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Ein Schuss und ich blute
Spoileralarm: Jack Stoney wird die Schießerei überleben, weil er ein fiktiver Detective ist und weil er in den Fortsetzungen des Romans, aus dem Sie gerade einen Ausschnitt gelesen haben, noch gebraucht wird. Eine Figur aus Papier und Tinte stirbt erst dann, wenn der Autor will, dass sie stirbt.
Aber ich blute, wenn ich angeschossen werde, und das ist mir auch mehr als einmal passiert. Anders als Detective Stoney würde ich also nicht wie der Lone Ranger in die Wohnung 2B stürmen. Ich würde ein angriffslustiges SWAT-Team mit seinen Ganzkörperschutzanzügen, Blend- und Tränengasgranaten und Sturmgewehren rufen, während ich Abstand - ordentlich Abstand - halten und die Aufsicht führen würde.
Tatsächlich habe ich in einer ähnlichen Situation genau das getan. Bei der Observierung eines realen Mietshauses auf der South Side sah ich den Gangster, hinter dem ich her war, an einem Fenster vorbeigehen und griff zum Handy statt zum Revolver. Das halbe Revier kreuzte daraufhin auf, um den Polizistenmörder zu schnappen, der die Aktion, die dann im offiziellen Polizeibericht als »Festnahmeversuch« bezeichnet wurde, nicht überlebte. Im Grunde war es eine Hinrichtung gewesen. Wenn man sein verfassungsgemäßes Recht auf einen fairen Prozess gewahrt sehen will, sollte man keinen Polizeibeamten töten, zumindest nicht in Chicago.
Wegen solch schlauer Entscheidungen war ich noch am Leben, saß mit einem roten Filzstift am Kombüsentisch meines Hausboots in Fort Myers Beach, Florida, und las das Manuskript von Stoneys letztes Gefecht, dem neuen Jack-Stoney-Krimi von William Stevens.
Bill Stevens ist der altgediente Polizeireporter der Chicago Tribune. Er gibt mir seine Bestseller vor der Veröffentlichung zum Redigieren, damit ihm beim Thema Polizei keine Fehler unterlaufen. Für die Arbeit bekomme ich ein hübsches Honorar, aber ich würde es auch umsonst machen, denn ich habe ein persönliches Interesse daran. Die Geschichten basieren alle auf meiner eigenen Karriere als Detective im Morddezernat der Chicagoer Polizei.
Wenn Bill einen Fehler macht, wie es ein paarmal vorgekommen ist, bevor er mich um Hilfe bat, dann erreichen ihn unweigerlich Briefe von Lesern, die ihn zur Rede stellen. Zum Beispiel: Jack Stoneys Handfeuerwaffe, ein Model 1911, Kaliber 45, sei eine halb automatische Pistole, kein Revolver, schrieb ein Leser aus Minneapolis. Jack Stoney könne keinen 2012er Ford Crown Victoria mit der Polizeiausstattung gefahren haben, weil Ford die Produktion dieses Modells 2011 einstellte und zum Taurus als Dienstfahrzeug für den Polizeidienst wechselte, sagte ein pensionierter Polizist aus San Diego. Bei der Polizei in Chicago heiße es »Morddezernat« und nicht wie in einigen anderen Städten »Dezernat für Raub und Mord«, behauptete ein Mann aus Prag. Wie um alles in der Welt ein Mann aus der Tschechischen Republik etwas derart Obskures wissen konnte, ist mir schleierhaft, aber er hatte tatsächlich recht.
Ich überlegte, ob ich am Rand von Bills Manuskript kurz schildern sollte, wie diese Observierung auf der South Side tatsächlich abgelaufen war. Ich entschied mich dagegen. Jack Stoney musste die Tür natürlich eintreten und das alleine durchziehen. Niemand will etwas über einen Helden lesen, der auf Nummer sicher geht.
Die Cops in Kriminalromanen sind alle Klischees. Sie sind unweigerlich Zyniker, nach zu vielen Jahren im Job ausgebrannt. Trockene Alkoholiker, die sich abmühen, trocken zu bleiben, geschieden, weil ihre Ex-Frauen die Sauferei und den Stress des Polizistenlebens nicht mehr ertrugen, von ihren Kindern entfremdet, weil erst der Job kam und sie alle Schulaufführungen und Fußballspiele verpassten, Einzelgänger, dauernd im Clinch mit ihren Vorgesetzten/Polizeichefs/Bürgermeistern, aber (gerade noch) toleriert, weil sie die meisten gelösten Fälle in der Abteilung haben.
Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin Mr. Klischee höchstpersönlich, alias Detective Sergeant Jack Starkey (im Ruhestand) vom Morddezernat der Chicagoer Polizei. Sie haben gerade meinen Lebenslauf gelesen.
Nachdem ich zum dritten Mal angeschossen worden war - einmal als Marine bei einer inoffiziellen Auslandsoperation, zwei weitere Male als Angestellter der Stadt Chicago -, zog ich mich als dauerhaft arbeitsunfähig in die kleine Stadt Fort Myers Beach im Süden von Floridas Golfküste zurück, wo ich eine Bar besitze und auf einem Boot lebe. Ich lebe den Traum eines Cops, und es ist herrlich. Und zwar ohne Schmiergeld. Bill Stevens scheffelt einen Haufen Geld mit seinen Romanen. Er ist mein Partner bei der Bar The Drunken Parrot. Er hat das Geld aufgetrieben, und ich schmeiße den Laden.
