Schweitzer Fachinformationen
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I. Palos (1492)
Am Rande der Hafenstadt Palos klebte eine traurige Ansammlung armseliger Lehm- und Bretterhütten an einem unfruchtbaren Hang. Wenige Pinien krallten sich an die Erde. Disteln und verdorrtes Gras kämpften zwischen den Behausungen ums Überleben. Hier wohnte der Hirte Rodrigo Sanchez de Palos. Er war 13 Jahre alt. Dass er dieses Alter erreicht hatte, darf man als mittleres Wunder bezeichnen. Seine Mutter hatte bereits versucht, ihn umzubringen, als er noch unschuldig im Mutterleib heranwuchs. Vergebens führte sie sich Gifte aller Art zu und auf allen denkbaren Wegen ein. Der Balg wollte nicht abgehen. So wuchs und gedieh Rodrigo im Mutterleib, obwohl er in dieser Welt nicht willkommen war. Weder der Lebenswandel der Mutter noch die Prügel, welche sie in dieser Zeit bezog, konnten dem Fötus etwas anhaben. Nach der Geburt ließ sie ihn an Ort und Stelle hinter einer Lehmhütte zurück. Ihm den Hals umzudrehen, wagte sie nicht, aber sie vertraute der Sonne - und den Krähen. Doch die feuchte Kuhle, in der das kleine nackte Wesen liegenblieb, erwies sich als guter Platz zum Überleben, weil ihn eine kleine Steinmauer umfriedete, die Schweine und Hunde abhielt. Als der Säugling nach drei Tagen immer noch schrie, trug ihn jemand in jene Spelunke Namens "La Tortuga", die Schildkröte, in der die Mutter inzwischen schon wieder ihrem Gewerbe nachging. Notgedrungen nahm sie ihn mit in ihre Hütte. Hätte er Arbeit gemacht, wäre er zur Last gefallen, wäre er krank oder ein Schreihals gewesen, dann hätte er keine Überlebenschance gehabt. Aber er war genügsam, hungerte klaglos, wenn er tagelang nicht gefüttert wurde, und verschlang dazwischen alles, was man ihm in den Mund schob. Als Säugling lag er stumm und still. Als Kleinkind versteckte er sich und machte sich so unsichtbar wie möglich. Bereits im Alter von fünf Jahren trug er als Ziegen- und Schweinehirte zum kargen Einkommen bei. Er blieb zäh und unerschütterlich am Leben. Ein immer dreckiges und hungriges Kind. Nie krank. So wuchs Rodrigo Sanchez heran. Inzwischen war er dreizehn Jahre alt und die Sippe hatte sich vergrößert.
Manchmal saß er mit seinen grimmigen Gedanken zuhause auf dem Lehmboden der armseligen Hütte, in der er, die Sippe hatte sich vergrößert, mit seinen Geschwistern zusammen mit der Mutter hauste. Einen gemeinsamen Vater gab es nicht. Niemand wusste genau, wer waren die Erzeuger, nicht einmal die Mutter. Jener Mann, von dem sie sich derzeit verprügeln und bespringen ließ, war ein Säufer.
