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Doch zuerst zur Beisetzung.
Ecgbert und Emma Todes Kinder Nicola, Ecgbert und Esmé (dreiundfünfzig, einundfünfzig respektive neunundvierzig Jahre alt) hatten schon viele Jahre keine gemeinsame Zeit mehr unter dem Dach von Tode Hall verbracht. Dafür gab es zahlreiche Gründe. Nicola war leidenschaftliche Sozialistin. Ihrer Ansicht nach war jeglicher Besitz Diebstahl, weswegen sie sich zutiefst für ihr Elternhaus schämte und sich davon fernhielt. Ecgbert - nun natürlich Sir Ecgbert, der zwölfte Baronet - weilte als »Gast« in einer privat geführten Luxusnervenheilanstalt ganz in der Nähe, während Esmé mit Frau und Familie in Australien lebte. Bei Letzterem spielten also die geografischen Gegebenheiten eine Rolle. Doch hauptsächlich trafen sie sich weder hier noch unter irgendeinem anderen Dach, weil sie einander nicht sonderlich mochten.
So hatten sie nun viele Auseinandersetzungen nachzuholen. In der vergangenen Woche, in der die sterbliche Hülle ihres Vaters in der Kapelle am hinteren Ende des Hauses aufgebahrt gewesen war, hatten sie sich ohne Unterlass gestritten: während sämtlicher Mahlzeiten und auch in den langweiligen Pausen dazwischen. Sie zankten sich über Politik, Religion, den Namen von Nicolas zweitem Pony, darüber, was Mrs Carfizzi ihnen zum Abendessen kochen würde, und vor allen Dingen über jedes noch so winzige Detail der Bestattung ihres Vaters.
Trotz Lady Todes Versprechen am Sterbebett ihres Gatten stellte sich heraus, dass der moderne Leichenwagen es nicht ohne zu schlittern durch das nasse Gras des Parks schaffen würde, weshalb die Familie sich schließlich darauf einigte, den Sarg (aus Ökopappe - worüber man sich selbstverständlich auf unsägliche Weise stritt) auf einen Anhänger zu laden und besagten Anhänger (wieder Gezänk) nicht an Lady Todes praktischem und überdies dem Anlass sehr viel angemessenerem schwarzem Range Rover zu befestigen, sondern am Traktor des Anwesens, der in leuchtendem Orange erstrahlte.
Der orangefarbene Traktor und der schmutzige Anhänger mitsamt biologisch abbaubarem Sarg aus Karton sollten den stattlichen Trauerzug von traditionell knapp einem halben Kilometer durch den Park anführen, beginnend am Großen Nördlichen Tor, an dem Lady Tode, Familie und Gäste nun warteten, dann am See vorbei, hinauf zum Africa Folly (ein kleiner, ziemlich beschwerlicher Umweg, der jedoch einen eindrucksvoll pittoresken Ausblick bot) und schließlich wieder hinunter durch das Feld, auf dem für gewöhnlich Ochsen grasten, und zu den Toren des Mausoleums.
Lady Tode würde unmittelbar hinter dem Anhänger hergehen, begleitet von ihren Kindern und gefolgt von allen anderen: von Freunden (einige), Beschäftigten des Anwesens, Hauspersonal und Pächtern (viele) sowie Trauernden (keine).
Angesichts der Länge des Fußmarschs vom Haus zum Mausoleum und (es war Frühherbst in Yorkshire) dem fast garantiert grässlichen Wetter hatte Lady Tode es für praktisch gehalten, keine übertrieben förmliche Kleiderordnung vorzuschlagen. Ihre Kinder hingegen, die sich ausnahmsweise einmal einig waren, hätten ihr nicht heftiger widersprechen können. Sie bestanden darauf, dass alle sich herausputzten, weil »Vater sich das gewünscht hätte«. Unglaublich!
An diesem Morgen nun musste Lady Tode feststellen, dass die drei beschlossen hatten, sich selbst nicht an die von ihnen verlangte Kleiderordnung zu halten; vielmehr waren sie samt und sonders in schlammbespritzten Jacken erschienen, die sie im letzten Moment aus dem Vorraum mitgenommen hatten. Dazu trug Nicola ein rotes Wollbéret im Che-Guevara-Stil, um zu demonstrieren, wie wichtig ihr die politische Einstellung war. Der ältere ihrer beiden Brüder, den alle nur liebevoll »Mad Ecgbert«, den »Verrückten Ecgbert«, nannten, hatte Stiefel an, die kein Paar waren. Und Esmé mit den kleinen Füßen war in leuchtend pinkfarbene Damengummistiefel geschlüpft, die ebenfalls aus dem Vorraum stammten.
Hier waren sie also: Lady Tode und ihre schwierigen Kinder inmitten einer Menge von etwa zweihundertfünfzig dem Anlass angemessen gekleideten, entsetzlich frierenden Trauergästen. Der Traktor holperte auf sie zu, dahinter der Sarg, der auf acht feuchten Heuballen balancierte und mit einem einzigen Lilienkranz geschmückt war. Der Text auf der darauf liegenden Karte, die in einer Plastikhülle steckte, damit die Tinte nicht verlief, lautete:
Für Vater
Viel Glück!
Von der Familie
Nicht sonderlich liebevoll, zugegeben. Aber diese Eigenschaft hatte ja auch Sir Ecgbert nicht ausgezeichnet. Man erntet, was man sät.
Der Traktor näherte sich. Er wurde, wie zuvor diskutiert und gemeinsam beschlossen, von Oliver Mellors, dem ungemein attraktiven Wildhüter des Anwesens, gelenkt.
