Schweitzer Fachinformationen
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In diesem Kapitel erfahren Sie .
Die Kinderdermatologie befasst sich mit den Hauterkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Kinderdermatologie nenne ich gern auch Sinnesmedizin. Denn in den allermeisten Fällen geht es genau darum: hinzusehen, hinzuhören und (mit) zu fühlen.
Für die Einordnung der allermeisten Hauterkrankungen brauche ich in der Regel nicht viel mehr als meine Augen, Ohren und Hände und kann meist auf große und schwere Apparate verzichten, die komische Geräusche machen und aus dem Blickwinkel eines kleinen Kindes Furcht einflößend wirken können.
Als oberflächlichstes Organ fällt die Haut sprichwörtlich ins Auge und viele Veränderungen lassen sich mit den Händen ertasten. Mit allem, was hier sichtbar und tastbar ist, »spricht« die Haut: Dass ihr etwas fehlt und ob sie mit etwas kämpft, all das lässt sich anhand manchmal nur sehr diskreter, bisweilen aber auch sehr eindrücklicher Veränderungen nachvollziehen.
Bei tiefer unter der Haut liegenden Veränderungen, die schlecht von außen zu beurteilen sind, hilft oft der Einsatz eines Ultraschalls. Und in unklaren Fällen kann die Entnahme einer Gewebeprobe (Hautbiopsie) Klarheit schaffen.
Das Wort »Medizin« beginnt mit dem Buchstaben »M« wie »Mensch«. Das passt gut zu der Tatsache, dass gute Medizin eine persönliche Beziehung braucht. Besonders im Umgang mit Kindern ist diese Beziehungsebene eine wichtige Voraussetzung. Beziehungen entstehen durch Vertrauen, Zeit und einen Rahmen, in dem man sich öffnen kann. Leider ist Zeit heute, da die Medizin unter dem zunehmenden Druck der Wirtschaftlichkeit steht, mitunter zum Kostbarsten geworden, was wir haben - beziehungsweise was wir uns als Ärzte, die wir helfen wollen, tagtäglich erkämpfen müssen.
Doch Zeit ist gerade bei der Versorgung hautkranker Kinder eine wichtige Voraussetzung: für die Abklärung einer Krankheit und besonders für deren Behandlung. Für beides brauche ich beim Umgang mit Kindern und ihren Eltern Geduld und Zeit. Denn nur so kann ich mich gegenüber den Betroffenen öffnen, was wiederum die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ist, in der auch intime Themen, Ängste und Sorgen Platz haben. Gerade wegen dieser unmittelbaren Nähe - weil ich mit Augen, Ohren und Händen meinen kleinen Patienten und Eltern so nahekomme - hat mich die Behandlung von Haut- und Allergieerkrankungen schon früh fasziniert.
Dieses Zitat verstand Maria Montessori als Leitspruch der durch sie geprägten Pädagogik. Auf Vorträgen zitiere ich diesen Spruch immer wieder, auch wenn es mir dabei weniger um Pädagogik geht. Vielmehr verdeutliche ich mit ihm die fundamentalen Unterschiede in Aufbau und Funktion der Kinder- gegenüber der Erwachsenenhaut. Diese Unterschiede haben entsprechende Konsequenzen für die Abklärung, die Behandlung und die längerfristige Betreuung chronischer Kinderkrankheiten. Leider findet das innerhalb eines zunehmend komplexer arbeitenden Gesundheitssystems immer weniger Berücksichtigung.
Was mir gerade bei der Betreuung von Kindern mit chronischen und vielschichtigen Erkrankungen schon während meiner Ausbildung auffiel, ist, wie schnell Kinder und Familien durch die Raster fallen können, wenn nicht mehr der »ganze Mensch« gesehen wird, sondern nur noch »die Neurodermitis«, »das Asthma« oder andere, kleine Facetten eines großen Ganzen. Meine persönliche Konsequenz war es, mit dieser Erkenntnis einen eigenen Weg zu beschreiten. Dieser Weg hat mich inzwischen neben meiner oberärztlichen Funktion in einer Kinderklinik in meine eigene Praxis geführt, in der sich alles um die Kinderhaut dreht. Hier kann ich vieles, wenn auch nicht alles, anders machen. In erster Linie: das Kind mit seiner Familie in den Mittelpunkt stellen, die Welt mit Kinderaugen betrachten, eine kindgerechte Umgebung bieten. Und mir Zeit nehmen, in meinem kleinen »Spatzennest« (Ulms Wahrzeichen ist der Spatz).
Hautsache ist Gefühlssache: Wenn man sich durch eine Krankheit wie Neurodermitis nicht mehr wohl in seiner Haut fühlen kann, wird dies besonders deutlich. Denn wenn die Haut krank ist, so hat dies einen erheblichen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen.
