Schweitzer Fachinformationen
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Es war Frühling, das erste Grün schimmerte an den Bäumen, und es regnete. Die sechs Einrosser, allesamt aus fränkischem Adel, die für den Schutz der Markgräfin abgestellt waren, ritten mit eingezogenen Köpfen triefend und frierend voraus durch den Hohlweg. Hinter ihnen rollte langsam der Wagen mit dem markgräflich-ansbachischen Wappen. Der Kutscher auf dem Bock hatte eine schwere Decke umgeschlagen und lenkte die beiden Kaltblüter mit straffen Zügeln. Danach folgte die berittene Dienerschaft. Den Schluss des Zuges bildete ein einfacher Karren, der mit Truhen, Fässern und allerlei Tand beladen war.
Neun Tage waren sie nun unterwegs. Die Grenzen des Herzogtums Ansbach hatten sie am dritten Tag erreicht und überschritten; jetzt ging es auf Glogau zu.
Im Wagen saß die nunmehr zehnjährige Barbara von Brandenburg-Ansbach, die jetzt, nach fast zweijährigen Verhandlungen um Mitgift und Heiratskonditionen, ihrem Bräutigam zugeführt wurde. Während sie nun 5000 Gulden mit in die Ehe brachte, wurden ihr im Gegenzug dafür Schloss und Stadt Glogau als Leibgeding und ihren Nachkommen die Nachfolge des Herzogs in der Regentschaft des Landes garantiert.
Das Kind schlug den Lederlappen zurück, der vor dem Fensterloch hing, und steckte die Nase in den Regen hinaus. »Ich glaube, der Wald hört gar nicht mehr auf«, seufzte es und ließ das Leder wieder fallen.
»Ob es in Glogau wohl auch Wiesen gibt und Felder wie daheim?«
»Bestimmt, Euer Liebden«, erwiderte eine der beiden Frauen, die der kleinen Markgräfin in der Kutsche gegenübersaßen. »Am besten, Ihr schlaft ein bisschen, dann vergeht die Zeit schneller.«
Gehorsam lehnte sich Barbara in eine Ecke und schloss die Augen, aber trotz der Dunkelheit im Wagen war es gar nicht so einfach einzuschlafen, denn die Kutsche holperte und rüttelte, dass es ihren Rücken heftig gegen die hölzerne Hinterwand schlug. Und ihr gingen so viele Gedanken durch den Kopf. Die anfängliche Schwermut und der Trennungsschmerz von allem, was ihr in Ansbach lieb gewesen war, hatten inzwischen nachgelassen, aber geblieben waren Angst und Unsicherheit. Was war der Herzog wohl für ein Mann? Wie sah er aus? Würde er gut zu ihr sein? Ein ganz fremder Hofstaat wartete auf sie, neue Aufgaben, die sie nicht kannte. Ob man sie wohl froh als neue Herrin begrüßen würde? Sie jedenfalls wollte sich Mühe geben, alles richtig zu machen. Wenn nur die Martsch mit dabei wäre - die könnte helfen und raten. Aber sie war ganz allein, und sie fühlte sich immer einsamer, je näher Glogau rückte. Über all diesen Überlegungen schlief sie endlich ein, ein verlorenes Vögelchen, das man aus dem Nest geworfen hatte.
Die beiden Frauen, die Barbara gegenüber auf der Bank saßen, unterhielten sich leise. Sie waren beide Hofdamen der markgräflichen Mutter und sollten das Kind bis Glogau begleiten.
»Also, mir tut die Kleine Leid«, flüsterte die Jüngere, ein Fräulein von Flachslanden, und zog ihren Umhang fester.
»Sie hätten ihr wenigstens die Martsch mitgeben sollen. Das arme Ding hat ja die ersten zwei Tage nur gegreint.«
Die ältere Hofdame, Anna von Beulwitz, nickte nachdenklich.
»Sie wird wohl auch nicht glücklicher sein, wenn sie den Herzog sieht - es heißt, er sei schon alt und ohne Haare und Zähne.«
Die Beulwitzin kratzte sich am Kopf, suchte mit den Fingern und zerdrückte einen Floh.
»Auf der Reise gibt's immer weniger Geziefer als daheim. Ich weiß schon, warum ich so gern auf Fahrt gehe.«
Die Ärmste zog das Ungeziefer an wie der Honig die Fliegen. Unter allen Hofdamen hatte sie die meisten Bisse zu verzeichnen. Wer bei ihr im Zimmer oder im gleichen Bett schlief, blieb meistens verschont von Flöhen, Läusen und Wanzen, weshalb sie eine beliebte Schlafgenossin war und oft das Privileg genoss, im Markgräfinnenbett zu nächtigen.
»Gestern im Kloster, wo wir übernachtet haben, gab's fast gar keines von diesen Höllenviechern. Ich möchte wissen, wie die das machen.«
Doch bevor die Beulwitzin noch tiefere Betrachtungen über das allgegenwärtige Ungeziefer anstellen konnte, blieb die Kutsche stehen. Draußen ertönten Stimmen.
Es war ein Trupp herzoglich-glogauischer Reiter, die der zukünftigen Landesherrin entgegengeschickt worden waren. Die Ritter vom Adel grüßten sich. Ihr Anführer, bei dem es sich um den gleichen Gesandten handelte, der schon Barbaras Verheiratung eingefädelt hatte, öffnete den Schlag der Damenkutsche.
»Gottes Gruß und den meines Herrn, Euer Liebden.«
Während er sprach, tropfte ihm das Regenwasser von Kinn und Nase.
