Schweitzer Fachinformationen
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Shunryu Suzuki Roshi hatte Tassajara 1967 als erstes Zen-Kloster im Westen gegründet. Es lag versteckt in einem engen Tal in den zentralkalifornischen Santa Lucia Mountains, war nicht ans Stromnetz angeschlossen und nur auf wenigen Karten verzeichnet. Die hohen, dicht mit Buschwerk und Manzanita-sträuchern bewachsenen Berge trennten es von der Welt, mit der es nur durch ein uraltes Kurbeltelefon und eine 25 Kilometer lange, holprige Piste verbunden war.
Die Fahrt über diesen von tiefen Furchen durchkreuzten Weg dauerte über eine Stunde. Mit jedem Kilometer entglitt uns zunehmend die vertraute Welt aus Beton, Eile, Telefonen und Elektrizität mit ihrem von fossilen Brennstoffen befeuertem Ehrgeiz. Ich hatte meine üblichen farbenfrohen Röcke und Schals gegen einfache schwarze Kleider, T-Shirts, Jeans, Arbeitsschuhe und Pantoffeln eingetauscht. Aus meinem neuen Zuhause würde ich meine Freund*innen nicht mehr anrufen und nicht mehr die Straße hinunterschlendern können, um in den örtlichen Supermarkt oder ein Café zu gehen.
Für die Fahrt über die Piste waren wir zu sechst in einen etwas mitgenommenen Jeep gepackt worden, der liebevoll »Kutsche« genannt wurde, eine späte Reminiszenz an die Ausflugsgespanne, mit denen die Kurgäste im späten 19. Jahrhundert die Santa Lucia Mountains überquerten, um die natürlichen heißen Quellen von Tassajara zu besuchen. Das letzte Teilstück der Strecke war so abschüssig, dass man damals einen sieben Meter langen Baumstamm an die Hinterachse des Gespanns kettete, um den Wagen zu bremsen und somit daran zu hindern, aufgrund des starken Gefälles in die Pferde zu rasen.
Wir pressten unsere Nasen gegen die Fenster der »Kutsche« und nahmen die wilde und bezaubernde Schönheit der Landschaft in uns auf.
Gespräche nahmen ihren Lauf. »Wie heißt du? Wo kommst du her? Wie lange bleibst du?«, doch schon bald fanden wir zurück in die Stille, denn unsere Kommunikationsfreude wurde vom Geräusch der Reifen, die sich auf dem Schotter der vom Regen ausgewaschenen Furchen rieben, den dicken Staubwolken und von leichter Übelkeit gebremst.
Die Wochen zuvor waren von einem Wirbel wilder Betriebsamkeit und Aktivität gekennzeichnet gewesen: Ich hatte meine Arbeit gekündigt, meine Wohnung leer geräumt, den Telefonanschluss abbestellt und meine medusengleichen Locken auf eine Länge von etwas über einen Zentimeter gekürzt. Jedes Mal, wenn ich daran gedacht hatte, wie es sein würde, die Klostertore zu durchschreiten und dabei das Leben, das ich bisher gekannt hatte, gegen ein einfacheres Leben sowie meine Wohnung gegen eine schlichtere »Zelle« einzutauschen, war es mir im Magen mulmig geworden, und meine Gedanken hatten sich verselbstständigt.
Nachdem die »Kutsche« auf dem Parkplatz zum Stehen gekommen war, wandte sich uns unser Fahrer Keith zu, dessen rundes Gesicht mit seinen tief liegenden Augen von Lachfalten umrandet war, und bereitete uns einen herzlichen Empfang. »Die Straße zu überqueren ist der schwierige Teil«, sagte er mit einem zwinkernden Grinsen. »Willkommen in Tassajara!« Wir öffneten die Türen, erhoben uns von den klimatisierten Sitzen, schoben uns in die pralle heiße Sommersonne und streckten unsere Glieder, während Keith ebenfalls den Wagen verließ, um die Heckklappe des Vans vom roten Staub zu befreien und unser Gepäck herauszuholen.
Ich packte meine berstend vollen Seesäcke auf einen knarrenden Holzkarren und zog diesen vom Parkplatz über zunächst gepflasterte und dann geschotterte Wege zu meinem neuen Zuhause: einem schmalen Zimmer, das gerade genug Platz für eine Futonmatratze und einen klapprigen Stuhl bot. Ein paar Haken ragten aus der Tür, und fünf verbogene Kleiderbügel baumelten an einem Holzbalken. Das einzige Fenster am Fußende des Bettes war nicht aus Glas, sondern aus dickem, durchsichtigem Plastik, und der Wind hatte durch Ritzen in den Wänden von draußen Sand hereingetragen.
Nachdem ich meine Taschen ins Zimmer geschleppt hatte, stapelte ich sie in einer Ecke, warf mich auf das durchgelegene Bett und starrte an die unebene Decke. Ich lächelte.
Als Sommerpraktikantin arbeitete ich gegen Kost und Logis. Ich half während der viermonatigen Gästesaison des Klosters, in der Urlauber*innen das Leben in rustikalen Hütten mit leckerem vegetarischem Essen und dampfenden Schwefelbädern genießen konnten. Für mich war der Aufenthalt in Tassajara so etwas wie ein Sommerlager für Erwachsene: körperliche Arbeit, klarer Himmel, kühles Wasser, herzliche Freundschaften, Stechmücken, der Geruch von frisch gebackenem Brot, der aus der Küche herüberwehte . nur Lagerfeuerlieder waren durch wohlklingendes Chanten im Tempel ersetzt worden.
