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Niemand, der in der Lagunenstadt ankommt, sieht dieses Weltwunder zum ersten Mal: Zu oft wurde es beschrieben, besungen, auf Bildern und in Filmen dargestellt, sodass es längst Eingang in das kollektive Bewusstsein ganz Europas gefunden hat. Die wasserumspülten Paläste entlang der großen Kanäle sehen tatsächlich so unwirklich glänzend und zugleich so morsch aus, wie in den opulenten Bildbänden und Reisekatalogen. Die Piazza San Marco und an ihrer Stirnseite der gleichnamige Dom erscheinen auch in natura wirklich so mondän und makellos, als handle es sich um eine glamouröse Filmkulisse. Und das Panorama vom Kai vor dem Dogenpalast übers Wasser Richtung San Giorgio und Giudecca gleicht jenem, das Canaletto malte, in der Tat aufs Haar.
Doch genügt es, ein, zwei Stunden durch das Labyrinth aus Gassen, Plätzen und Hinterhöfen zu schlendern, um zu ahnen: Hier will nicht bloß eine architektonisch besonders schöne, so dicht und reich wie keine zweite mit Kunstschätzen bestückte Stadt erkundet werden. Nein, hier gilt es, das weltweit wohl wundersamste Gemeinwesen, ein einzigartiges Phänomen der Zivilisationsgeschichte, mit allen Sinnen - und hoffentlich mit Muße - zu erspüren.
Das Wunder nahm um 500 n. Chr. seinen Anfang, als die Festlandbewohner, die Veneter, vor den Hunnen und Langobarden in die Lagune flohen. Kurz nach 800 verbanden sie nach und nach Dutzende kleiner Inseln mit Brücken, rammten Millionen von Holzpfählen in den schlammigen Untergrund und schufen so jenes 7,5 km2 große Stadtgebiet, wie es sich heute noch mit seinen alles in allem rund 3000 Gässchen und 100 Plätzen, den etwa 150 Kanälen und über 400 Brücken präsentiert.
Der Blick vom Kirchturm ist es, der Neuankömmlingen auf Anhieb ein Bild von der Einmaligkeit der Lage und Anlage dieser Stadt vermittelt. Vom Campanile des Benediktinerklosters San Giorgio Maggiore zum Beispiel sind die Umrisse der Stadt gut auszumachen. Im Osten sieht man das riesige Gelände des Arsenals, der Schiffswerft. Noch ein Stück weiter östlich leuchtet das Grün der Giardini Pubblici, des Stadtparks, und das angrenzende Ausstellungsareal der Biennale. Im Westen ragen die Betonklötze der Parkgaragen und des Bahnhofs aus dem rostroten Dächermeer und in weiter Ferne ragen die Schlote der Industriezonen von Marghera und Mestre in den dort allzu oft smogverhangenen Himmel. Zum Greifen nah hingegen ist das große, spiegelverkehrte "S" des Canal Grande.
Rund um diesen aus insgesamt sechs Bezirken, den sogenannten Sechsteln (italienisch sestieri), bestehenden historischen Stadtkern (centro storico) lagern jene Dutzende Inselchen, die zum Teil immer noch jede für sich einem bestimmten sozialen Zweck dien(t)en - die Friedhofsinsel San Michele zum Beispiel oder die Gemüseinseln Sant'Erasmo und Le Vignole. Nicht zu vergessen die Glasbläserinsel Murano, der alte Bischofssitz Torcello, dazwischen Burano, das Refugium der Spitzenstickerinnen, und, am südlichen Horizont, der Lido, die schmale Sandzunge zwischen Lagune und offenem Meer.
Wie viele Facetten dieses urbanistische Wunder aufweist, das pro Jahr von über 25 Mio. Besuchern aus aller Welt heimgesucht wird, zeigen die gegensätzlichen Stimmungen, in die es seine Bewohner und Gäste zu versetzen vermag. Da ist seine melancholische und morbide Seite. Unweigerlich denkt man an die schwermütigen Verse von Lord Byron, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, an Daphne du Mauriers Gondeln, die Trauer tragen, an Thomas Manns von Luchino Visconti kongenial verfilmte Novelle "Tod in Venedig" und natürlich an Donna Leons Commissario Brunetti. Eng verknüpft mit seiner viel beschworenen tristezza ist Venedigs Energiepotenzial als Katalysator in Liebesdingen. Desdemona und Othello, George Sand und Alfred de Musset und natürlich der unermüdliche Giacomo Casanova stehen für die oft tragischen amourösen Leidenschaften, die diese Traumstadt zu entfachen vermag. Ganz im Gegensatz zu solcher Schwermut steht freilich Venedigs alterprobte Meisterschaft im Feiern ausgelassener Feste, wie sie sich heute noch zu Zeiten des Karnevals, aber etwa auch im Hochsommer zu Redentore oder bei den vielen farbenprächtigen Regatten zeigt.
