Schweitzer Fachinformationen
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Es hatte eine Zeit gegeben - ehrlich gesagt waren es viele Zeiten gewesen -, in der William Hightower die Entzugskliniken in einer Limousine verlassen hatte. Einer Limousine, geschickt von seiner Plattenfirma, mit verdunkelten Scheiben, einer voll ausgestatteten Bar und einer willigen Frau mit langen Beinen, großen Brüsten und talentierten Lippen auf dem Rücksitz.
Über seine Entlassungen war jedes Mal lang und breit berichtet worden, Fotografen und Fans hatten im Vorfeld schon gefeiert, und alle drängelten sich vor dem Eingang, um ein Foto zu schießen oder seinen Namen herauszuschreien, während die Limousine an ihnen vorüberschoss.
Noch Wochen nach seiner Entlassung waren Artikel und Berichte erschienen, mit Fotos, die ihn auf der Bühne zeigten vor einem unendlichen, wogenden Meer hingerissener Fans. Fotos von ihm, als der Zopf auf seinem Rücken noch dunkler gewesen war als der Nachthimmel über den Sümpfen Floridas. Als er über die Bühne stolziert war, als wäre sie sein Eigentum. Als wäre er ein echter Seminolen-Kämpfer und nicht der verängstigte Junge aus einem staubigen, namenlosen Kaff, in dessen Venen gerade mal zwei Tropfen Indianerblut auf einen Liter Siedlerblut kamen.
Damals! Als Alkohol und Drogen einfach zu ihm gehörten, als seine Finger noch nicht schwerfällig über die Gitarrensaiten strichen und seine Stimme noch nicht gelitten hatte. Als die Exzesse noch nicht seine Muskeln und Sehnen angenagt hatten wie Termiten einen Holzschuppen. Und der Schmerz über den Verlust seines jüngeren Bruders, der die Band - die passenderweise «Wasted Indian» hieß - im Leichenwagen verlassen hatte, sich noch nicht in sein Gesicht gegraben hatte. Damals hatte ihm die schreiende Menge versichert, am Leben zu sein. Und dazu ausersehen, für immer jung zu bleiben.
Heute war alles anders. Der Wagen, mit dem man ihn aus der Entzugsklinik abholte, war nicht von der Plattenfirma geschickt worden, und es gab weder Drogen noch Alkohol noch eine willig-unwillige Frau im Wagenfond. Dies hier war einfach ein schlammbrauner BMW, gesteuert von seinem wütenden Sohn, den er kaum kannte. Dem einzigen Menschen, der aus dem einstmals riesigen Meer noch übrig war. Dem einzigen, der durch das Blut an ihn gebunden war.
«Danke, dass du mich abholst», sagte Will.
Er vernahm nur ein Grunzen. Mehr als Antwort hatte er vermutlich auch nicht verdient.
«Und dafür, dass du dich um meinen . Aufenthalt hier gekümmert hast.»
Das war seine Art einzugestehen, dass er, William Hightower, der Millionen verdient und Millionen verschleudert hatte, sich den einen Monat im Three Palms Whole Health Center nicht mehr selbst leisten konnte. In einer Einrichtung, in der ein ganzheitlicher Ansatz beim Kampf gegen die Dämonen, die jeder Patient mitbrachte, praktiziert wurde. Er hätte sich das Ganze nicht mal leisten können, wenn er wirklich hierher gewollt hätte.
Heute gab es keine Tore, durch die er hindurchfahren musste. Es gab weder Journalisten noch kreischende Fans. Hinter sich ließ er ein sauberes, modernes Gebäude, das zwischen einem See stand, in dem Will mit einem Kajak gepaddelt war, bis seine Muskeln gebrannt hatten, und einem Pool, in dem er Geist und Körper Zug um Zug betäubt hatte. Aber er verließ diesen Ort deutlich fitter, als er gekommen war. Fitter, als er seit seinem ersten Gig mit siebzehn jemals gewesen war. Eines musste er den Leuten von Three Palms lassen: Sie hatten ihn dazu gezwungen, auch sein Äußeres in Ordnung zu bringen, während sie sein Inneres beackerten.
Als gäbe es dadrinnen überhaupt noch etwas zu beackern.
Das Haar, das ihm einst in einem Zopf über den Rücken fiel, berührte kaum mehr seine Schultern, und das glänzende Schwarz war mit Grau durchsetzt. Sein Gesicht, vernarbt und ramponiert von einundsechzig ausschweifenden Jahren, wurde noch immer von einer Hakennase und hohen Wangenknochen dominiert, die die Kameras einst geliebt hatten. Seine dunklen Augen waren umgeben von einem feinen Netz aus Fältchen, aber sie sahen klarer als jemals zuvor und ermöglichten ihm, die Welt um ihn herum so wahrzunehmen, wie sie wirklich war. Kahl und erbarmungslos.
Schweigend fuhren sie von Cutler Bay, Florida, Richtung Süden. Vorbei an hohen Palmen und Blütenexplosionen in tropischen Farben. Blumen, die an Hauswänden emporrankten und sich um Baumstämme wanden. Das grelle Morgenlicht war unerbittlich und ließ nur wenige Schattendreiecke zu.
In Florida City mündete die Schnellstraße in den U.S. Highway 1 und dann in ein zweispuriges, achtzehn Meilen langes Asphaltband, das die Einheimischen «The Stretch» nannten. An dieser Stelle begann die reale Welt sich aufzulösen, und das Paradies, das vor ihnen lag, lockte mit gekrümmtem Finger. Selbst an den miesesten Tagen sorgte The Stretch für einen gesenkten Puls, einen geringeren Stresslevel und ein verlangsamtes Synapsengewitter in den Hirnen. Trotzdem wanderten Wills Gedanken ziellos umher, während Tommy in gemessenem Tempo und mit unverwandt nach vorn gerichtetem Blick den Wagen steuerte.