Meine ersten Monate verbrachte ich damit, Gemüse zu schnipseln, Tische abzuräumen und die Laken von den Betten der Gäste abzuziehen, die abgereist waren. Jeden Morgen und Abend saß ich schweigend in der Meditationshalle, und in den Essenspausen verspeiste ich gemeinsam mit neuen Schüler*innen sowie grauhaarigen, fröhlichen langjährigen Mönchen und Nonnen an Picknicktischen schmackhafte, gesunde Speisen im Freien.
Als sich die Sommersaison ihrem Ende neigte, widerstrebte mir der Gedanke, über die Berge in die »echte« Welt zurückzukehren. Im Herbst hatte ich einen Studienplatz für Public Health, doch als ich das Willkommensschreiben erhielt, sträubte sich etwas in mir, es zu lesen. Verglichen mit der geistigen Inspiration, die mir der Zen-Meister des 13. Jahrhunderts Dogen Zenji gab, klang »Grundlagen der Sozialpolitik« wirklich mehr als langweilig. Und dann war da die herzliche Art, in der mich die Gemeinschaft mit offenen Armen aufgenommen hatte. Noch dazu ging es mir dank meines regelmäßigen Tagesablaufs mit drei gesunden Mahlzeiten auch körperlich hervorragend, und mein Blutzuckerspiegel war endlich stabil.
Und so blieb ich. Nach der Abreise der Sommergäste wurde es ruhig im kleinen Weiler Tassajara. Wir verbrachten einen Monat damit, die Gebäude und uns selbst auf den Winter und die intime Stille der monastischen Ausbildung vorzubereiten. Ich verfasste einen Brief an die Universität Berkeley, in dem ich meine Anmeldung widerrief, und unternahm einen Ausflug in den nächsten Ort, um warme Unterwäsche, Wollsocken und Regenschuhe für die regnerische und kalte Jahreszeit zu kaufen. Außerdem schrieb ich meinen Freund*innen sowie meiner Familie Briefe, in denen ich ihnen mitteilte: »Ich komme nicht heim.«
Ich hatte immer gedacht, monastische Ausbildung sei esoterisch und tiefgründig, war dann aber überrascht festzustellen, wie einfach sie war: aufstehen, sich zur Meditation setzen, sich verbeugen und chanten, essen, studieren, baden - und dies alles Tag für Tag, Woche für Woche. Ich wurde der Gruppe zugeteilt, die sich am Nachmittag drei Stunden lang um die Instandhaltungsarbeiten kümmerte: Wir bewegten Steinhaufen, spalteten Holz, jäteten Unkraut. Nach der Arbeit trafen wir uns zum Nachmittagstee. Anschließend war Zeit für ein Bad in den Schwefelquellen mit ihren warmen Becken, die von Sandsteinwänden eingerahmt waren und von einem Gebirgsbach gespeist wurden. Ich zog mich aus und glitt nackt in das Thermalbad, was die Beschwerden linderte, die von dem stundenlangen aufrechten Sitzen in Meditation kamen. Wenn das Licht des Nachmittags schwächer wurde und der Abend dämmerte, rief uns der volle Klang der Glocke, der durch das Tal schallte, zurück zu Verbeugungen und Chanten.
Der Tag begann morgens um halb vier, wobei wir von der Glocke geweckt wurden. Als Erstes hob ich das verrußte Glas meiner Petroleumlampe auf meinem Nachttisch an, um den Docht anzuzünden, was das Zimmer in goldenes Licht hüllte. Es war bitterkalt, und ich zögerte, unter meiner kuscheligen Daunendecke hervorzukommen und sie gegen die stechende Kälte einzutauschen. Dennoch kroch ich jeden Morgen aus dem Bett, zog dicke, lange Unterwäsche an und huschte in die Toilette, wo ich es tunlichst vermied, mit meiner warmen Haut die eisige Oberfläche der Klobrille zu berühren. Dann hüllte ich mich in schwarze Roben, bedeckte meine Igelfrisur mit einer Wollmütze, blies die Lampe aus und ging nach draußen.
In den frühen Morgenstunden glich der Himmel einer Sinfonie von Sternen. Ein stetiger Strom von in dunkle Roben gehüllten Körpern zog hinunter in die Meditationshalle, ein jeder von ihnen eine kleine Wolke kondensierten Atems vor sich hertreibend. Ich stieg die Stufen hinauf, streifte meine Pantoffeln ab, pellte meine Socken von den Füßen und platzierte alles auf dem Schuhregal vor der Meditationshalle. Dann tippelte ich die frostige hölzerne Empore zur Türe entlang. Bevor ich den Zendo (den großen Meditationsraum) betrat, faltete ich meine Hände zum Gassho, schritt über die Türschwelle und machte eine kleine Verbeugung.
Ich verbeugte mich vor meinem Sitz, ging zu ihm, verneigte mich erneut und setzte mich auf mein Zafu (das Meditationskissen). Ich kreuzte meine Beine, bewegte mich sanft nach links und fand in eine gute Haltung mit aufrechter entspannter Wirbelsäule. So saßen sechzig von uns nebeneinander, Schulter an Schulter - eine Reihe atmender Körper. Aus Minuten wurden Stunden, und so entfaltete sich der Fluss der Zeit. Als die Dunkelheit begann, dem Tageslicht zu weichen, erklang das Zwitschern der Vögel durch die mit Shoji-Papier...
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