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Und warum kommt der Falke immer wieder zurück?« Der kleine Junge mit dem dichten strohblonden Haar sah mit blitzenden Augen zu seinem Vater auf.
»Weil er gelernt hat, dass die Faust der beste Platz für ihn ist.« Heinrich von Riedern löste die Fußfessel des Gerfalken aus der Öse der hölzernen Sitzstange und nahm den Vogel mit dem Handschuh auf. Das Tier flatterte aufgeregt, ließ sich aber durch ein paar gemurmelte Worte beruhigen. »Schau, das ist mein Lieblingsfalke«, lächelte der grauhaarige Ritter und fütterte ein Stückchen rohes Fleisch, das der Vogel gierig verschlang. »Hat mich so viel gekostet wie ein gutes Streitross. Sie heißt Nimue.«
»Wie die Fee aus dem Teich«, rief Ezzo.
»Ah, du hast es dir gemerkt.« Heinrich von Riedern fuhr seinem kleinen Sohn liebevoll über den Kopf. Erst gestern hatte er ihm die Geschichte vom Zauberer Merlin und der unglückbringenden Herrin vom See erzählt. »Nimue liebt die Jagd über unseren Fischteichen. Heuer hat sie schon über siebzig Reiher erledigt. Sie ist pfeilschnell.«
Der Ritter strich dem Falken über die helle, gefleckte Brust und setzte ihn dann vorsichtig wieder zurück auf seinen Platz. »Das dort drüben ist Kolander, den hab ich noch nicht lange.« Er wies auf einen jungen grauen Sakerfalken, der reglos und schüchtern in einer Mauernische hockte.
»Warum hat er eine Mütze auf?«, wollte Ezzo wissen.
»Das ist eine Falkenhaube aus Leder, mit Federn und Silberstückchen verziert. Kolander ist noch neu, weißt du, und es beruhigt ihn, wenn er nichts sieht. Am Anfang musste ich ihm die Lider durchstechen und zunähen, so aufgeregt war er. Jetzt kann ich ihm die Haube schon für längere Zeit abnehmen, ohne dass er wie wild flattert. Ich schätze, in ein paar Monaten wird er so weit sein, dass ich mit ihm arbeiten kann.«
»Welche Vögel jagt er dann?«
»Mit Sakerfalken jagt man Reiher«, erklärte Heinrich von Riedern geduldig. »Gerfalken wie Nimue gehen am besten auf Kraniche, wenn sie auf dem Durchzug nach Süden sind, und Wanderfalken taugen gut als Jäger auf Wasservögel, also Enten oder Wildgänse. Jetzt komm, sonst regt sich Kolander auf.«
Ezzo folgte seinem Vater nach draußen in den Burghof. »Nimmst du mich einmal mit auf die Beiz? Bitte!«, drängelte er. »Ich bin auch ganz brav!«
Heinrich von Riedern lachte; die alte Kampfnarbe auf seiner linken Wange bildete dabei unregelmäßige Zacken. »Da musst du erst noch ein bisschen größer werden, Junge. Die Jagd ist nichts für kleine Burschen wie dich. Aber nur Geduld, die Zeit wird kommen. Nun lauf, deine Mutter wartet sicher schon auf dich.«
Er versetzte Ezzo einen leichten Klaps, und der trabte davon. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ihm der Ritter nach und tat einen zufriedenen kleinen Seufzer. Der Junge war sein Ein und Alles, ein hübscher Kerl, robust, aufgeweckt und klug. Wie sehr hatte er sich mit seiner Frau einen Sohn gewünscht, einen Erben für Riedern. Wie viele Ländereien hatte er der Kirche gestiftet, wie viele Kerzen entzündet. Wie inbrünstig hatten sie gebetet, und doch war alles vergebens gewesen. Alt waren sie miteinander geworden, seine Irmingard und er, glücklich waren sie gewesen, so gut es unter diesen Umständen möglich war, aber auf ihrem Bund hatte kein Segen gelegen. Natürlich, er hätte sie verstoßen können, eine zweite Frau nehmen, die Blutslinie fortzuführen. Doch das hatte er nicht übers Herz gebracht. Aus Liebe, und weil er ihr nicht die alleinige Schuld geben wollte. Jetzt war sie tot und begraben, und was er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte, war eingetreten. Er hatte sich eine Küchenmagd ins einsame Bett genommen, und sie endlich hatte ihm das geschenkt, was sein Weib nie vermocht hatte. Einen gesunden, kräftigen Sohn. Heinrich von Riedern wischte sich verstohlen über die Augen.