Trotz der geöffneten Fenster hing ihr Schweigen heiß und schwer zwischen ihnen, angefüllt mit Dingen, die nie verziehen worden waren und von denen Will inständig hoffte, dass sie nie zur Sprache kommen würden.
Wills Blicke glitten nach draußen. Nur ein Maschendrahtzaun hielt das wuchernde Gestrüpp von der Straße zurück, als sie die Everglades umrundeten und die Grenze zu Monroe County überquerten. Wiederholt warf er seinem Sohn verstohlene Seitenblicke zu. Tom hatte seine Statur und seine Hautfarbe geerbt, und er sah seinem jüngeren Bruder Tommy, nach dem er benannt worden war, so ähnlich, dass es schmerzte, ihn anzusehen. Will dachte an die Mutter des Jungen, die ebenfalls ihrer früheren Lebensweise zum Opfer gefallen war.
So viele Leute waren sinnlos vor die Hunde gegangen.
Als sie über die Jewfish Creek Bridge fuhren, blitzte die Sonne auf dem unglaublich türkisfarbenen Wasser, das die Brücke flankierte, und eine warme Meeresbrise verwirbelte die Luft und zerwühlte Wills Haar. Ab Key Largo begannen Geschäfte für Tauchgeräte, Fischköder und Angelzubehör vorbeizufliegen. Vor einem Einkaufszentrum blieb sein Blick an einem Schild hängen, das «Pilates im Paradies» versprach.
Das Schweigen dehnte sich aus. Wills Augenlider wurden schwer. Er war kurz davor, einzunicken, als Tommy plötzlich sagte: «Ich habe mit der Bank gesprochen. Und dann habe ich einen Makler angerufen, der sich Mermaid Point ansehen wird.»
Wills Augenlider flogen auf. So was passierte, wenn man einem verdammten Verwandten Generalvollmacht erteilte. Für den Notfall. Ohne daran zu denken, dass dieser Verwandte, während man sich selbst gerade in der Entziehungskur eine Abreibung nach der anderen holte, eine Situation einfach zum Notfall erklären konnte.
Will hatte die Insel in Form eines Teetischs in den Achtzigern spontan gekauft, als Key West noch ein Ort gewesen war, an dem man sich verstecken, ausspannen und chillen konnte. Dann begannen die Kreuzfahrtschiffe täglich an- und wieder abzulegen, und die Massen, die sich danach sehnten, wild und exzentrisch zu sein, rammten ihre Fahnen in den Boden und erklärten Key West zur Hauptstadt ihrer Verrücktheit. Jeder, der ihm wichtig gewesen war, flüchtete. Will schaffte es nur neunundsiebzig Meilen den Highway 1 hinauf.
«Ich habe kein Interesse daran, Mermaid Point zu verkaufen», sagte er. Nicht seine Insel. Niemals.
Das Mariner's Hospital und Mc Donald's flogen vorüber, als sie durch Tavernier Creek fuhren. Bald würden sie auf Upper Mathcumbe ankommen, der dritten von Islamoradas vier Key-Inseln.
Beinahe zu Hause.
«Selbst wenn du wolltest, könntest du die Insel nicht verkaufen, ohne etwas am Haus und an den Nebengebäuden zu machen», sagte sein Sohn. «Bei dem Zustand, in dem sie sich befinden.»
Jetzt war es an Will zu grunzen. Als er Mermaid Point gekauft hatte, war die Insel nur eines von vielen Domizilen in seinem Besitz gewesen. Heute war sie das Einzige, was ihm noch geblieben war. Und sobald sie dort angekommen waren, wollte er sich nur noch auf eine Liege an den Pool legen und verdammt noch mal abschalten. Was nicht ganz so leicht werden würde ohne einen Drink oder einen Joint in der Hand.
Im Moment versuchte er, nicht daran zu denken, wie er die nächste Woche überleben sollte, ohne sich zu betäuben, ganz zu schweigen vom Rest seines Lebens. Er war sich nicht sicher, ob sein Pool - ja selbst der Atlantik, auf den man von dort aus blickte - groß genug war, um darin so viele Züge schwimmen zu können, wie er benötigte, um sich zu betäuben. Er wusste nicht, ob es auf der ganzen Welt genügend Schwimmzüge gab, um dieses Bedürfnis in den Griff zu bekommen.
«Die Sache ist die», sagte Tom, «wenn man das Haus und die Außenanlagen renovieren würde, wäre das Ganze ein großartiges Feriendomizil für einen Inselurlaub oder ein Firmen-Retreat. Du könntest auch dauerhaft alle Zimmer vermieten - ich meine, du hast immerhin noch einen Namen. Die Leute würden ein Vermögen dafür bezahlen, um in einem Haus zu übernachten, das von William dem Wilden betrieben wird.» Toms Ton klang abfällig. «Und du könntest deinen Lebensunterhalt als genialer Gastgeber eines Rock-'n'-Roll-Bed-and-Breakfast verdienen. Vielleicht sollten wir es auch einfach nennen.»
«Du machst Witze.» Will schlug einen versöhnlichen Tonfall an. Er war noch nicht einmal zu Hause, er würde sich jetzt nicht aufregen. Hatte er nicht gerade einen Monat damit zugebracht...
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