Schweitzer Fachinformationen
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Die Fahrt von Luzern nach Giswil würde eine gute halbe Stunde in Anspruch nehmen. Auf der Fahrt wussten die beiden schon einiges über Lisa Joho. Sie war 36 Jahre alt und arbeitete bei der Post als Poststellenleiterin in Giswil. Sie würden Joho auch dort treffen. Da auch die Poststelle Giswil von Sparbemühungen der Post betroffen ist, waren die Schalterstunden am heutigen Tag auf den Vormittag begrenzt. Der Parkplatz der Poststelle war folglich leer, und der Posteingang mit einem Gitter in Farbe der Post versperrt. Als sie aus dem Wagen ausstiegen, öffnete sich ein Fenster im ersten Stock.
»Benützen Sie bitte den Wohnungseingang auf der Seite, ich öffne Ihnen.« Das Fenster wurde wieder geschlossen, ohne dass sie die Frau zu Gesicht bekommen hätten. Der Türöffner surrte schon drei Meter, bevor Studer die Türe erreicht hatte. Das Surren verstummte mit Betätigen des Türgriffs.
»Kommen Sie bitte die Treppe hoch, ich bin hier.« Mia folgte Studer die Treppe hoch. Sie stellten sich der Frau vor.
»Lisa Joho«, antwortete die ängstlich wirkende Frau. »Was kann ich für Sie tun? Kommen Sie doch bitte herein.« Joho trug noch immer die graue Postuniform und begleitete die beiden zu einem kleinen Esstisch in der Küche der Wohnung. Die Wohnung sah sehr aufgeräumt und gepflegt aus. Die Möbel eher antik. An den Wänden Bilder, die Studer für afrikanische Kunst hielt. Ebenso die Gegenstände auf den Regalen. Viele Bücher in allen Farben zierten ein großes Büchergestell. Keinen Fernseher, nur ein kleines altmodisches Radio mit einer verbogenen Antenne, dazu etliche Zimmerpflanzen.
»Frau Joho«, begann Mia.
»Kennen Sie diesen Mann?« Sie legte ein Bild auf den Tisch. Lisa Joho hielt sich die Hände vor das Gesicht. »Mein Gott, Sämi, was ist passiert, was ist mit ihm?« Studer übernahm.
»Frau Joho, es tut mir leid, ich muss Ihnen mitteilen, dass der Mann auf dem Bild tot ist. Er wurde gestern in der Nähe des Flughafens Zürich-Kloten gefunden. Sind Sie sicher, dass es sich bei dem Mann um den Ihnen bekannten handelt?«
Die Frau brach in Tränen aus und erhob sich. Sie eilte in die Küche, um sich eine Papierrolle zu holen. Ihre Hände zitterten, als sie ein Blatt davon abriss und sich erneut das Gesicht verdeckte. Sie drehte sich weg und blickte zum Fenster hinaus auf die Berge. Mia ging zu ihr und nahm sie in den Arm. In dieser Zeit erzählte Studer vom Mord und was bisher ermittelt wurde.
Sie heulte sich aus und brachte eine ganze Weile keinen Ton heraus. Mia führte sie zum Tisch zurück und bat sie, sich wieder zu setzen. Nachdem sie sich die Nase erneut geputzt hatte, knüllte sie das Papiertuch in die Faust ihrer rechten Hand. Mit der linken Hand griff sie nach dem Bild, das Mia ihr auf den Tisch gelegt hatte. Studer hielt sich zurück und gab ihr Zeit, sich vom ersten Schock etwas zu erholen. Er wusste, dass es sich beim Toten um den Mann handelte, welchen die Frau geliebt hatte. Sie erhob sich und ging zu einem der Regale, um einen Umschlag zu holen. Sie entnahm daraus Bilder von ihr und dem Toten und begann zu erzählen, sie musste dabei immer wieder unterbrechen, um zu weinen.
