Schweitzer Fachinformationen
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Wer einmal in den Sog gerät, kann sich nur schwer befreien ...
Als sich der Seenebel vor Hörnum lichtet, gibt er bei den Tetrapoden am Strand eine Männerleiche frei. Auf den ersten Blick ist ersichtlich: Auf das Opfer wurde brutal eingestochen. Dreiundzwanzig Messerstiche zählt Gerichtsmediziner Sebastian Gerlich, zwei davon waren tödlich. Die eilig angereiste Kriminalkommissarin Liv Lammers und ihre Flensburger Kollegen ermitteln in alle Richtungen. Bald wissen sie: Der Tote heißt Timur Roters, hat zusammen mit seiner Frau Merret als Sozialpädagoge in einer Jugendwohngruppe gearbeitet und sich durch seine liberale Einstellung Feinde gemacht. Doch reicht das, um einen solchen Sturm der Gewalt zu entfesseln?
Liv Lammers ermittelt in ihrem achten Fall auf Sylt, Deutschlands beliebtester Urlaubsinsel
Stumpfe Gewalt gegen den Hals. Die Tatwaffe konnte nicht gefunden werden . Frische Reifenspuren auf dem Vorplatz, die jedoch weder mit dem Opfer noch mit einem Täter oder möglichen Zeugen in Verbindung gebracht werden konnten, was möglicherweise an der abgelegenen Lage der Tierpension liegt .
Die letzten Worte des Polizeiberichts las Liv schon nicht mehr, sondern vervollständigte sie in Gedanken. Ihr Blick wanderte zu dem Franzbrötchen vor ihr auf dem Schreibtisch. Zucker und Zimt waren zu einer knusprigen Kruste karamellisiert, und es duftete himmlisch. Doch das Frühstück musste warten. Es war still im Kommissariat. Kein brandheißer Fall hielt sie auf Trab, nur Routinearbeiten. Akten, Berichte, Fortbildungen, Aussagen vor Gericht. Sie hatte sich vorgenommen, vor Frühstück und Dienstbesprechung einige Akten des Cold Case noch einmal durchzugehen, der ihr im Hinterkopf herumspukte. In den mehr als drei Jahren, die sie nun schon für das K1, die Mordkommission der Polizeidirektion Flensburg, arbeitete, hatte sie in ruhigen Phasen immer wieder ungelöste Altfälle gesichtet. Dieser Fall jedoch, bei dem kurz nach der Wende in Westerwall auf Sylt die Betreiber einer Tierpension ermordet worden waren, hatte sie besonders gepackt; vermutlich, weil die Kinder sich vor dem Täter versteckt hatten und einige Tage neben den Leichen ihrer Eltern hatten ausharren müssen. Eine Horrorvorstellung! Die Spuren hatten damals aufs Festland geführt.
Liv erhob sich und trat an die Karte von Schleswig-Holstein, die einen Großteil der Bürowand bedeckte. Vor ihr breitete sich das nördlichste Bundesland aus, eine weite Fläche zwischen Nord- und Ostsee, Dänemark, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Farblich hervorgehoben war das weitläufige Einsatzgebiet der Polizeidirektion Flensburg. Sie suchte den Punkt auf der Karte, an dem sich die Spuren verloren hatten. Eine frühere Ziegelei in einer abgelegenen Gegend, keine Straßen in der Nähe, auf die Touristen sich verirrten. Wer auch immer diesen Hof angefahren hatte, hatte vermutlich dorthin gewollt. Doch auch in dieser Hinsicht hatten die Kollegen sorgfältig gearbeitet; sie hatten sich überall im Umfeld über Autosichtungen erkundigt.
Sie suchte Straßen und Wege ab, in der Hoffnung, dort einen Hinweis zu finden. Sollte weiterhin kein aktueller Fall dazwischenkommen und ihre Aufmerksamkeit fordern, würde sie die Orte aufsuchen, die mit diesem Altfall in Verbindung standen. Natürlich würde sie nach so langer Zeit nichts mehr finden, was auf den Doppelmord verwies. Aber manchmal half die Auseinandersetzung mit konkreten Dingen und Schauplätzen dem Gehirn eher auf die Sprünge als intensives Aktenstudium.
