Schweitzer Fachinformationen
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Sonntag
»Welche Tour hast du heute für uns ausgesucht?«, begrüßte Mandy ihren guten Freund Helmut Drexler vor ihrer Wohnung in der Pfarrkirchner Pflegstraße.
Der alleinstehende 36-jährige Banker hatte schon öfters mit der jungen Kommissarin Mandy Hanke gemeinsame Fahrradausflüge im Rottal unternommen. Jedes Mal war Helmut bemüht, der zugezogenen Polizistin kulturelle Sehenswürdigkeiten in dem bäuerlich geprägten Landstrich zwischen Inn und Rott zu zeigen. Freilich hatte Helmut keine Ambitionen, Kulturführer seines Landkreises zu werden. Sein Antrieb war ganz allein Mandy, die vor gut eineinhalb Jahren aus dem thüringischen Gera nach Pfarrkirchen versetzt worden war. Zu seinem Bedauern konnte der Bankangestellte, der in seinem Leben kein großes Glück mit Frauen gehabt hatte, das Herz der sportlichen Polizistin bisher nicht erobern.
Heute, an diesem herrlichen Spätsommersonntag, hatte Mandy Geburtstag. Grund genug für Helmut, sich etwas ganz Besonderes einfallen zu lassen. Vor einigen Monaten hatte sie ihm ihr Geburtsdatum verraten, welches er sich dick im Kalender angestrichen hatte. Jetzt aber erwähnte er ihren Ehrentag nicht. Er tat so, als hätte er ihn vergessen.
»Lass dich überraschen«, antwortete Helmut geheimnisvoll und grinste die junge Frau dabei an.
Sie stiegen auf und fuhren stadtauswärts zum Rottalradweg. Mit ihren hochwertigen Rennrädern kamen sie auf dieser ebenen Strecke schnell voran. In wenigen Minuten umkurvten sie den Rottalsee und fuhren anschließend weiter bis nach Hebertsfelden. Dort verließen die beiden die markierte Route und folgten der wenig befahrenen Straße in Richtung Langeneck.
»Jetzt sag schon, Helmut, wo geht's heute hin?«, rief Mandy von hinten.
Helmut ließ sich neben Mandy zurückfallen. »Siehst du die Kirchturmspitze dahinten?« Als Mandy nickte, eröffnete er ihr das heutige Reiseziel. »Das ist die Wallfahrtskirche Schildthurn. Da fahren wir hin.«
»Klingt interessant, ich bin gespannt!« Die Neu-Rottalerin freute sich auf einen weiteren kulturellen Exkurs ihres Begleiters.
Während der Fahrt dachte Helmut nur an eins: Hoffentlich klappt die Überraschung, die ich vorbereitet habe.
Nach der Ortschaft Eiberg steuerten sie auf den 4.000-Einwohner-Markt Tann zu. Der im Inn-Salzach-Stil erbaute historische Marktplatz war nahezu menschenleer, als Helmut und Mandy ihn überquerten. Die letzten drei Kilometer nach Schildthurn hatten es in sich, denn die Strecke führte ziemlich steil bergauf.
Nachdem sie an der Wallfahrtskirche angekommen waren, stellten sie ihre Fahrräder an die Kirchenmauer und schlossen sie ab.
»Das ist also die bei Pilgern beliebte St.-Ägidius-Kirche in Schildthurn«, begann Helmut auf Hochdeutsch mit seinen kulturellen Informationen, die er sich, wie immer, vorher im Internet angeeignet hatte. »Diese Kirche ist eines der Wahrzeichen des Rottals. Die fehlt garantiert in keinem Rottalführer. Der Turm gilt mit seinen 78 Metern als der höchste Dorfkirchturm in Deutschland. Allein der Turmhelm ist 30 Meter hoch und an der Spitze gedreht.«
»Wow, der ist aber gewaltig! Allerdings sind die Proportionen irgendwie komisch«, stellte Mandy bei einem Blick auf den imposanten Bau fest.
»Ja, da hast du recht. Der Turm ist etwas zu groß geraten oder das Langhaus etwas zu klein«, bestätigte Helmut mit einem Lächeln. »Lass uns reingehen.«
Vorsichtig öffneten sie die jahrhundertealte, schwere Tür des Gotteshauses. Im Innern war keine Menschenseele zu sehen. Still und kühl offenbarte sich ihnen die altehrwürdige Wallfahrtskirche. Im hinteren Teil hingen zahlreiche alte Votivtafeln, die als Zeichen der Dankbarkeit von den Gläubigen gestiftet worden waren. Diese kleinen hölzernen Bilder zeigten die Bedeutung des Gotteshauses als Pilgerstätte.
Mandy war geplättet von dem lichtdurchfluteten Innenraum. »Wow, das ist ja wunderschön hier drin. Wie alt ist die Kirche denn?«
»Sie entstand im 13. Jahrhundert und war lange Jahre ein großes Wallfahrtszentrum zu mehreren Heiligen, die besonders bei Unfruchtbarkeit und Kinderwunsch helfen sollten«, führte Helmut sein Internetwissen aus.
»Aber deswegen hast du mich nicht hierher geschleppt, oder?«, scherzte Mandy und grinste ihren Begleiter an.
Helmut musste lachen, wurde aber gleichzeitig rot, weil er die ungewollte Anspielung erst jetzt realisierte. »Keine Angst, Mandy, das ist bestimmt nicht der Grund.«
Wenig später setzten sich die beiden in eine Kirchenbank und blickten ehrfürchtig auf den barocken Hochaltar. Helmut drehte sich kurz um, schaute zum Chorraum und nickte. Keine zehn Sekunden später war es mit der Stille zu Ende.
