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Mona schreckte aus ihrem Traum auf und ihr war schlagartig kalt. Aufwachen fand sie immer ätzend. Aber am schlimmsten war es, aufzuwachen und mitzuerleben, wie sich die unbewussten düsteren Gefühle eines Albtraums zu schwarzen Gedanken im Bewusstsein verdichteten. Diese Nebel aus Angst zogen ihr alle Wärme aus den Gliedern. Sie waren wie Schwarze Löcher, gefräßige Allesfresser, und verschluckten positive Energie in Sekunden.
Obwohl es in der Halle nie kälter als zwanzig Grad war, fror Mona häufig. Ihr Körper war es gewohnt, gewärmt zu werden - zwar nicht von kuscheligen Decken, warmen Strickpullovern oder in den Armen von Menschen, doch vom liebevollen Temperaturregler der technischen Anlage. Dieser unterschied Felder im Raum nach Schatten und Sonne, war mit bestimmten Gegenständen wie Decken verknüpft und wurde natürlich bei Urlauben in südlichen Gegenden stärker in Anspruch genommen als bei ihrer letzten Reise durch die Großstädte Skandinaviens.
Mona entschied sich zunächst, noch im Bett liegen zu bleiben, keine Kraft der Welt konnte sie heute zwingen aufzustehen. Von der Straße unten drangen Verkehrsgeräusche und geschäftige Menschenstimmen zu ihr in den dritten Stock. Als sie sich die Decke über den Kopf zog, wurde ihr langsam wärmer. Zumindest äußerlich. Vielleicht sollte sie nie wieder schlafen, dann blieben ihr diese Albträume erspart, überlegte sie. Nein, sie musste das Bett verlassen, dort bestand die Gefahr einer Wiederholung. Sie hätte gestern nicht mit Isabel über »die beiden« sprechen sollen - natürlich hatte ihr Unterbewusstsein sie sofort in ihren Traum zurückgeschickt.
Monas Magen knurrte. Es war schon nach zehn und der Alkohol hatte längst alles Verwertbare in ihr durchtränkt und zersetzt. Wenn sie vermeiden wollte, dass ihr schlecht wurde, musste sie aufstehen. Sie rappelte sich also hoch und lief auf noch unsicheren Beinen Richtung Küche. Mit dem Knie blieb sie an dem Sessel neben ihrem Bett hängen, auf dem noch ihre Partytasche von gestern lag. Dabei verrückte sie ihn um einige Zentimeter und es gab ein Geräusch von scharrenden Stuhlbeinen, die über PVC-Boden fuhren. Mona realisierte den verschobenen Sessel nur wegen des Geräuschs und des minimal veränderten Lichteinfalls auf dem Sessel. Durch den Vorhang fielen die Sonnenstrahlen jetzt in einem anderen Winkel auf den dunkelgrünen Samtstoff. Der Sessel war der gleiche wie der im Wohnzimmer, sie hatte sich in ihn verliebt und sich nicht zwischen Gelb und Grün entscheiden können. Also hatten ihre Eltern ihr beide zum Einzug geschenkt.
Die Küche, durch deren Balkontür die Sonne hereinbrannte, war zu hell für Monas verschlafene Augen. Sie blinzelte in das Auswahlmenü des Gourmaten und wischte mit der rechten Hand zwischen den vorrätigen Speisen hin und her. Schließlich entschied sie sich für Pizza. Es war nie zu früh für italienische Spezialitäten mit Käse. Sie wählte die einzelnen Beläge und wartete auf die Zubereitung. Ihrem Heißhunger auf hauchdünnen Boden mit ganz vielen Oliven folgend, drückte sie ein zweites Mal auf den Pizzaknopf, um ihre Bestellung zu verdoppeln. Dann hielt sie ihren Kopf auf Höhe der Markierung und wartete geduldig, bis die Stücke nach und nach in ihren Mund fielen.
Als der Käse sich auf ihrer Zunge auflöste, hatte sie endlich das Gefühl, wieder denken zu können. Die Angst und das Unwohlsein wichen Bilderfetzen aus dem letzten Traum, die sie zunächst nicht fassbar umkreisten. Dann durchfuhr es sie plötzlich und sie sah ein Bild ganz klar vor sich: Ihre beiden Verfolger, denen sie wie immer zu entkommen suchte, hatten ihre Arme ausgebreitet und sahen mit großen Köpfen auf sie herab. Etwas in Mona fing an zu brennen, als sie in die Gesichter der beiden sah. Zum ersten Mal erkannte sie, vor wem sie all die Nächte davongelaufen war: Es waren ihre Eltern.
Eine halbe Stunde später stand Mona mit vollem Magen vor einem neu begonnen 3-D-Gemälde, im Hintergrund lief laut genug »The Logical Song«, um die vielen Lautsprecher ihres Lebensraums in Vibration zu versetzen und sie von innen heraus zu beruhigen. Mona war schlecht von den zwei Pizzen. Sie war kurz davor gewesen, sich zu übergeben, hatte aber sofort ein Antibrechmittel aus dem Apothekomaten eingenommen, um dem entgegenzuwirken. Sie ekelte sich vor dem Geruch von Erbrochenem - seit sie fünf Jahre alt war, hatte sie sich glücklicherweise nicht mehr übergeben. Ihre Eltern, so sagte sich Mona, hatten sie gut erzogen. Kotzen war keine Option, man musste alles hinunterschlucken.
