Schweitzer Fachinformationen
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Wenn vom Bindegewebe die Rede ist, sind Faszien gemeint. Denn beide Begriffe sind korrekt und bezeichnen nach moderner Auffassung die gleichen Strukturen. Zum Beispiel ist das »Weiße« auf einem Steak Fasziengewebe (siehe Abbildung). Lange dachte man, dass Faszien funktionslos sind, eine Art Füllmaterial. Doch schon Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, bezeichnete Faszien bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, ohne jeglichen wissenschaftlichen Beweis, als Sinnesorgan. Wie recht er damit hatte, zeigte sich im Detail erst gut 100 Jahre später. Bereits Ende der neunziger Jahre gab es Studien über das Vorhandensein von Nerven in den Faszien. Diese fanden jedoch wenig Beachtung.
Bei der weißlich-transparent wirkenden äußeren Schicht dieses Fleischstückes handelt es sich um Fasziengewebe.
Faszien werden wissenschaftlich interessant
Auf dem ersten internationalen Faszienkongress 2007 in Boston stellten dann drei voneinander unabhängige Gruppen ihre Arbeiten über Faszien als Sinnesorgan vor. Die Welt der Wissenschaft begann sich für Faszien zu interessieren und schon bald war klar, dass Faszien alles andere als funktionslos sind. Ihre Basis bilden zwei sogenannte Strukturproteine, also zwei Eiweiße, Kollagen und Elastin. Diese Strukturproteine bilden ein dreidimensionales Netzwerk (siehe Abbildung) aus festen (Kollagen) und elastischen (Elastin) Gewebefasern, die von Bindegewebszellen, den Fibroblasten, produziert werden. Fibroblasten sitzen verteilt im gesamten faszialen Netzwerk. Das gesamte, dreidimensionale Fasziennetz ist mit Flüssigkeit gefüllt und umgeben. Diese Flüssigkeit wird Grundsubstanz genannt. Auch die Grundsubstanz besteht aus Eiweiß und zudem aus Zuckermolekülen und Wasser. Wie hoch der Anteil an Grundsubstanz, sowie an festen und elastischen Fasern in den Faszien ist, hängt von der funktionellen Aufgabe ab. Manche Faszien brauchen mehr Stabilität, andere Faszien mehr Elastizität. Faszien umhüllen jedes Organ, jeden Muskel, jeden Nerv (siehe Abbildung) und sogar jeden Knochen. Auch Sehnen, Bänder und Gelenkkapseln werden zum Fasziengewebe gezählt. Während beispielsweise die kräftige Faszie am unteren Rücken (siehe Abbildung oben) millimeterstark ist und nur wenig Elastizität zulassen muss, wird auch die Blase von einer Faszie umhüllt. Diese ist jedoch sehr dünn, aber hochelastisch. Sie hilft durch ihre elastischen Rückstellkräfte sogar bei der Blasenentleerung.
Die Aufnahmen zeigen in beeindruckender Weise das Innenleben von Faszien. Das obere Bild zeigt reines Fasziengewebe in 65-facher Vergrößerung, das untere in 10-facher Vergrößerung einen Nerv, eingebettet in Fasziengewebe, zudem ist jeder Nerv zusätzlich von einer hauchdünnen Faszienschicht umhüllt.
Deutlich ist am unteren Rücken die helle Fascia Thoracolumbalis zu sehen.
Durch Faszien ist alles verbunden
Faszien gehen mit dem jeweils benachbarten Gewebe eine Verbindung ein. Es gibt keine klare Trennung. Bisher stellte man sich die Sehnenscheiden der Hand bzw. des Unterarms wie ein Kabel mit seiner Gummiisolierung vor. Man kann die Isolierung leicht vom Kabel lösen oder auch das Kabel aus der Isolierung herausziehen. Zwischen Kabel und Isolierung besteht keine Verbindung. Doch im Unterarm ist es so nicht. In einem lebenden Organismus scheint alles stets miteinander verbunden zu sein. Der französische Chirurg Dr. Jean Claude Guimberteau lieferte gerade erst vor einigen Jahren mittels hochmoderner, endoskopischer Kameratechnik Bilder, die die Vorstellung von ganzheitlicher menschlicher Anatomie verstärkten. So befindet sich zwischen Sehne und Sehnenscheide nicht nur Flüssigkeit, die ein Gleiten ermöglicht. Nein, tatsächlich befindet sich dort Fasziengewebe. Und dieses Fasziengewebe ist sowohl mit der Sehne als auch mit der Sehnenscheide verbunden. Genau das ist so wichtig: Es besteht eine Verbindung! Nur durch permanente Anpassung und Verformung des flüssigkeitsgefüllten, faszialen Netzwerks ist trotz dieser Verbindung ein sauberes, aber auch stabiles Gleiten der Sehne in der Sehnenscheide möglich.
Für den PROFI Auch bei chronischen Sehnenscheidenentzündungen lohnt sich immer eine Faszientherapie. Faszien bilden ein Netzwerk und es gibt keine Unterbrechungen. So können faszienlösende, manuelle Techniken (z. B. myofascial release) am Unterarm z. T. lang bestehende Beschwerden erfolgreich therapieren.
Der Mensch ist keine Maschine
In der Anatomie müssen wir uns vom rein mechanischen Denken trennen, denn wir bestehen aus untereinander kommunizierenden, lebenden Strukturen. Faszien gewährleisten ein reibungsloses Gleiten benachbarter Gewebe. Über die Faszien sind wiederum diese Gewebe auch miteinander verbunden. So ist die ursprüngliche Bezeichnung der alten Anatomen für unsere Faszien recht treffend gewählt: Bindegewebe. Doch de facto reicht das Aufgabenfeld der Faszien weit über die ursprüngliche Vorstellung von Bindegewebe hinaus.