Ezzo strolchte über den engen Burghof. Neugierig sah er eine Zeitlang zu, wie der Zeugmeister in einem Kessel frisch gekratzten Salpeter läuterte und wackelte dabei mit seinen schmutzigen Fingern an einem lockeren Milchzahn. Dann beobachtete er ein paar Knechte, wie sie Eimer um Eimer Wasser aus der Zisterne holten und ins Sudhaus trugen. Es duftete nach Malz und frischer Maische, der typische Geruch an Biertagen. Auch Ezzo bekam wie alle Kinder seinen Anteil Bier bei Tisch, ein halbes Mäßlein zu Mittag und ein halbes zu Abend. Das regelte die Hofordnung, genauso wie die Essenszeiten. Ob wohl bald der Turmwächter zur Abendmahlzeit blasen würde? Ezzo spürte schon den Hunger. Er ging weiter, scheuchte ein bisschen die Tauben, dann die Ziegen herum, guckte in den Fischkasten, ob heute ein besonders dicker Karpfen dabei war und stibitzte schließlich ein Ei aus dem Korb vor dem Kücheneingang. Gierig bohrte er mit dem Daumennagel ein Loch hinein und schlürfte das Innere, wobei ihn Rumpold, der Koch, entdeckte und wegscheuchte.
Atemlos rannte er durchs offene Burgtor in den schmalen Zwinger. Vor der Pferdeschwemme balgten sich ein paar Katzen, und er wollte sich gerade zu ihnen ins frisch gemähte Gras kauern, als er das Donnern von Hufen hörte. Aufgeregt rappelte er sich hoch und flitzte zum Burganger hin, einer schönen großen Wiese am Flussufer der Erf. Welch ein Anblick bot sich ihm da! Ein Ritter, das herrlichste Wesen auf der ganzen Welt! Der polierte Brustpanzer blitzte so hell im Sonnenlicht, dass Ezzo blinzeln musste. Auf dem topfartigen Helm mit den länglichen Augenschlitzen, der seinen Träger so gefährlich aussehen ließ, schwankte fröhlich ein schneeweißer Federbusch. Der Ritter hatte seine Lanze in der Halterung am Sattel aufgestellt und zügelte einhändig sein nervös tänzelndes Pferd. Und was für ein Ross! Rabenschwarz, riesig, die Mähne in Zöpfen herunterhängend, die Nüstern gebläht. Sein Schweif peitschte die staubige Luft, die Hufe stampften, die Augen rollten, dass man das Weiße sah. Der Reiter klemmte die Lanze ein, unter den rechten Arm, bis sie fast waagerecht stand, dann gab er seinem Rappen die Sporen. In gestrecktem Galopp sprengte er auf die Turnierpuppe zu, ein hölzernes Gestell mit einem Turban wie ein Sarazene. Ein gellender Kriegsschrei, dann hatte die Lanze den ausgestreckten Holzarm des Sarazenen getroffen, an dem ein runder Schild befestigt war. Die Figur drehte sich durch den Aufprall blitzschnell um die eigene Achse; am anderen Arm hing ein Seil mit einem schweren Sack, der nun herumschwenkte. War der Reiter nicht schnell genug, traf ihn der Sack in den Rücken und fegte ihn vom Pferd. Ezzo hatte schon den Mund zum Schrei geöffnet, aber sein Ritter war glücklich vorbei, der Sarazene rotierte ein paar Mal um die eigene Achse und blieb dann stehen. Der Ritter trabte gemächlich zurück und stieg vor Ezzo ab.
