Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Wie und wann InsurTechs geboren wurden und warum sich gerade der Versicherungsbereich hervorragend eignet, um »the next big thing« der Digitalisierung zu werden.
Wie konnten InsurTechs überhaupt entstehen?
Die Ursachen, die zur Gründung von InsurTech-Start-ups geführt haben, sind keine rein branchentypischen Phänomene, sie treffen den gesamten Versicherungskosmos aber in besonderem Maße.
Unsere gesamte Gesellschaft befindet sich gerade in einem massiven Umbruch - die digitale Transformation lässt keinen privaten oder wirtschaftlichen Bereich mehr ungeschoren. Unterschiedlichen Vordenkern wird die Aussage »Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert!« zugesprochen. Dabei geht es eigentlich überhaupt nicht um Technik, sondern um Unabhängigkeit, Individualität, die Macht der Kooperation, Mikro-Zielgruppen und um Schwarm-Intelligenz. Die immer ausgefeilter werdenden Technologien stellen nur das allgemein verfügbare Vehikel dar, um die eigenen Wünsche zu verwirklichen; mit kleinen Aktionen gemeinsam Großes zu bewirken und als Individuum wieder wahrgenommen zu werden. Die Menschen nutzen das Internet, um mit ihrem Smartphone oder einer anderen Device an Informationen zu gelangen, die vorher nur geschlossenen Kreisen zugänglich waren. Über Foren, Bewertungsportale, Crowdfunding-Seiten und Bürgerplattformen finden sich Gleichgesinnte, um unterschiedlichsten Interessen eine starke Stimme zu geben, Produkte und Dienstleistungsangebote zu finanzieren, auf Missstände aufmerksam zu machen oder kurzfristig Protestaktionen zu organisieren. Selfpublishing-Dienstleister versetzen (fast) jeden Menschen in die Lage, an den Gatekeepern der etablierten Verlage vorbei sein Wissen, seine Meinung oder seine Ideen in der Mindestauflage »1« interessierten Leserinnen und Lesern zur Verfügung zu stellen - und sich damit im besten Fall seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vor diesem Hintergrund war zu erwarten, dass auch die Versicherungsbranche früher oder später von der digitalen Revolution betroffen sein würde.
Ein sehr schönes Beispiel für die Wirkzusammenhänge hinter dem Auftauchen unterschiedlichster InsurTech-Unternehmen stellt tatsächlich ein Pionier der ersten Stunde dar: Das Unternehmen friendsurance wurde bereits 2010 in Berlin gegründet und ist seitdem mit wachsendem Erfolg als Online-Versicherungsmakler tätig. Der entscheidende Unterschied zu klassischen und bisher mehr oder weniger analogen Makler-Dienstleistungen: friendsurance griff die ursprüngliche (und im Grunde jahrhundertealte) Idee der »Versicherung auf Gegenseitigkeit« wieder auf. Dieses Prinzip besagt, dass Personen mit ähnlichen Risiken sich in Gruppen zusammenschließen, um im Schadensfall eines Einzelnen die Kosten durch alle zu teilen. Zwar stützen sich sämtliche modernen Versicherungskonzerne auf das Grundprinzip des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit - der erste VVaG in Deutschland wurde immerhin bereits 1820 gegründet - friendsurance ging aber tatsächlich so weit wie möglich an die Wurzeln zurück, baute um die alte Idee der Interessengruppe ein am Reißbrett entworfenes, sehr schlankes und natürlich komplett digitales Gerüst, verzichtete auf ressourcenintensive Zwischen- und Kostenebenen und belohnt seine Mitglieder/Kunden kontinuierlich für ihre Schadensfreiheit, anstatt sie für Fehler und Unfälle zu bestrafen. Gleichzeitig legen die Berliner besonderen Wert auf Transparenz, Allgemeinverständlichkeit, Klarheit und eine Kundenkommunikation, die ohne Gefälle und erhobene Zeigefinger auskommt. Dieses »Paradebeispiel« bringt ein paar Indizien in unseren Fokus, die uns helfen zu verstehen, warum ab etwa 2010 die Zeit reif war für die Gründung unterschiedlicher InsurTechs - ergänzt um zusätzliche technohistorische und gesellschaftliche Meilensteine.
Als historische »Paten« oder Wegbereiter der InsurTech-Szene können Vergleichsportale wie check24 oder die ersten Direktversicherer wie HUK24 und R+V24 angesehen - oder alternativ auch als allererste InsurTechs bezeichnet - werden, obwohl sich deren versicherungsspezifisches Engagement anfangs nur auf bestimmte Angebote konzentrierte oder einen von vielen Geschäftsbereichen darstellte. Für den direkten und unkomplizierten Online-Vergleich und -Abschluss eigneten sich eben hauptsächlich standardisierte und gesetzlich vorgeschriebene Policen. Entsprechend erfolgreich agierten diese Portale und Versicherer daher auch im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherungen. Allerdings waren sie sich ihres Pioniertums überhaupt noch nicht bewusst. Nichtsdestotrotz hätten bereits zu diesem Zeitpunkt die klassischen Versicherer die Entwicklung vorhersehen und in aller Ruhe Gegenmaßnahmen ergreifen können.