Gedankenverloren ging Liv ans Fenster und blickte auf das Zentrum Flensburgs hinaus. Die bunten Häuser des Kapitänsviertels und die spiegelnde Fläche der Förde waren mehr zu ahnen als zu sehen. Dafür entdeckte sie auf dem Fußweg zur Polizeidirektion ihren Kollegen Andreas Bork, der von seiner Lebensgefährtin Babsi und deren zwei kleinen Kindern zum Kommissariat begleitet wurde. Er nahm das Gesicht seiner Freundin in die Hände, lächelte sie an und verabschiedete sich mit einem Kuss und einer innigen Umarmung. Es freute Liv, dass Andreas, der früher das Image des harten Kerls gepflegt hatte, mit seiner neuen Familie glücklich war. Er war noch gar nicht lange wieder im Dienst, hatte nach einer Kopfverletzung während eines Einsatzes wochenlang im Krankenhaus gelegen und anschließend eine Reha durchlaufen.
Liv trat zurück an den Schreibtisch und wollte gerade ein Stück ihres Franzbrötchens abzupfen, als das Telefon klingelte. Sie griff zum Hörer. »K1, Kriminalkommissarin Lammers. Moin. Wie kann ich helfen?«
»Hey, Liv, du bist's! Schön, deine Stimme zu hören. Ich fürchte allerdings, ich brauche mal schnell deine Chefin.« Momke klang so gestresst, dass Liv sich eine Nachfrage verkniff und ihn sofort durchstellte.
Gespannt heftete sie die Unterlagen zurück in die Akte. Momke Nebber war nicht nur ein früherer Schulkamerad und Freund, sondern auch bei der Kripo Sylt. Wenn er so dringend Hilke Hasselbrecht sprechen wollte, würde sie für diesen Altfall wahrscheinlich kaum noch Zeit haben - dann gab es etwas Brandeiliges.
Wie Momke war Liv im beschaulichen Morsum im Osten Sylts aufgewachsen. Sie hatte die Insel geliebt, gehasst und sich aus dem Herzen gerissen. Lange hatte es gedauert, die alten Wunden zu heilen. Doch jetzt, wo sie ihre Liebe zu Sylt wieder zuließ, nahm sie jedes Verbrechen persönlich, das auf diesem meerumtosten Fleckchen Land verübt wurde.
»Ist endlich mal wieder was los?« Auf einmal stand Andreas in der Tür, die Haltung so breit, als wollte er ihr den Durchgang versperren. Er trug das Haar kurz rasiert, was ihm etwas Grobschlächtiges gab. Nach wie vor war die Haut um seine Narbe herum kahl.
Sie sah ihn an. Sein Ton stieß ihr auf, richtiggehend sensationsgeil klang er. Seit sie ihn kannte, gehörte er zu den Kollegen, die immer Action brauchten. Brachten nicht einmal der Unfall und sein neues, stabileres Privatleben ihn zu etwas mehr Besonnenheit?
»Möglicherweise«, sagte sie ausweichend. »Momke telefoniert gerade mit Hasselbrecht.«
Einen Augenblick später rief Hasselbrecht ihre Mordkommission zusammen, und nur wenige Minuten danach versammelten sich die Ermittler im Besprechungszimmer. Hilke Hasselbrecht war eine stattliche Dame mit Kostüm und Perlenkette, deren voluminöse Föhnfrisur selbst turbulentesten Einsätzen standhielt. Wie immer wirkte sie auch jetzt hochkonzentriert. »Die Kripo Sylt hat soeben einen Leichenfund gemeldet. Eine Anglerin hat den männlichen Toten auf den Tetrapoden bei Hörnum entdeckt«, berichtete sie.
»Eine Wasserleiche? Also Selbstmord?« Andreas unterstrich seine Fragen mit einem enttäuscht klingenden Schnalzen; eine neue Angewohnheit, die enervierend sein konnte.
