Schweitzer Fachinformationen
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Am nächsten Morgen schrak Bleibier aus unruhigen Träumen hoch. Rufe erklangen, etwas klirrte.
»Wassnjetztschunwiddalos?«, knurrte er, während er auf einem Bein hüpfend in seine Hose schlüpfte und gleichzeitig versuchte, die Zähne zu putzen. Draußen empfing ihn das warme Licht der Südpfalz, das sich wie eine Lieblingsdecke auf die Haut legte. Eine Sekunde gönnte er sich den Genuss, die Berührung der Sonnenfinger bewusst wahrzunehmen. Dann raffte er sich auf und eilte die Straße nach oben. Dass der Lärm vom Stullwerk kam, war ihm klar. Seit Wochen schon ging es in der alten Holzfabrik hoch her, nirgendwo sonst in Grumberg wurde so viel und so lautstark gestritten.
»Hauen ab mit eierm Griezeich!« Metzger Bertl Bopp, wie immer in weißer, nicht ganz sauberer Schürze, schüttelte die Faust drohend in Richtung des Backsteingebäudes.
Auch Frau Krawehl, die Wirtin der Dorfwirtschaft, gestikulierte wild. »Verräderpack! Eiern Biokram kennena sunschtwo mache, awwer net bei uns!« Ein Dutzend Grumberger hatte sich vor dem rostigen Tor der Fabrik versammelt, ihre Stimmen wogten hin und her. Etwas abseits stand ein Grüppchen Leute, einige mit Bärten, viele mit langen Haaren, die Frauen trugen sackförmige Gewänder, die Männer Sandalen.
»Kein Fleisch! Gar kein Fleisch! Auch kein Pseudofleisch!«, riefen sie durcheinander. Ihr Unmut galt ebenfalls dem gedrungenen Gebäude. Einer hielt ein Plakat in die Höhe, auf dem etwas ungelenk eine glückliche Kuh unter einer lachenden Sonne prangte.
Beide Parteien wurden lauter, als drei Gestalten aus der Fabrik traten, zwei Männer, eine junge Frau. Sie entluden in aller Ruhe einen Lieferwagen, Säcke und Pakete fanden ihren Weg ins Innere des Gebäudes. Die Grumberger und die Langhaarigen krakeelten, es wurde am Tor gerüttelt. Die drei am Wagen reagierten nicht auf die Beschimpfungen, schließlich wandten sich die beiden Gruppen gegeneinander.
»Hier, langhooriches Gsindl, gehen doch emol was schaffe!«, brüllte Ansgar, der Winzer, mit hochrotem Gesicht. »Audonomepack, grienes!«
»Fleischfresser! Mörder!« Die Plakatfraktion schrie zurück, dass die Bärte wehten. »Ihr stopft euch voll mit Tierleichen, ihr seid so widerlich!«
»Eich ghört die Zung gschaabt ghört eich!«, echauffierte sich die Wirtin, die Grumberger nickten zustimmend. Schon wurden die Ärmel hochgeschoben, da ging Bleibier dazwischen.
»So, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder.« Sein Tonfall war entspannt, aber mit einer gewissen Schärfe.
»Ach endlich, die Bolizei!«, polterte Metzger Bopp. »Mach ebbes, Maazl, sperr die Urustifter weg! Des Xox!«
»Die haben uns bedroht! Fast angegriffen! Das ist . das ist Körperverletzung!« Anklagend zeigten die Langhaarigen auf ihre Kontrahenten.
»Hier wird niemand weggesperrt und auch niemand angegriffen. Leut', macht mal langsam.« Bleibier wusste, dass sein Wort galt, zumindest unter den Alteingesessenen. Schließlich war er mit ihnen groß geworden. Über die Bio-Aktivisten machte er sich ebenso wenig Sorgen, sie waren so schlaksig, dass sie es wohl nicht auf eine Keilerei ankommen lassen würden.
