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Sonntag
»Schön, dass der Herr Huber auch schon da ist«, begrüßte Polizeichef Josef Kiermeier seinen Mitarbeiter mit säuerlichem Unterton, als dieser zehn Minuten nach 9.00 Uhr in seinem Büro eintraf. Alle anderen Geladenen, inklusive Mandy, saßen bereits an dem ovalen Besprechungstisch in seinem Büro im Polizeigebäude an der Arnstorfer Straße.
Pünktlichkeit hatte noch nie zu den Stärken des jungen Kommissars gehört, schon gar nicht am Sonntagmorgen. Er setzte sich mit einem leisen »Entschuldigung« auf den letzten freien Stuhl am Tisch.
»Außergewöhnliche Vorfälle erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erläutern, dass die Ermordung des Direktors des hiesigen Gymnasiums absolut kein normales Tagesgeschäft ist.«
Diese einführenden Worte könnte sich Kiermeier sparen, das wissen bereits alle am Tisch, sinnierte Thomas, der die Angespanntheit und Nervosität seines Chefs deutlich spüren konnte.
»Der Herr Doktor Tremmel hat mir heute früh schon den Obduktionsbericht gemailt. In diesem Bericht steht, dass Herr Doktor Rausch am Freitagabend zwischen 21.00 und 22.00 Uhr erstochen wurde. Der Stich traf genau die Halsschlagader, sodass das Blut gleich wie eine Fontäne aus seinem Körper ausgetreten sein muss. Durch diesen enormen Blutverlust war er innerhalb weniger Minuten tot. Nachdem die Tatwaffe sehr spitz, aber auf den Seiten stumpf war, dürfte es sich dabei um kein Messer, sondern um einen Brieföffner oder so etwas Ähnliches handeln«, berichtete Kiermeier.
Sag ich doch, dachte Thomas in Erinnerung an das Bild in Rauschs Arbeitszimmer. Ohne die kleinste Spur falscher Bescheidenheit machte Thomas seine Kollegen in fast astreinem Hochdeutsch auf seine gestrige Entdeckung aufmerksam: »Auf dem Schreibtisch des Opfers stand ein Bild, auf dem Herr Doktor Rausch einen historischen Brieföffner überreicht bekam. Von diesem Brieföffner fehlt jede Spur. Das könnt doch die Tatwaffe sein.« Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und zeigte den Anwesenden das Bild mit dem Brieföffner, welches er gestern am Tatort gemacht hatte.
»Dann fahren Sie morgen gleich zu Doktor Tremmel in die Rechtsmedizin nach Passau und klären mit ihm die genauen Todesumstände«, forderte der Polizeioberrat.
So schnell Thomas' Höhenflug gekommen war, so schnell verpuffte er bei dieser Aussage auch wieder. Das hat man nun davon, dachte Thomas, der sich aus zweierlei Gründen vor einem Besuch in der Pathologie drücken wollte. Erstens hielt er Doktor Tremmel für absolut unsympathisch, und zweitens fühlte er sich beim Anblick einer Leiche alles andere als wohl, noch dazu, wenn ihm der Tote persönlich bekannt war.
Deswegen versuchte er den ungeliebten Termin vielleicht doch noch mit einer kleinen Notlüge zu umgehen. »Das hat mir der Herr Doktor Tremmel gestern am Tatort schon bestätigt.«
»Wir brauchen das fundierter, Herr Huber. Also fahren Sie mit Frau Hanke nach Passau und lassen sich Ihren Verdacht bestätigen«, ordnete der Polizeichef unmissverständlich an.
Thomas gab sich geschlagen.
»Wenn beim Einstich in die Halsschlagader tatsächlich Blut gespritzt ist, müsste der Täter doch Blutspritzer abbekommen haben«, wiederholte Mandy ihre Vermutung von gestern. »Dann könnte das Oberteil des Täters ein eindeutiger Beweis für die Tat sein, weil sich die Blutspuren in jedem Fall nachweisen lassen würden.«
»Ja genau. Sehr gute Idee, Frau Hanke. Mir fällt ein, dass am Freitagabend ein Mitarbeiter des >Rottaler Anzeigers< ständig Fotos geschossen hat. Holen Sie sich die Fotos, und wenn Sie einen Anfangsverdacht gegen eine Person haben, dann lassen Sie sich das Oberteil, das der- oder diejenige an diesem Abend getragen hat, geben und bringen es gleich in die Kriminaltechnik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei diesem heißen Wetter einer der Gäste eine Jacke oder dergleichen angehabt hat. Ich denke, wir dürfen den Täter im Bekanntenkreis des Opfers vermuten, oder wie sehen Sie das?«, fragte Kiermeier in die Runde.
»Das sehe ich genauso«, antwortete Thomas. »Wenn wir davon ausgehen, dass der Brieföffner auf dem Schreibtisch die Tatwaffe ist, haben wir höchstwahrscheinlich genau wie beim letzten Fall eine Tat im Affekt und keinen geplanten Mord.«
»Da sind wir einer Meinung.« Der Polizeichef nickte zufrieden und wandte sich an den ebenfalls anwesenden Hartmut Rieger. »Jetzt lassen wir mal den Kollegen der Kriminaltechnik zu Wort kommen. Herr Rieger, was haben Sie herausgefunden?«
»Wir haben eine Menge Fingerabdrücke im Büro des Opfers g'funden, wobei wir diese noch nicht zuordnen konnten. Ich fürchte, dass uns dies auch nicht weiterhilft, da in diesem Büro eine Menge Menschen verkehrten. Die Fingerabdrücke könnten von sämtlichen Lehrern, von den Verwaltungsangestellten, von Schülern und Besuchern stammen. Und außerdem wurde in diesem Büro schon länger nicht mehr richtig geputzt, da am Samstag eine Generalreinigung geplant gewesen wäre. Einbruchsspuren konnten wir nicht feststellen, daher können wir davon ausgehen, dass der Täter oder die Täterin, genau wie die Gäste der Buchvorstellung, durch die offene Eingangstür rein- und rausgegangen ist. Die vermeintliche Tatwaffe, also diesen alten Brieföffner, konnten wir nicht finden, genauso wenig wie ein Handy des Opfers«, berichtete Hartmut Rieger enttäuscht.
