, Laurel, ich spüre da seit kurzer Zeit eine kleine Beeinträchtigung meiner Sehkraft. Vielleicht sollte ich Nate Courtland einmal nachsehen lassen, ob er was finden kann.« Er hatte hinzugefügt: »Fay sagt, sie will mitkommen und bei der Gelegenheit ein paar Besorgungen machen.«
Das Eingeständnis, daß er sich seiner selbst wegen Sorgen machte, war für Laurel ebenso etwas Neues wie die Tatsache, daß mit seiner Gesundheit etwas nicht stimmte, und so war sie mit dem Flugzeug gekommen.
Das peinigend grelle kleine Auge des Instruments hing noch immer zwischen Judge McKelvas unbewegtem Gesicht und dem in der Dunkelheit verborgenen Gesicht des Arztes.
Endlich leuchtete die Deckenlampe wieder auf, und Dr. Courtland erhob sich und sah Judge McKelva aufmerksam an. Judge McKelva erwiderte den prüfenden Blick.
»Dacht ich mir's doch, daß ich dir da eine Kleinigkeit mitbringe, die dir zu schaffen macht«, sagte Judge McKelva in dem gleichen verständnisvollen Ton, in dem er, bevor er sein Richteramt niederlegte, gewöhnlich ein Urteil verkündete.
»An Ihrem rechten Auge hat sich die Netzhaut gelöst, Judge Mac«, sagte Dr. Courtland.
»Na schön, das kannst du ja wieder in Ordnung bringen«, sagte Laurels Vater.
»Aber es muß gleich geschehen, damit wir nicht noch mehr kostbare Zeit verlieren.«
»Also gut, wann kannst du die Operation vornehmen?«
»Nur wegen eines Kratzers? Warum sind bloß diese alten Rosen nicht eingegangen!« rief Fay.
»Es handelt sich gar nicht um einen Kratzer. Was hier geschehen ist, hat nicht das Äußere seines Auges beeinträchtigt, sondern die innere Schicht. Das gilt auch für die Blitze. Den Teil, mit dem er sieht, Mrs. McKelva.« Dr. Courtland wandte sich von dem Richter und Laurel ab und bat Fay mit einer Geste an eine an der Wand hängende Schautafel. Eine Parfumwolke verbreitend, ging Fay hinüber. »Hier sehen Sie das Äußere und das Innere unseres Auges«, sagte er und erklärte ihr an Hand der schematischen Darstellung, was getan werden mußte.
Judge McKelva verlagerte sein Gewicht, um zu Laurel zu sprechen, die neben ihm auf ihrem niedrigen Stuhl saß. »Dieses Auge hat uns nicht zum Narren gehalten, wie?«
»Ich begreife nicht, warum das ausgerechnet mir passieren mußte«, sagte Fay.
Dr. Courtland geleitete Judge McKelva zur Tür und in den Flur hinaus. »Würden Sie es sich jetzt in meinem Sprechzimmer bequem machen, Sir, und noch einige Fragen meiner Oberschwester über sich ergehen lassen?«
Ins Untersuchungszimmer zurückgekehrt, setzte er sich auf den Patientenstuhl.
»Laurel«, sagte er, »ich möchte diese Operation nicht selbst machen.« Er fuhr schnell fort: »Die Sache mit deiner Mutter ist mir sehr nachgegangen.« Er wandte sich Fay zu und sah sie, wie es schien, zum erstenmal wirklich an. »Meine Familie kennt die seine nun schon so lange Zeit«, sagte er zu ihr - Worte, die nur ausgesprochen wurden, um warnend auf das Unaussprechbare hinzuweisen.
»An welcher Stelle befindet sich der Riß?« fragte Laurel.
»Fast in der Mitte«, sagte er zu ihr. Sie sah ihm fest in die Augen, und er fügte hinzu: »Kein Tumor.«
»Bevor ich Ihnen erlaube, das Geringste zu unternehmen, müßte ich doch wohl wissen, wie gut er danach sehen wird«, sagte Fay.
»Nun, das hängt zunächst davon ab, wie der Riß verläuft«, sagte Dr. Courtland. »Und dann davon, wie gut der Chirurg...
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