»Sein Name ist Samuele N'ptumo. Aber wir sagten nur Sämi zu ihm, das hat er sehr gemocht. Er kommt aus Ghana und arbeitete dort als Lehrer in einer Mission für Waisenkinder. Dort lernte ich ihn kennen, als ich vor fünf Jahren für ein Jahr dort war für ein Kinderhilfswerk. Ich hatte eine Identitätskrise und wusste nicht, was ich wollte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Er schenkte mir Gefühle, die ich nie zuvor kannte. Wir redeten stundenlang über alles, was uns bewegte, zuerst auf Englisch, allmählich mehr und mehr auf Deutsch. Ich brachte ihm sogar etwas Schweizerdeutsch bei. Ja so verging die Zeit im Flug, und aus dem einen Jahr wurden zwei Jahre, die ich dort mit ihm verbrachte. Danach beschlossen wir, zusammen in die Schweiz zu gehen. Ich wollte ihm ja auch mein Land und meine Familie zeigen, nachdem ich in seiner Familie wie eine eigene Tochter aufgenommen wurde. Und so kam er in die Schweiz vor drei Jahren.«
Studer sah sich die Bilder der beiden an und reichte sie weiter zu Mia.
»Frau Joho, wann haben Sie denn Sämi zum letzten Mal gesehen?«
»Kann ich Ihnen ganz genau sagen.« Sie holte sich ihre Agenda und blätterte darin.
»Am 3. Mai habe ich ihn auf den Flughafen gefahren. Dort haben wir uns verabschiedet. Seither hat er mich jede Woche zwei bis drei Mal angerufen. Das letzte Mal am Montag. Er sagte, er kehre jetzt wieder zurück, wisse aber noch nicht, mit welchem Flug und wann. Das war das Letzte, was ich von Sämi hörte. Ich rechnete stündlich mit ihm oder einer Nachricht von ihm.« Wieder rannen die Tränen.
»Warum ging er denn weg?«, wollte Mia wissen. »Nun ja, wir hatten vor, noch diesen Sommer zu heiraten. Er wollte das seiner Familie persönlich mitteilen und auch noch einige Dinge erledigen, Dokumente beschaffen und so weiter, für die Hochzeit, verstehen Sie. Das Geld fehlt natürlich, dass seine Familie hätte dabei sein können. Deshalb hatten wir beschlossen, erst hier in der Schweiz und in einem halben Jahr in Ghana zu feiern.« Das würde auch erklären, weshalb Joho keine Vermisstenanzeige aufgegeben hatte. Sie erwartete den Mann ja nächstens zurück. Studer sah einen Ring am Finger von Frau Joho.
»Ihr Verlobungsring?«, fragte er.
»Ja, warum meinen Sie?«
»Nun, Ihrem Verlobten wurde der Ring abgenommen, kurz vor seinem Tod.« Lisa Joho schaute Studer fragend an.
»Frau Joho, hatte Ihr Verlobter Feinde? Hatte er Angst vor irgendetwas, vielleicht die Reaktion seiner oder ihrer Familie wegen der bevorstehenden Heirat? Hat er am Telefon irgendetwas erwähnt oder ist Ihnen vor der Abreise nach Ghana irgendetwas aufgefallen?« Joho blickte sich um, lachte beinahe.
»Nein, überhaupt nicht das Geringste. Wir waren rundum glücklich. Auch meine Eltern und mein Bruder freuten sich für uns. Sämi war bei allen beliebt.« Sie erhob sich wieder.
