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Patchworkfamilien sind besonders - warum?
Im Ursprung bezeichnet der Begriff der Stieffamilie nichts anderes als eine Partnerschaft, bei der mindestens eine:r der beiden Partner:innen bereits Kinder hat.1
Im Verlauf dieses Kapitels wird sich jedoch zeigen, dass es mittlerweile eine große Variationsbreite an Stieffamilien bzw. Patchworkfamilien gibt und worin sich beide Begriffe unterscheiden.
Betrachtet man die Zahlen zur Verbreitung von Patchwork- bzw. Stieffamilien in Deutschland, dann handelt es sich hierbei keinesfalls um besondere Familien. Besonderheit im Sinne von Ausnahme zumindest trifft mit Blick auf die steigende Zahl von Patchworkfamilien in Deutschland, der Schweiz und Österreich nämlich nicht mehr zu. Die aktuellsten Zahlen stammen hier aus dem Jahr 2011 (sind damit also überhaupt nicht aktuell .) und beziffern den Anteil von Stieffamilien an allen Familienformen in Westdeutschland auf 13 Prozent und in Ostdeutschland sogar auf 18 Prozent.2 Tatsächlich werden bei diesen Erhebungen aber nur Stieffamilien mit Kindern bis 16 bzw. 18 Jahren inkludiert, insofern dürfte die Zahl der realen Stieffamilien deutlich höher liegen. Die zunehmende Zahl von Stieffamilien ist auch dadurch begründet, dass nicht mehr der Tod eines Elternteils für die Wiederverheiratung des anderen ausschlaggebend ist, wie es in früheren Generationen üblich war. Vielmehr gehören Trennung und Scheidung heute zum Alltag deutscher Familien, da jede dritte Ehe geschieden wird.3
Die Begriffe Stieffamilie und Patchworkfamilie werden oft synonym verwendet. In der Wissenschaftsliteratur werden sie dahingehend unterschieden, dass in die Stieffamilie Kinder aus früheren Beziehungen eingebracht werden, während es in der Patchworkfamilie zu diesen Stiefkindern dann auch noch mindestens ein gemeinsames Kind gibt. Weniger gebräuchlich ist hingegen der Begriff Bonusfamilie. Aber auch die Begriffe wie Fortsetzungsfamilie, binukleare Familie oder rekonstruierte Familie sind gebräuchlich. Wenngleich Stief- und Patchworkfamilie also einen kleinen, aber feinen Unterschied aufweisen, werden beide Begriffe zusehends synonym verwendet, denn der Begriff Patchworkfamilie wird als neutraler und weniger stigmatisierend angesehen als der Begriff Stieffamilie.
Im Althochdeutschen bedeutet Stief so viel wie »verwaist«, »zurückgelassen«.4 Während »Stieffamilie« also manchmal negative Assoziationen haben kann, die auf Vorurteilen oder Vorstellungen von Konflikten in solchen Familien basieren, wird Patchworkfamilie eher als eine Beschreibung der Vielfalt und des Zusammenkommens verschiedener Teile angesehen. Denn der Begriff Patchworkfamilie betont die Idee, dass Familien aus verschiedenen Teilen bestehen können, die zusammengefügt werden, ähnlich wie bei einem Patchworkquilt. Dieser Begriff sensibilisiert folglich für eine größere Vielfalt von Familienkonstellationen (zu denen auch alleinerziehende Elternteile gehören, Stiefeltern, Halbgeschwister und andere Verwandtschaftsverhältnisse). Jedoch gibt es mittlerweile auch etliche Autor:innen, die bewusst den Begriff Stieffamilie gebrauchen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es eben nicht nur die Sonnenseiten des miteinander Verschmelzens und Verwachsens gibt, sondern dass der Weg dieser besonderen Familienform oft sehr steinig ist und einzelne Flicken manchmal leider auch abreißen. So verweist beispielsweise die Soziologin Anja Steinbach5 darauf, dass viele alternative Begrifflichkeiten zur Stieffamilie unscharf sind und die Benennung der Familienmitglieder vernachlässigen, weshalb bei der Beschreibung der Beziehungsgestaltung auf bewährte Begriffe wie Stiefeltern, Stiefkind und Stiefgeschwister zurückgegriffen wird. Auch gibt Steinbach zu bedenken, dass neue Terminologien nicht dazu führen, bestehende Vorurteile gegenüber der Familienform abzubauen.
Bewusst möchte ich in diesem Buch beide Begriffe gebrauchen, um deutlich zu machen, dass es nicht um die Begrifflichkeiten gehen darf, sondern dass immer die Besonderheit dieses Modells, seine Zerbrechlichkeit, aber auch seine immensen Potenziale im Vordergrund stehen müssen. Hilfreich ist es meiner Meinung nach auch, beide Begriffe zu verwenden, weil man einerseits die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Herausforderungen betonen kann, gleichzeitig aber mit dieser begrifflichen Vielfalt auch auf die Buntheit der Stief- bzw. Patchworkfamilien verweisen kann. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob es sich bei den Eltern um eine heterosexuelle Paarbeziehung oder eine Regenbogenkonstellation handelt, in den Blick genommen wird stets der Verwandtschaftsgrad der Elternteile zu ihren Kindern.
Stieffamilien sind bunt!
