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»So viel kann ich Ihnen versprechen. Das wird ein Fest, von dem noch unsere Urenkel sprechen werden«, tönte Oberbürgermeister Norbert Winkler vollmundig im Kaisersaal des Historischen Kaufhauses vor der versammelten Pressemeute. »Ein Mega-Event, bei dem sich unsere schöne Stadt in eine riesige Freilichtbühne verwandeln wird, auf der sich alle Freiburger verwirklichen dürfen.«
»Auch endlich mal die von der Opposition im Gemeinderat?« Die vorwitzige Bemerkung einer stupsnasigen Radioreporterin war nicht zu überhören.
»Geboten wird eine prächtige Zeitreise mit unzähligen Darstellerinnen und Darstellern, die unter dem Motto >Freiburg-Protokoll< verschiedene wichtige Ereignisse und Stationen aus unserer ruhmreichen Geschichte aufführen werden«, machte der Oberbürgermeister ungerührt weiter.
»Wie bitte? Den staubtrockenen Titel kann sich doch nur einer im Finanzamt ausgedacht haben«, rutschte es der Stupsnasigen entgeistert heraus.
»Seit wann wird dort gedacht?« Ein Journalist, auf dessen T-Shirt unübersehbar Kaffeeflecken prangten, lachte laut über seinen eigenen Witz. Sein bärtiger Nebenmann gähnte unverhohlen.
Winkler räusperte sich vernehmlich. »Zu den Feierlichkeiten erwarten wir natürlich zahlreiche illustre Ehrengäste.« So leicht ließ er sich nicht aus dem Konzept bringen, schon gar nicht von Journalisten, die er sowieso nicht leiden konnte. Stolz wie ein Pfau strich er sich durch seine gegelten Haare, die borstenartig von seinem Kopf abstanden. Böse Zungen behaupteten schon lange, er würde regelmäßig einen Drogeriemarkt überfallen, um seinen gewaltigen Bedarf an der klebrigen Masse zu decken. »In Ihrer Pressemappe finden Sie eine Liste, wen wir alles begrüßen dürfen. Oder nein, besser, ich lese Ihnen die Namen vor.« Ganz so, als hätte er ein paar Erstklässler vor sich, die ein A noch nicht von einem Z unterscheiden konnten.
»Falls der Papst wiederkommt, sollte er sich aber dieses Mal im Papamobil anschnallen. Nicht, dass es noch mal eine Anzeige gibt.« Schon wieder der Spaßvogel mit dem fleckigen T-Shirt.
»Das Einzige, was mich brennend interessiert, ist, wie lange der Zauber hier noch dauert«, flüsterte Katharina ihrem Kollegen Dominik, der beim »Regio-Kurier« für die Fotos zuständig war, ins Ohr und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, während der Oberbürgermeister stolz einen Namen nach dem anderen herunterratterte. »Wenn Winkler in dem Tempo weitermacht, können wir unsere Mittagspause vergessen. Und ich habe nicht mal richtig gefrühstückt.«
Seit einer geschlagenen Stunde saß sie jetzt schon im Kaisersaal, um den Lesern des »Regio-Kuriers« berichten zu können, was sie zum neunhundertsten Jubiläum der Stadt Freiburg erwartete.
Obwohl sie es nie zugegeben hätte, war selbst Katharina von Winklers ambitioniertem Programm beeindruckt: Drei Tage lang würden Ende Juli in der ganzen Stadt kurze Theaterstücke zu sehen sein, um Freiburgs Historie lebendig zu machen. Stoff dafür gab es reichlich, seit der Zähringer Konrad den Freiburgern 1120 das Marktrecht verliehen hatte. Und damit das Event nicht allzu sehr die eh schon strapazierte Stadtkasse belastete, wurde jeder, der nicht bei drei auf den Bäumen war, genötigt, sich doch bitte schön ein historisches Kostüm zu besorgen, um als Statist in der Rolle eines Nachtwächters, Mönchs, Gauklers, Feuerschluckers oder einer Wäscherin das Stadtbild zu bereichern.
Ihren großen Auftritt haben sollten auch jene berühmten Persönlichkeiten, die, jede auf ihre Art, im Lauf der Jahrhunderte etwas dazu beigetragen hatten, dass Freiburg zu dem geworden war, was es heute war: ein Hort gepflegter Gemütlichkeit, gleichermaßen beliebt bei Tofu- und Würstle-Fans, und der blanke Horror für Autofahrer und Wohnungssuchende.
Das Gerangel um die Hauptrollen war bereits in vollem Gang. So legte der Vorsitzende des Einzelhandelsverbandes Rudi Müller aus unerfindlichen Gründen allergrößten Wert darauf, sich als Scharfrichter Werlin Großholz zu präsentieren, der im Mittelalter sein Handwerk in der Wiehre verrichtet hatte. Rudi Müller war eben schon immer ein Mann der Tat und nicht der Worte gewesen.
Zu Katharinas großem Bedauern gedachte Oberbürgermeister Winkler jedoch nicht, sich bei der Hinrichtungsszene am eigens zu diesem Behufe von Berufsschülern der Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule angefertigten Galgen aufknüpfen zu lassen, um dieses Kapitel im mittelalterlichen Stadtleben möglichst authentisch zu gestalten. Vielmehr hatte er verkündet, den Festumzug als edler Herzog aus dem Zähringer Geschlecht anzuführen, und zwar völlig wurscht, als welcher, waren es doch gleich mehrere männliche Familienmitglieder, die sich als Herren von Freiburg einen Namen gemacht hatten.
