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Die Bezeichnung »Fibromyalgie« (oder auch »Fibromyalgiesyndrom« oder »FMS«) wurde 1990 von der amerikanischen rheumatologischen Gesellschaft (American College of Rheumatology) akzeptiert und blickt somit auf eine fast 30-jährige Geschichte zurück. Anfänglich galt das Beschwerdebild als rätselhaft und unklar. Doch in der Zwischenzeit hat sich vieles verbessert:
Es wurden mehr als 10.000 wissenschaftliche Artikel zu allen Aspekten der Erkrankung veröffentlicht.
Die Symptomatik wurde auf unzähligen Kongressen debattiert.
Fibromyalgie wurde von der WHO in die Internationale Klassifikation der Krankheiten aufgenommen.
In Deutschland ging die medizinische Leitlinie für Ärzte bereits in die dritte Generation.
Die Schaffung des Wortes »Fibromyalgie« kann als Erfolgsgeschichte in der Medizin verstanden werden, die zu einem tieferen Verständnis und zu erfolgreicheren Therapien geführt hat. Doch trotz eindeutiger Fortschritte ist Euphorie fehl am Platz. Zahlreich sind die ungelösten Fragen:
Was steckt eigentlich hinter der Erkrankung?
Wie ist das Verhältnis von Seele und Körper bei der Entstehung?
Warum sind vorwiegend Frauen betroffen?
Warum sind Schmerzmittel (fast) unwirksam?
Warum gibt es nach wie vor keine einfache und wirksame Therapie?
Fibromyalgie ist immer noch ein Krankheitsbild, bei dem die Fragen zahlreicher sind als die Antworten. Auch wenn der Schwerpunkt dieses Buches eindeutig auf der Therapie liegt, soll doch vorab versucht werden, ein wenig Orientierung über das Krankheitsbild zu schaffen.
Wenn auch das Wort neu ist, die Beschwerden sind es keineswegs! Sie sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Ausgebreitete Schmerzen, Abgeschlagenheit und Schlafstörungen wurden nur jeweils anders genannt. Im 18. Jahrhundert wurde von »Muskelrheuma« gesprochen. Später tauchten Begriffe wie »Neuralgie«, »rheumatische Myositis«, »Myofibritis«, »Neurofibrositis«, »Tendomyopathie« und viele andere auf. Auch die seelische Seite fand Beachtung, wie aus den Diagnosen »psychogenes Rheuma« oder »Neurasthenie« zu erkennen ist. Sie ahnen es vielleicht schon. Möglicherweise ist auch »Fibromyalgie« nicht das letzte Wort für so eine vielgestaltige Erkrankung.
Tatsächlich lehnen nach wie vor einige ärztliche Kollegen (vor allem Orthopäden und Psychiater/Neurologen) den Begriff ab. Es gibt Tendenzen, sich davon wieder zu distanzieren und die Erkrankung eher in den Bereich der Psychiatrie zu verlagern. Bezeichnungen wie »somatoforme Schmerzstörung« oder »chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren« sollen an dessen Stelle treten.
Info
So lästig und schmerzhaft die Krankheit auch ist - einen Trost gibt es: Bei der Fibromyalgie kommt es nie zu Gelenkdeformierungen oder anderen Spätschäden an den Gelenken.
Das mag wie Wortklauberei klingen. Doch die Wahl der Bezeichnung hat direkte Auswirkung auf die Therapie. Falls bei Ihnen eine der beiden letzten Diagnosen gestellt wurde, dann liegt es sehr nahe, dass bei Ihrer medikamentösen Therapie vermehrt auf Psychopharmaka gesetzt wird, die jedoch nur einen geringen Effekt auf die Beschwerden haben.
Der Begriff »Fibromyalgiesyndrom« hat aus meiner Sicht vor allem einen großen Vorteil: Er sagt nichts über die möglichen Ursachen aus und beschreibt lediglich eine Summe von Symptomen.
Doch weitere Änderungen stehen an: Ab dem 1. Januar 2022 wird eine neue Klassifikation der Diagnosen in Kraft treten. Mit dem ICD-11 (»International Classification of Diseases«) der WHO rutscht das Fibromyalgiesyndrom nun als »chronischer ausgebreiteter Schmerz« (M30.01) unter andere chronische Schmerzerkrankungen (M30). Ob sich dies als Vorteil (z. B. weniger »Psychiatrisierung«) oder Nachteil (z. B. zu viele Medikamente) erweist, wird die Zukunft zeigen.
Fibromyalgie ist ein lateinisch-griechisches Kunstwort. Es setzt sich aus »fibra« = Faser, »mys« = Muskel und »algos« = Schmerz zusammen - also ein Faser-Muskel-Schmerz. Damit wird der Schmerz als zentrale Beschwerde in den Mittelpunkt gestellt. Doch das trifft nur einen Teil der Symptomatik. Erschöpfung, Schlafstörungen und Magen-Darm-Beschwerden sind für die Betroffenen meist genauso beeinträchtigend wie der vordergründige Schmerz. Daher werden in der aktuellen deutschen Leitlinie folgende Kernsymptome hervorgehoben: Schmerzen in mehreren Körperregionen, Schlafstörungen, Müdigkeit und Erschöpfung.