Die Mutter hielt ihre Schar mit dem Hurenlohn am Leben, den sie sich in den Hafenkneipen verdiente. Ihr Gesicht trug verhärmte Züge, war von Falten gefurcht. Ihre Augen blickten glasig von Suff, Hunger, Elend und Prügel. Der einstmals vorhandene Liebreiz war längst unter Dreck und Verbitterung verschwunden, obwohl sie noch keine dreißig Jahre alt war. Ein knappes Dutzend Schwangerschaften, eine pro Jahr, hatten ihre Hüften breiter werden lassen. Ihre Brüste waren längst nicht mehr so straff wie früher. Die meisten Zähne fehlten bereits, so dass ihr einstmals verheißungsvolles Lächeln mit den Jahren zum zahnlosen Grinsen einer Vettel geworden war. Dass sie überhaupt noch Freier fand, verdankte sie dem Alkohol und der Dunkelheit der Nacht. Beides gute Verbündete, wenn es darum ging, Reize vorzutäuschen. Die andalusischen Schafhirten, Matrosen, Fischer und Hafenarbeiter, zeigten sich nicht wählerisch, wenn sie für wenig Münzen eine Wurst, ein Stück Käse, vorwiegend aber für Wein und Schnaps schnelle Befriedigung zwischen den Schenkeln der Hure Sanchez fanden. Nicht alle dieser Bälger dieser Freier waren so zäh wie Rodrigo. Die meisten taten der Hure und ihren wechselnden Zuhältern den Gefallen und starben im ersten Lebensjahr. Auch der Bastard von diesem Säufer war schon nicht mehr da. Er war nur drei Monate alt geworden. Der Alte hatte das brüllende Wesen im Suff so lange geschüttelt, bis es für immer still blieb.
Wie es wohl wäre, wenn er diesen Abschaum umbringen würde, fragte sich Rodrigo. Vielleicht hätten sie es alle dann leichter im Leben. Er, seine beiden jüngeren Brüder Miguel und Pedro und die dreijährige Consuela, die Jüngste der noch lebenden Geschwister.
Das Grübeln des Jungen, der im Halbdunkel der muffigen Lehmhütte saß, wurde jäh unterbrochen. Die Mutter kreischte. Blut spritzte. Ein harter Faustschlag hatte sie getroffen. Von unten gegen das Kinn und schräg über die Nase.
Rodrigos Mutter krachte rückwärts gegen die Lehmwand, ruderte nach Halt suchend mit den Armen und rutschte dann seitlich weg. Sie hatte Glück, denn so entging sie dem wilden Fußtritt, der dem Fausthieb folgte.
Sie krümmte sich, wischte das Blut von der Nase. In wilden Strähnen hingen ihr ihre dunklen Haare vom Kopf. "Bastard, elender! Hurensohn! Gottverdammter räudiger Taugenichts. Besoffener, jämmerlicher Bock. Nichts kannst du, nichts. Nicht einmal deine eigene Frau verprügeln."
Und dann gab sie es ihm zurück: ein Tritt mit dem Fuß von unten in die Weichteile. Der Säufer brüllte. Und während er noch schrie und sich krümmte, war sie schon wieder auf den Beinen und schlug mit der flachen Hand zu. Ein, zwei, drei Ohrfeigen, links, rechts, links. "Hier kriegst du, was du verdienst, verfluchter Mistbock, verfluchter!"
Er warf sich auf sie, mit verdrehten Augen, irrem Blick und mit taumelnden Bewegungen. Er drückte mit einer Hand ihren Hals gegen die Wand, mit der anderen riss er an ihren langen Haaren.
"Du Hure! Du elendige Hure! Ich bringe dich um. Du schlägst mich nicht noch einmal. Deinen Mann schlägst du nicht." Er drückte ihre Gurgel, würgte sie, dass ihr vor Schmerz und Atemnot die Augen weit hervortraten. Mit ihren Fäusten trommelte sie gegen seine Brust, kratzte ihn, trat heftig zu, wehrte sich mit Händen und Füßen.
Er ließ erst los und zuckte zurück, als sie ihn anspuckte. Mitten ins Gesicht! Das wüste Zuschlagen ging von vorne los. Sie wälzten sich im Staub, warfen sich gegen die morschen Bretterwände, kugelten sich, kamen wieder auf die Beine; so ging es rauf und runter. Sie war zwar schwächer, aber er war betrunken.
Rodrigo saß mit seinen drei jüngeren Geschwistern reglos in der Ecke. Wie immer, wenn der Alte und die Mutter sich prügelten, war es das Klügste, sich nicht zu rühren. Schnell bekam man sonst selbst einen Fußtritt ab, einen Faustschlag ins Gesicht, oder eins mit dem Ledergürtel oder dem Stock übers Kreuz.