Theo Schneider, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, war mit viel Überzeugungskraft dazu gedrängt worden, die Rolle des Erasmus von Rotterdam zu übernehmen, hauptsächlich deshalb, weil sich sein Büro just in jenem Erkerzimmer befand, in dem der Gelehrte einst während seines Exils residiert hatte. Schaden konnte es jedenfalls nichts, wenn der Geist desselben über ihm schwebte, denn Schneider war nicht gerade für seine feurigen Ansprachen bekannt.
»Wen würdest du eigentlich gern spielen?«, fragte Katharina leise ihren Kollegen, während Winkler noch einmal eindringlich die Großartigkeit des Projekts betonte.
»Ich?« Dominik legte die Stirn in Dackelfalten. »Wenn ich überhaupt nur eine Sekunde ernsthaft einen Gedanken daran verschwenden würde, bei dem Spektakel mitzumachen, dann Walter Stegmaier. Dann säße ich jetzt vor einem Bier in einer Kneipe, anstatt Winklers Volksreden ertragen zu müssen.«
Katharina konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verbeißen. Besagter Walter Stegmaier hatte in Freiburg studiert und die zweifelhafte Ehre gehabt, 1912 als erster Insasse in den Winterkarzer der Universität einzuziehen, weil er in trunkenem Zustand einen Polizisten vermöbelt hatte. Angesichts der Tatsache, dass er nur wenige Monate zuvor als der dreitausendste Student in einem Festzug durch die Stadt geleitet und zudem von der Universitätsleitung mit einer goldenen Uhr bedacht worden war, fast schon Ironie des Schicksals. Und wie man so hörte, hatte er es auch während seines Arrests ordentlich krachen lassen.
»Gute Wahl«, pflichtete Katharina Dominik deshalb bei. »Die Rolle ist dir wie auf den Leib geschnitten.«
»Das musst gerade du sagen. Mit deinem unsteten Lebenswandel würdest du auch nicht gerade als Nonne durchgehen. Auch wenn du auf einer höheren Töchterschule warst.«
»Erinnere mich bloß nicht daran«, stöhnte Katharina auf. Ihre Zeit auf dem Freiburger Mädchengymnasium und die damit verbundenen Erfahrungen gehörten zu den Gründen, warum sie der Idee eines Matriarchats, wie es ihre Nachbarinnen in der Oberen Wiehre oft und gern propagierten, eher skeptisch gegenüberstand.
Winklers lauter werdende Stimme unterbrach ihr Gespräch. »Bei so einem Mammutprojekt, das wir als Stadtverwaltung neben unserer eigentlichen Arbeit stemmen, ist natürlich jede Hilfe willkommen.« Er holte tief Luft. »Deshalb freue ich mich besonders, dass sich der allseits bekannte Schauspieler Markus Österreicher in letzter Minute bereit erklärt hat, mit den Laiendarstellern zu arbeiten. Leider kann er heute nicht persönlich anwesend sein, da er sich derzeit noch auf einer Tournee in Italien befindet. Aber er hat mir fest versprochen, rechtzeitig zurück zu sein.«
»Herrje«, entfuhr es dem Pressevertreter der »Freiburger Zeitung«. »Ausgerechnet dieses Großmaul. Das kann ja nix werden, wenn der das Sagen hat.«
Winkler warf dem Mann einen strafenden Blick zu.
»Tournee? Dass ich nicht lache.« Katharina verdrehte die Augen, als sie sich erneut Dominik zuwandte. »Freiburgs berühmtester Mime macht schlicht Urlaub in der Toskana, das hat mir Matthäus höchstpersönlich berichtet. Dessen überspannte Mutter kümmert sich nämlich solange um das Grünzeug, das des Künstlers Garten verschönert.«
»Was willst du denn?«, feixte Dominik. »Österreichers Bühnenkarriere besteht doch schon seit Jahren hauptsächlich darin, dass er sich selbst in Szene setzt. So gesehen ist das mit der Tournee nicht völlig aus der Luft gegriffen.«
»By the way: Das Freiburger Theater wird sich ebenfalls beteiligen.« Winkler hörte sich jetzt wesentlich weniger enthusiastisch an. »Und zwar mit einer imposanten Open-Air-Opernaufführung. Auf dem Spielplan steht .«, er kam kurz ins Stocken, bis ihm seine Pressereferentin Sevda Çelik, die rechts von ihm saß, unauffällig einen kleinen Zettel herüberschob, »>Die Zauberflöte< von Mozart. Aber davon soll Ihnen unser Intendant Mike Schönberg am besten selbst berichten.« Er deutete auf einen hochmütig blickenden glatzköpfigen Mann, der zu seinem dunkelgrauen Anzug und dem weißen Hemd wie gewohnt eine knallrote Fliege als Accessoire trug.
»Nun, ursprünglich war geplant, zum Jubiläum Wagners >Meistersinger von Nürnberg< auf dem Messegelände aufzuführen. Wie Sie sicherlich wissen, wurde das Große Haus mit dieser Oper 1949 nach dem Krieg wiedereröffnet«, klärte Schönberg die Anwesenden auf. »Doch angesichts der rund fünfeinhalbstündigen Länge des Werks haben wir uns entgegen der geschichtlichen Bedeutung für Mozarts Singspiel entschieden. Wir wollen unser Publikum schließlich nicht überfordern.« Er gestattete sich ein gönnerhaftes Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Zumal das auf Bierbänken sitzen wird, damit auch möglichst viele die Vorstellung genießen können. Immer vorausgesetzt, das Wetter spielt mit.«
»>Die Zauberflöte< - das ist doch mal was. Die kann man wenigstens nicht...
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