In der thematischen Obergruppe der FinTechs startete PayPal fast gleichzeitig mit check24 kurz vor dem Jahrtausendwechsel. 2006 gingen dann die ersten P2P (Peer-to-Peer) Kreditportale an den Markt. In den USA etablierte sich als größte Plattform Lending Club, die 2013 bereits zum globalen Spitzenreiter in dieser Nische aufstieg. 2007 folgten in Deutschland zum Beispiel auxmoney und smava.
Die grundsätzlichen Vorgehensmodelle orientierten sich sinnvollerweise an diesen Paten und anderen Platform Economies und bauten ihr Geschäftsmodell auf den neuen Möglichkeiten auf, die sich durch die Nutzung der aktuell verfügbaren Technologien eröffneten. Neben den InsurTechs entwickelten sich WealthTecs, PayTechs und - mit einem gewissen zeitlichen Versatz - auch RegTechs und PropTechs.*
Fast alle außergewöhnlich erfolgreichen Geschäfts-, Produkt- und Service-Ideen entstehen aus einer Unzufriedenheit mit etablierten Systemen oder Prozessen, die einige Zeit vor sich hin schwelt und sich dann ein passendes Ventil sucht, so auch im Versicherungsbereich: Immer mehr Kunden beschlich damals das Gefühl, mit ihren individuellen Bedürfnissen, die über die angebotenen Standard-Policen hinausgingen, nicht ernst oder überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Kommunikation mit den zuständigen Betreuern, Vertrieblern und Maklern reduzierte sich im Normalfall jenseits der euphorischen Kundengewinnungsphase auf die Zusendung der Rechnungen - im Schadensfall nicht selten auf die Benachrichtigung über den Verlust eines über längere Zeit erworbenen Schadenfreiheitsrabatts.
Der Mensch stand nicht mehr im Mittelpunkt der geschäftlichen Aktivitäten, Produkte wurden nicht selten fern von der praktischen Realität, quasi auf der »grünen Wiese« entwickelt oder einfach von der Konkurrenz kopiert. Kunden mussten sich den Policen anpassen - und nicht umgekehrt.
Diese Entwicklungen begannen natürlich schon in der »vordigitalen« Zeit - aufgrund fehlender Informations- und Kooperationsmöglichkeiten konnte sich die Unzufriedenheit der Kunden aber zu diesem Zeitpunkt höchstens im Bekannten-, Familien- oder Kollegenkreis artikulieren - und nur in den allerseltensten Fällen weiter eskalieren. Wirkliche Konsequenzen oder Veränderungen waren da auf Anbieterseite in der Regel nicht zu befürchten.
Das Internet - beziehungsweise die Auswahl neuer, schneller und zumeist komplett kostenloser digitaler Kommunikations- und Diskussionskanäle - änderte die Machtverhältnisse radikal. Den Goliaths der Branche standen nun Hunderte und Tausende Davids als Privatpersonen und/oder Entrepreneure gegenüber, die sich entweder in Interessengruppen zusammenschlossen oder die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten geschickt nutzten, um eigeninitiativ und höchst experimentierfreudig unternehmerisch tätig zu werden und Alternativen zu entwickeln. Idealerweise startete man bei einem Grundbedürfnis und fügte nur die zum Funktionieren absolut notwendigen Elemente hinzu.
Die Gruppe der Digital Natives fühlte sich von den klassischen Versicherungsunternehmen schon von Beginn an falsch oder überhaupt nicht angesprochen. Wer seine Musik on demand streamt, sich bereits in der Schule über Klassen-Chatrooms ausgetauscht hat und seine (Online-)Kaufentscheidungen von der Anzahl positiver Bewertungen abhängig macht, versteht den klassischen Versicherungsmakler schlichtweg nicht - selbst wenn dieser seine Angebote auf dem Tablet präsentiert oder USB-Sticks als Werbegeschenke verteilt. Zudem »verschreckte« das übertrieben selbstbewusste und in Teilen fast arrogante Auftreten der global agierenden Großkonzerne viele Mitglieder der Generationen X, Y und Z. Diese setzten sich immer intensiver mit Themen wie Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance, Sinnhaftigkeit der Arbeit et cetera auseinander, während auf Seiten der Versicherer, Makler und Vertriebsorganisationen immer noch ein minimal kaschierter Brecheisen-Kapitalismus propagiert wurde.
Die InsurTechs der ersten Stunde mussten insofern keine Mauern einreißen oder Türen eintreten, sondern diese lediglich mit einem Finger ganz leicht antippen. Die digitale Saat traf auf einen Acker, der mehr als bereit war.
Wie kamen die InsurTech-Pioniere auf ihrem Weg voran?
»Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.«
Diese wirklich zeitlose Aussage stammt von keinem Geringeren als Mahatma Gandhi. Tatsächlich weist die relativ kurze Historie der InsurTech-Branche im Allgemeinen und der InsurTech-Protagonisten im Speziellen erstaunliche Parallelen zu den im Zitat angerissenen Phasen auf. Die Intensität variiert natürlich. Und ob es in absehbarer Zeit einen...
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