Schweitzer Fachinformationen
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Meine ersten Erinnerungen sind umweht vom Duft der Mandelblüten. Der Wind trägt die unsichtbare Süße aus den Baumgärten in die Innenhöfe der Paläste. Das Wasser im Brunnen plätschert, und ich tauche meine Hände in das kühle Nass. Tröpfchen sprühen auf mein gelbes Kleid und meine dünnen Samtpantoffeln. Safirah schimpft, aber sie meint es nicht ernst. Sie ist meine Amme, Sarazenin und die Frau eines kleinen Beamten des Diwans. Auf ihrem Schoß sitzt Aziz, mein Milchbruder, widerwillig lässt er sich den Kaftan richten. Und zu ihren Füßen kauert Wilhelm, mein Neffe, er ärgert mit seinem Stöckchen einen schwarzen Skarabäuskäfer. Damals kam es mir nicht merkwürdig vor, dass ein Neffe und seine Tante, nämlich ich, im gleichen Alter waren. Unsere Familie war nun einmal anders, die Familie des Königs. Für sie galten keine gewöhnlichen Gesetze. So fand ich es auch nie verwunderlich, dass ich meinen Vater nie kennengelernt habe. Den berühmten, den großen Roger! Ich bin erst nach seinem Tod geboren, er war schon alt, als er meine Mutter zur dritten Frau nahm. Für mich war mein ältester Halbbruder mein Vater: Wilhelm. Er sah schon ein wenig furchterregend aus, groß und massig, mit kohlschwarzem, ungebändigtem Haar und dichtem Bart. Dazu kam seine dunkle, heisere Stimme, die tief aus seinem Bauch aufzusteigen schien. Die Leute nannten ihn hinter vorgehaltener Hand »Löwenkopf« und hatten Angst vor ihm. Aber mit uns Kindern war er stets gutgelaunt, er ließ uns auf seinem Rücken reiten und warf mich oft hoch in die Luft. Er hatte auch andere Kinder an den Hof geholt, die zeitweise mit uns lebten, Söhne aus dem Adel wie den stillen Richard von Acerra, den wilden Jordanus oder den verwachsenen Tankred, von dem es hieß, er sei ein Bastard, was immer das bedeuten mochte. Die drei hielten sich weniger an uns jüngere Kinder, sondern eher an meinen ein paar Jahre älteren zweiten Neffen, Roger, der einmal den Thron erben sollte. Meine Mutter - was kann ich sagen? Sie hat sich gleich nach meiner Geburt ins Kloster zurückgezogen. Wenn ich sie sehe, und das ist selten genug, ist sie eine stumme Gestalt hinter einem grauen Schleier. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt wahrnimmt. Es heißt, die schwarze Milch sei ihr zu Kopf gestiegen. Was das Wort Mutter bedeutet, habe ich erst gelernt, als mein Sohn auf die Welt kam.
Die Stadt meiner Kindheit ist Palermo. Sie liegt inmitten der sattgrünen Conca d'Oro, einer weiten Ebene, die von Bergen eingeschlossen ist wie das Innere einer Hand. Im Norden ragt der mächtige Monte Pellegrino auf, dort wohnt der großartige, schützende Hausgott der Stadt, den ich mir immer mit grimmig-grauem Wolkenkopf und grollend wie ein Gewitter vorgestellt habe. Im Osten bildet der Monte Catalfano den Abschluss der langgeschwungenen Bucht.
