Schweitzer Fachinformationen
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Ewald Weber, geb. 1960 in der Schweiz, lehrt Biologie an der Universität Potsdam.
Es war einmal ein kleines Nagetier, das zählten die Zoologen zu den Zieseln. Es lebte in der Umgebung von Wien und zeichnete sich durch eine ganz besondere Vorliebe aus. Es interessierte sich nämlich für Mohnblüten. Flink huschte es auf der Wiese umher und suchte die grünen Stängel mit den roten Schirmen auf. Als es eines schönen Tages wieder zu einer Mohnblume trippelte, sich aufrichtete und mit einer Vorderpfote den Stängel festhielt, wurde es von einem geduldigen Naturfotografen beobachtet und abgelichtet, ohne dass es das bemerkt hätte. Seither ist die Begegnung zwischen dem possierlichen Tierchen und dem Mohn verewigt.
Die gelungene Fotografie des Ziesels, für die sich der Wiener Naturfotograf Leopold Kanzler drei Tage auf die Lauer gelegt hatte, zeigt ein Wirbeltier, das mit einer Blütenpflanze in Wechselwirkung tritt. Man weiß nicht so recht, worauf diese Wechselwirkung hinausläuft, was der Ziesel mit der Mohnblüte vorhat. Wird er daran riechen, den Pollen sammeln oder schauen, ob sich ein Käfer in der Blüte versteckt?
1 Der Europäische Ziesel ist ein Nagetier, das im südöstlichen Europa lebt.
Was auch immer geschehen mag, die Begegnungen der Arten und ihr Umgang miteinander sind so vielfältig wie die Arten selbst. In diesem Buch geht es um solche zwischenartlichen Beziehungen, die anderer Natur sind als etwa die Beziehungen von Wölfen untereinander, also zwischen Artgenossen. Auf uns selbst übertragen, wären nicht unsere zwischenmenschlichen Beziehungen das Thema, sondern der Umgang mit anderen Arten, angefangen vom Kraulen eines Hundes bis zum Pflücken einer Blume und dem Zubereiten eines Schweineschnitzels.
Lassen Sie mich zunächst ein wenig bei dem Begriff «Art» verweilen. Was genau ist eine Art? Der Ziesel und der Mohn - genauer, Europäischer Ziesel und Klatsch-Mohn - sind zwei eindeutig voneinander unterscheidbare Arten, die zudem zwei vollkommen unterschiedlichen Reichen angehören, dem Tier- und dem Pflanzenreich. In anderen Fällen wird die Unterscheidung bereits schwieriger, wenn es etwa darum geht, den Klatsch-Mohn vom Saat-Mohn zu trennen. Selbst heute noch haben Biologen die größten Schwierigkeiten, den Begriff «Art» genau zu definieren. Schuld daran sind Wesen wie das Maultier, bekanntlich ein Mischling aus Pferd und Esel. Oder das Tigon, ein Mischling zwischen Tiger und Löwe; das Kunstwort ergibt sich aus den beiden englischen Wörtern «tiger» und «lion». Die beiden Großkatzen gehören doch eindeutig zwei voneinander unterscheidbaren Arten an, oder? Man braucht sich ja bloß das Fell anzusehen. Arten aber sollten sich nicht kreuzen können, das widerspricht dem Konzept einer Art. Selbst wenn es in diesen Fällen der Mensch ist, der Maultier und Tigon durch Kreuzung kreiert hat - Mischlinge entstehen auch in der Natur ständig.
Eine Art ist etwas Abstraktes, eine künstliche Zuordnung von Lebewesen in ein Klassifikationssystem, das Biologen entwickelt haben. Sie stecken die Lebewesen in verschiedene Schubladen und bestimmen, zu welcher Art sie gehören. In der Natur gibt es aber nur Individuen. Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich ein Roggenfeld mit Tausenden von ähnlich aussehenden Grashalmen, Roggen eben, zweifellos eine bestimmte Art von Gräsern. Ein paar Eiben und Kiefern stellen zwei weitere Arten dar, und die Amsel, die jeden Morgen singt, gehört zur Art mit dem wissenschaftlichen Namen Turdus merula. Alles eindeutig voneinander unterscheidbare Arten. Das Problem besteht darin, dass die Individuen sehr vieler Arten mitunter so unterschiedlich sind, dass wir nicht mehr sicher sind, ob wir sie nicht zwei oder mehreren Arten zuordnen sollen. Zudem sind in der Natur Übergangsformen zwischen manchen Arten vorhanden, was die Abgrenzung ebenfalls nicht einfacher macht. Der Wundklee macht es vor. Wundklee, der am Strand vorkommt, sieht anders aus als Wundklee, der im Gebirge wächst, aber beide gehören zur Art «Wundklee», weil die Gestalt eben doch ähnlich ist.
Von solchen schwierigen Fällen einmal abgesehen, ist klar, was eine Art ist: alle Individuen eines Tieres, einer Pflanze oder eines anderen Organismus, die denselben Aufbau haben und sich untereinander paaren und vermehren können. «Alles, was sich schart und paart, gehört zu einer Art», so steht es auf einem Schaukasten im Naturkundemuseum Berlin. All die vielen Tiere und Pflanzen, die in Bestimmungsbüchern abgebildet sind, stellen Arten dar.