Unser Körper lässt sich nicht wie eine Lasagne in einzelne Schichten aufteilen oder berechnen wie die Hebelverhältnisse eines Flaschenzugs.
So besteht ein Muskel aus zahlreichen Muskelfaserbündeln. Diese wiederum bestehen aus Muskelfasern. Jede Muskelfaser wird von einer hauchdünnen Faszie umhüllt. Jedes Muskelfaserbündel ist erneut von einer Faszie umschlossen. Alle Muskelfaserbündel bilden schließlich den Muskel, der ebenfalls seine Faszie besitzt (siehe Abbildung). In der klassischen Anatomie laufen alle Muskelfasern zusammen und werden zur Sehne. Die Sehne setzt dann am Knochen an, wodurch der Muskel eine klar definierte mechanische Funktion auf ein Gelenk ausübt (siehe Abbildung). Doch so schematisch ist es nicht. Tatsächlich enden bis zu über einem Drittel der Muskelfasern im umliegenden Fasziengewebe. Dadurch kommt es zu einer direkten Kommunikation des Muskelgewebes mit anderen Strukturen, z. B. Blutgefäßen (siehe Abbildung oben) oder Nerven. Denn diese stehen ja ebenfalls in Verbindung mit dem Fasziengewebe. Damit hat jede Muskelkontraktion (aktive Verkürzung bzw. Anspannung des Muskels) eine deutlich umfangreichere Wirkung, als nur die Bewegung von Gelenken.
Jeder einzelne Baustein eines Muskels ist von Fasziengewebe umhüllt.
Diese schematische Darstellung der Wirkungsweise eines Muskels auf ein Gelenk entspricht nur noch zum Teil dem heutigen Kenntnisstand. Denn einzelne Muskelfasern verbinden sich mit dem umliegenden Fasziengewebe.
In 20-facher Vergrößerung ist hier die Verbindung einer Arterienwand mit Fasziengewebe zu sehen.
Robert Schleip, der wichtigste deutsche Faszienforscher mit internationalem Bekanntheitsgrad, konnte kontraktile Fasern im Fasziengewebe nachweisen. Also Fasern, die in der Lage sind, sich aktiv zu verkürzen. Sie entsprechen Fasern der so genannten glatten Muskulatur, wie sie zum Beispiel in Blutgefäßen vorkommen, um diese eng zu stellen. Wahrscheinlich unterstützen diese kontaktilen Fasern die Skelettmuskulatur in Bewegung und Haltung. Jedoch ist auch vorstellbar, dass von ihnen krankhafte Kontrakturen bzw. Verspannungen ausgehen.
Faszien sind ein Sinnesorgan
Heute weiß man sicher, dass sich zahlreiche sensorische Nerven mit verschiedenen Funktionen im Fasziengewebe befinden. Faszienforscher betrachten unser Fasziensystem als das größte Sinnesorgan des menschlichen Körpers.
Durch die Propriozeption oder auch die Tiefenwahrnehmung spüren wir, was unser Körper gerade macht, ohne hinsehen zu müssen. Sie wissen ja auch im Dunkeln, ob ihr Knie gebeugt oder gestreckt oder ihre Hand auf oder zu ist.
Früher dachte man, die sensorischen Rezeptoren für die Tiefenwahrnehmung seien ausschließlich in den Bändern, Sehnen und Muskeln. Tatsächlich befinden sich diese in erheblich höherer Dichte in unserem Fasziengewebe.
Es bleiben ungeklärte Fragen
In den Faszien befinden sich sogenannte freie Nervenendigungen, deren Funktion noch nicht geklärt ist. Andere Nerven versorgen unser Gehirn mit Informationen über den inneren Zustand unseres Körpers, z.B. Hunger, Anstrengung, Wohlbefinden, Übelkeit oder Unwohlsein. Dies nennt man Interozeption.
Doch wirklich interessant ist, dass die interozeptiven Nerven in den Faszien diese Informationen zu der Inselrinde leiten. In diesem Bereich unseres Gehirns werden innere Empfindungen mit Emotionen verknüpft. So besteht sogar ein Zusammenhang der Faszien mit unserer Gefühlswelt. Zudem sind im Fasziennetzwerk Nerven zur Wahrnehmung von Schmerz angesiedelt. In der großen Faszie der Lendenwirbelsäule sind sie besonders zahlreich vorhanden und somit eine wahrscheinliche Ursache für chronische Beschwerden.
In diesem Zusammenhang wurden außerdem Nervenendigungen entdeckt, die Botenstoffe enthalten, welche man mit chronischen Langzeitschmerzen in Verbindung bringt. Es bedarf noch einiger Forschung, um diese Erkenntnisse therapeutisch zu nutzen.
Faszien sind Ganzheitlichkeit
Faszien befinden sich in allen Bereichen unseres Körpers. Es gibt im Fasziensystem keine Unterbrechungen. Sie spalten sich auf, gerade so wie die Wurzeln eines Baumes, die sich immer weiter im Boden verästeln. Faszien bilden ein einziges großes Netzwerk. Wenn man bedenkt, dass sich Faszien im Körper überall hin erstrecken und mit allen Geweben verbunden sind, stellt sich das...
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