Der Krankheitsverlauf der Fibromyalgie
Der Krankheitsbeginn ist oft schleichend. Bereits in jungen Jahren leiden Betroffene häufiger unter Kopfschmerzen, Migräne oder Rückenschmerzen. Auch Reizdarmbeschwerden, Schlafstörungen, Schwindel oder depressive Verstimmungen finden sich häufig in der Vorgeschichte.
Meist treten irgendwann hartnäckige Schmerzen in der Hals- oder Lendenwirbelsäule bzw. an irgendeiner anderen Stelle des Körpers auf, die anfangs kommen und gehen. Irgendwann werden sie zu Dauerschmerzen.
Später kommt es zur langsamen Schmerzausbreitung über den Körper, bis es schließlich »überall« wehtut.
Dieser generalisierte Schmerz ist anfangs vor allem in der kalten Jahreszeit oder nach Belastungen zu spüren. Im Verlauf von Jahren werden jedoch die »guten«, d. h. schmerzfreien Zeiten immer seltener.
Schließlich treten immer häufiger auch »vegetative Beschwerden« wie Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Depressionen und Ängste hinzu: das Vollbild der Erkrankung.
Die Schmerzen bei Fibromyalgie können vielgestaltig sein. Doch meist werden sie als tief sitzende, ziehende Schmerzen wie bei einem Muskelkater oder einer Grippe bezeichnet. Oft fällt es Betroffenen schwer anzugeben, wo es am meisten zieht. Meist in den Muskeln oder Sehnenansätzen, manchmal aber auch in den Gelenken oder den Knochen.
Außer der Wirbelsäule sind fast immer auch Arme und Beine betroffen. Es gibt allerdings Fälle, in denen neben der Wirbelsäule nur einzelne Muskelbezirke (beispielsweise die Schultern) wehtun. Viele Patienten klagen morgens zudem über eine ausgeprägte Steifheit der Gelenke und das Gefühl, diese seien angeschwollen, auch wenn eine Schwellung nicht immer sichtbar ist. Schwellungen treten meist auch im Bereich von Augen, Wangen und Fingern auf, und am Morgen ist oft die Nase verschwollen. Frauen leiden oft unter Spannungsgefühlen in der Brust und im Unterleib.
Ist die Symptomatik fortgeschritten, sind die Schmerzen »immer und überall« vorhanden. Typisch ist die Verschlechterung bei Kälte/Nässe, nach körperlicher Anstrengung und bei Stress/Anspannung. Auch Schlafmangel, Infekte oder andere belastende Lebensereignisse können zur Schmerzverstärkung führen. Die Laboruntersuchungen sind meist unauffällig, größere Abweichungen von den normalen Werten können in der Regel nicht festgestellt werden.
Im Übergang zwischen Muskel und Sehne sitzen besonders viele empfindliche Schmerzfasern. Daher ist diese Übergangsstelle ein »neuralgischer« Punkt bei Fibromyalgie. Hier treten besonders unangenehme Schmerzen auf.
Das Beschwerdebild kann zahlreiche weitere Symptome umfassen, für die es ebenso wenig eine eindeutige körperliche Ursache gibt. Sie fallen unter den Begriff »funktionelle Störungen«, bei denen zwar die Funktion, nicht aber die Struktur des Körpers beeinträchtigt ist. Dazu gehören: Reizdarmsyndrom, Reizblasensyndrom, Unterleibsschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, »Wattegefühl«, erhöhte Reizempfindlichkeit (vor allem Lärm, Licht, Geruch, Kälte, Wärme), Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Erschöpfung und viele weitere.
Schmerzende Muskeln sind eigentlich nicht ungewöhnlich - denkt man beispielsweise an Muskelkater oder ähnliche Beschwerden. Bei der Fibromyalgie schmerzen viele Muskeln: häufig und scheinbar ohne Grund.
Erschöpfung, Mattigkeit und Müdigkeit sind für viele Betroffene dabei die wichtigsten Symptome. Abgeschlagenheit fehlt selten und quält die Patienten sehr. Sie ist oft derart ausgeprägt, dass eine regelmäßige Berufstätigkeit nicht (mehr) möglich ist.
Erschwert wird eine Erwerbstätigkeit häufig durch Konzentrationsstörungen: Benommenheit, Erinnerungslücken, eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses, das Gefühl einer »Mattscheibe« oder einer allgemeinen Verlangsamung werden beklagt.
Ebenso häufig sind Schlafstörungen. Meist fallen die Betroffenen todmüde ins Bett, aber nach nur zwei Stunden ist es vorbei mit dem Schlummer. Dann wälzen sie sich von einer Seite auf die andere und fühlen sich morgens völlig zerschlagen.
Aufstoßen, Völlegefühl, Sodbrennen, vermehrte Darmgeräusche, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung fehlen beim FMS selten. Bei einer überraschend großen Zahl der Patienten finden sich Allergien. Diese reichen von leichtem Heuschnupfen bis zu schwerem Asthma.
Abgesehen von den...
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