»Herr Friedrich«, schrie der Junge aufgeregt, »Herr Friedrich, das war ein herrlicher Treffer! Ihr seid der beste Ritter im ganzen Land, ich schwör's!«
Friedrich von Riedern, der jüngere Bruder des Burgherrn, nahm den Helm vom Kopf und ließ sich von einem Knecht Harnisch und Lederarmschutz abschnallen. Er musterte den Knaben mit gerunzelten Brauen.
»Wenn ich groß bin, will ich auch solch ein Ritter werden wie Ihr«, plapperte Ezzo, ganz rot im Gesicht vor Begeisterung. »Dann will ich mit Euch in den Krieg ziehen, als Euer Knappe. Wann zieht Ihr denn in den Krieg?«
»Gar nicht!« Friedrich von Riedern spuckte die beiden Worte förmlich aus.
»Aber warum nicht?« Ezzos Augen wurden groß und rund. »Und wenn Ihr nicht in den Krieg zieht, darf ich dann wenigstens kämpfen und Ritter werden? Helft Ihr mir dabei?«
Friedrich von Riedern beugte sich langsam zum Sohn seines Bruders hinunter und lächelte freundlich. »Du kannst niemals Ritter werden«, sagte er mit zuckersüßer Stimme. »Das können nur Männer von Geblüt und hoher Geburt.«
»Aber ich bin doch von hoher Geburt!«, widersprach der Fünfjährige zaghaft. »Herr Heinrich ist mein Vater.«
»Und deine Mutter, hm? Wer ist die? Lieschen vom Gänsebrunnen, was?« Ezzos Onkel brach in ein scheinbar fröhliches Lachen aus. »Schau, Kleiner, du und ich, wir haben etwas gemeinsam: Wir können beide kein Ritter sein. Ich, weil meine Beine zu schwach sind, um mich zu tragen, und du, weil du ein Bastard bist. So ist das Leben.« Er zog eine schräge Grimasse und kniff Ezzo leicht in die Backe. Dann ergriff er die Krücken, die ihm der Knecht hinhielt, drehte sich um und schleppte sich zum Burgtor. Seine verkrüppelten Beine schlenkerten merkwürdig unter dem massigen Oberkörper, als gehörten sie nicht recht zu ihm.
Abends, als Ezzo mit seiner Mutter allein war, stellte er die Frage, die ihn den ganzen Tag beschäftigt hatte.
»Mutter? Was ist ein Bastard?«
Lies spürte einen Stich im Herzen. Bisher hatte sie ihrem Sohn nichts erklären müssen. Er war bei ihr in den Gesindekammern der Burg aufgewachsen, nicht in der Herrenkemenate, aber der Ritter von Riedern hatte ihn immer offen als seinen Sohn behandelt. Mehr noch, er zeigte deutlich, wie sehr er sein einziges Kind liebte. Sie hatte nie Forderungen stellen müssen, denn Heinrich hatte von Anfang an klargemacht, dass er für sie und den Jungen sorgen würde. Ezzo wusste, wer seine Eltern waren, auch wenn er sich bisher noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, was das für ihn bedeutete. Doch jetzt war die Zeit gekommen, es ihm zu sagen. Sie glättete das Leintuch auf dem Strohsack, blies die Kerze aus und legte sich zu Ezzo in das schmale Spannbett. »Komm, kuschel dich her, dann erklär ich's dir.«
Ezzo schmiegte sich an seine Mutter. »Arnulf und Konrad sagen, ein Bastard ist einer, der nicht weiß, wer sein Vater ist. Aber ich weiß das doch, es ist der Herr...
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