Schweitzer Fachinformationen
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Ein polterndes, donnerndes Geräusch kam aus dem Körper der Kuh. Ich schnupperte hier und dort, vernahm aber entgegen aller Prognosen keinen Gasgeruch. Madame bemerkte mein Treiben und grinste. Ja, Himmelhalligundmeer! Konnte man nicht auch als Laie biologische Studien betreiben? Frau Prof. Dr. Dr. Jul Chen live bei der Feld- und Fennenstudie »Rindviecher auf der Hallig«. Mit Festlandskühen hatte ich ja mittlerweile einschlägige Erfahrungen sammeln können.
Besonders viel zu tun blieb der Beardine von Welt auf einem winzigen Landflecken nämlich nicht. Da bot sich eine naturwissenschaftliche Laufbahn geradezu an, wenn es an Alternativen mangelte.
Die Lage vor Ort nahm sich nämlich folgendermaßen aus: Alles, was Spaß machte, war untersagt. Freche Möwenmätze in ihre Schranken weisen? Verboten! Es wurden Kollateralschäden befürchtet, war die Gegend doch dicht mit diversem Vogelvieh bevölkert. Manche von ihnen palaverten dermaßen herum, wenn man in die Nähe kam, dass es einem akustischen Anschlag vom Typ Höllenmaschine glich.
Alternative zwei: Bei natürlichem Bewegungsdrang im gewohnten Habitat frei über die Fennen jagen, aus lauter Lust am Leben? Verboten! Fast alles war abgezäunt, nur winzige Wege blieben Madame und mir. Die waren bisweilen mit interessanten Duftnoten bestückt und irgendwie gewunden, sodass wir nicht ahnten, wo wir rauskommen würden. Doch nach ein paar Tagen kannten wir die Gegend wie Madames Leckerli-Tasche.
Lutscherfreundliche Alternative Nummer drei: Mal zünftig einen draufmachen in irgendeiner netten Location? Pustekuchen! Es gab zwar ein Café, doch musste Madame unsere Mahlzeiten in der Mietbude kreieren. Keinerlei Köttbullar waren mit von der Partie, wie ich es von unserem Trip durch Schweden kannte. So konnte ich nicht arbeiten.
Wir waren im Nirgendwo gelandet, fernab kulinarischer Spezialitäten, fernab jeglicher Normalität. Ringsherum nichts als das impertinente Meer. Die Sache war klar wie Kloßbrühe: Auf dieser Hallig war die Langeweile zu Hause. Hätte man mich hier eingestellt, spätestens nach drei Tagen hätte ich die Kurve gekratzt, so viel stand fest. Die ach so relaxten Wollknäuel und das extrem gechillte Pensionsvieh waren wohl anderer Meinung. Gerade demonstrierten sie verdächtig großes Interesse an Madame, das gefiel mir gar nicht. Ich schnaubte, während sie mit klobigen Hufen immer näher kamen. Echte Schwergewichte. Nur diese dünnen Zaundrähte trennten uns voneinander. Das interessierte eine Kuh nicht die Bohne, oder sagen wir besser, das Gänseblümchen. Bohnen kannten diese Stalkerinnen gewiss nicht. Schon hob die erste den Kopf über die Grenze und streckte Madame ihre dicke Zunge entgegen. Zum Pferdeäpfelpürieren, welche Dreistigkeit! Auf dem Festland würde sich kein Rindvieh so unbekümmert zeigen. An Selbstbewusstsein mangelte es diesen Exemplaren jedenfalls nicht. Und Madame? War entzückt, wie neugierig diese Tiere waren. Wie sozial. Wie charmant. Entwickelte sie sich gerade zur Kuhflüsterin? Himmelhalligundmeer, was für eine Belagerung! Bei uns herrschten andere Sitten. Ganz andere. Mein erster Fall saß mir noch in den Knochen. Diese Tragik! Und nun ließ Madame sich von den Kuschelmonstern einlullen. Eine Kuh streckte mir ihre Schnauze entgegen. Irgendwie schaffte sie es, ihren dicken Kopf durch die Absperrung zu schieben. Und das Vieh rülpste lauter, als ein Superjulchen es je könnte! Es haute mich geradezu von den Plüschsocken. Ich wich zurück.