Rodrigo legte schützend seinen Arm um Consuela. Die Dreijährige begriff nicht, was vorging. Sie weinte und kauerte sich an den großen Bruder. Der sechsjährige Pedro und der zehnjährige Miguel waren beide schon schlau genug, sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Sie legten sich ganz flach auf ihre Strohmatten; nur ihre kleinen, schwarzen Kugelaugen bewegten sich und verfolgten das Geschehen. Ihre ausgemergelten Körper zitterten.
Rodrigo hatte keine Angst mehr. Zu oft schon hatte er solche Szenen miterlebt.
Der Saufbold war wieder einmal betrunken nach Hause gekommen. Wie so oft. Wie immer eigentlich. Die Mutter hatte gescholten. Wie immer. Eines der Hühner fehlte. Sie besaßen nur sieben. Hatte er das fehlende verkauft und das Geld versoffen? Hatte sie nicht aufgepasst und es war davongelaufen? Hatte es jemand gestohlen? Es war egal! In solchen Fällen redete man nicht lange.
Jetzt schnappte der Säufer den leeren Wasserkrug und schleuderte ihn gegen die Mutter. Das Geschoss verfehlte sein Ziel. Der Krug eierte auf die zusammengekauerte Gruppe der Kinder zu. Rodrigo zog geistesgegenwärtig den Kopf ein. Das Tongefäß krachte splitternd auf den Schädel von Consuela. Sie schrie laut auf und hielt sich die Kopfwunde. Ihre kleinen Finger färbten sich zwischen den struppigen Haaren schnell rot vom Blut, bevor sie bewusstlos zusammensackte.
Rodrigo starrte auf das jämmerliche Bündel: ein dünner, kleiner Körper, kaum Mensch, gekrümmt im Staub der Hütte.
Die Alten kümmerten sich nicht darum. Der Streit tobte weiter.
Mit einer fahrigen Bewegung strich Rodrigo über die klaffende Wunde am Kopf seiner Schwester. Er spürte das warme, klebrige Blut. In einem Impuls von Wut und Auflehnung sprang Rodrigo auf und stürzte sich auf die Tollwütigen. Er wollte auf sie einprügeln, sie zur Besinnung bringen. Ein Tritt des Säufers genügte, ihn wieder in seine Ecke zu scheuchen.
Jetzt änderte sich der Charakter des Streits. Der Alte warf sich über die Mutter und drückte sie fest mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Boden. Sie wehrte sich zwar, wand und stemmte sich, doch im wilden Ringen behielt er die Oberhand. "Du Biest", keuchte er. "Du kleines Biest, ich werde dich schon zähmen."
Die Körper verschlangen sich noch fester ineinander, hoben und senkten sich. Mit einer Hand hielt er immer noch ihren Haarschopf gepackt, mit der anderen schob er ihr den lumpigen Rock über die Knie, fuhr mit der Hand ihre nackten Schenkel empor und drückte ihre Beine auseinander. Gleichzeitig öffnete er seinen Hosenladen und holte sein mächtiges Glied hervor. Rodrigo kannte diesen Verlauf. Scheinbar wehrte sich die Mutter, aber ihre Bewegungen wurden rhythmisch und das Stöhnen klang nun nach gieriger Lust. Die zwei verschwitzten, verdreckten Körper begannen, nacheinander zu suchen.
Drüben an der Wand lag blutverschmiert Consuela. Sie war noch immer bewusstlos.
Rodrigo sprang auf, zwei Sätze an der Wand entlang, und schon war er an der Stoffmatte, die den Eingang zur Hütte verdeckte, und wollte hinausschlüpfen. Da packte ihn die starke Hand des Alten am Fußknöchel: "Hier geblieben, Bürschchen!"
Rodrigo stolperte, kam zu Fall. Schon packte der...
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