Hilke Hasselbrecht runzelte die Stirn. »Es wurde anscheinend scharfe Gewalt zum Nachteil des Opfers ausgeübt. Nicht unmöglich, aber auch nicht wahrscheinlich, dass der Mann sich die Einstichstelle in der hinteren Rippengegend selbst beigebracht hat. Andreas, Sie übernehmen die Teamleitung und machen sich so schnell wie möglich mit Liv auf den Weg. Ich setze den Staatsanwalt ins Bild.«
Liv unterdrückte ein Seufzen. Ausgerechnet heute war ihr Teampartner Hennes wegen einer Aussage vor Gericht. Auch sonst war die Mordkommission unterbesetzt, da ihre Kollegin Wanda in Elternzeit war. Ersatz war nicht leicht zu bekommen, denn die Behördenmühlen arbeiteten langsam, und viele Abteilungen waren am Limit. Dass die Teamleitung von Fall zu Fall wechselte, war üblich. Und Andreas war längst einmal wieder an der Reihe gewesen. Nach seinem Unfall und der Reha hatte er zunächst Startschwierigkeiten gehabt, dann jedoch gute Arbeit geleistet.
Andreas sah auf seine Smartwatch. »Lammers, du benachrichtigst KT und Rechtsmedizin«, ordnete er dann in einem Befehlston an, der Liv aufstieß. »In einer Dreiviertelstunde fahren wir los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Eine halbe Stunde später schloss Liv ihr Häuschen im Kapitänsviertel auf. Lachen perlte ihr entgegen, und sie erinnerte sie sich daran, dass Elise Frühstücksbesuch hatte. Schwanzwedelnd kam ihr ihr Hund Zorro entgegen, und sie begrüßte ihn flüchtig. Ihre Großmutter saß im Kreis ihrer Freundinnen im frisch renovierten Wohnzimmer. Auf dem Esstisch standen um den Brötchenkorb verteilt etliche Schälchen mit Krabben und Farmersalat, Käse und Wurst.
Kurz kam Liv in den Sinn, was sie verloren hatten. Noch immer schreckte sie nachts manchmal mit panisch pochendem Herzen auf. Was für ein Glück, dass sie hier inzwischen wieder so gemütlich zusammenleben konnten!
Als Elise sie sah, sprang sie auf und lief ihr entgegen; ihr flotter Kurzhaarschnitt und ihr junger Blick straften die unzähligen Fältchen Lügen. Niemand hätte ihr ihre siebenundsiebzig Jahre angesehen.
Liv grüßte in die Runde und bemerkte, wie eine von Elises Freundinnen unauffällig die Sektflasche vom Tisch verschwinden ließ; manchen war es für Alkohol nie zu früh. Sie lächelte. »Lasst euch nicht stören. Ich muss nur ein paar Sachen zusammenpacken.«
Als Liv in ihrem Zimmer verschwand, kam Elise ihr nach. »Wohin geht's denn, Lütte?«
»Nach Sylt.«
»Schon wieder? Fährt Sebastian auch?«
Liv nickte. »Er ist ebenfalls auf dem Weg.« Es war schon absurd genug, dass sie die Heimat ihrer Kindheit und Jugend ausgerechnet durch ihren Beruf wiederentdeckt hatte. Noch verrückter erschien es ihr, dass sie nun mit einem Rechtsmediziner zusammen war. Obgleich sie erst zweiunddreißig war, hatte ihr Leben doch schon viele überraschende Wendungen genommen. Viele davon hatten mit Sylt zu tun. Ich bin mit dieser Insel verbunden, in guten wie in schlechten Zeiten. Erst seit Kurzem schien etwas Ruhe eingekehrt zu sein. Zu Elise und Sanna, ihren Herzensmenschen, hatte sich Sebastian gesellt. Und auch mit den Traumata ihrer Vergangenheit hatte sie inzwischen abgeschlossen, zumindest kam es ihr immer öfter so vor. Einzig das Verhältnis zu ihrer Schwester Annika war nach wie vor ein wunder Punkt. Daran zu denken, vermied Liv, so gut es ging.
Sie warf Unterwäsche, einen Wollpullover und ihren Badeanzug in eine Reisetasche. An der Nordsee wusste man nie genau, welches Wetter einen erwartete, aber Baden ging für ein Nordlicht wie sie immer. »Weißt du, wo meine dicke Wollmütze und die neue Windjacke sind?«
»Ich glaube, Sanna hatte beides neulich...
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