Die Arten sind die Elemente der belebten Natur auf unserem Planeten, und ihre Anzahl ist enorm. Die Spitzenposition nehmen dabei mit einer Million bekannter Arten die Insekten ein, aber selbst bei den Blütenpflanzen sind es an die 300.000 Arten. In einem Lebensraum wie einem Wald oder einer Wiese leben Hunderte von Arten auf engstem Raum zusammen: Pflanzen, Insekten, Spinnen, Säugetiere, Vögel, Pilze, Fadenwürmer und Mikroben. Da muss es zwangsläufig zu ganz unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Arten kommen. Tatsächlich machen die Elemente selbst noch keine Natur aus. Erst durch die Beziehungsnetze zwischen den Arten wird die Natur zu dem, was sie ist. Vernetzt leben ist keine Erfindung des Menschen. So wie ein Schachspiel erst durch die Züge der Schachfiguren entsteht, ist auch in der Natur das Wechselspiel zwischen den unzähligen Arten von größter Bedeutung. Und eine wichtige Ursache für die Entstehung neuer Arten.
Wie bei uns Menschen gehen sich gewisse Arten aus dem Wege, weil sie einander nicht ausstehen können, andere finden zueinander, helfen einander oder schließen gar einen Bund fürs Leben. Wiederum andere leben auf Kosten anderer, nutzen sie schamlos aus oder verdrängen sie ganz einfach und jagen sie vom Platz. Am besten lernen Sie die Vielfalt der Beziehungen kennen, wenn ich Ihnen ein paar besonders auffällige Beispiele vorstelle.
Manchmal ist es ganz gut, wenn nicht immer alles peinlich sauber gehalten wird und ein Quäntchen Unordnung herrscht. So wie im Labor des schottischen Bakteriologen Alexander Fleming (1881-1955), wo Flaschen, Dosen und Gerät nicht immer steril und hermetisch wie heutzutage verschlossen waren. Fleming - auf Fotografien trägt er stets eine Fliege - arbeitete mit Staphylokokken, weitverbreiteten Bakterien, die etwa eitrige Wunden verursachen. Er kultivierte sie in Petrischalen, diesen flachen Glasschalen mit Deckel, die für ein mikrobiologisches Labor unentbehrlich sind. Sie werden sterilisiert und unter sterilen Bedingungen mit einem Nährmedium versehen, das anschließend mit Bakterienstämmen beimpft wird. So lassen sich Reinkulturen eines ganz bestimmten Bakteriums züchten. Die Bakterien vermehren sich und bilden auf dem Nährboden typische Kolonien wie runde Tupfer, oder die Oberfläche des Nährmediums trübt sich von den vielen Einzellern. Zu Kontaminationen mit anderen Mikroorganismen kann es trotz aller Vorsicht immer wieder kommen; die Labore der 1930er Jahre waren sicher nicht so modern eingerichtet wie die heutigen. Da braucht es nicht viel, und einige der allgegenwärtigen Pilzsporen gelangen unbeabsichtigt in eine Petrischale. Dies bemerkte auch Fleming am 28. September 1928, als er eine der Schalen hochhielt. Ein Schimmelpilz hatte sich gebildet und zeigte sich als runder Fleck wie bei einem angeschimmelten Stück Brot. Zum Glück warf der Wissenschaftler die Petrischale nicht verächtlich weg, sondern betrachtete sie aufmerksam. Merkwürdig, um den Schimmelpilz herum gediehen keine Bakterien, obwohl ansonsten der Nährboden durch die Bakterienkolonien ganz trüb war. Eine klare und bakterienfreie Zone, eine kreisrunde Aurora umgab den Pilz, in der Bakterien offensichtlich nicht wachsen konnten. Was war wohl der Grund? Der Pilz, Fleming erkannte ihn als eine Art von Penicillium, sonderte offenbar einen keimtötenden Stoff ab.
Es sollten noch ein paar Jahre verstreichen, bis aus diesem Stoff das Penicillin entwickelt wurde - das erste weltweit angewandte Antibiotikum. Für die Medizin stellte das Präparat einen Segen dar, denn jetzt konnten Wundstarrkrampf und andere bakterielle Erkrankungen geheilt werden.
Der Schimmelpilz sondert die antibiotische Verbindung freilich nicht für uns Menschen ab. Fleming selbst sagte einmal, man habe ihn «bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben. Erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor undenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht.» Die Substanz ist für den Pilz eine Schutzvorrichtung, um ungehindert wachsen zu können. Er bildet eine giftige Zone um sich herum, einen Kreis, der von Bakterien nicht betreten werden darf.
Erstaunlich ist, dass auch manche Pflanzen sich mit solch einer Schutzzone umgeben, indem sie hemmende Stoffe aussondern. Nur richten sich diese nicht gegen Bakterien, sondern gegen andere Pflanzen. Das Phänomen wurde schon vor Tausenden von Jahren beim Anbau von Getreide und anderen Kulturpflanzen beobachtet. Ständiger Anbau gewisser Feldfrüchte führt zu einer Ermüdung des Bodens, sodass der Ertrag bei weiterem Anbau derselben Pflanze sinkt - eine Folge der Ansammlung von Hemmstoffen im Boden. Auch dass Stoffabsonderungen mancher...
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