Schweitzer Fachinformationen
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1 DER STRAND
Jim Francis hebt Eve dem Himmel entgegen. Der Anblick der strahlenden Sonne, die direkt hinter ihrem Köpfchen hervorzubrechen scheint, schenkt ihm einen kurzen Moment der Transzendenz, den er voll auskostet, bevor er das Kind wieder absetzt. Der heiße Sand wird ihm bald die nackten Fußsohlen verbrennen, denkt Jim, als er den Blick von der gleißenden Aura losreißt, und er muss aufpassen, dass sich Eve keinen Sonnenbrand holt. Momentan geht es ihr allerdings prächtig: Mit maschinengewehrartigem Gekicher feuert sie ihn an, das Spiel fortzusetzen.
Selbstständige Arbeit hat den wunderbaren Vorteil, dass man ganz nach Belieben über seine Zeit verfügt und sich freinehmen kann, wann immer man will. Jim weiß das zu schätzen. Während am Morgen des 5. Juli alle anderen ihren Nationalfeiertagskater ausschlafen, ist er mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern schon bei Sonnenaufgang am Strand. Abgesehen von ein paar kreischenden Seevögeln sind sie hier mutterseelenallein.
Die erste Zeit nach seinem Umzug hierher hatten sie in Melanies Zweizimmerwohnung im kalifornischen Universitätsstädtchen Isla Vista gelebt, unweit ihrer Arbeitsstelle auf dem Uni-Campus. Jim liebte die Nähe zum Meer und besonders den Küstenpfad von Goleta Point nach Devereux Slough, wo ihnen unterwegs manchmal nur ein einzelner Strandgutsammler oder Surfer begegnete. Als erst Grace und dann Eve geboren wurden, zogen sie in ein Haus nach Santa Barbara um, und an die Stelle der Küstenwanderungen traten kürzere Ausflüge.
Heute Morgen sind sie extra früh aufgestanden - zum Tiefstand der Ebbe - und haben ihren Grand Cherokee oben an der Lagoon Road geparkt. Von dort stapften sie los, mit alten Turnschuhen an den Füßen, denn der Strand ist mit Teerklumpen von den nahe gelegenen Ellwood-Ölfeldern übersät: Schauplatz des einzigen Bombenangriffs auf das amerikanische Festland während des Zweiten Weltkrieges. Vorbei an dem Sandsteinkliff, das den Campus von Santa Barbara vom Pazifik trennt, strebten sie dem ruhigen Tiefblau der Lagune entgegen. Die Gezeitentümpel und die darin gestrandeten Krebse faszinierten die Mädchen, und auch Jim konnte sich nur zögernd von ihnen lösen, so sehr steckte ihn die kindliche Begeisterung seiner Töchter an, die ihn an seine eigene Kindheit erinnerte. Doch später am Goleta Point würde es noch mehr Krebse zu sehen geben, also schlenderten sie weiter, um schließlich unterhalb der Klippen ihr Lager aufzuschlagen. Das Wochenende und die vorlesungsfreie Zeit hatten sich mit den nächtlichen Stürmen zusammengetan, um den Strand leerzufegen.
Zwar ist das für diese Zeit ungewöhnlich raue Wetter zuletzt etwas besser geworden, doch die unruhige See hat große Sandbänke aufgeworfen. Wer nicht warten will, bis die Flut einsetzt, muss sie erst überwinden, um ans Meer zu gelangen. Jim hat seine Schuhe abgestreift und sich in dem Wissen, dass seine Dreijährige genauso ungeduldig ist wie er selbst, die kleine Eve geschnappt, während Melanie die Strandtücher ausgebreitet und es sich mit der fünfjährigen Grace gemütlich gemacht hat.
Jetzt pflügt Jim durch die Wellen, stemmt seine Tochter in die Höhe und ergötzt sich erneut an ihrem glucksenden Gekicher. Die Sanddünen verdecken die Sicht auf Melanie und Grace, doch er weiß, dass Eve die beiden sehen kann. Jedes Mal wenn er sie mit ausgestreckten Armen über seinen Kopf hebt, hat sie ihre Mutter und ihre Schwester im Blick und zeigt freudig mit dem Finger in ihre Richtung.
Plötzlich ist etwas anders.
Als er seine Tochter wieder in die Luft hebt, lässt sie die Händchen sinken. Sie schaut in dieselbe Richtung wie zuvor - Jim folgt ihrem Blick bis zum Grat der Sandbank -, doch ihr Gesicht hat sich verändert. Sie wirkt verwirrt. Sein Herz klopft schneller. Er zieht sie an seine Brust und stapft den Hang hinauf. Im Sand bereitet ihm sein Bein erhebliche Probleme beim Laufen, doch kaum dass Melanie und Grace endlich in Sichtweite sind, legt er, anstatt langsamer zu werden, noch mal einen Schritt zu.
Beim Anblick von Jim und Eve, deren Silhouette sich im diesigen Licht über den Kamm der Düne schiebt, empfindet Melanie Erleichterung und Furcht zugleich. Vielleicht werden sie nun verschwinden, die beiden Männer, die plötzlich am Strand aufgetaucht waren, vermutlich über einen der Schotterpfade, die sich von den Klippen herabschlängelten. Melanie hatte die Männer aus den Augenwinkeln wahrgenommen, aber zunächst nicht weiter beachtet. Sie hatte die beiden für Studenten gehalten - bis sie sich direkt neben ihr und ihrer Tochter in den Sand setzten. Da hatte sie Grace gerade die Arme mit Sonnenmilch eingerieben und wollte eben damit beginnen, sich selbst einzucremen.