»Das Thema Fingerabdrücke würde ich zurückstellen, da der Aufwand extrem hoch ist. Da binden wir zu viel Kapazität. Was ist mit seinem PC?«, fragte Kiermeier den hauseigenen IT-Experten Stefan Wegerer.
»Der ist in meinem Büro. Ich bin dran, aber bisher hab ich das Passwort noch nicht knacken können. Die Festplatte ist verschlüsselt«, erklärte dieser kleinlaut.
»Das ist aber dünn, dünner geht's ja nimmer«, monierte Kiermeier frustriert in die Runde. »Wir haben gar nichts, wir haben keine verwertbaren Spuren, kein Motiv, kein Handy, keine Tatwaffe, nothing, niente, nada! Wir konnten auch noch keinen E-Mail-Verkehr inspizieren. Was, glaubt ihr, soll ich am Montag früh bei der Pressekonferenz sagen? Das ist eine reine Bankrotterklärung!« Der Polizeichef schlug mit beiden Händen auf den Tisch. Klar, dass alle Anwesenden nach dieser Ansage betretene Mienen bekamen. Nach einigen Schweigesekunden fuhr Kiermeier in einem gemäßigteren Ton fort. »Ich hoffe, Sie haben gleich die Ortung des Handys veranlasst.«
Hartmut Rieger wurde immer verlegener und wusste gar nicht recht, was er darauf antworten sollte.
Nach weiteren Sekunden des Schweigens sprach der Polizeichef Rieger direkt an: »Herr Rieger, haben Sie eine Ortung des Handys durchgeführt?«
»Nein, haben wir nicht«, flüsterte Rieger betreten in die Runde.
Kiermeier blieb besorgniserregend ruhig. »Warum nicht?«
»Weil wir keine Handynummer des Ermordeten hatten.«
Die Sicherung des Polizeichefs brannte endgültig durch. Er bekam Schnappatmung, stand auf und ging zum Fenster. Seine Mitarbeiter saßen so still am Tisch, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann drehte er sich um und holte zur Standpauke aus: »Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich glaube, ich bin im falschen Film. Da wird eine hochgestellte Persönlichkeit der Stadt in unmittelbarer Nähe unserer Polizeiinspektion umgebracht und niemand kümmert sich um sein Handy. Das Handy kann heutzutage bei jedem Verbrechen ein wichtiges Beweismittel sein und meine Mitarbeiter ignorieren dies komplett! Das sind Anfängerfehler, meine Herrschaften! Anfängerfehler!«, kanzelte er die Anwesenden ab.
Thomas versuchte vergebens seinen Chef wieder etwas zu beruhigen und behauptete fälschlicherweise, die Handynummer bereits in Erfahrung gebracht zu haben.
»Und warum haben Sie die Ortung des Handys nicht veranlasst, Huber?«, fragte Kiermeier scharf zurück.
»Wir haben gar ned g'wusst, dass sein Handy nicht g'funden worden ist. Wir sind ja gleich zur Tochter g'fahren«, versuchte sich Thomas zu rechtfertigen.
»Das gibt's doch nicht, Leute. Bin ich denn hier vielleicht in einer Irrenanstalt? Ihr müsst miteinander sprechen. Heutzutage gibt es da Möglichkeiten. Das darf doch alles nicht wahr sein!«, brüllte Kiermeier noch lauter als vorher und schüttelte seinen Kopf. Nach ein paar tiefen, sichtlich kontrollierten Atemzügen setzte sich der wütende Polizeichef wieder an den Besprechungstisch zu seinen Leuten.
»Herr Rieger, bitte veranlassen Sie die Ortung des Handys, und Sie, Herr Huber, geben ihm die Handynummer«, ordnete der Polizeioberrat an.
»Die Handynummer hab ich im Büro«, schwindelte Thomas.
»Auf was warten Sie dann noch?«
Thomas stand auf und ging mit erhöhtem Puls in sein Büro. Er zückte sofort die Visitenkarte von Sara Rausch, tippte ihre Nummer in sein Handy ein und betete, dass sie gleich abheben würde. Doch es meldete sich nur die Mailbox. »Verdammt noch mal«, murmelte Thomas leise vor sich hin. Was sollte er auf die Schnelle tun, um nicht als Lügner entlarvt zu werden. Ihm fiel eine weitere Visitenkarte ein, die er gestern noch bekommen hatte. Die von der charmanten stellvertretenden Direktorin. Er tippte mit nervösem Finger die Nummer in sein Handy. Gott sei Dank, sie meldete sich mit ihrer angenehmen Stimme. »Entschuldigen Sie die Störung am Sonntag, aber Sie könnten mir einen großen Gefallen tun, Frau Hiermer«, begann Thomas das Gespräch.
»Für Sie tu ich mein Möglichstes«, entgegnete die Pädagogin vielversprechend.
»Haben Sie die Nummer von Doktor Rauschs Handy?«
»Natürlich habe ich die Nummer«,...
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