»Wir sind glücklich, dass Ihr gesund im Land angekommen seid. Bis Glogau sind es nur noch vier Stunden, und wenn wir gut vorwärts kommen, sind wir vor der Nacht da.«
»Lieber Vetter, ich danke Euch für die Begleitung. Ich bin froh, bald in Glogau zu sein. Nach so vielen Tagen Fahrt tut mir der Hintern schon recht weh«, antwortete Barbara artig.
Der Gesandte grinste und gab den Befehl zum Weiterreiten. Langsam setzte sich der Zug wieder in Bewegung und folgte den tiefen Rinnen des Fahrwegs auf Glogau zu.
Sie erreichten die fürstliche Residenz erst in tiefer Nacht. Immer noch goss es in Strömen. Ein Achsbruch des Karrens, der die Mitgift der Markgräfin transportierte, hatte den Zug aufgehalten, und dann war auch noch die Kutsche in einem Schlammloch stecken geblieben. Jetzt war vom Glogauer Schloss fast nichts mehr zu erkennen. Die Flügel des großen Tores öffneten sich, und die Wagen mit ihrer Begleitmannschaft rollten über das Pflaster in den dunklen Hof. Diener rannten mit Fackeln heran, alles schrie durcheinander.
Die kleine Markgräfin öffnete die Kutschentür, und noch bevor sie einen Fuß auf den Boden setzen konnte, wurde sie von einem der schlesischen Ritter auf die Arme genommen und durch den Regen über den Hof getragen. Die beiden Hofdamen folgten eilig mit gerafften Röcken über das glitschige Pflaster. Barbara war die Nähe des Mannes unangenehm. Noch nie hatte sie einer so angefasst. Er roch schlecht und hielt sie so fest, dass sie sich gar nicht wehren konnte, selbst wenn sie sich getraut hätte. »Vielleicht werden zu Glogau die Damen immer getragen«, überlegte sie, während ihr die Regentropfen das Haar durchnässten und in den Kragen liefen.
Auch drinnen war es feucht und klamm und roch muffig nach Urin. Im Saal, wohin man Barbara und ihre Damen geführt hatte, brannten nur zwei Kohlebecken und wenige Wandfackeln. Das Holzfeuer im riesigen Kamin an der Stirnseite des Raumes war schon längst gelöscht, Tische und Bänke in Reih und Glied aufgeräumt. Die Motive der Wandteppiche waren im Fackelschein nicht zu erkennen, nur die dazwischen angebrachten Waffen - Schwerter und Spieße - blitzten manchmal auf, wenn sich ein züngelndes Flämmchen spiegelte. Die Fenster waren mit schweren Vorhängen verhängt. Die Frauen warteten, und unter ihren Röcken bildeten sich kleine Pfützen vom Regenwasser.
Aus einer Seitentür trat endlich ein aufgeregtes kleines Männlein, wie sich herausstellen sollte, der Schlossvogt. Er machte mit fast komischer Ernsthaftigkeit eine tiefe Reverenz vor den tropfnassen Damen und entschuldigte sich für den missglückten Empfang. Man habe gerechnet, dass der markgräfliche Zug wegen des schlechten Wetters noch die Nacht im drei Stunden entfernten Nonnenkloster zubringen würde. Deshalb habe sich der Herzog schon zur Nacht begeben und mit ihm die ganze Haushaltung.
»Ich werde Euer Liebden sogleich ins Frauenzimmer geleiten lassen«, sprach der Vogt beflissen, »dort könnt Ihr Euch trocknen. Ich schicke auch nach dem Herrenkoch, damit er Euch noch eine Nachtmahlzeit richtet.«
Zum Frauenzimmer gehörten ein größerer und drei kleinere Räume mit großzügigen Fensternischen zum Hof. Die Öffnungen waren mit teuren grünlichen Butzenscheiben verschlossen und nicht nur mit gegerbten Häuten wie in den gewöhnlichen Gemächern. An den Wänden hingen kostbare niederländische Wandteppiche in bunten Farben, die nach der neuesten Mode gewebt waren. Und auf dem Fußboden des größten Raumes lagen ebenfalls Webteppiche statt der üblichen Strohschüttung - das Äußerste an Luxus und Gemütlichkeit. Der einzige Kamin des Frauenzimmers war gerade geschürt worden und das Feuer begann aufzublaken. Barbara war trotz ihrer Erschöpfung freudig beeindruckt. Der finstere Saal war ihr unheimlich vorgekommen, aber hier empfand sie sofort eine wohlige Geborgenheit. Neugierig begann sie, sich in ihrem zukünftigen Domizil umzusehen.
»So schön! Und schaut nur, Frau Anna, ein eigenes heimliches Gemach! In Ansbach haben wir immer den Nachtscherben benutzen müssen.«
Das Frauenzimmer hatte tatsächlich einen eigenen Abort - einen kleinen Holzverschlag, der auf zwei vorkrängenden Außenbalken ruhte und mit einem hölzernen Lochsitz versehen war. Solch ein heimliches Gemach gab es sonst nur noch im herzoglichen Wohnbereich und in der Vogtswohnung. Für alle anderen Schlossbewohner waren irgendwelche Ecken und Nischen gut genug, um ihre Notdurft zu verrichten. Der Abort im Frauenzimmer bedeutete einen enormen Gewinn an Bequemlichkeit, sorgte er doch für frischere Luft und weniger Fliegen und Ungeziefer.
Barbara begutachtete fröhlich die Betten, die in den drei kleineren Zimmern standen. Sie puffte gegen die Matratzen, die frisch mit Stroh und Häcksel gefüllt waren und nach Scheune dufteten. In jeder Bettstatt lagen zwei Laken aus gestreiftem Londoner Tuch, mehrere weiche Federkissen und zwei Deckbetten, außerdem ein Pfulm, der den Rücken stützte, um das Schlafen in halb sitzender Stellung bequemer zu...
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