Schweitzer Fachinformationen
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Mara Eisfeld schoss mit ihrem Dienst-Audi über die Prenzlauer Allee, ließ Fernsehturm und Museumsinsel hinter sich und näherte sich trotz des stockenden Verkehrs relativ zügig dem ehemaligen Zeitungsviertel. Dort, wo ab Ende des 19. Jahrhunderts mehr als fünfhundert Betriebe rund um die Zeitungsherstellung ihren Sitz gehabt hatten, befanden sich jetzt fast nur noch die Zentralen einiger weniger Großverlage. Unter ihnen auch die des ARGUS.
Je näher Eisfeld ihrem Ziel kam, desto zäher floss der Verkehr. Sie setzte das Blaulicht aufs Dach, kam dadurch aber nur geringfügig schneller voran, da ein erheblicher Teil der Fahrzeuge vor ihr nur sehr widerwillig eine Schneise für sie freigeben wollte. Eisfeld hupte, gestikulierte und spielte sogar mit dem Gedanken, auszusteigen, um besonders renitenten Verkehrsteilnehmern die Leviten zu lesen, ließ es dann aber doch bleiben und übte sich in Geduld.
Ihr Smartphone brummte erneut. Ein Blick auf das Display verriet ihr, dass es sich nicht etwa um eine berufliche Angelegenheit handelte, wie sie eigentlich erwartet hatte, sondern dass ihr Vater sie zu erreichen versuchte.
Ganz schlechter Zeitpunkt, Papa, dachte Mara und ignorierte den Anruf. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihr Gehirn allerhand Mutmaßungen über den Anlass des Anrufs anstellte, denn normalerweise meldete sich ihr Vater - wenn überhaupt - nur an Wochenenden oder Feiertagen.
Das Gedankenkarussell kam erst zum Stillstand, als sie in der Ferne eine Ansammlung von mehreren am Straßenrand parkenden Einsatzfahrzeugen erblickte. Der Bereich vor dem ARGUS-Gebäude - einem imposanten Quader aus Glas und Metall - war weiträumig abgesperrt. Eisfeld manövrierte ihren wuchtigen Dienstwagen mit chirurgischer Präzision mit zwei Zügen in die freie Lücke hinter dem Sprinter der Kriminaltechnik und stieg aus. Auf der anderen Seite des Flatterbands entdeckte sie ihren Stellvertreter, der im Gespräch mit einer uniformierten Kollegin war, und kämpfte sich durch die Menge der Polizisten und Schaulustigen zu ihm durch. Trotz der vielen Kollegen, die im Inneren der Absperrung ihrer Arbeit nachgingen, hatte Mara freie Sicht auf den mit einem Leichentuch bedeckten Körper, der wenige Meter vom Eingang des ARGUS-Gebäudes entfernt auf dem Asphalt lag. Nur die italienischen Stiefeletten aus braunem Leder und der untere Teil der Jeans waren zu sehen, der Rest der Leiche blieb unter dem Tuch verborgen.
Kurz bevor Eisfeld Blessing erreicht hatte, entdeckte er sie, löste sich von seiner Gesprächspartnerin und kam ihr entgegen.
»Noch mal Entschuldigung, dass ich Sie von dieser anderen Nummer angerufen habe. Ich hab mir von Dietrich ein Ersatztelefon geliehen, denn meins ist irgendwie weg.«
»Weg?«
»Na ja, nicht weg«, korrigierte sich Blessing und druckste ein wenig herum. »Ich habe es gestern liegen gelassen. Bei einem Bekannten. Oder besser gesagt bei einem Date. Einem Date mit Übernachtung.«
»Blessing!«, stieß Eisfeld mit gespieltem Entsetzen aus. »Sie sind mir ja einer.«
Aber auch wenn sie ihren Stellvertreter aufzog, freute sich Mara über diese Entwicklung. Endlich schien er wieder ins Leben zurückzufinden. Denn danach hatte es lange Zeit nicht ausgesehen, was ihr zugegebenermaßen ziemliche Sorgen bereitet hatte. Die Schussverletzung, die er sich bei den Ermittlungen in ihrem ersten gemeinsamen Fall zugezogen hatte, war zwar bald verheilt gewesen, die seelischen Probleme, die sie nach sich gezogen hatten, waren hingegen deutlich hartnäckiger gewesen. Hinzu kam die Trennung von Kriminaldirektor Tamm, die Blessing mehr zu schaffen gemacht hatte, als er sich eingestehen wollte. Umso schöner war es, zu sehen, dass dies nun vielleicht der Vergangenheit angehörte.
Blessing zuckte mit den Schultern und lächelte verschämt. »You only live once. Wenn Sie wissen, was ich meine. Heute Abend habe ich mein Gerät wieder, versprochen.«
»Gut, dann bringen Sie mich doch mal auf den aktuellen Stand über das, was hier passiert ist.«
»Natürlich. Laut Augenzeugen ist eine Person auf einem Motorrad über den Fußweg zum Eingang des ARGUS-Gebäudes gerast und hat das Feuer eröffnet, als Peter Hester gerade .«
»Moment«, sagte Eisfeld und war von einem Augenblick auf den anderen wie elektrisiert. »Der Tote ist Peter Hester?«
Blessing sah sie überrascht an. »Ja. Hatte ich das gar nicht erwähnt? Peter Hester, der Journalist.«
»Nein, diese nicht ganz unbedeutende Information hatten Sie mir bisher verschwiegen.«
Peter Hester war der bekannteste Investigativjournalist des Landes. Die Masse an Reportagen, die er geschrieben und gedreht hatte, sowie die Vielzahl von aufgedeckten Skandalen hatten ihm im Laufe seiner mehr als drei Jahrzehnte andauernden Karriere einen immensen Bekanntheitsgrad beschert. Hester war eine Reporterlegende mit hohem Ansehen sowohl bei den eigenen Kollegen als auch in der breiten Öffentlichkeit.
