Schweitzer Fachinformationen
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Die Luft knisterte vor statischer Aufladung, das nahende Gewitter setzte Bäume und Sträucher unter Spannung. Auch das gedrungene Klostergebäude schien den Atem anzuhalten, Mensch und Tier warteten auf die Urgewalt, die sich in himmelhohen Wolkentürmen abzeichnete. Der bleiche Vollmond war kaum auszumachen, allzu schnell schloss das schwarze Gewölk jede Lücke am Firmament.
In der aufgeladenen Atmosphäre klang das Wiehern von Pferden fremd und schrill, ihre Hufe schlugen hart auf den gepflasterten Hof. Die ankommenden Reiter sahen klein aus vor dem Kloster, die hohen Mauern von Rupertsberg überragten sie wie eine uneinnehmbare Burg. Obwohl es fast Nacht war, brannte kaum ein Licht in dem Gebäude, nur hier und dort war flackernder Kerzenschein in einem der Fenster zu erahnen.
Die fünf Männer sprachen kein Wort und stiegen eilig von ihren Pferden. Ihre Gesichter waren ernst, als sie einen sechsten Mann vom Sattel zogen. Seine Arme waren mit Lederriemen gefesselt, Schweiß ließ seine Haut glänzen, er torkelte zur Seite, sie mussten ihn auffangen. Einen Wimpernschlag später stürmte er voran, mit schier unmenschlicher Kraft versuchte er, ihren Händen zu entkommen. Seine Sehnen spannten sich und ließen die Arme aussehen wie die Glieder eines Raubtiers, roh und wild. Mit aller Gewalt drückten ihn die Männer nieder. Am Boden riss er den Kopf zurück und schrie, ein viehisches Jaulen, dem nichts Menschliches innewohnte. Mit gebleckten Zähnen schnappte er nach jedem, biss um sich in der kalten Luft, Blut und Speichel troffen von den Lippen, seine Augen rollten und zeigten ein Spiegelbild des vollen Mondes als fiebriges Irrlicht. Jemand versuchte, ihm die Stirn zu tupfen, doch schon knallten die Zähne zusammen, wo eben noch die helfende Hand war. Noch immer hatte keiner ein Wort gesagt.
In dieser Sekunde fielen die ersten schweren Tropfen, mit sattem Geräusch zerplatzten sie auf den Steinen. Ein Blitz flammte auf und machte aus den Gesichtern grelle Fratzen, einen Wimpernschlag später rollte der Donner, so tief, dass er den Boden beben ließ. Die Elemente brachen los, schon hatten sich die Tropfen in einen Vorhang aus Wasser verwandelt, der die Kleider durchnässte und das Pflaster schlammig machte. Einer der Männer führte die Pferde davon, die die Augen aufrissen und angstvoll wieherten, die anderen zogen den Gefesselten voran. Wieder schrie er, sein Jaulen wurde verschluckt vom nächsten Donner, ein Windstoß verwirbelte den Sturzregen und trieb die Gruppe zum Klostereingang.
Der Anführer hieb seine Fäuste gegen das Holztor, gleichzeitig ließ ein zweiter die kleine Türglocke bimmeln, sie tanzte nervös und schickte einen schrillen Klang über den Hof. Wieder trommelten die Fäuste.
»Macht auf, rasch!« Die Stimme des Mannes war das Befehlen gewohnt. »Ich fordere euch auf: öffnet! Im Namen des Pfalzgrafen Konrad!«
Das Trommeln und Rauschen des Regens übertönte jede Reaktion im Inneren des Gebäudes. Die Neuankömmlinge schauten sich kurz an und griffen den rasenden Mann fester, der von Krämpfen geschüttelt wurde. Konrad aus dem Hause der Staufer hatte die Pfalzgrafenwürde von seinem Halbbruder Friedrich Barbarossa verliehen bekommen, er hielt den Familienbesitz der Staufer und war als Herr über Schönau und den Wormsgau ein geachteter Mann. Jemand, den man nicht warten ließ. Gerade hob der Wortführer nochmals die Faust, da erklang das Geräusch eines Riegels, die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Als weißer Klecks erschien das Gesicht einer Nonne, die Wangen vom Alter eingefallen, die Stirn unter dem schwarzen Skapulier versteckt. Ein Auge war milchig blind, das andere zwischen Falten und wuchernden Brauen kaum zu sehen.
Der Mann ließ seine Faust sinken. Es war ihm anzusehen, dass er sich zügeln musste, um die Tür nicht aufzustoßen. Mühsam dämpfte er seine Stimme.
»Schwester, Graf Konrad ist bei uns. Er braucht Hilfe. Eilt Euch.«
Hinter der Nonne erschienen weitere Flecken, blasse Frauengesichter, manche runzlig, manche fast noch kindlich. Im Kloster Rupertsberg lebten 46 Nonnen, es hätte mehr als die doppelte Zahl sein können, so viele Zugangsbitten gab es. Der gute Ruf des Benediktinerinnen-Konvents ging weit über das Binger Land hinaus, man sagte den Nonnen große Kenntnisse in theologischen Fragen nach, aber auch eine sichere Hand in der Kräuter- und Heilkunde.
Diese medizinischen Fähigkeiten waren es, die die Leibgarde des Grafen trotz des bedrohlichen Wetters zum Rupertsberg getrieben hatte. Sie schoben Konrad nach vorn, dessen glühende Augen unstet zuckten und dessen blutiger Mund ihn wie ein Ungeheuer aus einer bösen Sage aussehen ließ. Die Sturzbäche aus Schweiß vermischten sich mit dem Regenwasser aus seinen Haaren und kündeten von dem Feuer, das in ihm brannte.