Bills andere Romane tragen Titel wie Stoneys Rache, Stoneys Ehre, Stoneys freier Tag oder Stoneys Todesschuss. Er macht aus meinem Alter Ego eine Legende. Jack Stoney ist größer (eins achtundachtzig, ich bin eins dreiundachtzig), mutiger (ihm wurden als Captain bei den Marines der Silver Star und von der Chicagoer Polizei drei ehrenvolle Erwähnungen für außergewöhnliche Leistungen zuteil, während ich als Lieutenant der Marines die üblichen Orden als Scharfschütze und für gute Führung plus ein Purple Heart erhielt und keine ehrenvollen Erwähnungen im Polizeidienst, weil, so meine Vermutung, die Häuptlinge meine Einzelgänger-Attitüde nicht gutheißen wollten) und fieser (Stoney glaubt an Selbstjustiz, weil er dem verrotteten Justizsystem nicht zutraut, die Gangster von den Straßen fernzuhalten, während so etwas für mich nur der letzte Ausweg war). Stoney ist Detective Lieutenant, ich war Detective Sergeant.
Stoney ist ein muskulöser, attraktiver Typ mit dichtem, grau meliertem Haar, stechenden grünen Augen und einem Killerlächeln, das die Herzen und den Widerstand der Damen, die seinen Weg kreuzen, schmelzen lässt. Auch in diesem Punkt hat Bill mein wahres Ich aufpoliert, auch wenn es mir an Damenbekanntschaften nie gemangelt hat.
Stoney ist der Typ für die schnelle Nummer, er mag seine Frauen ex und hopp. Einmal sagte er: »Nach einer Stunde mit der scharfen Blonden hätte ich mir für die Zugabe einen zweiten Johnny gewünscht.« So etwas würde ich nie sagen, obwohl die Vorstellung zugegebenermaßen verlockend ist.
Man hört ständig, dass wegen der elektronischen Reizüberflutung, denen die Menschen über ihre Fernseher, Smartphones, Tablets, Computer und jetzt auch noch Smartwatches ausgesetzt sind, immer weniger Bücher gelesen werden. Aber laut Bill gibt es unter denjenigen, die lesen, ein großes Bedürfnis nach knallharten Krimis, sei es auf Papier oder in Form von E-Books. Und die stillt er mit seinen Romanen. Alle sind Bestseller geworden.
Durch meine Beziehung zu Jack Stoney brachte ich es in meiner Heimatstadt zu einem gewissen Ruhm. Das bescherte mir jede Menge Frotzeleien auf dem Revier und in den Cop-Bars und machte mich bei den hohen Tieren nicht gerade beliebt. Ich schätze, Detective Stoneys Benehmen erinnerte sie daran, wie sehr ich ihnen auf den Geist gehen konnte.
Im Drunken Parrot halte ich immer eine Auswahl an Jack-Stoney-Büchern parat. Jeder Gast, der danach fragt, bekommt ein vom Autor und von mir signiertes Buch. Ich betrachte das als ein Marketinginstrument für die Bar. Manche kriegen auch eins, wenn sie nicht danach fragen, vor allem wenn sie weiblich und hübsch sind. Die Anmachfrage lautet: »Magst du zufällig Krimis?« Na ja, das war, bevor ich meine aktuelle Freundin kennenlernte. Jetzt bedanke ich mich einfach bei den Fans und gebe ihnen einen aus.
Bill schaut regelmäßig vorbei - um zu angeln und um zu sehen, ob seine Investition in die Bar noch etwas abwirft. Das Geschäft läuft gut - weil gut eingeschenkt wird, weil wir die besten Mini-Hamburger und scharf gewürzten Hähnchenflügel am Strand haben, die echten Hotdogs »Chicago Style« (ein Vienna-Beef-Fleischzipfel in einem Mohnbrötchen mit Senf, Zwiebeln, Tomatenscheiben, Gewürzgurke, hellgrünem Relish, Selleriesalz und kleinen Chilis) und eine Happy Hour, die von zehn Uhr, wenn ich den Laden aufmache, bis zur letzten Bestellung dauert, die immer dann fällig ist, wenn ich zumachen will.
Der Vorbesitzer des Drunken Parrot hatte einen Papagei namens Hector, der gerne auf der Bar hin und her spazierte, seinen Schnabel in die Biergläser der Gäste tunkte und dann herumtorkelte und täuschend echt rülpste. Zu den weiblichen Gästen sagte Hector Sachen wie: »Was macht eine abgetakelte Fregatte wie du in so einem Klasseladen?«, und zu den Männern: »Hey, Freundchen, du hast den Kanal aber gestrichen voll.« Außerdem konnte er die ersten Zeilen von »Danny Boy« singen.
Zu Hectors Ehren habe ich eine zwanzig mal dreißig Zentimeter große, gerahmte Fotografie von ihm an die Wand gehängt. Als ich die Bar vor drei Jahren gekauft habe, war Hector nicht im Preis inbegriffen gewesen, obwohl ich ihn gerne übernommen hätte. Aber sein Besitzer hatte sich ein Wohnmobil gekauft und wollte sich zusammen mit Hector als Beifahrer das Land anschauen. Vielleicht schreibt der Bursche ja ein Buch: Meine Reise mit Hector.
Ich dachte daran, die Bar in The Baby Doll Polka Lounge South umzutaufen. Das Baby Doll ist meine und auch Jack Stoneys Lieblingsbar in Chicago. Leon, der Besitzer, hätte nichts dagegen gehabt, aber meine Gäste hätten mit der Anspielung sowieso nichts anfangen können, und außerdem stellte der von Hector inspirierte Name einen gewissen Marktwert dar.
Man könnte sich fragen, ob es eine gute Idee ist, als trockener Alkoholiker eine Bar zu betreiben. Vielleicht nicht, aber ich schaffe es. Dieser Tage ist das Getränk meiner Wahl Berghoff Root Beer aus Chicago, ein in der »Windy City« von...
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