Bei diesem ohrenbetäubenden Lärm vergaß ich fast, warum wir in der Einöde gelandet waren. Allerdings nicht lange. Die verschwundene Lehrerin! Es war allerhöchste Zeit, mit einer professionellen Befragung zu beginnen. Wir hatten bereits einige Tage auf der Hallig mit Nichtstun vergeudet. Sondierung nannte Madame das. Erst mal ein bisschen umgucken und dann sachte vortasten. Es sei ja nicht unsere gewohnte Umgebung. Wir kannten niemanden, und keiner kannte uns. Angeblich durften wir nicht mit der Tür ins Haus fallen. Mir reichte es langsam! Wer wusste schon, wo die Verschwundene sich aufhielt. Und wie lange noch! Wir mussten sie retten, bevor es zu spät war.
»Was habt ihr mit der Lehrerin gemacht?«, wuffte ich in strengem Ton. Rindviecher konnten mir nichts mehr vormachen. Diese riesigen, treu dreinblickenden Augen mit den hübschen Wimpern und das ganze unschuldige Getue? Pah! Ich konnte dem Pensionsvieh ganz andere Dinge erzählen. Hammerharte Storys vom Festland.
Die dicke Nase des Fleckviehs näherte sich erneut, und eine Zunge von beachtlicher Größe berührte meine Stirn. Das hatten sie gemacht? Das Kind gebusselt? Brave Kolosse! In dieser dichten Atmosphäre aus purer Liebe und Langeweile - wie konnte ausgerechnet hier eine Junglutscherin entführt oder gar um die Ecke gebracht worden sein?
Aus Höflichkeit erwiderte ich das Bussi der Kuh und erreichte so gerade noch ihre Nase, bevor sie den Kopf wieder anhob. Madame meinte ja immer, ich sei für meine Luftküsse bekannt. Aber der hier hatte gesessen. Die Kuh war happy. Ein echtes Sozialtier, nicht so ein fressgesteuertes Geschöpf wie Jannimann. War ich froh, meinen Mitbewohner bei dieser diffizilen Mission nicht im Gepäck zu haben. Er hätte die Rindviecher in Grund und Boden gebellt, unnötigerweise. Pfotenspitzengefühl? Ein Fremdwort für die Schlumpfbacke. Allerdings, das musste man sagen, waren seine Aktionen gegenüber Kühen grundsätzlich nicht von Erfolg gekrönt. Falls zu Hause vor dem Garten welche grasten, hoben sie nur müde den Kopf, wenn der Schlumpf losdonnerte. Erst gegen Abend schauten sie seinem Breakdance am Graben zu. Manchmal landete der Tollpatsch dabei im Wasser. Amüsierte seine Zuschauerinnen das? Möglicherweise. Ich nannte die Aktion: Coole Kühe gucken Kino.
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Nun fühlte ich mich fast wie im Urlaub - ohne den Wicht. Wenn es nur irgendwo auf dieser Hallig einen kilometerlangen Sandstrand gäbe! Wehmütig dachte ich an unsere Ferien in Dänemark zurück. Buddeln, was das Zeug hielt. Eine Aufmunterung seitens Mademoiselle Julie war nicht nötig. Ich grub meine Pfoten in den feinen Sand und ließ es krachen. Immer gemäß der uralten Weisheit: »Mit Sand unter den Pfoten bist du ein anderer Hund.« Am meisten fiel das bei der Schlumpfbacke auf. Sah man mal vom heimischen Sofa ab, konnte Jannimann erst am Strand so richtig entspannen. Bei den Lutschern war es übrigens nicht anders. Seltsame Dinge passierten! Madame verlor plötzlich ihre Schuhe oder purzelte Sandhügel hinunter.