Die einäugige Nonne öffnete die Tür so weit, dass der Wortführer halb eintreten konnte.
»Was fehlt ihm?«, fragte sie.
Er zögerte eine Sekunde und schlug das Kreuzzeichen, bevor er antwortete. »Das Schandfieber. Wir fürchten, es ist das Schandfieber.« Den nächsten Satz sprach er so leise, dass der Wind seine Worte von den Lippen riss. »Bringt ihn zur Äbtissin, Schwester. Helft uns, bevor ihn das Fieber zum Mannwolf macht.«
Die Nonne richtete ihr gesundes Auge auf den Pfalzgrafen, der nach wie vor von starken Händen gehalten wurde. Er bog die Brust nach vorn, sein Körper krümmte sich, als wolle er in der Mitte durchbrechen. Das Röcheln aus seiner Kehle klang erstickt, seine Augen verdrehten sich, nur noch das Weiße war zu sehen.
Über den Mannwolf redeten die Menschen in den Dörfern hinter vorgehaltener Hand. Die Alten nannten ihn Werwolf - Wer, das fast vergessene Wort für Mann. Eine Kreatur, die von der menschlichen in die wölfische Gestalt wechselte.
Die unheimliche Metamorphose begann als normales Fieber, wie es oft über die Menschen kam und nach einigen Tagen wieder verschwand. Doch wenn das Fieber blieb und Juckreiz mit sich brachte, Brennen, Unruhe und wechselhafte Launen, dann wusste man, dass das Böse in diesen Körper gefahren war. Bald schon wurde der Kranke immer mehr zum Tier, er lief auf allen vieren, griff alles und jeden an und heulte wie seine neuen Brüder in den Wäldern. Wer dem Schandfieber verfiel, so sagten die Leute, hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Einen Pakt, der die Seele raubte und den Leib zur Bestie werden ließ.
Am Hof des Pfalzgrafen hielt man solche Geschichten für das Geplapper der Bauern, für Märchen, mit denen die einfachen Leute ihre Kinder erschreckten. Bis Konrad eines Tages mit fiebrigen Augen im Bett lag und das Feuer nicht aufhören wollte zu brennen. Die Verwandlung begann, schleichend erst, dann immer rascher. Der Medikus wusste bald schon keinen Rat mehr, der Pfarrer konnte trotz langer Nächte auf den Knien keine Besserung bewirken. Ganz im Gegenteil, Pfalzgraf Konrad verlor jeden Tag etwas von seiner menschlichen Seite und wurde immer mehr zum Tier. In ihrer Verzweiflung entschlossen sich seine Vertrauten, in Bingerbrück Rat zu suchen, bei einer Frau, deren medizinisches Wissen als einzigartig galt.
Die alte Nonne beobachtete Konrad, sah, wie sein Wesen zwischen Erschöpfung und Aggressivität pendelte, als würden eine menschliche und eine viehische Seite in ihm kämpfen. Schließlich gab sie seinen Begleitern mit einem Wink zu verstehen, dass sie ihn hereinbringen sollten.
Krumm wie ein knotiger Baum wandte sie sich um, winkte eine junge Nonne herbei und wisperte ihr etwas ins Ohr. Das Mädchen schlug die Augen nieder und deutete eine Verbeugung an. Während die Männer die Tür aufstießen und wilde Sturmböen den Regen hineinrissen, verschwand die kleine Gestalt in einem der Gänge.
Die Kerzen in ihren eisernen Wandhaltern flackerten im Wind, der unter der Kammertür durchzog, fetter schwarzer Qualm stieg auf und ließ die Luft wogen wie ein lebendiges Wesen. Bauchige Flaschen fingen das flackernde Licht ein, in trüber Flüssigkeit schwammen Wurzeln und faserige Kräuter. Raumhohe Regale aus schwarzem Holz waren angefüllt mit Pergamenten, verschnürten Schriftrollen und Büchern mit brüchigen Lederrücken. Am Arbeitstisch saß eine alte Frau, dünn und groß, eingehüllt in das schwarze Habit der Benediktinerinnen. Vor ihr verteilten sich hölzerne Messinstrumente, eiserne Gewichte, eine filigrane Waage und eine Vielzahl von Tiegeln mit Pulvern und Salben. Auf einer Handschrift mit blassen Zeilen lag ein geschliffener Beryll wie ein übergroßer Tropfen, seine Brechung ließ die Buchstaben groß und verzerrt aussehen. Leise murmelnd schob die Greisin den Stein weiter, Letter für Letter, Zeile für Zeile, die Vergrößerung half ihr, die Zeichen zu entziffern. Hin und wieder griff sie nach einem Federkiel und machte eine Notiz auf Lumpenpapier, dessen grobe Oberfläche die Tinte breit auslaufen ließ.
Ein zartes Klopfen ertönte. Die alte Frau hielt nicht inne in ihrem Gemurmel, erst als sich die Tür einen Spaltbreit öffnete, ließ ihre Hand den Beryll ruhen. Der Lufthauch, der hereinfuhr, brachte die Kerzen noch stärker zum Flackern, das Dämmerlicht verlieh ihrem faltigen Gesicht einen gespenstischen Widerschein.
»Ent. entschuldigt, Mutter Äbtissin. Schwester Bergund schickt mich.« Die Stimme der jungen Nonne war kaum zu hören, ihre Augen waren groß und versuchten, all das zu erfassen, was in der Studierstube verborgen war und Außenstehende selten zu sehen bekamen. Sie wartete auf eine Antwort. Als diese ausblieb, fasste sie sich ein Herz und sprach weiter.
»Graf Konrad ist angekommen, sein Gefolge hat ihn gebracht. Er ist krank, sehr sogar....
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