Das sahen die Kampfhähne und -hennen wohl genauso, schnell einigte man sich wieder auf den gemeinsamen Feind - die drei Leute in der Fabrik.
»Unn iwwerhaupt, mach doch emol was gege die Vaterlandsverräder do drin!« Die dralle Wirtin zeigte anklagend durch das Tor. »Die tretn's pälzische Erbe mit de Fieß, unn nix bassiert!«
Wie auf Stichwort nahm die andere Gruppe ihren Singsang wieder auf. »Kein Fleisch! Auch kein Pseudofleisch!«
Bleibier verdrehte die Augen. Seit Wochen ging dieser Kleinkrieg nun schon hin und her, und es war kein Ende in Sicht. Gerade wollte er ein ernstes Wörtchen mit den beiden Parteien reden, da erklang eine hohe, leicht näselnde Stimme hinter ihm.
»O je, Herr Kommissar, das sieht ja nicht gerade nach Pfälzer Gemütlichkeit aus. Was ist los, soll hier eine neue Startbahn West gebaut werden?«
Der Sprecher, ein Mann um die sechzig, sah aus wie ein Waldschrat: schlammige Stiefel, robuste Kleidung mit deutlichen Gebrauchsspuren, ein grauer Dreitagebart, dazu ein Fedora, dem die Jahre Form und Farbe geraubt hatten.
»Ooch, wir brauchen keine Startbahn West, um uns in die Wolle zu kriegen. Es reicht schon Hamlet, sehr frei interpretiert: Fleisch oder nicht Fleisch, das ist hier die Frage.«
Der Schrat schaute interessiert auf das Fabrikgebäude und die zwei Streitgruppen. Er war Professor für Geografie, kam aus Mainz und hieß mit bürgerlichem Namen Wendelin Wagenburck. Mit einer Handvoll Studenten führte er eine Projektarbeit im Pfälzerwald durch, es ging um den früheren Holzschlag und die verarbeitende Industrie, so viel hatte der Dorfklatsch verraten.
»Fleisch oder nicht Fleisch? Klären Sie mich auf, Herr Kommissar.«
Mit einer vagen Bewegung zeigte Bleibier auf das Backsteingebäude. Es stand an einer Anhöhe, der Hang und die Bäume wuchsen dahinter in den Himmel. Mehrere Gebäude aus schmutzig roten Ziegelsteinen machten einen verwahrlosten Eindruck, auf den umgebenden Freiflächen rosteten Greifer und Förderbänder vor sich hin.
»Ist eine ehemalige Holzfabrik, das Stullwerk, so heißt sie hier. Na gut, das wissen Sie wahrscheinlich schon, ist ja Ihr Thema.«
Der Schrat nickte eifrig und gab ihm ein Zeichen fortzufahren.
»Steht seit zig Jahren leer, aber jetzt ist ein neu gegründetes Unternehmen eingezogen. Ein Start-up, so nennt man das heute wohl, die VMG, Vegane Manufaktur Grumberg. Die stellen Pfälzer Spezialitäten her, Lewwerworscht, Grieweworscht, Broodworscht, Saumage, so was halt, aber alles vegan. Ohne Fleisch. Ohne tierische Bestandteile.«
»Oha«, meinte Professor Wagenburck, »das dürfte so manch eingefleischtem Pfälzer nicht schmecken.« Er lachte meckernd über sein Wortspiel.