»Oh Happy Day«, schallte es vielstimmig von der Empore der Wallfahrtskirche. Mandy erschrak, wandte sich um und sah ungefähr zehn Sängerinnen und Sänger, die diesen Gospel-Klassiker zum Besten gaben. Der Blick zu dem sichtlich zufriedenen Helmut verriet Mandy, dass er die Überraschung für sie arrangiert hatte. Mandy bekam Gänsehaut, während der Chor den Ohrwurm gekonnt vortrug.
Nach dem Song umarmte Helmut seine Angebetete und wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag. Sogleich stimmte der Chor »Happy Birthday« an.
»Die Überraschung ist dir so was von geglückt!«, lobte die Polizistin und strahlte vor Freude.
»Ich habe nur meine Schwester überred't, ihre Chorprobe von Pfarrkirchen nach Schildthurn zu verlegen.« Auch Helmut strahlte bis über beide Ohren, tat aber bescheiden.
»Deine Schwester?«
»Ja, sie ist die Chorleiterin.«
Das exklusive Konzert war nach dem Happy-Birthday-Song noch nicht zu Ende. Als Nächstes folgte die Hymne »Amazing Grace«, die erneut Gänsehaut bei Mandy verursachte. Beim letzten Stück war sich Helmut nicht sicher, ob die Auswahl vielleicht übertrieben war. Mandy könnte es als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen, fürchtete er. Doch das Lied »I will follow him« fand Gefallen bei der jungen Thüringerin. Entweder verstand sie die Anspielung tatsächlich nicht oder sie wollte sie nicht bemerken.
Nach dem kleinen Konzert stiegen die Chormitglieder die enge Treppe hinunter und steuerten auf die beiden zu, die sich mittlerweile von ihren Plätzen erhoben hatten.
»Darf ich vorstellen? Das ist meine Schwester Annette, die Chefin des Rottaler Gospelchors.«
»Ich möchte dir ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren, Mandy. Ich habe schon viel von dir gehört«, sagte Annette und drückte die Begleiterin ihres Bruders fest an sich.
»Und das ist der Mann von Annette, mein Schwager Günter.« Helmut deutete auf einen Mann, der sich ihnen näherte.
Auch Günter herzte Mandy und sprach seine Glückwünsche aus.
Mandy wusste nicht, ob sie sich überwältigt oder überrumpelt fühlen sollte von diesem Familienklüngel.
Die anderen Mitglieder des Chores ließen es sich auch nicht nehmen und stellten sich in einer Reihe für die persönliche Gratulation an.
Helmut nutzte die Zeit und lugte kurz zur Kirchentür hinaus. Zufrieden kehrte er zu Mandy zurück. »Jetzt wäre der richtige Moment, um auf dich anzustoßen.«
»Ja, das stimmt«, gestand das Geburtstagskind und überlegte, ob das als Aufforderung an sie gemeint war, die ganze Versammlung auf einen Drink einzuladen.
»Dann sollten wir nach draußen gehen«, schlug Helmut vor.
Die verunsicherte Mandy folgte Helmut zur Kirchentür, der sie öffnete und Mandy den Vortritt gewährte.
»Das gibt es ja nicht! Ich glaube, ich träume«, stieß sie völlig perplex hervor, als sie vor dem Eingang zur Kirche die nächste Überraschung wahrnahm.
Es war angerichtet. Helmut hatte einen Pfarrkirchner Gastronomiebetrieb beauftragt, einen kleinen Sektempfang mit Imbiss vorzubereiten. Eine junge Frau mit weißer Bluse war gerade dabei, die Sektgläser zu befüllen, die auf einem Tisch bereitstanden. Auf dem anderen, mit weißem Tuch gedeckten Tisch sah Mandy zwei Silbertabletts mit köstlichen Kanapees.
Mandy verschlug es die Sprache. Sie war von einer gemütlichen Radtour mit Helmut an ihrem Geburtstag ausgegangen, mehr nicht. Und jetzt stand sie an einem der romantischsten Plätze im Rottal, vor der Wallfahrtskirche in Schildthurn, zusammen mit Helmuts Schwester inklusive Schwager samt Gospelchor, einem Glas Sekt in der einen und einem Lachsbrötchen in der anderen Hand. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. Auf der einen Seite war sie von Helmuts Einfallsreichtum überwältigt, auf der anderen Seite hoffte sie, dass er sie nicht als künftiges Mitglied seiner Familie angekündigt hatte.
Als alle Anwesenden ein gefülltes Sektglas in der Hand hielten, stimmte der Chor eine Zugabe an. Diesmal sang die Gruppe den Refrain von Stevie Wonders »Happy Birthday to you«. Anschließend stießen alle auf Mandy an.
»Ich hoffe, unser Gesang hat dir gefallen«, sagte Helmuts ältere Schwester zu Mandy.
»Ihr habt wunderbar gesungen. Ich weiß gar nicht, wie ich mich da revanchieren kann«, stammelte Mandy.
»Das musst du nicht. Das haben wir gerne gemacht. Wenn ihr wollt, könnt ihr mal zu uns nach Bad Birnbach radeln«, schlug Annette vor, die anscheinend sehr um das Wohl ihres jüngeren Bruders bemüht war. »Der Günter würd dann den Grill anschmeißen, gell Günter.«
»Logisch«, bestätigte der etwa 50-Jährige verbindlich.
»Wenn sich die Gelegenheit ergibt, können wir das gerne machen«, entgegnete Mandy verlegen und entfloh dem familiären Gespräch, indem sie sich noch ein Brötchen holte.
Nach einer weiteren Stunde des Small Talks, Sektschlürfens...
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