Als Mad Ecgbert Oliver Mellors auf dem Traktor sitzen sah, reagierte er beunruhigt: Das war anders, als er es sich vorgestellt hatte, und irgendwie gefiel es ihm nicht. Er stampfte mit dem Fuß auf. Er als ältester Sohn, ganz zu schweigen davon, dass er von nun an den uralten Titel tragen würde, sollte derjenige sein, der den Traktor steuerte. Das teilte er seiner Mutter mit ziemlich lauter Stimme mit. »Ich kann das«, fügte er hinzu, »und es macht mir Spaß.«
Lady Tode hatte nie herausgefunden, wie sie mit Ecgbert umgehen sollte. Am allerwenigsten dann, wenn er mit dem Fuß aufstampfte. Sie war eine durch und durch korrekte Frau, der Dinge schnell peinlich wurden, und eine Szene wollte sie im Augenblick nun wirklich nicht. Sie blickte verlegen Oliver Mellors an, der zu diesem Zeitpunkt vierunddreißig Jahre alt war und bereits seit siebzehn Jahren auf dem Anwesen arbeitete. Lady Tode hatte immer schon eine Schwäche für ihn gehabt. Er schaltete in den Leerlauf und kletterte vom Fahrersitz herunter.
Ecgbert bedankte sich. Es klang ein wenig arrogant. Weil ihm das selbst aufzufallen schien, schenkte er Oliver ein verschwörerisches Lächeln. Als müssten sich diese beiden - Oliver und Ecgbert - gegen die ganze Welt wappnen.
Oliver fragte: »Sie sind schon mal damit gefahren, oder? Ich meine, mit dem Anhänger hinten dran?«
»Natürlich«, antwortete Ecgbert.
»Passen Sie auf das hintere linke Rad auf. Ohne schwere Last könnte es .«
»Ich weiß, ich weiß«, fiel Ecgbert ihm ins Wort. »Wollen wir weiterfahren? Die armen Leute frieren sich im Regen zu Tode. Sorgen wir dafür, dass der alte Mann endlich in die Gruft kommt!«
»Okay«, meinte Mellors.
»Vater hat sich seit Ewigkeiten auf diesen Tag gefreut, nicht wahr, Mutter?« Ecgbert erklomm den Fahrersitz. Von dort aus schenkte er allen ein freundliches, ein wenig irres Lächeln, gab meckernd Gas und lenkte den Traktor absichtlich in eine Pfütze.
Esmé und Nicola riefen ihm nach, er solle langsamer machen, doch er konnte oder wollte sie nicht hören. Er entfernte sich, und ihnen blieb nichts anderes übrig, als irgendwie mit ihm Schritt zu halten. Sie hasteten ihm keuchend und schnaufend hinterher, so schnell sie konnten, und taten dabei so, als wäre das völlig normal. Kurz darauf ereignete sich, wie nicht anders zu erwarten, die Katastrophe.
Auf halbem Weg durch den Park, fast oben auf der Anhöhe mit dem Folly, so weit weg, dass diejenigen, die zu Fuß unterwegs waren, Mad Ecgbert kaum noch wahrnahmen, scherte der Traktor aus. Ecgbert stieß einen Schrei aus, und der Traktor kam bebend zum Stehen. Der Motor heulte auf, es folgte ein weiterer wütender Schrei, und dann tat der Anhänger das, was Anhänger ohne ausreichend Last, um sie am Boden zu halten, eben so tun, wenn sie von eifrigen Amateuren auf einer steilen Anhöhe gelenkt werden. Das linke Hinterrad war gegen einen Stein gefahren, und nun kippte der Anhänger.
Eins . zwei . drei . Der Anhänger fand das Gleichgewicht zu langsam wieder, um die Ladung zu retten. Zuerst fielen die Lilien herunter, dann der Sarg und die Heuballen. Der Sarg landete verkehrt herum und knickte unter den schweren Ballen ein, die darauf zu liegen kamen.
Die Leute, die zu Fuß unterwegs waren, schwiegen schockiert, doch Nicola begann zu kichern. Esmé bedachte sie mit einem mörderischen Blick, bevor er in seinen kleinen pinkfarbenen Stiefeln zum Ort der Katastrophe rannte. Egal, wie verrückt oder ärgerlich Esmé seinen Bruder auch fand: Ecgbert gehörte zur Familie, und er brauchte Hilfe.
Als Esmé den Traktor erreichte, war Ecgbert bereits vom Fahrersitz heruntergeklettert und wühlte in dem Chaos; er hob die Heuballen von dem Sarg herunter und lud sie eiligst auf den Anhänger. Dabei schaute er zu Esmé hinüber und dann zu den etwa einhundertfünfzig Meter entfernten Trauergästen, die mit jeder Sekunde näher kamen.
»Keine Sorge!«, rief er. »Alles unter Kontrolle!« Er lachte, aber Esmé sah, wie seinem Bruder Tränen in die Augen traten.
»Idiot!«, schalt Esmé ihn. Von all den Dingen, die er seinem Bruder in der vergangenen Woche an den Kopf geworfen hatte, war dies noch bei Weitem der freundlichste Ausdruck.
Ecgbert hievte gerade einen weiteren Heuballen hoch. »O Gott, ist das sein Arm, Es? Ragt da sein Arm heraus? Es! Ja, es ist sein dürrer kleiner Arm - schau! Igitt . Das ist Vaters Arm!«
»Drück ihn wieder rein«, wies Esmé ihn an.
»Es ist sein Arm, Es! Sein verdammter Arm! Den rühr ich nicht an .«
Esmé schob seinen Bruder beiseite, packte den Arm (der starr wie ein Brett und leicht wie eine Feder war), stopfte ihn zurück in den Sarg und klappte diesen zu. »Der Sarg liegt...
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