»Frau Joho«, begann diesmal Mia, »wie hat denn Ihre Familie reagiert, als Sie ihnen von Sämi erzählten?«
Wieder lächelte Lisa. »Na ja, erst einmal waren alle schockiert natürlich. Was, du bringst einen Schwarzen hierher, hatte Vater gesagt. Mein Bruder sprach eine Zeit lang gar nicht mehr mit mir. Das hat mir sehr wehgetan. Als er dann aber da war und auf den Hof kam, meine Eltern und mein Bruder betreiben einen kleinen Hof mit einer Käserei oberhalb der Fluonalp, waren sie bald anderer Meinung. Sämi half, wo er nur konnte. Er war auch sehr geschickt und konnte mit Tieren gut umgehen. Meinem Bruder half er in der Käserei, er stand früh auf, manchmal vor meinem Bruder und ging an die Arbeit. So lernten sie ihn kennen, wie ich ihn kannte, hilfsbereit, humorvoll, ruhig und liebenswert. Sie können mir glauben, sie hätten Sämi gegen keinen anderen eingetauscht. Dementsprechend groß war die Freude, als sie von der geplanten Hochzeit erfuhren. Sie hatten, glaube ich, eher Angst, Sämi würde wieder nach Ghana zurückkehren. Damit hätten sie Mühe gehabt.« Studer erkundigte sich nach der genauen Adresse der Familie Joho. Andere Geschwister gab es keine. Großeltern waren keine mehr am Leben. Mit den Anverwandten hatte man wenig Kontakt, da diese in der Ostschweiz lebten.
»Gab es in der Zeit, als Sämi hier war, mal Streit mit jemandem oder kommt Ihnen etwas in den Sinn, was uns weiterbringen könnte?«, wollte Studer wissen. Joho überlegte lange.
»Er hatte mal Kontakt gesucht zu anderen Afrikanern in Zürich, weil er glaubte, dort jemanden zu kennen. Er war auch mal zu Besuch dort. Als er damals zurückkam, war er sehr traurig und aufgeregt. Er könne nicht verstehen, warum die da so kriminelles Zeug machen, sagte er. Offenbar waren diese Leute kriminelle oder was weiß ich was. Er hatte danach aber nie mehr Kontakt zu den Leuten und hat auch nie mehr etwas erwähnt. Warten Sie, wenn Sie Glück haben, finde ich noch etwas in seinen Notizen. Er hat sich immer alles aufgeschrieben in seiner Agenda. Die hat er nämlich zu Hause vergessen, als er ging. Er müsse dann alles nachtragen, hat er am Telefon gesagt. Ich soll doch jeden Tag >miss you< reinschreiben, hat er gesagt.«
Joho ging ins Schlafzimmer und kam mit einer blauen Agenda zurück. Die Stoffschleife war fein säuberlich am 3. Mai eingelegt. Am Tag seiner Abreise.
»Darf ich mir das ausleihen, Frau Joho?«, fragte Studer.
»Selbstverständlich, nehmen Sie es zusammen mit den Agenden der letzten Jahre mit. Alles, was Sie zum Mörder von Sämi führt. Finden Sie den Täter bitte.« Lisa Johos Tränen flossen wieder. Die Stimme hatte sich wieder gesenkt. Studer wollte wissen, ob sie Hilfe brauche und sie solle doch vorerst Trost bei der Familie suchen. Er und Mia würden noch kurz einen Besuch auf dem Hof machen, ehe sie nach Luzern zurückkehren würden. Er hinterließ auf dem Tisch seine Karte, falls sie Hilfe brauchen würde oder ihr noch was in den Sinn kommen sollte. Lisa Joho überreichte ihnen die Agenden der letzten Jahre und begleitete sie zur Tür, wo sie sich verabschiedeten. Ehe sie die Tür hinter sich schloss, wollte sie wissen, wie sie sie gefunden hätten. Als ihr Studer erklärte, es sei wegen der Schuhe, musste sie wieder lächeln.
»Ja, die Schuhe haben wir in Bern gekauft. An dem Tag, als wir zusammen auf das Schilthorn gingen. Sämi hatte völlig unpassende offene Schuhe und musste doch was haben für die Berge. Es sollte ja nicht unser letzter Ausflug in die Berge sein. So haben wir in Bern den Zug verlassen und haben im Schaufenster diese Reefs entdeckt, welche zur Hälfte reduziert waren.« Nun drehte sich...
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