Das erlebe ich sowohl bei den Eltern, die mit ihrem hautkranken Kind Hilfe suchen, als auch bei meinen kleinen Patienten selbst. Wenn die Haut juckt, brennt und jede Berührung unangenehm ist, macht das etwas mit uns beziehungsweise unseren Kindern. Es verändert die Gefühlslage, das Verhalten zu mir selbst und zu anderen. Unsere Haut steht also in einer ganz besonderen Beziehung zu uns und ist gleichzeitig auch eine wichtige Verbindung zu den umgebenden Menschen. Besonders prägend ist diese Beziehung im Kindesalter.
Unter der Vielzahl an Hauterkrankungen im Kindesalter nimmt die Neurodermitis innerhalb meiner Sprechstunde einen besonders großen Anteil ein. Denn sie ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter, aktuell ist mehr als jedes zehnte Kind in Deutschland betroffen. Dabei hat die Neurodermitis in den westlichen Ländern über die letzten Jahrzehnte deutlich zugenommen. Auch die Neurodermitis ist Gefühlssache. Im Erstkontakt mit den Eltern sind oft Hilflosigkeit, Erschöpfung und Verzweiflung präsent - Gefühle, die mit einem allgemeinen Unbehagen, einer Zurückgezogenheit oder manchmal auch Gereiztheit der Kinder zusammentreffen.
Die besondere Verbindung zwischen Haut und Gefühlen wird bereits sehr früh geprägt, und zwar in der Embryonalphase, also der Zeit, die an die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle anschließt. Haut und Nervensystem gehen in dieser Frühphase der Entwicklung aus derselben Grundstruktur hervor: einem Keimblatt, dem sogenannten Ektoderm. Dieser gemeinsame Ursprung verbindet beide Organe ein Leben lang fest miteinander und erklärt mitunter die wechselseitige Beziehung zwischen ihnen.
Wie eng Haut, die darunter liegende Seele und der Organismus miteinander verflochten sind, zeigen beispielsweise wissenschaftliche Untersuchungen zum direkten Körperkontakt zwischen Eltern und Kind unmittelbar nach der Geburt:1 dem sogenannten »Skin-to-Skin«-Kontakt, bei dem das Neugeborene auf dem Oberkörper der Mutter oder des Vaters liegt. Dieser erste innige Hautkontakt fühlt sich nur nicht nur für beide Seiten gut an, sondern er hat erwiesenermaßen positive Wirkungen auf wichtige Körperfunktionen und die Psyche. Die beruhigende Wirkung zeigt sich aufseiten des Neugeborenen unter anderem in kürzeren Weinphasen, zudem sind die Kinder in Bezug auf Körpertemperatur und Herzschlag deutlich stabiler.
Auch auf mütterlicher Seite lassen sich positive Wirkungen feststellen: So fördert der Kontakt zwischen Mutter und Kind die Produktion von Muttermilch und trägt darüber hinaus zur Reduktion des Stresspegels bei, der bei all den Aufregungen und Anstrengungen vor und während der Geburt bekanntermaßen hoch ist. Einen wichtigen Beitrag leistet hier das Hormon Oxytocin. Oxytocin, das im menschlichen Gehirn gebildet wird, hat zum einen eine wichtige Bedeutung beim Geburtsprozess, indem es beispielsweise die Wehentätigkeit auslöst. Oxytocin beeinflusst zudem unsere Gemütslage und trägt wesentlich zur Ausbildung und Prägung von Beziehungen zwischen Menschen bei, auch zwischen Mutter, Vater und Kind. Über Berührungen entstehen somit Beziehungen. Unmittelbar nach der Geburt, aber auch zu jeder weiteren Stunde. Jeder dieser Hautkontakte ist wertvoll.
»Wir haben Angst, dass es Neurodermitis ist« - so antworten mir Eltern häufig auf die Frage, was der Anlass für den Besuch in meiner Sprechstunde sei. Tatsächlich ergab eine Elternbefragung zum Thema Kindergesundheit im Jahr 2015, dass es sich bei der Neurodermitis um die »Angstdiagnose Nummer eins« handelt.2 Diese Angst treibt Eltern mit ihrem Kind insbesondere dann um, wenn die Haut zum ersten Mal gerötet ist, juckt, brennt und nichts so recht helfen mag.
Gefürchtet ist die Neurodermitis deshalb, weil es sich um eine chronische Krankheit handelt, deren Beschwerden dauerhaft und in wechselnder Intensität den Alltag überschatten können. Wie groß dieser Schatten sein kann, davon bekommt man einen Eindruck, wenn man mit Eltern, Geschwistern oder Großeltern ins Gespräch kommt. Denn wenn ein Kind leidet, leidet nicht nur das Kind selbst, sondern auch die Menschen in seinem Umfeld.
Unmittelbar verbunden mit der Neurodermitis ist der Juckreiz. Vielen bekannt sind die Bilder von entzündeter Haut, die von Kratzspuren gezeichnet ist, teils nässt und mit Krusten übersät ist. Auch das mit dem Juckreiz verbundene Kratzen und Scheuern bleibt für das Umfeld nicht unbemerkt. Sowohl aus dem Blickwinkel des hautkranken Kindes als auch aus dem seiner Familie ist...
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