»Ganz recht. Viele hier finden das ziemlich daneben, sie sagen, Fleisch ist Teil der pfälzischen Esskultur. Am liebsten würden sie die VMG auf den Mond schießen. Deshalb stehen sie jeden Tag am Tor und machen Stunk.«
»Und die anderen?« Wagenburck zeigte auf die zweite Gruppe, die ihr Kuhplakat schwang. »Die sehen doch aus wie Öko-Aktivisten. Wieso sind die denn gegen ein veganes Start-up?«
Bleibier seufzte. »Weil sie der Meinung sind, der Mensch soll komplett weg von der Wurst, auch vom Äußeren her. Die VMG-Leute machen richtige Dosen, wie für normale Wurst eben, und den Saumagen gibt's im Kunstdarm, sieht aus wie echt. Das passt den Ökos nicht. Sie sagen, das ist eine Mogelpackung, denn damit bleibt in den Köpfen das >Wurstprinzip< erhalten.« Er malte die Gänsefüßchen mit den Fingern in die Luft und zuckte die Achseln. »Tja, den einen geht die Veganerei zu weit, den anderen nicht weit genug. Und das sorgt momentan für Stimmung im Ort.«
Der Schratprofessor schaute interessiert zu, wie aus einem der Fabrikfenster ein Transparent gehängt wurde. Das Logo der VMG wehte im Wind, eine Zickzacklinie, die die Buchstaben V und M verschmelzen ließ, daneben der Schriftzug »Vegane Manufaktur Grumberg - alles, was die Worscht braucht«. Sowohl die Grumberger Traditionalisten als auch die Hardcore-Veggies brachen in Geheul aus und gestikulierten wütend zum Gebäude hin.
Bleibier merkte, wie seine Verstimmung wuchs. Nicht nur, dass er schlecht geschlafen hatte. Nicht nur, dass ihm bei der letzten Schorle das Trugbild eines bunten Pelzvogels erschienen war. Nicht nur, dass der Lärm ihn heute früh von null auf hundert aus dem Bett gerissen hatte. Nein, es gab bei dem VMG-Gehampel ein weiteres Detail, das er jemandem von auswärts nicht auf die Nase binden wollte: Die junge Frau in der Fabrik, Annalena Fuchs, war die Tochter des Grumberger Bürgermeisters. Sie stand voll und ganz hinter dem VMG-Projekt, was das politische Miteinander im Ort zu einem wahren Eiertanz werden ließ. Egal, für welche Seite Bleibier in seiner Eigenschaft als Polizist Partei ergriff - es gab stets jemanden, dem er damit auf die Füße trat.
Eine Autohupe riss ihn aus seinen Gedanken. Vor dem Fabriktor hielt ein steinalter Kleinbus, eine eckige Toyota-Kiste. Der ehemals weiße Lack hatte sich ins Gelbliche verfärbt, auf den Seiten prangte der Schriftzug »Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Geowissenschaften«. Fünf junge Leute kletterten heraus, zusammengerollte Karten ragten aus ihren Rucksäcken, einer hielt einen GPS-Empfänger in der Hand. Aha, die Schützlinge von Wendelin Wagenburck.
»Wie läuft's denn bei Ihnen?«, wandte Bleibier sich an den Professor. »Was erforschen Sie eigentlich genau?«
Der Schrat lächelte erfreut und zeigte schiefe Zähne. »Oh, gut, sehr gut läuft's. Wir untersuchen, inwieweit die ehemals exzessive Holzwirtschaft im Pfälzerwald sichtbare Spuren im natur- und kulturräumlichen Kontext hinterlassen hat. Anthropogene Überprägung mit reziproker Beeinflussung.«
Bleibier bedauerte seine Frage bereits. Er hätte wissen müssen, dass Wagenburck wie jeder Wissenschaftler sofort auf Fachgeschwurbel umschaltete, sobald man sich nach seiner Forschung erkundigte. Er nickte mit Scheininteresse, während der Professor von Woogflächen, Quellhorizonten und Meilerplätzen redete und die Studenten weitere Fachausdrücke einstreuten. Erst als eine Pause folgte, merkte der Kommissar, dass ihm sein Gegenüber wohl eine Frage gestellt hatte.
»Äh, was bitte, ich . äh«, stotterte er.
»Ich habe gefragt, ob Sie auch schon einmal in die alten Kirchenlisten geschaut haben....
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