Palermo hat ein arabisches Gesicht. Kuppeln von zweihundert Moscheen spiegeln die Sonne wie Gold vor dem Hintergrund des grünblauen Ozeans, es ist, als habe der Zauberstab des Orients die Stadt berührt. Vor der Eroberung durch die Normannen regierten die Emire von ihrem Palast aus, unten am Meer im Viertel Al-Khalesa. Sie besaßen auch eine sichere Burg, am höchsten Punkt der Altstadt und ein Stück weiter westlich gelegen. Dort ist es kühler und ruhiger als in der Nähe des Hafens. Deshalb und weil der Ort leichter zu verteidigen war, wählten meine Vorfahren die alte Sarazenenfestung zu ihrem Wohnsitz. Es gibt dort vier mächtige Türme, gekrönt von sarazenischen Zwiebelkuppeln. Wir Kinder sind allerdings nur im Palazzo Reale, wenn Gefahr droht. Es gibt angenehmere Orte als die alte Festung: die Zisa, die Favara, den Parco und die Cuba. Alles Paläste des Königs, aufgereiht auf den Hügeln um die Stadt wie Perlen an einer Kette. Die Zisa ist mein Lieblingsort, erbaut vor der Porta Nuova im Nordwesten der Stadt. Sie ist umgeben von einem Meer von Olivenbäumen, deren schmale, silbrige Blätter wie tanzende Lichter im Wind zittern. Obsthaine und Gärten werden durchzogen von künstlichen Wasserläufen, die eine Vielzahl von Fischteichen speisen. Rund um den Eingangsbogen verläuft eine schnörkelige arabische Inschrift, die Safirah mir übersetzt hat: »Hier sollst du, so oft du es wünschst, das schönste Besitztum dieses Königreiches sehen, das Glanzstück der Welt und des Meeres. Dies ist das irdische Paradies, dieser König ist der Musta'iz, der Ruhmreiche, dieser Palast der Aziz.« Aziz heißt auf Arabisch schön, und mit dem »Ruhmreichen« ist natürlich mein Bruder Wilhelm gemeint, der die Zisa erbauen ließ.
Ich bin gerne in der großen Mittelhalle. Hier gibt es Nischen, die aussehen wie Höhlen mit hängenden Steinzapfen. Und Bilder, die ich jeden Tag bewundere: Medaillons, auf denen zwei Jäger mit dem Bogen nach Vögeln auf einem Baum schießen. Auf denen Pfauen gierig Datteln von Palmen picken. Wo beleidigte Hirsche einander kampfbereit gegenüberstehen. Aus der hinteren Wand entspringt eine Quelle, das Wasser ergießt sich in dickem Strahl in treppenartig gestufte Becken, bis es schließlich nach draußen in den Fischteich fließt. Drinnen ist es immer angenehm kühl, und das unerbittlich gleißende Sonnenlicht des sizilianischen Sommers dringt nur gedämpft herein. Vom Mitteleingang führt ein Brücklein zu einer Pavilloninsel in einem großen Teich. Von hier bin ich eines Winters einmal ins Wasser gefallen, es gab eine ungeheure Aufregung, man zog mich tropfnass heraus, und ich musste zwei Tage im Bett bleiben, weil ich Schüttelfrost bekam.
Die unbeschwerten Zeiten sind selten von Dauer. Immer wieder werden sie unterbrochen von geheimnisvoller Aufregung, wilder Betriebsamkeit, kaum verhüllter Panik. Dann kommen Männer mit Waffen, wir müssen hastig in einen anderen Palast umziehen, die Diener tuscheln ängstlich auf den Treppen, und wir dürfen unsere Zimmer im Harim nicht verlassen. Anfangs ist uns Kindern nicht klar, was geschieht, aber mit der Zeit lernen wir, die Ohren zu spitzen, wenn die Diener reden. Wir wissen nun: Es sind die Barone! Sie führen aufrührerische Reden, zetteln Verschwörungen an, ja, sie versuchen sogar, meinen Bruder mit Gewalt zu stürzen und die Hauteville-Dynastie, unsere Familie, zu vernichten. »Sie sind wie Skorpione«, höre ich einmal meinen Bruder sagen, »man weiß nie, wann sie zustechen.« Ich erinnere mich noch genau, wie ich eines Nachts wieder einmal geweckt und Hals über Kopf in den sicheren Palazzo Reale gebracht wurde, bei Regen und Nebel. Da plötzlich sprang ein Mann auf meine Kutsche zu, sein Dolch blitzte auf, und ich sah sein hassverzerrtes Gesicht. Dann eine schwarze Gestalt auf einem Pferd, ein erhobener Arm, ein Schlag, und der Angreifer war verschwunden. Ich merkte erst, dass ich schrie, als mich meine Amme fest in die Arme nahm und an sich drückte. Von diesem Augenblick an wusste ich, dass mein Leben nicht sicher war. Diese Angst hat mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet. Ich hatte gelernt, wie brüchig der Frieden im Land war. Es gab tödliche Schlangen im Paradies.