Sie musste sich getäuscht haben, das kam vor. Die beiden aus dem Traum konnten unmöglich ihr Vater und ihre Mutter sein. Es gab keine Erklärung dafür, wieso sie Angst vor ihnen haben sollte. Ihre Eltern waren die wichtigsten Menschen in ihrem Leben, abgesehen von Isabel. Sie verdankte ihnen alles.
Mona griff nach ihrem schwarzen Stift und begann, mit kräftigen Strichen eine überdimensionale Welle zu skizzieren. Ein neues Gemälde ganz in dunklen Blautönen und Schwarz. Timur würde es mögen. Als Betrachter:in sollte man das Gefühl bekommen, die gigantische Schaumkrone könne jeden Moment über einem zusammenbrechen. Von der anderen Seite sollte das Bild dagegen den Eindruck erwecken, man könne auf dieser Welle surfen. So, wie das nur ganz Mutige taten, schließlich konnten Menschen nicht schwimmen. Das Prinzip der Doppeldeutigkeit zwischen hoffnungsloser Todesgewissheit und Mut war die Grundidee. Bisher hatte sie lediglich erste grobe Striche im Raum skizziert. Mona setzte den Stift ab, wählte ein Mausgrau und dazu die Menüfunktion »Wasserfarbklekse«, die sie liebte.
Als das Lied in der Dauerschleife gerade zum fünften Mal einsetzte, überkam sie ein solch tiefes Gefühl der Verlassenheit, dass sie es nicht länger aushielt, den Stift zur Seite warf, nach dem Schwarz griff und eine weitere Riesenwelle auf der Rückseite des Gemäldes zu entwerfen begann. Wer sagte, dass es eine positive Seite geben musste?
»I know it sounds absurd, please tell me who I am«, sangen Supertramp und Mona schob den Lautstärkeregler auf dem Bildschirm um das Dreifache nach oben.
Sie sah immer noch verschwommen die Gesichter der beiden, die näher und näher auf sie zukamen. Sie trugen keine schwarzen Anzüge, sondern seltsame Dinge in bunten Farben, die schäbig auf Mona wirkten. Völlig unförmig umspielten diese Teile, als wären sie aus Stoff, aus dem sonst Kissen, Decken oder Taschen waren, die Körper ihrer Eltern. Deren Haare waren aus der Form geraten, ihr Vater hatte sogar welche im Gesicht, ihre Mutter sah sehr jung aus und trug ein seltsames Rot auf den Lippen.
Das Bild war so klar, als hätte sie es vor einer Sekunde mit der Aufnahmetaste ihres Handys selbst gemacht. Es war völlig egal, was ihr dieser Traum sagen wollte, Mona wusste, dass er etwas bedeutete. Und dieses Wissen drohte sie unter einer riesigen Welle der Angst zu begraben. Brandon hatte sich eine Maschine geliehen, um besonders früh aus seiner kleinen Wohnung zu Occasio zu fahren. Der private Besitz von motorisierten Fahrzeugen aller Art war seit über zehn Jahren weltweit verboten. Aber heute hatte Brandon unbedingt pünktlich sein wollen, außerdem liebte er es, wenn ihm auf dem Motorrad der Fahrtwind ins Gesicht blies.
Nun saß er ganz alleine vor den vielen Knöpfen und Bildschirmen und kam sich gleichzeitig extrem wichtig und absolut hochstaplerisch vor. Max hatte sein wöchentliches Meeting mit dem Technik- und Autor:innenteam und ihm zum ersten Mal die volle Verantwortung für die Live-Überwachung übertragen. Im Grunde bestand Brandons Aufgabe darin, sicherzustellen, dass keine Katastrophen passierten, während die wichtigen Leute Besseres zu tun hatten. Seine Versuchsreihen waren für die Dauer des Meetings ausgesetzt, er sollte nichts anderes tun, als Mona beobachten und um Hilfe rufen, wenn es Probleme gab.
Brandon spiegelte sich im Glas des Beobachtungsfensters und wischte sich mit etwas Spucke eine winzige Mücke von der Stirn, die bei seiner morgendlichen Motorradfahrt dort kleben geblieben war. Er überlegte, dass er mal wieder mit Kai an ein paar alten Maschinen rumschrauben sollte. Er liebte es, mit ihm beim örtlichen Leihservice vorbeizugehen und in der Abteilung »Reparatur und Basteleien« auszuhelfen. Der Geruch von Motoröl und das Gefühl, wenn eine Maschine nach vier oder fünf Stunden Arbeit wieder lief - das war für Brandon wahres Glück.
Mona hatte fünf Stunden gemalt. Im virtuellen Wohnzimmer war eine gigantische Welle in 3-D entstanden, deren Ausmaße und Echtheit Brandon gleichermaßen erschreckten und faszinierten. Ihr dabei zuzusehen war allerdings wenig aufregend gewesen. Die musikalische Untermalung ging ihm gewaltig auf die Nerven. Er langweilte sich und ertappte sich im Spiegelglas dabei, wie er sein T-Shirt ein bisschen nach oben schob und seine Oberarmmuskulatur kontrollierte. Frank pflegte zu sagen: »Das ist einfach ungerecht! Solche Oberarme hätte ich nicht mal, wenn ich im Fitnesscenter...
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