Mit deutlichem Herzklopfen bewegte sich Eisfeld die wenigen Schritte zu der abgedeckten Leiche hinüber, ging in die Hocke und hob das Leichentuch an. Ein kurzes Zucken durchfuhr sie, als sie das wächserne Gesicht des Journalisten sah. In der Stirn klaffte ein Einschussloch.
Auch wenn sie Hester nur von Bildern und Fernsehsendungen kannte, so hatte sie doch das Gefühl, einen Menschen vor sich zu haben, mit dem sie vertraut war und den sie darüber hinaus auch bewundert hatte. An den ersten Artikel, den sie von ihm gelesen hatte, konnte sich Mara noch genau erinnern. Sie musste fünfzehn gewesen sein, hatte gerade angefangen, sich für das Weltgeschehen zu interessieren, und lag mit Fieber im Bett. In den Wachphasen las sie Peter Hesters Titelgeschichte über den Beginn des Afghanistankrieges und hatte dabei das Gefühl, plötzlich zu verstehen, was in der Welt vor sich ging. Wie die Dinge miteinander verwoben waren, wodurch Konflikte verursacht wurden und wie man sie lösen konnte. Später, nachdem das Fieber abgeklungen war, musste sie zwar feststellen, dass sich diese universellen Einsichten wieder verflüchtigt hatten, dennoch hatte das Erlebnis dazu geführt, dass sie fortan alles las, was ihr von ihm in die Hände fiel.
»Hester war gerade auf dem Weg ins Verlagsgebäude, als die Attacke stattgefunden hat«, setzte Blessing seinen Bericht fort. »Von einem Motorrad aus. Mehrere gezielte Schüsse in Bauch, Oberkörper und Kopf. Wir sind noch dabei zu überprüfen, ob es brauchbare Aufnahmen von den Überwachungskameras gibt. Eine junge Frau wollte sich dem Täter in den Weg stellen, hat ihren Mut aber mit einer schweren Kopfverletzung bezahlt und liegt im Koma. Zoe Otterpohl, Anfang zwanzig, arbeitet seit ein paar Wochen als Volontärin beim ARGUS.«
Eisfeld bedeckte Hesters Gesicht wieder mit dem Leichentuch, stand auf und gab den beiden Angestellten des Bestattungsunternehmens, die bereits mit einem Leichensack in der Hand auf die Freigabe des Toten warteten, mit einer Geste zu verstehen, dass sie Peter Hesters sterbliche Überreste nun in die Gerichtsmedizin bringen konnten.
»Einen ähnlichen Tatablauf hatten wir ja vor einigen Wochen schon mal. Der Tiznit-Aussteiger, Sie erinnern sich.«
Tiznit war nicht nur eine Kleinstadt im Süden Marokkos, sondern auch der Name einer im gesamten norddeutschen Raum aktiven, mächtigen Drogenbande, deren Gründer und Oberhaupt Wurzeln in ebendieser Kleinstadt hatte. Der Aussteiger, von dem Eisfeld sprach, war ein hochrangiges Mitglied der Bande gewesen, das sich der Staatsanwaltschaft anvertraut hatte und Informationen gegen Straffreiheit tauschen wollte. Daraus war allerdings nichts geworden. Aber nicht etwa, weil die Behörden nicht auf das Angebot hatten eingehen wollen, sondern weil der Mann trotz Sicherheitsmaßnahmen in ähnlicher Weise hingerichtet worden war wie jetzt Peter Hester.
»Ein ähnlicher Ablauf bedeutet natürlich noch lange nicht, dass die beiden Taten miteinander in Verbindung stehen«, fügte Eisfeld an. »Aber das sollten wir unbedingt so schnell wie möglich überprüfen. Wer bearbeitet den Fall?«
»Die Fünfte.«
Eisfeld verzog das Gesicht. Die 5. Mordkommission wurde von ihrem speziellen Freund Kriminalhauptkommissar Bertram Banners geleitet, mit dem sie bei ihrem ersten Fall als neue Leiterin der Neunten heftig aneinandergeraten war. Seitdem waren sie sich aus dem Weg gegangen, und Eisfeld hatte inständig gehofft, dass es dabei bleiben würde.
Blessing, der ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, schlug vor, die Kommunikation mit den Kollegen der anderen Mordkommission zu übernehmen. Ein Angebot, das Eisfeld nur allzu gerne annahm.
»KHK Banners ist aber ohnehin auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben.«
»Tatsächlich? Wusste ich gar nicht«, erwiderte Eisfeld. »Dann soll er sich mal gründlich zu Hause auskurieren. Besser für alle. Außer für seine Familie vielleicht.«
Die beiden Bestatter hatten inzwischen den schwarzen Leichensack neben Hester ausgebreitet und hievten den leblosen Körper nun dort hinein. Anschließend zogen sie den Reißverschluss zu und wuchteten den unhandlichen Sack auf eine bereitstehende Rolltrage.
»Hester hatte übrigens neben einem Autoschlüssel und einem Portemonnaie nur ein uraltes Tastentelefon bei sich«, sagte Blessing. »Ob der Täter ihm sein anderes Gerät abgenommen hat oder ob er gar kein weiteres dabeihatte, müssen wir noch klären.«
Eisfeld nickte zustimmend. »Aber zuerst gehen wir rein und sprechen mit Hesters Kollegen.«
Noch bevor sie den Eingang des ARGUS-Gebäudes erreicht hatten, brummte Eisfelds Smartphone erneut. Wieder war es...
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