Nun neigte sich der Sommer dem Ende zu, und wir waren selbst verschuldet auf einem Fleckchen Erde mitten im Wattenmeer gelandet. Ringsherum nur eine flache Steinkante zur Absicherung, damit das wilde Meer kein Land klaute. Ich machte mir Sorgen. Wie sollten die Hügel halten, auf denen Lutscher- und Tierhütten in die Höhe ragten? Hier mussten sich die Zwei- und Vierbeiner bei jedem handelsüblichen Land unter auf engstem Raum zusammenfinden. Die Fennen standen dann unter Wasser, wie Madame mir verklickerte. Heilige Ackergülle, das ganze Grün verschwand? Ich wollte mir das gar nicht vorstellen. Zu gut kannte ich mein Meer, das schlimmste aller! Es konnte so dermaßen frech werden, dass ich, obschon erklärte Zaungegnerin, ausnahmsweise froh war, auf dem Festland über entsprechende Absperrungen zu verfügen, sprich Deiche. Erstens hatte man als Hütehund erster Sahne von der Krone den besten Weitblick. Selbst meine Vorfahren aus den schottischen Highlands hätte das glücklich gemacht. Zweitens holte man sich keine nassen Pfoten, wenn die See vor Wut schäumte. Drittens schleppte das Meer allerlei Dinge an, die man im Flutsaum auf dem Deich in aller Ruhe analysieren konnte, wenn das Wasser sich wieder zurückgezogen hatte. Man fand Grüße aus der ganzen Welt darin. Alles für die Tonne, meinten Madame und Monsieur, die ganzen Plastikteile. Sie sammelten das Zeug lieber auf, soweit es ging, bevor Wildtiere sich darin verhedderten. Aber Hauptsache, manch ein Zweibeiner konnte sich über die natürlichen und schnell abbaubaren Hinterlassenschaften von unsereins erregen! Sprach's und entsorgte seinen geliebten Glimmstängel in der Natur. Alles schon dagewesen. Laut Madame lösten sich diese Kunststofffilter erst nach Jahrzehnten auf, mein Produkt hingegen nach zwei Wochen. Irgendwann wurde mir klar, dass das Meer den ganzen Plastikmüll nicht haben wollte und ihn daher bei Sturmflut ausspuckte. Den Lutschern quasi direkt vor die Füße, die ihn schließlich auch reingeworfen hatten. Mich würde es nicht wundern, wenn die Zahl der Stürme zunähme. Wind und Wasser arbeiteten bei dieser Reinigungsaktion Hand in Hand.
So sinnierten wir in der Einöde vor uns hin. Am schönsten sei die Ruhe nach dem Sturm, fand die mir zugeteilte Lutscherin. Als würde die Welt kurz den Atem anhalten. Dann könne man Geräusche hören, die von weit her kämen. Einen Schiffsmotor, kilometerweit entfernt. Stimmen. Ein Tuten. Madame wurde gar philosophisch in diesem Ambiente: Alles sei mit allem verbunden. Die Halligen, die Inseln, das Festland. Verbunden durch das Meer.
Himmelhallignochmal! Für mich war die Hauptsache, dass die Nordsee endlich mal die Klappe hielt. Lärm konnte ich schließlich selbst machen.
Aber eines war so sicher wie die Schafsköddel auf den Deichen: Wenn es auf diesem winzigen Fleck mitten im Meer eine Leiche gab, würden wir sie schnell finden! Viele Möglichkeiten gab es nicht. Und nur einen Weg nach draußen, übers Wasser. Entweder hatte man ein Boot oder man nahm die Fähre. Natürlich hofften wir inständig, dass die Verschwundene noch lebte. Auf der Hallig oder wo auch immer. Grönland, das klang so vielversprechend, geradezu traumhaft. Doch kaum dass wir angekommen waren,...
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