Seltsam widersprüchlich ist auch der, wenn man so will, biologische Zustand der Stadt: Es ist kein Geheimnis, dass Venedig zusehends vergreist. Und zwar sowohl demografisch als auch städtebaulich: Sein Boden ist binnen 20 Jahren um 10 cm abgesackt; seine Bausubstanz bröckelt, erschüttert vor allem durch den Wellenschlag und die Motorvibrationen der vielen Kreuzfahrtschiffe, die sich über die Jahre zum Greifen nah an den historischen Palästen und Plätzen vorbeigeschoben haben. Zwar hatten die Venezianer nach jahrelangem Hin und Her 2014 ein Verbot der Ozeanriesen in ihrer Stadt erstritten, doch wurde dieses durch ein Gericht wieder gekippt. Wie das Problem künftig gehandhabt wird, steht seither in den Sternen.
La Serenissima ist freilich auch in demografischer Hinsicht bedroht: 175 000 Bewohner zählte die Altstadt in den Fünfzigerjahren; heute ist ihre Zahl auf ein Drittel geschrumpft. Und von diesen nur noch knapp 60 000 Verbliebenen wiederum pendelt mehr als ein Drittel täglich zum Arbeitsplatz aufs Festland. Die Gründe für diese allseits beklagte Abwanderung, den esodo? Nach 1945 waren es zunächst die beengten Wohnverhältnisse, feuchten Mauern und mangelnden Freizeitmöglichkeiten, die vornehmlich junge Familien zum Umzug in die neuen, komfortablen Retortensiedlungen im Raum Mestre veranlassten. Als dann in den Siebzigern mit Vehemenz der Massentourismus einsetzte, begann der Besucherstrom weitere Einheimische gewissermaßen aus der Lagune zu spülen.
Ohnehin wird gern vergessen, welche Mühseligkeiten die Stadt ihren Bewohnern abverlangt. Inzwischen droht der Massenbetrieb die Stadt zu ersticken. Die vaporetti und Hauptgehwege sind zu Stoßzeiten heillos überfüllt. Auch sonst erweist sich der Alltag als sehr beschwerlich. So ist etwa binnen nur einer Generation die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte um mehr als die Hälfte gesunken. Um kurz mal Brot und Milch zu besorgen, muss man inzwischen in vielen Gegenden, besonders bitter für Senioren, brückauf, brückab schier endlos laufen. Sämtliche lebensnotwendigen Güter müssen langwierig in Frachtkähnen herangeschafft, entladen und auf der Sackkarre über Treppen gewuchtet werden. Längst machen die Ansprüche betuchter Gäste das Leben für ansässige Normalverdiener unerschwinglich. Die Kosten für Lebensmittel und Konsumgüter wie die Kommunalabgaben steigen ins Uferlose. Vor allem aber steigen, da immer mehr wohlhabende Ausländer leer stehende Wohnungen als Zweitwohnsitz erwerben, die Immobilienpreise und damit auch die Mieten.
Entsprechend auf die Spitze gestellt erscheint die Alterspyramide. Inzwischen sind fast fünfmal mehr Venezianer über 60 als unter 20 Jahre alt. Zugleich aber hat sich, vor allem in Dorsoduro und Cannaregio, in den letzten Jahren eine von der Außenwelt noch viel zu wenig beachtete quirlige Lokal- und Kleinkunstszene entwickelt, wobei unter den Scharen jugendlicher, erlebnishungriger Nachtvögel, die sie bevölkern, auch Tausende Gaststudenten der örtlichen Uni zu finden sind.
Venedig hat es immer schon verstanden, sich mit den Umständen zu arrangieren. Seine Bewohner sind seit alters begnadete Händler; dies war schon so, als sie 1204 unter Führung des 97-jährigen, vollkommen blinden Dogen Enrico Dandolo den vierten Kreuzzug kurzerhand nach Konstantinopel umlenkten und dort die Schätze ihrer christlichen Glaubensbrüder plünderten. Und erst recht verhielt es sich während der folgenden Jahrhunderte so, als die Dogen mit eiserner Faust die Interessen der Republik nach innen und außen wahrten und Venedig als dominierende Handelsmacht im östlichen Mittelmeer unvorstellbare Geldsummen scheffelte.
Als die Venezianer im 14. Jh. ihre ersten überseeischen Positionen verloren, begannen sie ihr Augenmerk auf die sogenannte Terra Ferma zu richten. Kurz nach 1400 eroberte Venedig Istrien, das Friaul, Vicenza, Verona und Padua sowie große Teile der Lombardei. Venedig bezog aus den neuen Besitzungen das Holz für seine Flotte, das Getreide und Gemüse für seine Küchen und Stoffe und Seiden für seine Feste.
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Blatt jedoch gewendet. Formal ist Venedig zwar nach wie vor Hauptstadt über die Region Venetien, aber der Puls des Veneto schlägt längst in den Boomstädten des Festlands. Deren Flaggschiffe heißen Benetton (in Ponzano bei Treviso), Stefanel (Ponte di Piave) oder Eni (Marghera). Doch alle Pläne, diesen Ballungsraum mit seinen rund 2,5 Mio. Ew. und mehr als 1 Mio. Arbeitnehmern zu einer dynamischen Metropolis zu vereinen und bei Chioggia einen für ganz Mitteleuropa bedeutsamen Großhafen zu schaffen, wurden bisher...
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