Wichtig für die Definition ist folglich also die Frage, ob es sich bei den Elternteilen um die biologischen oder sozialen Elternteile handelt. Und in Stieffamilien gibt es eben einen biologischen und einen sozialen Elternteil. Die wohl gängigste Definition lautet:
»Eine Stieffamilie ist eine um Dauer bemühte Lebensgemeinschaft, in die mindestens einer der Partner mindestens ein Kind aus einer früheren Partnerschaft mitbringt, wobei das Kind bzw. die Kinder zeitweise auch im Haushalt des jeweils zweiten leiblichen Elternteils leben kann bzw. können.«6
Diese Definition ist deshalb so beliebt, weil sie nicht unterscheidet, ob die Patchworkfamilie in einem Haushalt lebt oder in getrennten Wohnungen (Living-apart-together wird letzteres Modell in der Fachsprache genannt) und ob die Partner:innen sich verheiraten oder in unverheirateten Lebensgemeinschaften leben. Tatsächlich zeichnen sich Stieffamilien durch eine große Bandbreite an Beziehungsformen aus (eben auch stark davon abhängig, welche Trennungsmodelle für die Kinder aus den früheren Partnerschaften vereinbart wurden) und sind oftmals auch größer als die klassische deutsche Kernfamilie, denn mehr als die Hälfte dieser Familien hat nur ein Kind.7
Natürlich macht es sich die Wissenschaft noch einmal schwieriger, indem auch unterschiedliche Typen von Stieffamilien unterschieden werden. Nämlich einfache, zusammengesetzte und komplexe Stieffamilien.8 Bei den einfachen Stieffamilien gibt es nur eine biologische Verwandtschaft zwischen dem Kind bzw. den Kindern und einem Erwachsenen. Bei zusammengesetzten Stieffamilien bringen beide neuen Partner:innen ein Kind oder Kinder aus einer früheren Beziehung mit. Bei komplexen Stieffamilien kommt zusätzlich zu den Kindern der beiden Partner:innen aus früheren Beziehungen nun noch ein gemeinsames Kind. Früher wurde ausschließlich dieser Stieffamilientyp als Patchworkfamilie bezeichnet, weil das gemeinsame Kind als das zentrale Verbindungsglied der neuen Familie bezeichnet wurde. Dies hat sich aber geändert, um die Bedeutung der sozialen Elternschaft in allen Stieffamilienkonstellationen in den Vordergrund zu stellen.
Dies führt uns auch zur eigentlichen Besonderheit von Stief- bzw. Patchworkfamilien. Zur biologischen Elternschaft tritt in dieser Konstellation immer auch eine soziale Elternschaft und dabei oftmals eine unterschiedliche Basis für Geschwister. Während man mit einem Geschwister biologisch verwandt ist, existieren zu den anderen Geschwistern keine direkten verwandtschaftlichen Beziehungen. Und dennoch machen viele Patchworkgeschwister keinerlei Unterschied zwischen leiblichen und Stiefgeschwistern. So etwa meine Kinder. Egal ob auf den Zeichnungen des Kleinsten oder bei Fragen nach Familienmitgliedern an die drei größeren, es gibt immer die gleiche Botschaft: Wir sind vier Kinder in der Familie! Basta!
Für uns Eltern in dieser Patchworkfamilie ist es nicht ganz so einfach, und damit sind wir nicht allein. In der kleinen Stiefelternbefragung, die ich eingangs vorgestellt hatte, konnten die befragten Stiefelternteile angeben, was Patchworkfamilie für sie ganz persönlich bedeutet und was sie keineswegs mit diesem Begriff assoziieren. Die Ergebnisse dieser subjektiven Zuschreibungen an den Begriff Patchworkfamilie habe ich, damit es etwas eingängiger wird, in einer Wortwolke zusammengefasst. Die besonders großen und dick gedruckten Begriffe wurden von den Befragten besonders häufig genannt.
Wortwolke »Was die Patchworkfamilie für mich ist«, 30 Befragte zeichneten am Ende dieses Bild. Eigene Darstellung.
Diese Wortwolke zeigt uns ein ambivalentes Bild. Eine Patchworkfamilie ist für einen Großteil der Teilnehmenden an meiner kleinen Befragung ein Ort, an dem es zugleich viel Liebe, aber auch Stress gibt. Sie ist eine Herausforderung im Leben der Stiefelternteile, oftmals sogar eine Lebensaufgabe. Gleichzeitig wird die Patchworkfamilie auch als bunter Ort und neues Familienmodell beschrieben, erfährt hier also eine eindeutig positive Zuordnung.
Sehr eindeutige Äußerungen trafen die Teilnehmenden auch hinsichtlich der Frage, was die Patchworkfamilie für sie gerade nicht ist. Auch dies verdeutlicht uns eine Wortwolke:
Wortwolke »Was die Patchworkfamilie für mich nicht ist«, 30 Befragte zeichneten am Ende dieses Bild. Eigene Darstellung.
Zu Recht verweisen nahezu alle Befragten darauf, dass es nicht die Patchworkfamilie gibt, sondern eine große Variationsbreite. Es macht einen Unterschied, ob beide Partner:innen Kinder aus früheren Beziehungen mitbringen oder nur eine Person. Liegt eine Trennung der leiblichen Elternteile vor, gab es nie einen zweiten leiblichen Elternteil (weil er gar nichts von dem Kind weiß oder...
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