Zwischendurch, wenn alles sicher ist, durchstreife ich mit Safirah, dem Eunuchen Calogero und den Jungen die Gassen von Palermo. Das sind unsere schönsten Stunden, wenn wir im Hafen mit den anderen Kindern Murmeln spielen und unsere Amme ärgern können, indem wir uns hinter den Fischständen verstecken. Jeder Ausflug in die Stadt ist ein großes Abenteuer. Allein die Düfte: Gewürze, Salz, Weihrauch, Gebratenes, Gesottenes, Süßigkeiten, Balsamöle. Und Fisch, immer wieder Fisch. Das Geschrei der Möwen, das Stimmengesumm der Leute. So viele Menschen! Sarazenen mit bunten Turbanen, langbärtige Juden, Normannen, die man an ihren Lederstiefeln und dem blonden Haar erkennt, Griechen mit Ohrringen und dicken Schriftrollen in der Hand. Man hört ein Gemisch aus Arabisch, Latein, Griechisch und Volgare, und weil wir Kinder alle Sprachen des Königreichs lernen, jede mit einem anderen Lehrer, verstehen wir so manches. Eine ganze Menge Schimpfwörter schnappen wir auf bei diesen Ausflügen, die wir natürlich bei nächster Gelegenheit anwenden, so lange, bis man uns droht, uns nicht mehr in die Stadt zu lassen.
Ich bin sechs Jahre alt. Wieder einmal wütet ein Adelsaufstand, und diesmal ist es noch ernster als sonst. Die ganze Familie hat sich in den Palazzo Reale geflüchtet, tagelang halten wir uns im großen Saal im Pisanischen Turm auf, dem sichersten Ort in ganz Palermo. Da brechen die Feinde durch die Tür, bis an die Zähne bewaffnet, die Palastgarde hat sie nicht aufhalten können. Zwei der Verschwörer stürzen sich mit dem Schwert auf den König, aber jemand wirft sich dazwischen und rettet ihm das Leben. Ich bin schreckensstarr, sehe, wie unsere Eunuchen getötet werden, der Harim gestürmt, die Dienerschaft zusammengetrieben. Schwerter blitzen, Pfeile sirren. Und dann ist da ein schriller, entsetzlicher Schrei, der mir durch Mark und Bein fährt. Es ist die Königin. Ich folge ihrem Blick: Da kniet Roger. Seine Hände umklammern einen verirrten Pfeil, der tief in sein linkes Auge gefahren ist. Blut quillt ihm durch die Finger. Wir laufen zu ihm und halten ihn, er zuckt und röchelt, und dann ist er tot.
Heute noch sehe ich meines Bruders Gesicht, als er seinem ältesten Sohn die Augen schloss, das Gesicht eines uralten Mannes. Er hat die Krone am Ende behalten, aber seinen Erstgeborenen verloren. Und mir ist zum ersten Mal im Leben der Tod begegnet. Es dauert lange, bis meine bösen Träume wieder verschwinden, aber schließlich hilft der dickflüssige Mohnsaft, den mich Safirah abends schlucken lässt. Wir Kinder vermissen Roger schmerzlich. Statt seiner ist nun Wilhelm unser Anführer - und der neue Thronfolger. Sein Leben ändert sich dadurch, und gleichzeitig auch das von mir und...
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