- Darf ich Ihnen dabei zur Hand gehen?, fragte einer der Männer mit schiefem Lächeln. Der Klang seiner Stimme ließ sie frösteln: Er war nicht mal lüstern, sondern kalt und sachlich. Der Kerl trug eine Sonnenbrille und ein schwarzes Achselhemd, das seine muskelbepackten Arme entblößte. Mit der Hand strich er sich über den kurz geschorenen Schädel. Sein Kumpan war kleiner. Das strähnige blonde Haar fiel ihm in die stechenden blauen Augen, und sein Grinsen war von abstoßender Bosheit.
Sie schwieg. Das waren keine Studenten. In ihrem früheren Job hatte sie oft in Gefängnissen gearbeitet, und diese beiden Kerle rochen selbst gegen den Wind noch nach Knast. Sie war hin- und hergerissen, schließlich hatte sie sich früher für solche Männer eingesetzt. Für Männer, die überzeugend den Eindruck vermittelten, sich gebessert zu haben. Doch wie viele von ihnen gerieten, nachdem die Gesellschaft sie wieder aufgenommen hatte, erneut auf die schiefe Bahn? Melanie war nicht leicht zu verängstigen, aber der Knoten in ihrem Bauch sagte ihr, dass die beiden keine harmlosen Störenfriede waren. Grace drängte ihre Mutter mit flehendem Blick, etwas zu tun oder zu sagen. Melanie hätte ihrer Tochter gerne irgendwie vermittelt, dass es in diesem Moment das Beste war, Ruhe zu bewahren und einfach gar nichts zu tun. Suchend blickte sie zu den Klippen hinauf und den Strand entlang, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Dieser sonst so belebte Ort wirkte gespenstisch verlassen.
Dann stapft Jim durch den Sand auf sie zu. Eve klammert sich an ihm fest und zeigt mit ihrem pummeligen Finger auf Melanie.
- Hast du deine Zunge verschluckt, Schlampe?, keift der Kerl in Schwarz. Sein Name ist Marcello Santiago, und er ist es gewohnt, eine Antwort zu erhalten, wenn er Frauen eine Frage stellt.
Jim hat sie beinahe erreicht, doch Melanie gerät allmählich in Panik. O Gott, Jim. - Hören Sie, bitte gehen Sie jetzt, da kommt mein Mann, sagt sie mit ruhiger Stimme. - Sie haben doch den ganzen Strand für sich, wir machen nur einen Ausflug mit den Kindern.
Marcello Santiago steht auf und blickt Jim entgegen, der Eve auf dem Arm behält, als er dem Fremden endlich gegenübersteht. - Uns gefiel die Idee, bei eurem kleinen Picknick mitzumachen, begrüßt Santiago ihn mit einem Grinsen.
Der blonde Mann, der sich Damien Coover nennt, hat sich ebenfalls erhoben, bewegt sich aber keinen Zentimeter von Melanie und Grace weg.
- Was ist los, Daddy?, fragt Grace und sieht ihren Vater verunsichert an.
Ohne einen Anflug von Nervosität sagt Jim zu Melanie: - Nimm die Mädchen, und geh mit ihnen zum Auto.
- Jim ., fleht Melanie und starrt erst ihn, dann Damien Coover und schließlich ihre Töchter an, bevor sie Grace auf die Füße zieht.
Jim legt ihr Eve in die Arme, wobei er Santiago und Coover keinen Moment aus den Augen lässt. - Geh zurück zum Auto, sagt er noch einmal.
Melanie zieht die Mädchen näher an sich heran und läuft zögernd in Richtung des kleinen Parkplatzes oben an der Uferböschung. Als sie kurz zurückblickt, bemerkt sie, dass ihre Tasche noch auf dem Strandtuch liegt. Darin befinden sich Jims und ihr Handy. Die Tasche steht offen. Melanie sieht, dass Coover es sieht. Jim bemerkt es ebenfalls. - Nun geh schon, drängt er sie noch einmal.
Coover starrt Melanie hinterher, als sie mit ihren Kindern über den Strand davoneilt. Der Bikini entblößt ihren straffen, gebräunten Körper, aber Angst und Panik verleihen ihren sonst so graziösen Bewegungen etwas Unschönes, Gequältes und Gebrochenes. Das hält ihn nicht davon ab, ein lüsternes Grinsen aufzusetzen. - Da hast du dir ja mal ne heiße Muschi aufgerissen, sagt er zu Jim Francis, und sein Kumpel Santiago, der bis eben damit beschäftigt war, seine Fäuste abwechselnd zu ballen und wieder zu öffnen, lacht mit.
Jims Reaktion beschränkt sich auf einen kalten, abschätzenden Blick.
Santiago und Coover bleibt nichts anderes übrig, als den schweigenden Mann in der olivgrünen Badehose ebenfalls zu mustern. Mit seinem braungebrannten, muskulösen, aber ungewöhnlich vernarbten Körper wirkt er in dieser Familie, die sonst nur aus blonden kalifornischen Frauen besteht, eigenartig deplatziert. Sein Alter ist nur schwer zu schätzen: mindestens vierzig, vielleicht sogar fünfzig, womit er gute zwanzig Jahre älter wäre als die Frau in seiner Begleitung. Was, fragt sich Santiago, hat dieser Typ zu bieten, dass er so ein geiles Stück Arsch abkriegt? Kohle? Schwer zu sagen, aber irgendwas an diesem Kerl ist...
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